Für uns gestorben

Die Frage, weshalb Jesus am Kreuz sterben musste, bleibt für viele Christen bis heute unbeantwortet. Deutungen hierzu gibt es genug, aber keine davon ist schlüssig – keine vermag wirklich zu überzeugen. Welcher Sinn also liegt der Aussage zugrunde, dass der grausame Tod eines Menschen vor 2000 Jahren Erlösung und Vergebung bewirken konnte? Die Beantwortung dieser Frage ist Gegenstand des folgenden Beitrages.

Wie konnte durch den Tod Jesu vor 2000 Jahren unsere Schuld vergeben sein?

Während der letzten beiden Jahrtausende begnügten sich Christen mit der Feststellung, dass Jesus für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist. Man betrachtete diese Aussage als Glaubenswahrheit. Das heißt, man sah darin eine Aussage mit dogmatischem Anspruch, der nicht zu hinterfragen sei, sondern einfach geglaubt werden müsse. Und da diese Aussage ja Grundbestandteil des christlichen Glaubens ist, könne und müsse sie inhaltlich auch gar nicht verstanden werden. Daher genügte es den allermeisten Christen, dass diese Aussage, dort, wo sie geglaubt würde, heilbringend wirke und die eigene Schuld tilge. Aber ist das so? Liegt dem christlichen Glauben solch ein Automatismus zugrunde?

Die biblischen Quellen

Ich möchte an dieser Stelle nicht sagen, dass solcher Glaube an sich falsch ist – im Gegenteil, ich halte ihn für formal richtig. Allerdings ruft diese Aussage heute nach einer schlüssigen Erklärung – einer Deutung, die der Mensch von heute gedanklich nachvollziehen kann, sofern er Interesse an dieser Thematik mitbringt. Tatsächlich hat Jesus selbst, seinen Tod in diesem Sinn gedeutet. Das heißt, die bewusste Hingabe seines Lebens, zur Erlösung für viele oder zur Vergebung der Sünden ist biblisch klar belegt:

Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

Matthäus 20, 28

Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut des neuen Testaments, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.

Matthäus 26, 27-28

Das Gottesbild Jesu

Um die Bedeutung dieser Aussagen Jesu gedanklich und inhaltlich nachvollziehen zu können, müssen wir zunächst das Gottesbild Jesu verstehen:

Für Jesus ist Gott allmächtig, er ist der Urheber aller Dinge, alles fließt aus Gott und nichts kann seinem Willen widerstehen.

Auch ist Gott ein einziger und ein einiger Gott, denn alles Geteilte oder Uneinige ist nicht von Bestand, ist nicht Gott. Bestand hat nur das in sich Einige und das Einzige, welches Gott selbst ist. Das heißt in Gott existiert kein Widerspruch, kein Gegenpart, keine Alternative, kein Außerhalb seiner selbst. Mit anderen Worten, außer Gott existiert nichts, als nur das Nichts.

Jesus aber antwortete ihm: Das vornehmste Gebot vor allen Geboten ist das: “Höre Israel, der JHWH, unser Gott, ist ein einiger Gott …”

Markus 12,29

Wenn ein Reich mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen. Und wenn ein Haus mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen …

Markus 3, 24-25

Der Wille Gottes – die Ursache aller Dinge

Vor diesem gedanklichen Hintergrund, dass Gottes Willen nichts widerstehen kann und er alle Dinge nach seinem Willen wirkt, kommt einer Aussage Jesu eine ganz besondere Bedeutung zu. Er lehrt sie im Vaterunser, sie lautet:

Dein Reich komme, dein Wille geschehe …

Matthäus 6,10


Die innere Bereitschaft, das zu wollen, was Gott will, legte er aber nicht nur seinen Zuhörern ans Herz. Diese Haltung zeigt er auch selbst unmittelbar vor seiner Verhaftung, als er darum bittet, dass, wenn es möglich sei, ihm seine Passion erspart bliebe.

