Des Todes Sinn

Wenn ich die Welt verlassen werde,
und falle in das kühle Grab,
wenn mich umschließt die gute Erde,
die mir Gestalt und Raum hier gab.

Da muss der schwere Druck der Erden
die auf mir lasten Tag für Tag
zum guten Acker für mich werden,
wenn ich zu glauben dies vermag.

Wenn jene Grenzen, jene Schranken,
die hier gesetzt durch Raum und Zeit,
wenn all die harten Dinge wanken
und man nach Freiheit ruft, ja schreit.

Da wird der Schluss zum Auftakt werden,
wo jeder Abschied Sinn erfährt,
wo wir erkennen, dass wir erben
wenn Altes stirbt – hinunterfährt.

Denn wo um das Gesetz wir wissen
dass alles Folgerechte lebt,
wo wir das hehre Banner hissen,
aus dem die Wirklichkeit gewebt.

Dort werden wir erneut geboren
verwandeln wird der Tod uns dann.
Denn was gesät wird, geht verloren,
dass Neues auferstehen kann.

10. November 2024

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Freiheit in Christus – was ist das?

Ob etwas frei ist oder unfrei, gut ist oder böse, hängt von unserer persönlichen Bewertung und Einwilligung ab: So wie das Böse ohne unsere Bewertung und Einwilligung nicht böse sein kann, kann auch das Gute ohne unsere Bewertung und Einwilligung nicht gut sein. Wenn nun Gutes wie Böses, Freiheit wie Unfreiheit von unserer Bewertung und Einwilligung abhängt, so wird damit deutlich, dass wir selbst es sind, die wir durch unsere Bewertung und Einwilligung ein Geschehen für gut oder schlecht erklären. Insofern liegt in unserer persönlichen Ablehnung wie in unserer Einwilligung in ein Geschehen die Ursache des Guten wie auch des Bösen begründet. Was wir für gut halten, davon glauben wir, dass es uns hebt und fördert. Was wir für böse halten, davon glauben wir, dass es uns schadet oder behindert.

 

Soweit ihr euch an meinen Worten orientiert, seid ihr wirklich meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Johannes 8, 31-32

Was verstand Jesus unter Freiheit?

Was Jesus unter dem Begriff Freiheit verstand, ist eigentlich nicht schwer zu verstehen. Und obwohl das Freiheitsverständnis Jesu so unmissverständlich und klar aus seiner Lehre, seiner Handlungsweise und aus seiner Passion hervorgeht, wird der christliche Freiheitsbegriff heute ganz unterschiedlich und sogar oftmals widersprüchlich vermittelt. So meinen manche Glaubensgemeinschaften, über die Lebensweise ihrer Mitglieder streng wachen oder bestimmen zu müssen. Auch ein politischer Freiheitsbegriff, wonach die christliche Freiheit militärisch, also notfalls auch mit Gewalt verteidigt werden dürfe, ist in kirchlichen Kreisen weitverbreitet. Welchen Freiheitsbegriff Jesus hatte und was er unter der Freiheit des Willens verstand, ist Gegenstand des folgenden Beitrags.

Gott – der Inbegriff von Freiheit

Der Lehre Jesu nach ist Gott, als unser Vater und Ursprung, der Inbegriff von Freiheit, und dies in einem übergeordneten und zeitlosen Sinn. Das bedeutet, dass der Freiheitsbegriff Jesu über das Vordergründige und Zeitgebundene hinausgeht.

Freiheit im Sinne Jesu bedeutet nicht nur frei zu werden von innerer und äußerer Abhängigkeit, sondern auch frei von Zeit und Vergänglichkeit.

Der Lehre Jesu nach soll uns dieses Leben dazu dienen, diese Art von Freiheit zu ersehnen, zu erkennen, um sie eben dadurch zu gewinnen. Der Freiheitsbegriff Jesu beruht auf der Erkenntnis, dass Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt. Das heißt, alles, worin wir Gottes unmittelbares Wirken erkennen, wird in diesem Sinne frei sein. Warum ist das so? Weil jedes Werk und jede Erscheinung Rückschlüsse auf dessen Ursache zulässt. Hieraus folgt, dass Dinge, die Gott nicht unmittelbar wirkt, auch nicht frei sein können.

Der vermeintliche Widerspruch – Freiheit in Unfreiheit

Die These, dass Gott einerseits alle Dinge wirkt, andererseits aber Dinge existieren, die Gott nicht wirkt, scheint zunächst widersprüchlich. Denn wie kann es sein, dass Dinge existieren, die nicht frei sind, wenn Gott doch die Freiheit selbst ist und er zugleich Ursache aller Dinge ist? Um diesen Widerspruch aufzulösen, muss auch unserer Unfreiheit eine grundlegende Bedeutung zukommen und der Lehre Jesu nach tut sie das auch. Meister Eckhart hat auf diesen Gedanken wie folgt hingewiesen:

„Der gute Mensch soll seinen Willen so dem göttlichen Willen angleichen, dass er selber alles will, was Gott will: Weil nun Gott in gewisser Weise will, dass ich gesündigt habe, so wollte ich nicht, dass ich keine Sünden begangen hätte, und das ist wahre Buße.“ Meister Eckhart 1260-1327

Unsere Unfreiheit – Was ist das?

Was wir als Behinderung und Einschränkung empfinden, das betrachten wir als unsere Unfreiheit. Dabei hängen die Begriffe Freiheit und Unfreiheit ausschließlich an unserer persönlichen Empfindung und Bewertung. Dies betrifft jegliche Form von Abhängigkeit, Ohnmacht und Befangenheit, der wir uns in dieser Welt ausgeliefert sehen oder fühlen. Ob Krankheit, Schwäche, Fehlbarkeit, Irrtum, Täuschung, Ungerechtigkeit, schicksalhafte Ereignisse oder der Tod. So unterschiedlich uns die Ursachen unserer Hindernisse auch erscheinen mögen, die Wirkung ist doch immer dieselbe: Entweder wir empfinden uns eingeschränkt und begrenzt und sind darüber unglücklich oder aber wir halten unsere äußerlichen Abhängigkeiten irrtümlicherweise für Freiheit, wodurch wir ebenfalls unfrei sind, da wir damit einer Täuschung erliegen. Dabei ist es unerheblich, durch wen oder was unsere Unfreiheit ausgelöst wird – ob wir sie selbst verschuldet haben oder nicht. Konkret wird unsere Unfreiheit in dem Moment, wo wir sie als solche empfinden und darunter leiden. Ebendieses Leiden ist Grundlage und Voraussetzung dafür, dass wir an der universellen Freiheit, die Jesus lehrte, überhaupt teilhaben können.

Die Ursache unserer Unfreiheit

Was die Ursache für unsere Unfreiheit betrifft, werden der Lehre Jesu nach zwei scheinbar widersprüchliche Antworten gegeben:

1. Das Böse ist die Ursache für unsere Unfreiheit.
2. Das Gute, nämlich Gott selbst, ist die Ursache unserer Unfreiheit.

Je nachdem, wie wir unsere Unfreiheit persönlich verstehen und bewerten, wird eine dieser beiden Antworten zutreffen. Doch solange wir glauben, dass die Ursache der Dinge, die uns einschränken oder behindern, böse ist, kann Gott nicht dessen Urheber sein. Warum ist das so? Weil unser Glaube dies verhindert. Erkennen wir aber in dem, was uns einschränkt und behindert, den Willen Gottes, so wird Gott dadurch zum Urheber dessen, was uns bisher eingeschränkt und behindert hat.
Auf ebendiesem Glauben beruht unsere Freiheit in Christus. Denn alles, was seine Ursache in Gott findet, kann weder eingeschränkt noch behindert werden. Warum ist das so? Weil Gott die Freiheit selbst ist, in welchem alle Behinderung und Einschränkung aufhören. Auf dieser Ursächlichkeit beruht der Sinn und die Bedeutung der Passion Jesu, die als äußerste Form der Einschränkung und Behinderung in seiner Auferstehung ihre grundlegende Wandlung und Freiheit erfährt.

Das Böse als Ursache unserer Unfreiheit

Dass die Ursache für unsere Unfreiheit das Böse, der Satan oder der Teufel ist, ist in der Hinsicht zu verstehen, dass wir oft dem Schein der Dinge zu erliegen drohen, nämlich der Versuchung. Das Böse, der Satan oder der Teufel sind insofern Sinnbilder der Täuschung und der Illusion, die wir irrtümlicherweise für unsere Wirklichkeit halten und daraus irrtümliche Schlüsse ziehen. Dort, wo uns Unrecht, Beschwerliches oder Leidvolles trifft und wir dies dem Bösen zuordnen, ist es folglich auch das Böse, das uns betrifft. Dies bezieht sich insbesondere auf solche Situationen, in welchen die Täuschung so stark auf uns einwirkt, dass wir geneigt sind, ihr zu erliegen. Böse ist insofern auch das, was wir irrtümlich und wider besseres Wissen für gut halten. Meist, weil es uns gut erscheint, da es uns äußere Vorteile bringt, wobei wir jedoch unsere geistigen Ideale hintergehen und verraten, wie aus der folgenden Reaktion Jesu zu erfahren ist:

„Von der Zeit an fing Jesus an, gegenüber seinen Jüngern davon zu sprechen, dass er nach Jerusalem gehen müsse und dort viel Leid ertragen müsse von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten und dass er getötet werden müsse und am dritten Tage auferstehen. Und Petrus nahm ihn zu sich, und redete ihm ins Gewissen und sprach: Herr, schone dich selbst; lass nicht zu, dass das geschieht! Aber er wandte sich um und sprach zu Petrus: Hebe dich von mir, Satan! Du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“
Matthäus 16, 21-23

In diesem Dialog zwischen Jesus und dem Jünger Petrus wird das scheinbar zweiseitige Freiheitsverständnis Jesu deutlich. Sagt Jesus hier ja nichts anderes, als dass sein Freiheitsbegriff, nicht mit dem menschlichen Verständnis von Freiheit identisch ist, sondern sogar das genaue Gegenteil bedeuten kann.

