Der lebendige Tod

Audiodatei: Der lebendige Tod

Der Tod verschlingt des Menschen Leben,
und speit es dennoch wieder aus:
Das Schwache sucht er zu beheben,
verschafft dem Geist ein neues Haus.

Der Tod lehrt lassen uns und gehen
was zeitlich und vergänglich ist:
Das Unsichtbare bleibt bestehen,
dem niemand großen Wert beimisst. 

Der Tod zwingt stetig uns zur Suche,
nach Leben, über allem Schein,
das jenseits liegt von Streit und Fluche,
doch hält man dies für allzu klein.

25. Dezember 2021

Fatum

Der Schächer steht verklärt im Morgengrau,
er hat sein nächtlich Tagwerk längst vollbracht.
Ein schwarzes Auge fängt sein Lächeln ein
und speit es wieder aus vertausendfacht.

Der trübe Tau gerinnt zu Blut und Eis
und Monde stehen fahl und blass im Tageslicht.
Die künft‘gen Nächte sind jetzt kalt und weiß,
und blanke Stähle harren ihrer Pflicht.

Das Spinnrad treibt voran der Pferdefuß.
Aus jedem Halm und jeder Nadel Stroh,
schafft er gedieg‘nes Gold im Überfluss.
Des Zweifels Kerker liegt im Nirgendwo. 
 
Ein neues Evangelium hat gekalbt,
millionenfach gelegt in Batterien,
und jeder Leichnam wird verzückt gesalbt,
um seiner eignen Marter zu entflieh‘n. 

Elmar Vogel am 7. Mai 2020

Wert-Schöpfung

Das Leben ist nicht wiederholbar
und doch beginnt es stets von Neuem.
Indem wir seinen Abgang scheuen,
gewinnt es, denn dieser macht es rar.

So verleiht der Tod dem Leben Wert;
ohne ihn wär alles eitel Tand.
Doch verneint der zeitliche Verstand,
dass uns unser Abgang solches lehrt.

Und so verharrt er im Verneinen
der Kraft, die doch das Leben hübe
und opfert seine hehrsten Triebe,
dem Namenlosen und dem Keinen.

Elmar Vogel 25. April 2020
 

Notwendiges

In allem Scheitern liegt ein Sterben,
und jede Krankheit atmet Tod.
Doch alles irdische Verderben,
birgt auch die Wendung unsrer Not. 

Wenn als notwendig ich erachte,
auch meinen abgrundtiefsten Fall,
und so im bittren Elend schmachte,
durchmisst ein Ruf das Weltenall.

Denn was notwendig ist geworden,
durch mein Bejahen und Vertraun,
das hat nun aufgehört zu morden
und lässt mich neues Leben schaun.

In der Notwendigkeit der Dinge,
liegt auch der Wahrheit tiefster Grund,
den ich von Herzen hier besinge,
der immer neu zu jeder Stund.

Und in der Wahrheit liegt das Leben,
beschlossen in Notwendigkeit
Wer bittet, dem wird hier gegeben,
zu überwinden Zeit und Streit.

Elmar Vogel  19. Oktober 2020

Dunkle Pforten

Was ich bin und was ich werde,
liegt verborgen in der Zeit.
Wie ein Baum in reicher Erde,
treib ich meine Äste weit.

Taste mich ins Unbekannte,
da sich freie Räume dehnen.
Was ich vormals Zweifel nannte,
ward mir Hoffnung, Mut und Sehnen.

Jeder bange Schritt ins Leere,
jenseits altbekannter Orte,
alles Grobe, alles Schwere,
führt mich an die dunkle Pforte,

dran ich klopfe, unverdrossen
und um Einlass bitt‘ und dränge,
bis sich auftut was verschlossen;
lichter Raum in Breit und Länge.

Überwunden ward die Enge,
die der Zweifel nur gesetzt,
und entledigt alter Zwänge,
strahlt die Seele unverletzt.

Elmar Vogel 1. März 2020

Absurdum

Leben ist stete Suche nach Leben,
Leben ist Finden in allen Dingen.
In jeder Regung entschlossenes Streben,
ahnendes Wissen zu großem Gelingen.