Jesus ging ein paar Schritte, warf sich nieder und betete: »Mein Vater, wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen und erspare mir dieses Leiden! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen.«

Matthäus 26,39

In dieser Bereitschaft, der bedingungslosen Einwilligung in den Willen Gottes liegt für uns der Schlüssel zum Gottesverständnis und zum Selbstverständnis Jesu: »… nicht was ich will, sondern was du willst, soll geschehen.« Jesus glaubte, ja er wusste, dass Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt, und seinem Willen nichts widerstehen kann. Daher wollte er nur eines; die vollkommene Einheit mit dem Willen Gottes, auch wenn dieser Wille für ihn Unrecht, Leid und Tod bedeuten sollte. In dieser selbstlosen Einwilligung in den Willen Gottes verkündet Jesus sein Evangelium, das da lautet: Gott ist das Leben selbst und ausnahmslos alle Dinge fließen aus Gott, nicht nur schöne, angenehme und förderliche, sondern auch hässliche, leidvolle und hinderliche.

Gott wirkt unentwegt neues Leben

Doch alle Dinge, die Gott wirkt, die wirkt er nur aus einem einzigen Grund. Er wirkt sie, um sich selbst, nämlich, um unentwegt neues Leben hervorzubringen.

Soweit wir also eins werden mit dem Willen Gottes, werden wir eins mit Gott selbst. Werden wir aber eins mit Gott, so werden wir um seinetwillen auch leben.

Selbst wenn der Wille Gottes unseren eigenen Tod bedeuten würde, muss Gott uns doch neues Leben wiedergeben. Warum? Weil alles, was dem Willen Gottes unterliegt, notwendigerweise zum Leben kommt, da Gott das Leben selbst ist. Das ist das Gebot, das Jesus von seinem Vater empfangen hatte, wie er es selbst erklärte:

… auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien, auf dass die Welt glaube, du hast mich gesandt. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, dass sie eins seien, gleichwie wir eins sind, …

Johannes 17,21-22

Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.

Johannes 10,17-18

Zur Erlösung für viele

Worin besteht nun die Erlösung, die uns Jesus durch seinen Tod brachte? Die Erlösung beruht darauf, die Gesinnung Jesu anzunehmen, der die göttliche Kraft des Geistes besaß, selbst in Unrecht, Leid und Tod Gottes Willen zu erkennen. Denn in allen Geschehnissen, worin wir Gottes Willen suchen, dort wird sich Gott von uns finden lassen. Und dort, wo wir Gott finden, da finden wir notwendigerweise das Leben selbst.

Nun könnte man dagegenhalten, dass das aber keine gute Nachricht ist, wenn Gott will, dass wir leiden und sterben. Die gute Nachricht, das Evangelium, ist, dass durch diese Gesinnung unser Leiden und Sterben, dem ja ohnehin niemand entgehen kann, einen tiefen Sinn erfährt, wodurch wir Trost empfangen. Warum? Weil Jesus uns in seiner Passion beispielhaft aufgezeigt hat, dass sein eigenes Leiden und Sterben einen tiefen Sinn hatte und dieser Sinn lag für ihn in Gott. Soweit wir nun seine Lehre annehmen und unser eigenes Leben so auffassen, wie Jesus sein Leben aufgefasst hat, wird auch unser eigenes Leiden und Sterben jenen tiefen Sinn erfahren können, der in Gott begründet liegt.

Gott – Geist im Geistlosen

Darauf beruht unsere Erlösung, dass demjenigen nichts Sinnloses widerfährt, der das Unabänderliche nach dem Willen Gottes an- und auf sich nimmt. Vielmehr dient dem alles zum Besten, der Gottes Willen vertrauensvoll in allen Geschehnissen sucht, insbesondere aber in den leidvollen, ungerechten und beschwerlichen.

Der Sinn, um den Jesus in seinem eigenen Leiden und Sterben wusste, lag für ihn in der Gewissheit, dass es gut für uns ist, wenn er sein Leben hingeben würde. Ja, er äußert seinen Jüngern gegenüber sogar, dass diese sich darüber freuen sollten, wenn er sein Leben für sie hingibt.

Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich.