Gott, das Gute als Ursache unserer Unfreiheit

Ob also etwas frei ist oder unfrei, ob es gut ist oder böse, hängt von unserer persönlichen Bewertung und Einwilligung ab: So wie das Böse ohne unsere Bewertung und Einwilligung nicht böse sein kann, kann auch das Gute ohne unsere Bewertung und Einwilligung nicht gut sein. Wenn nun Gutes wie Böses, Freiheit wie Unfreiheit von unserer Bewertung und Einwilligung abhängen, so wird damit deutlich, dass wir selbst es sind, die wir durch unsere Bewertung und Einwilligung ein Geschehen für gut oder schlecht erklären. Insofern liegt in unserer persönlichen Ablehnung wie in unserer Einwilligung in ein Geschehen die Ursache des Guten wie auch des Bösen begründet. Was wir für gut halten, davon glauben wir, dass es uns hebt und fördert. Was wir für böse halten, davon glauben wir, dass es uns schadet oder behindert. Ebenso verhält es sich mit unseren Vorstellungen von Freiheit und Unfreiheit.

Die Wandlung – aus Unfreiheit zur Freiheit

Wenn wir verstehen, dass die Ursache aller Geschehnisse in Gott liegt, so folgt daraus, dass alle Dinge gut sein müssen. Warum? Weil das, was wir unabänderliche Wirklichkeit nennen, nichts anderes ist als das, was notwendigerweise geschieht. Und weil das, was notwendigerweise geschieht, das ist, was wir unser Leben d. h. unsere Wirklichkeit nennen. Dass dabei auch solches geschieht, was wir negativ bewerten, weil es uns einschränkt, bedroht oder behindert, zeigt, dass wir nicht fähig sind, alle Geschehnisse mit dem Begriff „Leben“ in Verbindung zu bringen. Doch ebendiese Fähigkeit hatte Jesus und durch ihn sollen auch wir sie erwerben, da das Leben ein ungeteiltes und unteilbares Ganze ist. Jesus Christus vermittelt uns in seiner Lehre und in seiner Passion die Erlösung aus unserem Elend. Aber was heißt das konkret? Die Erlösung beruht darauf, dass wir in allen Geschehnissen die Hand Gottes zu erkennen vermögen. Doch erst in dem Moment, wo wir darauf vertrauen, dass Gott auch in leidvollen und beschwerlichen Situationen an uns wirkt, können uns diese Dinge zum Guten dienen. Warum? Weil alles, worin wir Gott als Ursache erkennen, unserem Leben dienen muss.

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. Römer 8,28

Damit hat Jesus Christus in seiner Lehre und Passion den Begriff der Freiheit vollkommen neu erklärt. Frei sind wir in Christus nun trotz und entgegen aller äußeren Unfreiheit und dies in einem universellen, das heißt in einem zeitlos ewigen Sinn.

Der Freiheitsbegriff Jesu in seiner Passion

Die Lehre, die Jesus uns in seiner Passion vermittelt, ist, dass Gott die Ursache aller Erscheinungen ist, worin er von uns gesucht und gefunden wird.

Alle Dinge werden uns notwendig, und zwar unmittelbar im Moment unserer Einsicht, dass niemand anderer als Gott selbst sie wirkt.


Und in der Erkenntnis, dass in Gott alle Dinge zu unserem Besten dienen, dienen sie uns zum Guten und damit zu unserer Freiheit. Ohne diese Erkenntnis und Einsicht – ohne unsere Einwilligung in das Unabänderliche, kann es uns nicht dienen. Jesus erkennt den Willen Gottes in der Unabänderlichkeit seiner Passion und willigt vertrauensvoll in diese ein. Daran besteht kein Zweifel, denn er betet vor seiner Verhaftung:

Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! Matthäus 26,39

und

„Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“ Johannes 12,24

Und Kraft dieser Erkenntnis verkündet Jesus das Gute inmitten des Bösen, den Gewinn im Verlust, Freude in höchster Trauer, das Größte im Geringsten, göttlichen Trost in menschlichem Leid:

„Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich.“ Johannes 14,28

„Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.“Johannes 16,7

Unfreiheit und Freiheit des Willens

Auch die Vorstellung, Gott hätte dem Menschen einen freien Willen gegeben, damit dieser sich für oder gegen ihn entscheiden könne, ist in kirchlichen Kreisen weitverbreitet. Der Lehre Jesu nach ist diese Auffassung jedoch nicht haltbar. Bereits der Gedanke, es existiere eine Auswahl zwischen Gott und dessen Gegenteil, ist nicht Freiheit, sondern Versuchung. Warum? Weil Gott ohne Gegenteil ist. Gott ist auch ein anderer Begriff für die Wahrheit. Die Wahrheit aber ist unteilbar, einzig, widerspruchsfrei und ohne Konkurrenz. Damit wird deutlich, dass ein Gegenteil von Wahrheit gar keine Existenzgrundlage hat. Das Gegenteil von Wahrheit ist Unwahrheit, Irrtum, Illusion, Täuschung, Lüge etc. Diese aber sind keine Konkurrenten zur Wahrheit. Vielmehr werden Irrtum, Täuschung und Lüge angesichts der Wahrheit gegenstandslos. Auf dieser Erkenntnis beruht der Gottes- und der Wahrheitsbegriff Jesu. Eine Auswahl zwischen Gott und dessen Gegenteil existiert also in Wahrheit nicht.

Unsere Unfreiheit beruht auf dem Irrtum, wir hätten eine freie Wahlmöglichkeit, zwischen Gott und dessen Gegenteil entscheiden zu können. Das aber ist nicht möglich, da Gott ohne Gegenteil ist.

Unsere Freiheit beruht auf der Einsicht, dass nur ein Wille existiert, nämlich der göttliche. Und durch Einwilligung in diesen Willen werden wir frei.  Auf diese Grundwahrheit wies bereits der Apostel Paulus hin, als er ausführte:

„Denn wir können nichts wider die Wahrheit, sondern für die Wahrheit.“ 2. Korinther 13,8

Freier Wille und Gottes Gnade

Bestünde eine Wahlmöglichkeit, nach welcher wir uns für oder gegen Gott entscheiden könnten, so folgt daraus eine weitere Unvereinbarkeit mit der Lehre Jesu; nämlich die Unmöglichkeit der Gnade Gottes, welche die Grundlage der christlichen Lehre ist. Hinge die Entscheidung „für“ Gott von uns ab, so hinge sie nicht von Gott ab, der doch ausnahmslos alle guten Dinge wirkt. Hängt sie aber nicht von Gott ab, so wäre Gott uns nicht gnädig. Denn wenn wir es sind, die wir uns, unabhängig von Gott, für ihn entscheiden könnten, so wäre diese Entscheidung unser eigener Verdienst. Daher, dass wir das Gute wollen können, wirkt niemand anderer als Gott allein und er wirkt es aus unverdienter Gnade an uns. Warum ist das so? Weil das Leben nicht verdient werden kann und will. Auch das ist eine Grundaussage der Lehre Jesu, auf die bereits der Apostel Paulus hinwies: 

Denn er spricht zu Mose 2. Mose 33,19 : »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.« So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Römer 9, 15–16

Und so resümiert Paulus:

So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. Römer 9,18 

Dass wir das Gute, das Gott will, erkennen und wollen können, ist Gnade. Daher antwortete Jesus denen, die ihre Missbilligung gegen ihn und seine Lehre äußerten: 

„Ärgert euch nicht darüber.  Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, dass ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat …“ Johannes 6, 44

Der Wille Gottes – der Wille zur Freiheit

Aus dem bisher Dargelegten geht hervor, dass kein anderer Wille existiert als allein der Wille Gottes, in dem allein unsere Freiheit liegt.

Es besteht für uns keine andere Möglichkeit zur Freiheit, als in den Willen Gottes einzuwilligen, da kein anderer Wille existiert.

Gottes Wille ist das einzige Mögliche, Wahre und Gültige, das von uns erkannt und gewollt werden kann. Alles andere ist Irrtum, Täuschung und Illusion. Und soweit wir fähig sind, in den Willen Gottes einzuwilligen, stehen wir in seiner Gnade. Stehen wir aber in der Gnade Gottes, so sehen wir keine Wahlmöglichkeit mehr. Nicht also in einer vermeintlichen Wahlmöglichkeit liegt unsere Freiheit, sondern in der Erkenntnis, dass nur eine Wirklichkeit existiert, in welcher unsere Freiheit liegt, wenn wir in diese einwilligen.

Tatsächlich ist die Welt der Wahlmöglichkeiten nicht die Welt der Freiheit, sondern die Welt der Versuchung, da wir versucht sind zu glauben, es existiere eine Alternative zu Gott.

