Du brichst den harten Frost, mit einer Geste tausend Händen gleich, und doch ist, was du aufgebrochen dem Tode fremd und fern. Was kläglich war und starr und alt, opfert dir willig die Gestalt, wird vor dir gern im neuen Kleide wieder jung und schön und reich. Das Mangelhafte hast du als dein Element erwählt und nimmst in Acht, was durch die Zeiten tief gezeichnet, was dem Verfall schon preisgegeben und verdorben. In deinem Schaffensrausch stehn Abfall, Dung und alles Todgeweihte dir zur Seite und was gestorben war, das schlummert bloß - durch deinen Ruf ist es erwacht. Voll Lust erhebt sich jede Stimme, die dein Mysterium jetzt schon leis erahnt, und was im Schoß der Finsternis verborgen seine Wege bahnt, strebt unbeirrt hinauf zum Licht. Das Fremde und das Unbekannte zieht zu sich das Alte, das Triviale - das Niedre und Banale - verwirft es aber nicht, hebt es vielmehr empor und trinkt mit ihm aus einer Schale. Wo ist nun Schöpfer und wo ist Kreatur wenn beides nur gemeinsam wirken kann? Wenn Gleichklang dein Geheimnis und tiefster Abgrund dir nicht tief genug? Wenn alles was bisher verloren und verworfen und getadelt nun unverhofft geadelt, schön und klug dann ist dort Einheit nur und Treue und allerhöchster Rang. Elmar Vogel /April 2019
Kategorie: Lyrik
Als die Zeit noch reichlich
Als die Zeit noch reichlich war keine Zeit zu denken. Jetzt, da sie unbegreiflich, will keiner sich versenken, in das Eventuelle, in das Bedeutungschwere. Nun atmet jede Zelle nackte Sinnesleere. Als der Sinn noch offen, da war er schwer beladen, mit Wünschen und mit Hoffen und ignoriertem Schaden, den er bereits genommen, doch ohne es zu wissen, vom Sinnensrausch benommen - das Gefäß gerissen. Als das Gefäß noch voll mit leichtem Spiel und Tand, da empfand man keinen Groll gegen Volk und Vaterland, gegen die verführte Welt, die noch jeden Sinn geglaubt, den man ihr vor Augen stellt und ihr den Zauber raubt. Elmar Vogel am 26.2.2023
Abgesang
Dem eignen Tod nicht zu entgehen, sind wir geworfen in die Welt. Und alles Trotzen, alles Flehen gleicht einer Welle, die zerschellt, am Fels der Brandung jener Lüge, die unsre Hybris ignoriert: Wähnt sich im Glauben es genüge, dass Tod zu keinem Ziele führt, -wiewohl ihm große Macht gebührt- In diesem Glauben will sie erben, was diese Welt ihr hinterlässt - wischt dröge fort den Tod, das Sterben und macht aus Totentanz ein Fest der Sinne, des Rausches und der Macht: Nehmt alles hin und lasst verglimmen, jenes Feuer, das in euch entfacht, als ihr noch Kinder wart mit Stimmen, -die sangen gegen dunkle Nacht- Noch sind die Lieder nicht verklungen, noch tönen sie durch Raum und Zeit, noch füllt der Geist die Kinderlungen, noch stehn sie im Gesang befreit. Doch wenn der letzte Ton geboren, und an kein Ohr gedrungen ist so ist auch jener Sinn verloren, der uns die schönsten Klänge misst. 20. Februar 2023
Biblische Bezüge zum Text:
1. Vers: Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden. Psalm 90,12
Aber, JHWH, lehre mich doch, daß es ein Ende mit mir haben muß und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muß. Psalm 39,4
2. Vers: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Lk 15,11–32
3. Vers: Amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen. Mat 18. 2
Mit wem soll ich diese Generation vergleichen? Sie gleicht Kindern, die auf den Marktplätzen sitzen und anderen zurufen: Wir haben für euch auf der Flöte gespielt und ihr habt nicht getanzt; wir haben die Totenklage angestimmt und ihr habt euch nicht an die Brust geschlagen. Matt 11, 17
Jenseits des Sinnes
Was jenseits allen Sinnes, darüber will ich sinnen, zugunsten des Gewinnes, der über allen Stimmen, und über allem Raunen, dem gilt, der wie ein Kind das Dasein kann bestaunen: Unfassbar wie der Wind. Scheint es uns nur zu streifen? Sucht es uns auszublasen? Wie möcht ich dich begreifen, in Maß und Übermaßen. Dann stünde alles offen, und selbst was fest verriegelt eröffnet‘ sich dem Hoffen, wodurch es ward besiegelt, schon lang vor allen Zeiten, wo alles einst begann, fernab von allem Streiten steh ich in deinem Bann.