Johannes 14,28

Gott ist Geist und Sinn. Er allein vermag aus Geistlosem Geistvolles zu machen – er vermag aus Sinnlosem Sinnvolles zu machen. Gott ist der gesuchte und gefundene Sinn im Sinnlosen. Durch unsere Einwilligung in seinen Willen, wird Gott so an uns handeln können und wollen, wie er an Jesus Christus gehandelt hat. Da ist kein Unterschied. Aber ohne unsere Einwilligung in den Willen Gottes, muss für uns alles Leiden und Sterben sinnlos bleiben. 

Zur Vergebung der Sünden

Inwiefern aber kann unsere Schuld vergeben sein, durch das Opfer Jesu? Auch die Vergebung unserer Schuld beruht der Lehre Jesu nach darauf, dass unsere menschlichen Schwächen einen tiefen Sinn erfahren.

Das ist das Evangelium, dass alles menschlich Schwache und Böse in Christus aufhört, schlecht und böse zu sein.

Aber wie ist das konkret möglich? Die einzige Schwäche, die Jesus anhaftete, war die Schwachheit seines menschlichen Leibes, und diese Schwäche nahm er bereitwillig als sein Kreuz auf sich. In dieser Schwachheit lieferte er sich seinen Feinden aus, die es einzig auf diese Schwäche abgesehen hatten, da sie seiner geistigen Stärke nichts entgegensetzen konnten. So lebt Jesus in seiner Passion das, was er zuvor eindringlich lehrte:

Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.

Matthäus 5,44

Gottes Sohn war Jesus deshalb, weil er in allen Dingen, die ihm begegneten, den Willen Gottes erkannte. In der Schwäche wie in der Stärke. Im Freund wie im Feind. In der Liebe wie im Hass, in der Ehrung wie in der Beleidigung, in der Nachfolge wie in der Verfolgung, im Leben wie im Tod. Diese Erkenntnis machte ihn zum Abkömmling des Höchsten – zum Sohn Gottes.

Gotteskindschaft

Indem wir diese Gesinnung Jesu annehmen können nun wir selbst zu Gottessöhnen – können wir zu Kindern Gottes werden, und Gott wird zu unserem Vater. In seinem Aufruf zur Feindesliebe zeigt Jesus, dass Gott eben auch die Ursache für unsere Feinde ist. Was aber dem Willen Gottes unterliegt, das sollen wir lieben, wodurch es uns dienen kann. Erst in einem solch allumfassenden und universellen Lebensverständnis, wie es Jesus lehrte und selbst lebte, kann jeder Gedanke der Schuld, Strafe und Vergeltung endlich enden. Nur in diesem Glauben sind wir in der Lage, wirklich grundlegend zu vergeben. Warum? Eben, weil Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt. Und dem, der darauf vertraut, für den wirkt Gott alle Dinge so, dass sie ihm zum Guten dienen.

Erkennen wir Gottes Willen und wirken selbst in unseren Feinden, selbst im Unrecht, im Leiden und im Sterben, so existiert kein Grund mehr, jemanden zu verurteilen.

Allein durch unsere Einwilligung in den Willen Gottes ist alle menschliche Schuld getilgt. Denn dass Jesus in seiner Passion den Willen Gottes erkannte und befolgte, das ist unbestritten. Seine Einwilligung in das Ungerechte, Beschwerliche und Leidvolle ist gemeint, wenn von Jesu Gehorsam gegenüber Gott die Rede ist.

Als Lösegeld für viele

Die anfangs zitierte Aussage Jesu, kann allerdings auch anders übersetzt werden, dann lautet sie:

Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele zu geben.

Markus 10, 45

Dort, wo der Begriff „Lösegeld“ wortwörtlich verstanden wurde, hat er für viel Verwirrung und für berechtigtes Kopfschütteln gesorgt. Es ist eben nicht so, dass Gott von uns Menschen einen Tribut fordert, damit er im Gegenzug gnädig und barmherzig sein kann. Schon gar nicht von seinem Sohn. Dieser Gedanke wäre auch absurd. Denn da Gott der Ursprung aller Dinge ist, kann er nichts anderes fordern, als das, was er selbst in der Lage ist, zu erfüllen.