Erkennen wir diese Wahlmöglichkeit nicht als Freiheit, sondern als Versuchung, so werden wir fähig, unser eigenes Wollen zu verleugnen. Stehen wir in dieser Erkenntnis, so wollen wir nur noch das, was Gott will. In diesem Sinne sagte Jesus:

„Denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“ Johannes 6,38

„Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.“ Luk 9, 23-24

Was aber der Wille Gottes ist und woran wir diesen zweifelsfrei erkennen, das vermittelte uns Jesus auf erschütternde Weise in seiner Passion.

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Glauben ohne Dogma – Philosophische Aspekte der Botschaft Jesu

Während die meisten Philosophen zumindest von ihren engsten Schülern verstanden wurden, kann dies bei Jesus mit Sicherheit verneint werden. Ein Großteil dessen, was er lehrte, löste bei seinen Zuhörern Verwunderung oder Sprachlosigkeit aus. So waren es auch in erster Linie seine Heilungen, die ihm zu großer Popularität verhalfen. Die Richtigkeit und der Wahrheitsgehalt seiner Botschaft konnten selbst von seinen Jüngern in letzter Konsequenz nur erahnt und insofern nur geglaubt werden. In dieser Hinsicht nimmt die Lehre Jesu eine Sonderstellung unter den Weisheitslehren ein.

Ist christlicher Glaube ohne Dogma möglich? Kann die Lehre Jesu an den Gesetzen der Folgerichtigkeit und Schlüssigkeit gemessen werden? Oder ist sie als Dogma aufzufassen, das nicht hinterfragt werden darf, sondern einfach geglaubt werden muss?

Das Christentum hat ganz unterschiedliche und vielfältige Formen christlicher Gemeinschaften hervorgebracht, doch in einer Forderung scheinen sie doch alle übereinzustimmen: „Am Ende musst du es glauben, auch wenn du es nicht verstehst.“ Aber ist das die Glaubenslehre, die Jesus verkündete? Verstand er unter Glaube wirklich ein kritikloses Abnicken einer zum Dogma erhobenen Glaubenswahrheit, die nicht zu hinterfragen sei?

Im folgenden Beitrag möchte ich deutlich machen, warum letztere Auffassung unzutreffend ist. Ferner zeige ich auf, in welchem Sinne die Lehre Jesu eine in sich stimmige Weisheitslehre ist, die nahtlos an die antiken Philosophien anknüpft und diese schlüssig fortschreibt. Denn nicht verstanden zu werden, bedeutet nicht, nicht verstanden werden zu wollen oder nicht verstanden werden zu können. Dass Jesus aber verstanden werden wollte, das steht ganz außer Frage. So sind seine vielen Gleichnisse, in denen er förmlich darum ringt, seine Lehre für die Menschen anschaulich und verständlich zu machen, ein lebendiges Zeugnis seiner Bemühung: 

Wem ist das Reich Gottes ähnlich, womit soll ich es vergleichen?

Lukas 13,18

Glauben heißt, nicht wissen. Stimmt das?

Tatsächlich wird der Begriff Glaube im Deutschen auf zweierlei Weise verwendet:

  • Als Mutmaßung: „Ich glaube, dass morgen schönes Wetter wird.“
  • Als Vertrauensbekundung: „Dem Zeugen, der mir den Hergang geschildert hat, glaube ich.“

Betrachtet man den Zusammenhang, in welchem Jesus vom Glauben spricht, so ist der christliche Glaubensbegriff der zweiten Kategorie zuzuordnen. Insofern verfehlt der Spruch: „Glauben heißt nicht wissen.“, die Bedeutung des christlichen Glaubensbegriffs. Jesus sieht sich selbst und jene, die um die geistige Dimension dieses Daseins wissen, als Teilhaber einer übergeordneten Wirklichkeit. Was sie dort „gesehen“ haben, macht sie zu unmittelbaren Zeugen dieser Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die über das Vordergründige hinausweist. Doch was diese Zeugen geschaut haben, was sie wissen und worüber sie Auskunft geben, findet kein Gehör bei den Menschen. Dieses Dilemma beschreibt Jesus gegenüber dem Pharisäer Nikodemus:

Amen, amen, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben; ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an.

Johannes 3,11

Warum versteht ihr denn meine Sprache nicht? Denn meine Worte finden bei euch kein Gehör.

Johannes 8,43

Somit scheint Unverstandensein, ein Merkmal und Kennzeichen geistiger Lehrer zu sein. Und dies trifft in besonderem Maße auf die Lehre Jesu zu.

Kann Unverstandenem überhaupt Glaubwürdigkeit zukommen?

Während die meisten Philosophen zumindest von ihren engsten Schülern verstanden wurden, kann dies bei Jesus mit Sicherheit verneint werden. Ein Großteil dessen, was er lehrte, löste bei seinen Zuhörern Verwunderung oder Sprachlosigkeit aus. So waren es in erster Linie seine Heilungen, die ihm zu großer Popularität verhalfen, weshalb er von vielen eher als Arzt angesehen wurde.

Die Richtigkeit und der Wahrheitsgehalt seiner Botschaft konnten selbst von seinen Jüngern in letzter Konsequenz nur erahnt und insofern nur geglaubt werden. In diesem Punkt nimmt die Lehre Jesu tatsächlich eine Sonderstellung unter den Weisheitslehren ein. Dabei ist Glaube etwas durchaus Legitimes, denn selbstverständlich können und müssen wir oft auch solche Aussagen für glaubwürdig halten, die wir selbst gedanklich nicht durchdrungen haben. So verlässt man sich ja auch ohne Weiteres auf Aussagen von Vertrauenspersonen. Ob Bergführer, Trainer, Ärzte, Fachhandwerker, Ingenieure etc. Man vertraut den Aussagen dieser Personen, auch wenn man sie in fachlichen Details nicht immer vollkommen nachvollziehen kann. Warum? Weil man sie schlicht für kompetent und ihre Aussagen für glaubwürdig hält.

Kompetenz und Glaubwürdigkeit durch Selbstlosigkeit

Das Kennzeichen wirklicher Kompetenz ist Selbstlosigkeit. Denn das, was jemand als eine allgemeine Wahrheit verkündet, muss sich auch ohne den Einfluss seiner Person bewahrheiten können – wird sich trotz Ablehnung seiner Person als wahr erweisen. In diesem Sinne beweist Jesus seine Kompetenz paradoxerweise in seiner Passion; so wurde er in seiner größten Erniedrigung erhöht. In seiner Niederlage beweist sich die Wahrheit seiner Lehre, für die er sich vollkommen selbstlos hingibt:

Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir aus tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich.

Johannes 8.28

Diese selbstlose und bedingungslose Hingabe an seine Mission kann insofern gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dennoch vertreten zunehmend Theologen die Auffassung, dass mit der Passion Jesu nichts Gutes geschehen sein kann. Damit steht die Passion Jesu als ein Beispiel dafür, dass Unverständliches und Unverstandenes vorschnell für sinnlos oder absurd erklärt wird. Das ist meist dann der Fall, wenn Menschen an die Grenzen ihrer Verständnis- und Erkenntnisfähigkeit gelangen und ihre abschließende Meinung zum Maßstab der Vernunft machen. Dabei liegt das zu Erkennende doch von jeher jenseits dessen, was wir im Moment erkennen und verstehen. Menschliches Erkennen ist nie etwas Abgeschlossenes oder Endgültiges.

Wenn Jesus in seiner Passion einen Sinn und eine Bedeutung sah, sollten wir dies zunächst immerhin so stehen lassen können, auch wenn wir es inhaltlich nicht sofort verstehen.

Es zeugt von Selbstüberschätzung und Ignoranz wenn eine Aussage verworfen wird, weil sie inhaltlich nicht verstanden wurde.

Wahrheit siegt, indem sie sich bewahrheitet

Insbesondere in seiner Passion hat Jesus aufgezeigt, dass das Wahre sich in jeder Situation als wahr erweisen kann, unabhängig davon, ob dessen Verkünder auf Wohlwollen trifft oder ob man ihn bekämpft, verletzt oder gar beseitigt, wie im Falle Jesu. Eben darin, dass Jesus bereit war, als Mensch zu unterliegen und zu scheitern, zeigte sich die Größe und die Vollkommenheit seines Wahrheitsbegriffs. Damit steht er für ein Wirklichkeitsverständnis, das sich auch ohne Bestätigung und ohne Wohlwollen von Menschen oder Umständen als wahr erweisen kann: das Reich Gottes.

Der Wahrheitsbegriff Jesu war so allumfassend, dass darin selbst das böswillige Tun und Handeln seiner Feinde eingeschlossen war.

Der Wahrheitsbegriff Jesu kann insofern als allumfassend und universell gelten, als er diesen über sein persönliches Wohlergehen setzte, wie er es selbst wiederholt erklärt:

Denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.

Johannes 6,38

Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

Matthäus 20,28

Um Unsterblichkeit zu gewinnen, gilt es daher im Sinne Jesu „für“ die Wahrheit zu sterben, da einzig die Wahrheit unsterblich ist. In diesem Sinne lautet sein Aufruf:

Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren; und wer sein Leben verliert um mich und um meiner Worte willen, der wird es behalten.