Am Ende wird das Verworfene dienen,
den Auftakt setzen zu neuem Beginn,
und Tage, die uns als Bürden erschienen;
wir leben sie neu in geläutertem Sinn.

Sterben folgt der Suche nach Tod;
Verlust des Lebens in allen Dingen,
In jeder Regung verzweifelte Not,
die drohende Fessel niederzuringen.

Am Ende wird das Verworfne zertreten,
nicht weil verwerflich, sondern weil verhasst.
Wir werden empfangen, was wir erbeten:
Erleuchtetes Dunkel - Bürde und Last.


Elmar Vogel  13. April 2020

Reiseballade

wir gehen fort – wir gehen immer fort,
fortgehen scheint der reise zweck und wille.
so sind wir fort-getriebne aus der stille
in des getriebes fernen, fremden ort. 

wir haben keine bleibe eh und je
und können niemals sagen, da,
und können niemals sagen, ja,
da allerort ein stummes, fernes weh. 

wir brechen früh schon auf und gehn behände
den unbekannten weg, die steilen pfade.
was uns erschöpft, erscheint uns gnade,
und spät gelangen wir ans jähe ende. 

wir suchen unverdrossen fremde stätten.
das fremde lässt uns beben – zieht uns an,
tun manche falschen tritte dann und wann
und schlafen nachts in fremden betten. 

wir folgen sonderbaren, schweren spuren
und zeichen über sonne, mond und sternen,
und wetter zeichnen uns aus großen fernen.
wir blicken bange nach dem gang der uhren. 

wir finden aufgehoben uns am ziel,
und aufgehoben scheint uns dort das schwere,
wir achten nicht auf das, was wäre,
doch manche nacht fällt harsch und kühl. 

wir gehn dahin und schließen viele kreise
und kehrn zurück und kehren wieder um.
indes das letzte sichre ziel harrt stumm
des pilgers, der gezeichnet von der reise. 

Elmar Vogel 1. Juni 2020

Welt der Gnade

Welt der Gnade, komm herbei,
stille mein Verlangen.
Böses wie auch Gutes sei
liebevoll umfangen.

Wandelbar ist alles dem,
der fest auf dich vertraut,
der, wenn harte Winde gehn,
auf neue Sphären schaut.

Darin harret alles Glück,
in der Einsicht Stille,
dass das ärgste Missgeschick,
sich mit Sinn erfülle.

Und wer sucht in Zuversicht, 
Geist und Sinn zu finden,
das, woran es ihm gebricht,
wie das Licht dem Blinden,

wird nun sehend im Verstand,
dass kein unnütz Treiben,
und was hier noch unerkannt,
kann es dort nicht bleiben.

Seht, die Zeit steht stille nun,
da der Grund gefunden.
Dort wo alle Dinge ruhn,
wird die Welt gesunden.

19. Juli 2020 Elmar Vogel

Zwei schwarze Schwäne

Rätselhafter Traum aus dem Jahr 1996

Zu meiner Rechten,
hoch am grauen Himmel fechten
im Flug zwei schwarze Schwäne.
Im Kampf die Hälse hart verschränkt,
gleich einem Wappentier verbunden –
vom Kampf geschunden und gekränkt.
Der eine löst sich, flieht zur mir auf festen Grund,
berührt den Weg, nimmt menschliche Gestalt an und
-in enger schwarzer Tracht und glänzendem Gewand-
hat mir den Rücken zugewandt,
setzt seinen Weg rasch fort –
der Weg, auf dem ich selber stehe.
Ich blicke ihm verwundert nach und sehe,
wie er am Rücken klaffend wund,
dort, wo der eine Flügel stand,
rinnt eine rote Träne.

Dresden am 3. Februar 2021

Im Zusammenhang mit der Coropandemie las ich 2021 einen Bericht über das Phänomen des schwarzen Schwanes. Ich erfuhr, dass man unter einem schwarzen Schwan ein unvorhersehbares Ereignis versteht, das über die Erwartungen an eine solche Situation hinausgeht und das potenziell schwerwiegende Folgen hat.

Angeregt von diesem konkreten Bezug inspirierte mich dieses Traumbild von 1996 zu dem obigen Gedicht und den beiden Illustrationen. Die Bilder wurden durch Midjourney generiert und teilweise mit Adobe Photoshop nachbearbeitet.