Insofern ist der Begriff Lösegeld in dem Sinne zu deuten, dass Jesus jenes Werk vollbrachte, das vonseiten Gottes „erforderlich“ war, damit der Mensch mit Gott (dem Leben) wieder geeint würde und zu Gott zurückfindet. Erforderlich war ein Zeichen, durch das der Mensch sehen und erkennen konnte, dass Gott der Urheber aller Dinge ist und alle Dinge dem dienen, der auf ihn vertraut. Um uns dieses Zeichen zu geben und uns diese Erkenntnis zu vermitteln, war Jesus gekommen.

Voraussetzung und Bedingung, dass diese Botschaft uns Menschen erreichen konnte, war, dass ein Mensch in der Lage sein sollte, selbst im Bösen und Ungerechten den Willen zu erkennen und diese Bürde auf sich zu nehmen. Aber das war keinem Menschen möglich. Nur Gott selbst konnte es tun. Deshalb wurde er in der Gestalt Jesu Mensch und hat sich für uns hingegeben.

Damit uns die Botschaft erreicht, dass Gott in allen Geschehnissen wirkt, darin er vertrauensvoll gesucht und gefunden wird, dafür hat Jesus sein Leben hingegeben.

 

Zusammenfassung:

Jesus lehrte, dass uns göttliche Vergebung zuteil würde, soweit wir selbst bereit wären zu vergeben. Und entsprechend dieser Lehre handelte er selbst, als er denen Vergebung zusprach, die ihn hinrichten ließen.

Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen sie wissen nicht, was sie tun!

Lukas 23,34

Jesus konnte so vergeben, weil er in seinen Feinden und in seiner Passion den Willen Gottes erkannte. Jesus wusste, alles, worin der Mensch den Willen Gottes findet, darin findet er immer auch das Leben, selbst wenn dies den sicheren Tod bedeutet.

Ich bin die Auferstehung, und ich bin das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt.

Johannes 11,25

Warum ist das so? Weil Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt und weil aus Gott nichts anderes als Leben und Geist fließen kann.

Soweit wir nun wie Jesus alle Dinge, die uns begegnen oder anhaften, nach dem Willen Gottes auf uns nehmen, sei es Krankheit, Schwäche, Unrecht, Leid und Tod, machen wir Gott (wie Jesus) zum Grund unserer eigenen Passion. Wo aber Gott so zum Grund unserer Passion wird, dort existiert kein Feind mehr, und kein böser Umstand und auch kein Unglück, das uns hindert. Vielmehr dient uns alles zum Leben. Erst dort, wo der Grund meiner Schwachheit, meiner Krankheit, meines Leidens und Sterbens nicht mehr in dieser Welt liegt, sondern in Gott, dort werde ich selbst frei von Schuldzuweisung und Vergeltung. Werde ich aber frei von Anklage, so werde ich ebenso allumfassend vergeben können, wie Jesus vergeben hat.

Damit uns diese Botschaft erreicht, war Jesus bereit seine Passion auf sich zu nehmen, damit wir, wie er frei würden von Anklage und Vergeltung, wodurch wir eins werden können mit Gott, der ausnahmslos alle Passion nur deshalb wirkt, um neues Leben zu schaffen.

Erst dort, wo wir, wie Jesus, darauf vertrauen, dass uns ausnahmslos alle Dinge zum besten dienen, sind wir erlöst.

Dieses Vorbild der Überwindung war Jesus bereit für uns zu geben. Und in diesem Sinn ist das Jesuswort zu verstehen:

Das ist mein Blut des neuen Bundes, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.

Matthäus 26,28

Blogbeiträge mit ähnlicher Thematik:
Missverstandender Opfertod
Abschied vom Opfertod – Eine Rezension
Die Überwindung der Welt

 

 

Patti Smith und die Dogmatik

Neulich fiel mir ein Zeitungsartikel über ein Rockkonzert in die Hand, in dem die  Unverständlichkeit einer Aussage Jesu thematisiert wurde. In dem Bericht  ging es um die Ansichten der Popmusikerin Patti Smith,  die in einem streng gläubigen Elternhaus (Zeugen Jehovas) aufgewachsen ist und die den christlichen Grundgedanken, dass Jesus für  unsere Sünden gestorben sei, mit folgenden Worten in Frage stellt: „ Jesus ist für unsere Sünden gestorben, aber nicht für meine!“

Über die negative Wirkung starrer und unreflektierter Glaubensformeln.