Markus 8,35

Gott, ein Synonym für die Wahrheit

Jesus selbst verwendet den Begriff Gott als ein Synonym für die Wahrheit. So sagt er während seines Verhörs zu Pilatus nicht, dass er gekommen sei, um Zeugnis von Gott abzulegen, sondern er sagt:

Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen; wer aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme.

Johannes 18,37

Ging es Jesus in seiner Botschaft aber um Wahrheit, so können seine Lehren auch an den Aussagen anderer großer Philosophen gemessen werden. Mit einem Unterschied: Die Wahrheit, die Jesus lehrte, ist nicht in allen Teilen sofort erkennbar, vielmehr erschließt sie sich erst in einer vertrauensvollen Auseinandersetzung mit seiner Lehre. Der Grund dafür ist, dass seine Lehre den menschlichen Erkenntnisrahmen übersteigt. Denn wie schon erwähnt; was wir als wahr erkennen können, ist nie das Ganze und Vollkommene, sondern jegliches Erkennen ist immer nur Stückwerk, wie auch der Apostel Paulus verdeutlichte:

Denn unser Erkennen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. // Wir sehen jetzt durch einen trüben Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.

1. Korinther 13, 9+12

Ein Kennzeichen der Wahrheit ist, dass sie grenzenlos, zeitlos und ohne Anfang und Ende ist, weshalb wir in unserer menschlichen Begrenztheit immer nur einen Teil der Wahrheit gedanklich erfassen werden. Dennoch wünscht das zu Erkennende (Gott) von uns vollkommen erkannt zu werden, und zwar in dem gleichen Maß wie wir selbst wünschen es erkennen zu wollen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Unser Vertrauen in die Lehre Jesu bildet gewissermaßen die Grundlage, das Unerkannte und Unverstandene seiner Botschaft erkennen zu können.

Unser Vertrauen in das noch Unerkannte ist das, was Jesus „Glaube“ nennt.

Soweit wir vertrauen, werden wir glauben und erkennen können. Doch warum sollten wir Jesus vertrauen? Weil Jesus nichts für sich wollte, sondern ein Gottes- und Wahrheitsbild in vollkommener Selbstlosigkeit vermittelte.

So waren selbst die Jünger fassungslos, als Jesu nach all den Drohungen und Anfeindungen, die er durch die Pharisäer in Judäa erfahren hatte, dennoch entschlossen war, zurück nach Jerusalem zu gehen, um dort hingerichtet zu werden. Ein Szenario, das er ihnen vorher explizit ankündigte und erklärte. Hierin liegt der göttliche und transzendente Aspekt seiner Botschaft, dass vieles, was Jesus lehrte und tat, sich für uns Menschen nicht unmittelbar erschließt. In der Weisheitslehre Jesu ist das zu Erkennende stets größer als das, was sich heute, hier und jetzt als wahr erkennen lässt. Oder wie es ein Gedanke des Zenbuddhismus ausdrückt: „Erkenntnis kennt keine Grenzen.“

Christlicher Glaube und die Philosophie der Stoa

Tatsächlich unterscheidet sich die Lehre Jesu inhaltlich von den großen Philosophien der Antike nicht. Das Inhaltliche, das er vermittelt, geht wie bei den Philosophen über das Vordergründige hinaus. So finden wir insbesondere bei den Stoikern nahezu deckungsgleiche Aussagen. Wenn es beispielsweise um das Hinnehmen von Unerwünschtem, von Unrecht und Gewalt geht. Hierin sind sich Sokrates, Epiktet und Jesus völlig einig:

Unrecht zu leiden ist besser, als Unrecht zu tun.

Sokrates

Verlange nicht, dass die Dinge gehen, wie du es wünschest, sondern wünsche sie so, wie sie gehen.

Epiktet

Ich aber sage euch, dass ihr dem Bösen nicht widerstehen sollt, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.

Matthäus 5,39

Weh euch, wenn euch alle Menschen loben; denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht. Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln.

Lukas 6, 26,28

Sokrates und Jesus haben diese Lehren nicht nur verkündet, sondern sie haben sie auch konsequent gelebt. Beide haben sich nicht zur Wehr gesetzt gegenüber dem Unrecht, das sie durch ihre Feinde erfuhren. Im Gegenteil, Sokrates schaffte es in seinem Prozess, die Mehrzahl der Richter, die ihm anfangs gewogen waren, gegen sich aufzubringen. Und Jesus geht seinen Feinden sogar noch entgegen, als er nach Jerusalem kommt, um sich ihnen zu stellen. Beide haben ihr Urteil bereitwillig auf sich genommen, als man sie zum Tod wegen Gotteslästerung verurteilte und hinrichten ließ. Sokrates durch den Giftbecher, Jesus durch Kreuzigung.

Worin unterscheidet sich die Lehre Jesu von der Weisheitslehre der Philosophen?

Zwar sprechen auch viele Philosophen von den Göttern und von Gott, aber die Rolle Gottes in Bezug auf den Menschen ist nicht so konkret, wie Jesus es herausstellt. So ist seiner Lehre nach die Wahrheit, die Gott selbst ist, nicht unbeteiligt oder gleichgültig, gegenüber den Emotionen und dem Befinden des Menschen. Diese Auffassung widerspricht zwar dem Gottesbild der Pantheisten aber sie ist dennoch folgerichtig. Denn wenn Gott die Ursache aller Dinge ist, wie z. B. Spinoza sagt, dann muss er auch als Ursache unserer geistigen Regungen und Emotionen gelten können.

Die Immunität Gottes

Einerseits können zwar Leid, Tod, Schmerz und Trauer Gott „an sich“ nicht berühren, denn damit wäre Gott ja angreifbar und verletzlich, womit er aufhören würde Gott zu sein. Wohl aber existiert ein „Zustand“, der es Gott „ermöglicht“ menschliches Leid und Elend „wahrzunehmen“. Welcher Zustand ist das? Es ist jener Zustand, in dem ein Mensch sich in der Lage sieht, selbst in seinem Elend den Willen Gottes zu erkennen wodurch er es auf Gott zurückwirft, dem Urheber aller Dinge. Das ist es, was Jesus lehrte und konsequent lebte. In der Annahme seiner Passion lebte er die vollkommene Annahme von Schwäche, Feindschaft und Elend nach dem Willen Gottes. Denn in dem Moment, wo ein Mensch aufhört das Schwache und Böse, dem er in dieser Welt ausgeliefert ist, seinen Feinden oder einem bösen Schicksal, sondern Gott zuzuschreiben ändert sich seine Wirklichkeit grundlegend. Warum sollte das so sein? Einerseits weil das Elend, das ein Mensch nach dem Willen Gottes auf sich nimmt, nicht länger er selbst trägt, sondern Gott trägt es, den es nun unmittelbar betrifft und der es ja so will. Andererseits weil Gott, der Inbegriff von Wahrheit und Leben ist, nicht sterben kann und weil alles was aus Gott fließt göttlich und somit gut sein muss. Kraft dieser Erkenntnis muss alles, was dem Willen der Wahrheit (Gottes) unterliegt, Geist und Sinn finden.

Das ist es, was Jesus uns in seiner Passion verdeutlicht hat, dass wir unser Elend nach dem Willen Gottes auf uns nehmen sollen, wodurch allein es Sinn und Bedeutung finden wird.

Denn indem Jesus in seinem Leid und Elend den Willen Gottes erkannte, warf er es auf Gott und machte diesen zu dessen Urheber. All das aber, was dem Willen Gottes unterliegt das muss gut werden.

Gott, die Entsprechung unserer Sehnsucht nach Geist und Sinn

Für Jesus ist Gott, der die Wahrheit selbst ist, Urheber aller Dinge auch der leidvollen, die er kraft unserer Sehnsucht nach Wahrheit durch den Geist überwindet. Dabei ist unsere Sehnsucht von grundlegender Bedeutung: Unsere Sehnsucht nach einem Ende von Leid und Tod, ist für Gott Grund und Anlass, diese Bereiche zu überwinden und zwar dort, wo unsere Sehnsucht auf Gott gerichtet ist, der ja alle Dinge wirkt. Denn all das, was für Gott zum Grund und Anlass wird, das wird dadurch bedeutungsvoll. Ferner muss alles, was in Gott einen Grund sucht und findet, aufhören grundlos zu geschehen. Was aber seinen Grund in Gott gefunden hat, der die Wahrheit selbst ist, das wird dadurch auch Sinn und Bedeutung finden.

Die Überwindung des Bösen durch das Gute beruht darauf, dass Sinn- und Geistloses von Geist und Sinn durchdrungen und erfüllt wird, damit es notwendig und gut werden kann.

Jesus bezeichnet diese Sehnsucht, dieses Verlangen metaphorisch als „Hunger“ und „Durst“ nach Gerechtigkeit, weil wir uns hier nach Lebensnotwendigem sehnen:

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Matthäus 5,6

Selbsterkenntnis – Der Weg zur Einheit mit Gott

Nun könnte man hier einwenden, dass eine derartige Interaktion zwischen Gott und Mensch, wie Jesus es vermittelt, bei den großen Philosophen nicht vorkommt und insofern nicht philosophisch sein kann. Doch auch hier ist zu beachten, was eingangs gesagt wurde, nämlich dass Gott „nur“ ein anderes Wort für die Wahrheit ist. Der Lehre Jesu nach ist die Wahrheitssuche, die sich auf Gott bezieht etwas Wechselseitiges. Diese Auffassung folgt aus der Erkenntnis, dass die Wahrheit unteilbar ist und insofern auch nicht geteilt gedacht werden kann. In jeder Interaktion mit der Wahrheit werden wir mit der Wahrheit geeint, die Gott selbst ist. Und aus dem Gesetz der Einheit mit Gott resultiert die folgende Erkenntnis: Soweit wir nach der Wahrheit suchen und diese erkennen wollen, soweit sucht die Wahrheit auch nach uns und will uns erkennen. Meister Eckhart drückt diese Wechselseitigkeit und Einheit der Wahrheits- und Gotteserkenntnis metaphorisch im Gleichnis vom Auge aus:

Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht; mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge, und ein Sehen und ein Erkennen und ein Lieben.