Dresden 16. Februar 2020
Freier Wille
Der freie Wille ist ein Ideal, Ist weder Regel noch Gesetz in dieser Welt Denn jeder handelt wie es ihm gefällt; Beliebigkeit kennt keine freie Wahl. Fest gebunden liegt der freie Wille, an dem Gebot der Liebe und Wahrhaftigkeit Und jenseits diesem liegt nur Krieg und Streit; Freiheit bleibt dort eine taube Hülle. Nur Einsicht in die tiefste Unfreiheit, Und Distanz zu eig‘nem Denken oder Handeln Wird befang‘nen Willen dort verwandeln, Wo er zum Abgang und zum Tod bereit. Dresden am 10. Juli 2020
Metaphorik
Wenn ich sterbe, soll mein Sterben dienen, Nahrung soll es sein zu neuem Leben. Für das Starke möchte ich mich geben, das mir im Verborgnen schon erschienen. Wenn ich falle, soll mein Fall berühren, einen Grund, der mein Sinken fruchtbar macht, und Dunkles dort in neuem Licht erwacht, Wege weisend, die nach oben führen. Wenn zerteilt ist das Gewand der Erde, und verkostet jedes Ding des Alten, soll sich meine Seele umgestalten, dass das Tiefste mir zum Höchsten werde. 12. März 2022
Unser täglich Brot
Die Bettler gehen unerkannt, da keiner ihren Schritten folgen will. Gemächlich gehen sie dahin und still, wie in ein fernes, fremdes Land. Ihr Hunger hat sie arm gemacht und finden sie auch keinen Wohlstand je, beharrlich folgen sie dem innren Weh, das an die Seele rühret sacht. Sie betteln um ein täglich Brot, das frei von Gärung, unverfälscht und leicht, ein Brot, das ganz dem edlen Geber gleicht, der selbst es buk in höchster Not. Tief im Verborgnen essen sie's; geblendet wäre jedes Auge dort. Hier ist des Geistes Stärke und sein Hort, und wer dort isst, den hungert nie. Wenn uns die Armut so befällt und uns zu Bettlern macht und Kranken, würden wir solchem Schicksal danken, wenn es uns dazu auserwählt? Elmar Vogel 3. Mai 2020
Hindurch zum Licht
Fürchte dich nicht. Die Dunkelheit der Erde ist ein Bild, myriadenfach bemüht den Geist zu kränken, der allzu Hartes bricht – den schwachen Schild; bereit, sich selbst in dunkle Tiefen zu versenken sich dort verloren gibt, um sich neu zu finden. So gleicht das Streben aus der Erde Schoß der Sehnsucht eines Blinden: Hindurch zum Licht. Elmar Vogel 5. Januar. 2022
Selbstreflexion
Ach, du unergründlich tiefer Brunnen, der mein Angesicht auf der Wasserfläche spiegelt, die der Sonne Strahlen bricht. Tief und dunkel scheint dein Wesen doch dein Wasser ist so klar, steter Blick in deinen Spiegel, macht mein Antlitz offenbar. Trinken möchte ich dein Wesen, ganz darinnen untergehn voller Zuversicht versinken, und im Lichte auferstehn. Dresden 6. August 2021
Der lebendige Tod
Der Tod verschlingt des Menschen Leben,
und speit es dennoch wieder aus:
Das Schwache sucht er zu beheben,
verschafft dem Geist ein neues Haus.
Der Tod lehrt lassen uns und gehen
was zeitlich und vergänglich ist:
Das Unsichtbare bleibt bestehen,
dem niemand großen Wert beimisst.
Der Tod zwingt stetig uns zur Suche,
nach Leben, über allem Schein,
das jenseits liegt von Streit und Fluche,
doch hält man dies für allzu klein.
25. Dezember 2021