Dabei kam mir der  Gedanke, dass Jesus die Menschen ohne Dogmatik von seiner Sicht der  Dinge, zu überzeugen versuchte. Das zeigt schon allein die Vielzahl und die Unterschiedlichkeit seiner Gleichnisse. Vertrauen sollte auf  einer Überzeugung des Für-wahr-haltens seiner Botschaft beruhen. Die  Gleichnisse waren Interpretationsversuche einer grundlegenden, hintergründigen Wahrheit, die Jesus erkannt und geschaut hatte. Die Gleichnisse sind insofern Zeugnisse seines inneren Ringens, um seinen Zuhörern die Hintergründe seines Wirklichkeitsverständnisses verständlich zu machen, damit das, was Relevanz hat, für wahr erkannt werden kann. Erkennen und Vertrauen bedingen hier einander. Viele  christliche Religionsgemeinschaften tun aber genau das Gegenteil. Sie verlangen das sture Anerkennen von Glaubenssätzen,  die nicht hinterfragt werden dürfen. Mit der Forderung, dass bestimmte  biblische Aussagen, ohne dass sie verinnerlicht oder verstanden werden, einfach geglaubt werden müssen, haben sich viele  christliche Religionsgemeinschaften einen Bärendienst erwiesen. Insofern ist es den Skeptikern nicht zu verdenken, keinen Sinn in solchen Aussage Jesu zu sehen. Eigentümlich finde ich aber doch,  dass die aufgeklärten Zweifler sich den Texten nicht selbstständig  nähern, sondern, dass sie das Programm ihrer kirchlichen Prägung als ein Dogma annehmen, das keine andere Interpretation  zulässt, um es dann getrost in das Land der Märchen zu verbannen.  Während also Jesus versuchte, seine Sicht auf die hintergründige  Wirklichkeit (Reich Gottes) seinen Zuhörern möglichst transparent zu  machen, ziehen die Dogmatiker ihren undurchsichtigen Vorhang davor.   Da kommt mir unwillkürlich der Gedanke vom zerrissenen  Vorhang im Tempel in den Sinn… Derart von den inhaltlichen Grundlagen  getrennt, konnten Kreuzestod und Abendmahl als magische Handlungen missverstanden bzw. umgedeutet werden. Weshalb der ursächliche Zusammenhang von Kreuzestod und Sündenvergebung nicht gesehen bzw. vermittelt wird, bleibt für mich rätselhaft.  Die Vergebung von Schuld beruht nach dem Verständnis Jesu eben nicht auf  einer magischen Heilshandlung, sondern ausschließlich auf der Annahme  der Geisteshaltung Jesu, der die Ungerechtigkeit, die man ihm angetan hatte, als eine höhere Art der Gerechtigkeit neu  interpretierte. Auf diese Weise wurde das alte Verständnis von Anklage und Schuld, in welchem Jesus als ein Opfer der Böswilligkeit seiner Feinde verstanden werden konnte, durch ein  neues Wirklichkeitsverständnis überwunden. Kraft dieser Erkenntnis  opfert sich Jesus also einem neuen, universellen Lebensverständnis, in welchem nun allem was uns wiederfährt, eine Relevanz und Notwendigkeit zukommt. Innerhalb eines solchen Verständnisses ist kein  Platz mehr für Anklage und Schuld, da hier auch derjenige, der an     mir schuldig wird, zu einem Teil des göttlichen Willens wird. Die  Ursache für die Vergebung von Schuld liegt dabei in der persönlichen und individuellen Einwilligung in das bisher „Ungerechte“,  wie Jesus es selbst verstand als er sagte: „Vater wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen, jedoch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ Indem  Jesus sein eigenes Leiden und Sterben zum Willen Gottes machte, wurde  dieser notgedrungen zur Ursache von Schuld, Leid und Tod.  Weil aber in Gott weder Schuld noch Leid noch Tod existieren, müssen  alle Klagen und Anklagen aufhören. Hieraus folgt auch der Gedanke, dass  derjenige der diesem Verständnis Jesu Christus folgt zum Glücksfall für seine Feinde wird….

×