Wer zum höchsten Adel seines Wesens gelangen will und zur Anschauung des höchsten Gutes, das Gott selber ist, der muss ein Erkennen seiner selbst haben,

Meister Eckhart

Und so wie Selbsterkenntnis die Basis der christlichen Wahrheits- und Gottessuche bildet, war sie von jeher auch Grundlage jeglicher Weisheitslehre und Philosophie. So stand der Überlieferung nach über dem Eingang des Tempels in Delphi der Satz:

Erkenne dich selbst und du wirst Gott erkennen.

Tempel in Delphi

Lao Tse lehrte äquivalent:

Wer andere erkennt, ist gelehrt. Wer sich selbst erkennt, ist weise.

Lao-Tse

Übereinstimmend lehrte Jesus:

Selig sind die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.

Matthäus5,8

Selbsterkenntnis im Sinne Jesu meint aufrichtig geübte Einsicht in sich selbst und das Eingeständnis eigener menschlicher Schwäche und Fehlbarkeit. Diese Einsicht in uns selbst schafft ein reines Herz, denn sie offenbart uns unsere wirkliche „Gestalt“. Und die Betrachtung unserer wahren „Gestalt“ ist gleichbedeutend mit der Betrachtung Gottes.

Ersetzt man auch hier das Wort Gott durch Wahrheit und versteht man unter der Reinheit des Herzens, jene aufrichtig geübte Einsicht in sich selbst, so wird die Wechselseitigkeit deutlich, die ein Kennzeichen aller echten Wahrheitssuche ist. Soweit wir uns unserer eignen Schwächen und Fehler bewusst werden, sehen wir uns so, wie wir in Wahrheit sind – sehen wir uns so, wie Gott uns sieht.

Damit beruht das Schauen Gottes in uns auf einer ungeschönten Betrachtung unserer selbst. In diesem Sinne kann die obige Aussage Jesu wie folgt verstanden werden:

Selig, die sich im Innersten so betrachten wie sie sind, denn damit werden sie die Wahrheit über sich selbst sehen, das Antlitz Gottes.

In zwei Gleichnissen, bei denen es ums Suchen und Finden geht, verdeutlicht Jesus das philosophische Prinzip der Wechselseitigkeit aller Wahrheitssuche. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn ist es der Sohn, der den Vater sucht und dem der Vater entgegengeht, als er ihn von Ferne kommen sieht – als er in dessen Blickfeld gerät:

Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

Lukas 15, 32

Im Gleichnis vom verlorenen bzw. vom verirrten Schaf ist es der gute Hirte, der alles zurücklässt, um sich auf die Suche nach dem verlorenen Schaf zu machen. Und als er es gefunden hat, nimmt er es auf seine Schultern und trägt es nach Hause.

Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet? Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller Freude.

Lukas 15, 7

Einswerden mit der Wahrheit – Die Einheit mit Gott

Wie oben gezeigt, sind der Lehre Jesu nach Gott und Wahrheit dasselbe. Und so setzt Jesus das Einswerden mit der Wahrheit gleich, mit dem Einswerden des Menschen mit Gott. Im Einswerden des Menschen mit einer leidvollen Wirklichkeit wird Gott verherrlicht. Warum ist das so? Zum einen, weil sich die Kraft der Wahrheit darin beweist, dass sie sich in Selbstlosigkeit jederzeit bewahrheiten kann und will. Zum anderen, weil Gott alle Wirklichkeit wandelt, die als Widerspruch zu den Prinzipien Leben und Geist empfunden wird, als dessen Urheber er erkannt wird. Unsere Empfindung von Trauer, Leid und Tod steht im Widerspruch zu einer Einheit mit Gott, mit Leben und Geist. An Gott, der die Wahrheit und das Leben selbst ist, rühren weder Leid noch Tod. In diesem Sinne sagte Jesus angesichts seiner Passion:

Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen. Solches Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.

Johannes 10, 17-18

Und am Vorabend seiner Verhaftung bittet er:

Ich heilige mich selbst für sie, auf dass auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien, auf dass die Welt glaube, du habest mich gesandt. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, dass sie eins seien, gleichwie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen seien in eins und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und liebest sie, gleichwie du mich liebst. Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.

Johannes  17, 19-23

Meister Eckhart schrieb in diesem Kontext:

Wo der Mensch in wahrem Gehorsam aus seinem Ich herausgeht und sich des Seinen entschlägt (d. h. eigenes Wollen aufgibt), ebenda muss Gott notgedrungen hinwiederum eingehen; denn wenn einer für sich selbst nichts will, für den muss Gott in gleicher Weise wollen wie für sich selbst. Wenn ich mich meines Willens entäußert habe in die Hand meines Oberen und für mich selbst nichts will, so muss Gott darum für mich wollen, und versäumt er etwas für mich darin, so versäumt er es zugleich für sich selbst. So steht’s in allen Dingen: Wo ich nichts für mich will, da will Gott für mich. Nun gib acht! Was will er denn für mich, wenn ich nichts für mich will? Darin, wo ich von meinem Ich lasse, da muss er für mich notwendig alles das wollen, was er für sich selbst will, nicht weniger noch mehr, und in derselben Weise, mit der er für sich will. Und täte Gott das nicht, – bei der Wahrheit, die Gott ist, so wäre Gott nicht gerecht, noch wäre er Gott, was (doch) sein natürliches Sein ist.

“Reden der Unterweisung” Meister Eckhart 1260-1327

Jesus und Sokrates 

Bei Jesus wie bei Sokrates, besteht dieses Einssein mit der Wahrheit in der Annahme ihrer Verurteilung durch ihre Feinde. Beide sahen ihre Verurteilung als Konsequenz ihrer Lehre und Geisteshaltung, der sie bedingungslos treu blieben. Sokrates lehrte, dass es besser sei, Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun. Andernfalls würde die Seele einen Schaden nehmen, der in keinem Verhältnis zum erlittenen Unrecht stünde.

Sokrates stirbt wie Jesus als Konsequenz seiner unerschütterlichen Überzeugung, von der er nicht abrückt. Aber der Tod des Sokrates ändert nichts an der Sinnlosigkeit und der Unwiderruflichkeit des Unrechts, das an ihm verübt wurde.
Anders verhält es sich bei Jesus: Die Ungerechtigkeit, die an Jesus verübt wurde, ist in seinen Augen weder unwiderruflich noch bleibt sie ungerecht. Sterbend am Kreuz widerruft Jesus das Unrecht, das seine Feinde an ihm verüben, indem er ihnen Vergebung zuspricht.
Und der Sinnlosigkeit seiner Hinrichtung setzt er, die von ihm erkannte und verkündete Notwendigkeit seiner Passion entgegen, wodurch aus der Sünde des Menschen jene Gerechtigkeit werden kann, die vor Gott gilt, wie es der Apostel Paulus erklärt:

Denn Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

2. Korinther 6, 19-21

Worin aber das konkrete Heil und der Lohn für die Seele besteht, das denjenigen erreicht, der entsprechend dieser Lehre sein Leben hingibt, das wird bei Jesus konkret: Sind wir bereit unsere Wirklichkeit in ihrer Gänze und Vollständigkeit anzunehmen, so werden wir darin eins mit der Wahrheit, die Gott selbst ist. Sind wir aber eins mit der Wahrheit, so sind wir in Gott und Gott ist in uns. Was aber in Gott ist, das empfängt auch die Immunität Gottes. Doch auf welche Weise können wir in Gott – können wir in die Wahrheit gelangen?

Der Weg zur Wahrheit

Der Weg, um in die Wahrheit zu gelangen, geschieht so, wie es die großen Philosophien von jeher sahen und wie es Jesus gelehrt und konsequent gelebt hat, nämlich durch Selbsterkenntnis.

Der Lehre Jesu nach bedeutet Selbsterkenntnis etwas ganz Konkretes, nämlich aufrichtig geübte Einsicht in die Schwäche und Mangelhaftigkeit unseres menschlichen Daseins.

Ferner durch geübte Vergebung und Barmherzigkeit gegenüber den Schwächen und Fehlern und Irrtümern unserer Mitmenschen, da wir dieser selbst bedürfen. Und in letzter Konsequenz, durch Selbstlosigkeit und Selbstverleugnung. Ausschließlich in dieser Geisteshaltung werden wir eins mit der Wahrheit – nur auf diese Weise gelangen wir zu Gott. Und in diesem selbstlosen Sinn ist der Anspruch, Jesus zu verstehen:

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Johannes 14,6

»Durch mich« bedeutet hier, durch die bereitwillige Annahme ausnahmslos aller Wirklichkeit, selbst der ungerechten, leidvollen und bösen, ganz so, wie Jesus es uns vorgelebt hat:

Da sprach er zu ihnen allen: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.

Lukas 9, 23-24

Dort, wo wir uns Krankheit, Verfolgung oder Feindseligkeiten ausgeliefert sehen und diese Dinge auf uns nehmen, da wir sie als eine Folge der Geisteshaltung Jesu erkennen, dort nehmen wir unser Kreuz im Sinne Jesu auf uns. Mit anderen Worten: Wir sollen das Elend unserer menschlichen Wirklichkeit um der Wahrheit willen wollen – um jener Wahrheit willen, die alle Dinge wirkt, um die Welt zu überwinden. Und diese Wahrheit ist Gott selbst. Ja, selbst wenn es zu unserem äußeren Nachteil oder Schaden sein sollte, sollen wir es dennoch wollen und lieben. In diesem Sinne schrieb die jüdische Philosophin Simone Weil:

Einzig der Widerspruch lässt uns erfahren, dass wir nicht alles sind. Der Widerspruch ist unser Elend, und das Gefühl für unser Elend ist das Gefühl für die Wirklichkeit. Denn unser Elend stellen wir nicht her. Es ist wahr. Deshalb muss man es lieben. Alles andere ist imaginär.

Aus “Schwerkraft und Gnade” Simone Weil

Warum ist alles andere imaginär? Weil jenes Elend, das wir bereit sind nach dem Willen Gottes auf uns zu nehmen, uns mit Gott eint. In seiner Passion lehrt uns Jesus, dass alles Elend, das ein Mensch nach dem Willen Gottes auf sich nimmt, in seinem Geist überwunden wird. Denn wer selbst in Unrecht, Leid und Tod eins wird mit Gott, der hat auch Anteil an allem was Gott in Jesus Christus vermag und was aus ihm fließt: Trost, Überwindung, Liebe, Leben, Geist und Sinn.

Sind wir eins mit der Wahrheit, die Gott selbst ist, so werden wir dadurch auch zu Teilhabern Gottes, der alles um seiner selbst willen wirkt. Und außerhalb Gottes existiert nichts und wirkt nichts.

Aber dort, wo wir um der Wahrheit willen Krankheit, Spott und Schaden erleiden, leiden wir nicht mehr um unsertwillen, sondern um Gottes Willen. Leiden wir aber um Gottes Willen, so leiden nicht wir, sondern Gott selbst leidet Krankheit, Spott und Schaden. Da aber Gott weder Krankheit, Spott noch Schaden leiden kann, muss er Krankheit, Spott und Schaden in Heil, in Ehre und in Freude verwandeln:

Amen, amen ich sage euch: ihr werdet weinen und wehklagen, die Welt aber wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit wird in Freude verwandelt werden.

Johannes 16,20

In Jesus Christus hat er das getan und sein Geist tut dies auch in uns. Auf diesem geistigen Prinzip beruht die Überwindung der Welt, die Jesus in seiner Weisheitslehre verkündet und konsequent gelebt hat.

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Für uns gestorben

Die Frage, weshalb Jesus am Kreuz sterben musste, bleibt für viele Christen bis heute unbeantwortet. Deutungen hierzu gibt es genug, aber keine davon ist schlüssig – keine vermag wirklich zu überzeugen. Welcher Sinn also liegt der Aussage zugrunde, dass der grausame Tod eines Menschen vor 2000 Jahren Erlösung und Vergebung bewirken konnte? Die Beantwortung dieser Frage ist Gegenstand des folgenden Beitrages.

Wie konnte durch den Tod Jesu vor 2000 Jahren unsere Schuld vergeben sein?

Während der letzten beiden Jahrtausende begnügten sich Christen mit der Feststellung, dass Jesus für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist. Man betrachtete diese Aussage als Glaubenswahrheit. Das heißt, man sah darin eine Aussage mit dogmatischem Anspruch, der nicht zu hinterfragen sei, sondern einfach geglaubt werden müsse. Und da diese Aussage ja Grundbestandteil des christlichen Glaubens ist, könne und müsse sie inhaltlich auch gar nicht verstanden werden. Daher genügte es den allermeisten Christen, dass diese Aussage, dort, wo sie geglaubt würde, heilbringend wirke und die eigene Schuld tilge. Aber ist das so? Liegt dem christlichen Glauben solch ein Automatismus zugrunde?

Die biblischen Quellen

Ich möchte an dieser Stelle nicht sagen, dass solcher Glaube an sich falsch ist – im Gegenteil, ich halte ihn für formal richtig. Allerdings ruft diese Aussage heute nach einer schlüssigen Erklärung – einer Deutung, die der Mensch von heute gedanklich nachvollziehen kann, sofern er Interesse an dieser Thematik mitbringt. Tatsächlich hat Jesus selbst, seinen Tod in diesem Sinn gedeutet. Das heißt, die bewusste Hingabe seines Lebens, zur Erlösung für viele oder zur Vergebung der Sünden ist biblisch klar belegt:

Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

Matthäus 20, 28

Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut des neuen Testaments, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.

Matthäus 26, 27-28

Das Gottesbild Jesu

Um die Bedeutung dieser Aussagen Jesu gedanklich und inhaltlich nachvollziehen zu können, müssen wir zunächst das Gottesbild Jesu verstehen:

Für Jesus ist Gott allmächtig, er ist der Urheber aller Dinge, alles fließt aus Gott und nichts kann seinem Willen widerstehen.

Auch ist Gott ein einziger und ein einiger Gott, denn alles Geteilte oder Uneinige ist nicht von Bestand, ist nicht Gott. Bestand hat nur das in sich Einige und das Einzige, welches Gott selbst ist. Das heißt in Gott existiert kein Widerspruch, kein Gegenpart, keine Alternative, kein Außerhalb seiner selbst. Mit anderen Worten, außer Gott existiert nichts, als nur das Nichts.

Jesus aber antwortete ihm: Das vornehmste Gebot vor allen Geboten ist das: „Höre Israel, der JHWH, unser Gott, ist ein einiger Gott …“

Markus 12,29

Wenn ein Reich mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen. Und wenn ein Haus mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen …

Markus 3, 24-25

Der Wille Gottes – die Ursache aller Dinge

Vor diesem gedanklichen Hintergrund, dass Gottes Willen nichts widerstehen kann und er alle Dinge nach seinem Willen wirkt, kommt einer Aussage Jesu eine ganz besondere Bedeutung zu. Er lehrt sie im Vaterunser, sie lautet:

Dein Reich komme, dein Wille geschehe …

Matthäus 6,10


Die innere Bereitschaft, das zu wollen, was Gott will, legte er aber nicht nur seinen Zuhörern ans Herz. Diese Haltung zeigt er auch selbst unmittelbar vor seiner Verhaftung, als er darum bittet, dass, wenn es möglich sei, ihm seine Passion erspart bliebe.

Jesus ging ein paar Schritte, warf sich nieder und betete: »Mein Vater, wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen und erspare mir dieses Leiden! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen.«

Matthäus 26,39

In dieser Bereitschaft, der bedingungslosen Einwilligung in den Willen Gottes liegt für uns der Schlüssel zum Gottesverständnis und zum Selbstverständnis Jesu: »… nicht was ich will, sondern was du willst, soll geschehen.« Jesus glaubte, ja er wusste, dass Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt, und seinem Willen nichts widerstehen kann. Daher wollte er nur eines; die vollkommene Einheit mit dem Willen Gottes, auch wenn dieser Wille für ihn Unrecht, Leid und Tod bedeuten sollte. In dieser selbstlosen Einwilligung in den Willen Gottes verkündet Jesus sein Evangelium, das da lautet: Gott ist das Leben selbst und ausnahmslos alle Dinge fließen aus Gott, nicht nur schöne, angenehme und förderliche, sondern auch hässliche, leidvolle und hinderliche.

Gott wirkt unentwegt neues Leben

Doch alle Dinge, die Gott wirkt, die wirkt er nur aus einem einzigen Grund. Er wirkt sie, um sich selbst, nämlich, um unentwegt neues Leben hervorzubringen.

Soweit wir also eins werden mit dem Willen Gottes, werden wir eins mit Gott selbst. Werden wir aber eins mit Gott, so werden wir um seinetwillen auch leben.

Selbst wenn der Wille Gottes unseren eigenen Tod bedeuten würde, muss Gott uns doch neues Leben wiedergeben. Warum? Weil alles, was dem Willen Gottes unterliegt, notwendigerweise zum Leben kommt, da Gott das Leben selbst ist. Das ist das Gebot, das Jesus von seinem Vater empfangen hatte, wie er es selbst erklärte:

… auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien, auf dass die Welt glaube, du hast mich gesandt. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, dass sie eins seien, gleichwie wir eins sind, …

Johannes 17,21-22

Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.

Johannes 10,17-18

Zur Erlösung für viele

Worin besteht nun die Erlösung, die uns Jesus durch seinen Tod brachte? Die Erlösung beruht darauf, die Gesinnung Jesu anzunehmen, der die göttliche Kraft des Geistes besaß, selbst in Unrecht, Leid und Tod Gottes Willen zu erkennen. Denn in allen Geschehnissen, worin wir Gottes Willen suchen, dort wird sich Gott von uns finden lassen. Und dort, wo wir Gott finden, da finden wir notwendigerweise das Leben selbst.

Nun könnte man dagegenhalten, dass das aber keine gute Nachricht ist, wenn Gott will, dass wir leiden und sterben. Die gute Nachricht, das Evangelium, ist, dass durch diese Gesinnung unser Leiden und Sterben, dem ja ohnehin niemand entgehen kann, einen tiefen Sinn erfährt, wodurch wir Trost empfangen. Warum? Weil Jesus uns in seiner Passion beispielhaft aufgezeigt hat, dass sein eigenes Leiden und Sterben einen tiefen Sinn hatte und dieser Sinn lag für ihn in Gott. Soweit wir nun seine Lehre annehmen und unser eigenes Leben so auffassen, wie Jesus sein Leben aufgefasst hat, wird auch unser eigenes Leiden und Sterben jenen tiefen Sinn erfahren können, der in Gott begründet liegt.

Gott – Geist im Geistlosen

Darauf beruht unsere Erlösung, dass demjenigen nichts Sinnloses widerfährt, der das Unabänderliche nach dem Willen Gottes an- und auf sich nimmt. Vielmehr dient dem alles zum Besten, der Gottes Willen vertrauensvoll in allen Geschehnissen sucht, insbesondere aber in den leidvollen, ungerechten und beschwerlichen.

Der Sinn, um den Jesus in seinem eigenen Leiden und Sterben wusste, lag für ihn in der Gewissheit, dass es gut für uns ist, wenn er sein Leben hingeben würde. Ja, er äußert seinen Jüngern gegenüber sogar, dass diese sich darüber freuen sollten, wenn er sein Leben für sie hingibt.

Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich.

Johannes 14,28

Gott ist Geist und Sinn. Er allein vermag aus Geistlosem Geistvolles zu machen – er vermag aus Sinnlosem Sinnvolles zu machen. Gott ist der gesuchte und gefundene Sinn im Sinnlosen. Durch unsere Einwilligung in seinen Willen, wird Gott so an uns handeln können und wollen, wie er an Jesus Christus gehandelt hat. Da ist kein Unterschied. Aber ohne unsere Einwilligung in den Willen Gottes, muss für uns alles Leiden und Sterben sinnlos bleiben. 

Zur Vergebung der Sünden

Inwiefern aber kann unsere Schuld vergeben sein, durch das Opfer Jesu? Auch die Vergebung unserer Schuld beruht der Lehre Jesu nach darauf, dass unsere menschlichen Schwächen einen tiefen Sinn erfahren.

Das ist das Evangelium, dass alles menschlich Schwache und Böse in Christus aufhört, schlecht und böse zu sein.

Aber wie ist das konkret möglich? Die einzige Schwäche, die Jesus anhaftete, war die Schwachheit seines menschlichen Leibes, und diese Schwäche nahm er bereitwillig als sein Kreuz auf sich. In dieser Schwachheit lieferte er sich seinen Feinden aus, die es einzig auf diese Schwäche abgesehen hatten, da sie seiner geistigen Stärke nichts entgegensetzen konnten. So lebt Jesus in seiner Passion das, was er zuvor eindringlich lehrte:

Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.

Matthäus 5,44

Gottes Sohn war Jesus deshalb, weil er in allen Dingen, die ihm begegneten, den Willen Gottes erkannte. In der Schwäche wie in der Stärke. Im Freund wie im Feind. In der Liebe wie im Hass, in der Ehrung wie in der Beleidigung, in der Nachfolge wie in der Verfolgung, im Leben wie im Tod. Diese Erkenntnis machte ihn zum Abkömmling des Höchsten – zum Sohn Gottes.

Gotteskindschaft

Indem wir diese Gesinnung Jesu annehmen können nun wir selbst zu Gottessöhnen – können wir zu Kindern Gottes werden, und Gott wird zu unserem Vater. In seinem Aufruf zur Feindesliebe zeigt Jesus, dass Gott eben auch die Ursache für unsere Feinde ist. Was aber dem Willen Gottes unterliegt, das sollen wir lieben, wodurch es uns dienen kann. Erst in einem solch allumfassenden und universellen Lebensverständnis, wie es Jesus lehrte und selbst lebte, kann jeder Gedanke der Schuld, Strafe und Vergeltung endlich enden. Nur in diesem Glauben sind wir in der Lage, wirklich grundlegend zu vergeben. Warum? Eben, weil Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt. Und dem, der darauf vertraut, für den wirkt Gott alle Dinge so, dass sie ihm zum Guten dienen.

Erkennen wir Gottes Willen und wirken selbst in unseren Feinden, selbst im Unrecht, im Leiden und im Sterben, so existiert kein Grund mehr, jemanden zu verurteilen.

Allein durch unsere Einwilligung in den Willen Gottes ist alle menschliche Schuld getilgt. Denn dass Jesus in seiner Passion den Willen Gottes erkannte und befolgte, das ist unbestritten. Seine Einwilligung in das Ungerechte, Beschwerliche und Leidvolle ist gemeint, wenn von Jesu Gehorsam gegenüber Gott die Rede ist.

Als Lösegeld für viele

Die anfangs zitierte Aussage Jesu, kann allerdings auch anders übersetzt werden, dann lautet sie:

Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele zu geben.

Markus 10, 45

Dort, wo der Begriff „Lösegeld“ wortwörtlich verstanden wurde, hat er für viel Verwirrung und für berechtigtes Kopfschütteln gesorgt. Es ist eben nicht so, dass Gott von uns Menschen einen Tribut fordert, damit er im Gegenzug gnädig und barmherzig sein kann. Schon gar nicht von seinem Sohn. Dieser Gedanke wäre auch absurd. Denn da Gott der Ursprung aller Dinge ist, kann er nichts anderes fordern, als das, was er selbst in der Lage ist, zu erfüllen.

Insofern ist der Begriff Lösegeld in dem Sinne zu deuten, dass Jesus jenes Werk vollbrachte, das vonseiten Gottes „erforderlich“ war, damit der Mensch mit Gott (dem Leben) wieder geeint würde und zu Gott zurückfindet. Erforderlich war ein Zeichen, durch das der Mensch sehen und erkennen konnte, dass Gott der Urheber aller Dinge ist und alle Dinge dem dienen, der auf ihn vertraut. Um uns dieses Zeichen zu geben und uns diese Erkenntnis zu vermitteln, war Jesus gekommen.

Voraussetzung und Bedingung, dass diese Botschaft uns Menschen erreichen konnte, war, dass ein Mensch in der Lage sein sollte, selbst im Bösen und Ungerechten den Willen zu erkennen und diese Bürde auf sich zu nehmen. Aber das war keinem Menschen möglich. Nur Gott selbst konnte es tun. Deshalb wurde er in der Gestalt Jesu Mensch und hat sich für uns hingegeben.

Damit uns die Botschaft erreicht, dass Gott in allen Geschehnissen wirkt, darin er vertrauensvoll gesucht und gefunden wird, dafür hat Jesus sein Leben hingegeben.

 

Zusammenfassung:

Jesus lehrte, dass uns göttliche Vergebung zuteil würde, soweit wir selbst bereit wären zu vergeben. Und entsprechend dieser Lehre handelte er selbst, als er denen Vergebung zusprach, die ihn hinrichten ließen.

Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen sie wissen nicht, was sie tun!

Lukas 23,34

Jesus konnte so vergeben, weil er in seinen Feinden und in seiner Passion den Willen Gottes erkannte. Jesus wusste, alles, worin der Mensch den Willen Gottes findet, darin findet er immer auch das Leben, selbst wenn dies den sicheren Tod bedeutet.

Ich bin die Auferstehung, und ich bin das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt.

Johannes 11,25

Warum ist das so? Weil Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt und weil aus Gott nichts anderes als Leben und Geist fließen kann.

Soweit wir nun wie Jesus alle Dinge, die uns begegnen oder anhaften, nach dem Willen Gottes auf uns nehmen, sei es Krankheit, Schwäche, Unrecht, Leid und Tod, machen wir Gott (wie Jesus) zum Grund unserer eigenen Passion. Wo aber Gott so zum Grund unserer Passion wird, dort existiert kein Feind mehr, und kein böser Umstand und auch kein Unglück, das uns hindert. Vielmehr dient uns alles zum Leben. Erst dort, wo der Grund meiner Schwachheit, meiner Krankheit, meines Leidens und Sterbens nicht mehr in dieser Welt liegt, sondern in Gott, dort werde ich selbst frei von Schuldzuweisung und Vergeltung. Werde ich aber frei von Anklage, so werde ich ebenso allumfassend vergeben können, wie Jesus vergeben hat.

Damit uns diese Botschaft erreicht, war Jesus bereit seine Passion auf sich zu nehmen, damit wir, wie er frei würden von Anklage und Vergeltung, wodurch wir eins werden können mit Gott, der ausnahmslos alle Passion nur deshalb wirkt, um neues Leben zu schaffen.

Erst dort, wo wir, wie Jesus, darauf vertrauen, dass uns ausnahmslos alle Dinge zum besten dienen, sind wir erlöst.

Dieses Vorbild der Überwindung war Jesus bereit für uns zu geben. Und in diesem Sinn ist das Jesuswort zu verstehen:

Das ist mein Blut des neuen Bundes, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.

Matthäus 26,28

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Die Sünde und der Sündenfall

Der alttestamentliche Mythos vom Sündenfall schildert die Folgen, die das Essen vom Baum der Erkenntnis von gut und böse für den Menschen hatte. Doch diese Folgen waren nicht ausschließlich negativ. Die Schlange versprach Eva, sie würden wie Gott sein und erkennen, was gut und böse ist, wenn sie die Frucht vom Baum essen würden. Ebendiese verlockende Aussicht ließ Eva die Frucht als schön und genießbar erscheinen.

Was ist Sünde?

Was unter dem biblischen Begriff der Sünde und dem sogenannten Sündenfall genau zu verstehen ist, dazu gibt es sehr unterschiedliche und teilweise auch widersprüchliche Meinungen innerhalb der Kirchen und Konfessionen. Aber ohne eine klare Vorstellung vom Begriff der Sünde, des Sündigens und des Sünders, können sich uns Sinn und Bedeutung der Botschaft Jesu nicht erschließen, da die Sünde und der Sünder darin eine ganz zentrale Rolle einnehmen.

Die Geschichte des Sündenfalls

Der älteste biblische Bezug zu dem, was die jüdisch-christlichen Religionen als Sünde bezeichnen, findet sich in der alttestamentlichen Erzählung vom sogenannten „Sündenfall“ in dem Adam und Eva unerlaubterweise vom Baum der Erkenntnis von gut und böse essen. Auch wenn Jesus selbst den Begriff „Sündenfall“ so weder gekannt noch verwendet hat, ist er doch im Laufe der Religionsgeschichte für Juden und Christen gleichermaßen zu einer festen Vorstellung geworden.

Der alttestamentliche Mythos vom Sündenfall schildert die Folgen, die das Essen vom Baum der Erkenntnis für den Menschen hatte. Doch diese Folgen waren nicht ausschließlich negativ. Die Schlange versprach Eva, sie würden wie Gott sein und erkennen, was gut und böse ist, wenn sie die Frucht vom Baum essen würden. Ebendiese verlockende Aussicht ließ Eva die Frucht als schön und genießbar erscheinen.

Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte.

Genesis 3,6

Und dieses Versprechen der Schlange erfüllte sich dann auch tatsächlich, wie Gott am Ende selbst bestätigend feststellte:

Und Gott der JHWH sprach: Siehe, der Mensch ist nun geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.

Genesis 3,22

Doch auch die negative Seite, die Gott zuvor warnend angekündigt hatte, welche die Schlange jedoch in Abrede stellte, erfüllte sich: Der Mensch wurde sterblich.

Von allen Bäumen im Garten kannst du nach Belieben essen; aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, wirst du des Todes sterben.

Genesis 2,17

Die zwei Aspekte des Sündenfalls

Versteht man die Sünde als Ungehorsam gegenüber dem göttlichen Gebot, so ist immer auch diese Zweiseitigkeit zu beachten. Das heißt, die Sünde, der Sünder oder das sündige Verhalten des Menschen ist nicht ausschließlich etwas Schlechtes, sondern es verleiht uns zugleich eine Eigenschaft, die nur Götter besitzen, nämlich die Fähigkeit, Gegensätzliches erkennen zu können:

Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren …

Genesis 3,7

Ich habe wohl gesagt: „Ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten …“

Psalm 82,6

Gut und böse, Tod und Leben, nackt und bekleidet, verborgen und offenbar, hell und dunkel, krank und gesund, jung und alt etc. Durch die Erkenntnisfähigkeit wurde dem Menschen die Welt der Gegensätze bewusst, die er vorher nicht wahrgenommen hatte. Doch ohne die Erkenntnisfähigkeit könnte uns auch die erlösende Botschaft Jesu nicht erreichen. Dass Erkenntnisfähigkeit die Grundlage für die Rettung des Menschen ist, daran lässt Jesus keinen Zweifel:

Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.

Johannes 17,3

Wehe euch Gesetzesgelehrten! Denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen; ihr selbst seid nicht hineingegangen, und die hineingehen wollten, habt ihr gehindert.

Matthäus 23,13

Wenn nun die Sünde Grund und Ursache dafür ist, dass wir überhaupt erkennen können, so kommt der Sünde damit eine ganz grundlegende und elementare Bedeutung zu. Tatsächlich wird Sünde, wenn wir sie im Sinne Jesu betrachten, zu einer Notwendigkeit, ohne die wir weder Heil noch Erlösung erfahren könnten.

Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Umkehr.

Lukas 5,32

Nicht die Gesunden, Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken.

Matthäus 9,12


Amen, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr.

Matthäus 21,31

Die Folgen der Sünde

Bevor ich diesen Gedanken weiter vertiefe, noch einmal zurück zur eingangs gestellten Frage: Was ist überhaupt unter Sünde zu verstehen? Einmal abgesehen davon, was sie an uns bewirkt hat und bis heute bewirkt, nämlich unsere Sterblichkeit und unsere Erkenntnisfähigkeit.

Der Begriff Sünde beschreibt eine Unabhängigkeit und ein Getrenntsein von Gott, wobei der Begriff „Gott“, im biblischen Sinn, mit Leben und Geist gleichzusetzen ist.

Der Mythos vom Sündenfall beschreibt diese beiden Phänomene. Zum einen, die von Gott „unabhängige“ Handlung im Sinnbild des unerlaubten Essens vom Baum der Erkenntnis. Und zum anderen die Folge dieser Unabhängigkeit, nämlich das „Getrenntsein“ von Gott, das in Tod und Sterben seinen Ausdruck findet. Setzen wir den Begriff „Gott“ mit „Leben“ gleich, so wird deutlich, dass die Folge der Sünde das Gegenteil Gottes ist, was dann notwendigerweise der „Tod“ sein muss. Folgen wir hier inhaltlich der Lehre Jesu, so ist das Gegenteil Gottes nicht dauerhaft möglich. Sünde und Tod sind zeitliche Phänomene, die wiederum durch Gott, der als zeitlose Größe zu verstehen ist, überwunden werden. Überwunden werden sie, indem Gott jegliche Trennung, alles Gegensätzliche und Widersprüchliche in sich vereint, wodurch es aufgehoben und jeglicher Streit befriedet ist.

Der Lehre Jesu nach, beruht unsere Empfindung der Trennung und des Getrenntseins in dieser Welt auf einem Irrtum – dem Irrtum, dass das, was wir gewöhnlich unter „Leben“ verstehen, begrenzt und vergänglich sei. Desgleichen, dass das, was wir „Leben“ nennen, sich in seiner äußerlichen und zeitlich begrenzten Erscheinung erschöpft. Dem gegenüber stehen die Aussagen Jesu, wie auch die vieler Philosophen, dass das Leben unbedingt „mehr“ sei als das Äußere, Begrenzte und Dingliche:

Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?

Matthäus 6,25

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

Aristoteles

Euch aber, meinen Freunden, sage ich: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, euch aber sonst nichts tun können.

Lukas 12,4

Insofern ist auch unter dem Begriff Sünde nicht so sehr ein bestimmtes Tun und Handeln an sich zu verstehen.

Sünde ist jenes Handeln, das aus dem Irrtum rührt, dass das Leben an sich begrenzt, unwägbar und unbeständig sei.

Dieser Irrtum führt dazu, dass wir dem Leben misstrauen. Ferner, dass wir allen unerwünschten Geschehnissen ablehnend gegenüberstehen, und dies, obwohl sie doch ein unabänderlicher Bestandteil unseres menschlichen Daseins sind und wir diesen Geschehnissen letztlich nicht entgehen können. Dies betrifft alles Beschwerliche und Ungerechte wie auch Krankheit, Sterben, Leid und Tod. Solche Geschehnisse halten wir für nicht lebenswert und nennen sie daher unser Unglück. Und da wir unser Unglück aus unserem Leben ausschließen, werden wir es unter allen Umständen zu verhindern suchen, selbst wenn dies zum Nachteil für unsere Mitmenschen wäre. Das Wesen der Sünde ist also weniger eine böse Tat an sich als vielmehr die irrtümliche Überzeugung, in der wir böses Handeln zu rechtfertigen versuchen.

Sünde ist die Rechtfertigung des Bösen – allerdings eine Rechtfertigung, die auf einem Irrtum beruht.

Die Sünde und der Zorn Gottes

Im Sinnzusammenhang mit dem Begriff der Sünde ist in der Bibel auch vom Zorn Gottes die Rede, der als Folge der Sünde verstanden wird. Das heißt, dass wir sterben, ist die Konsequenz dessen, dass wir Getäuschte sind und aus Täuschung und Irrtum handeln. Der Apostel Paulus bringt diesen Gedanken wie folgt auf den Punkt: 

… der Tod ist der Sünde Sold … 

Römer 6,23

Mit anderen Worten: Sterben und Tod sind Folgen einer falschen Vorstellung von dem, was wir unter dem Leben verstehen. Diese Konsequenz bezeichnet die Bibel als »Zorn Gottes«. Dabei darf der Begriff Zorn Gottes, nicht im menschlichen Sinne aufgefasst werden. Gott ist eben nicht zornig, wie ein Mensch zornig oder launisch ist. Was unter einem zornigen Gott zu verstehen ist, möchte ich in Stichpunkten kurz ausführen:

Wenn wir den Begriff Gott mit den Eigenschaften und Prinzipien gleichsetzen, durch welche ihn die Bibel beschreibt, so repräsentiert Gott Wahrheit, Liebe, Leben, Geist, Licht, Gerechtigkeit, Ewigkeit, Barmherzigkeit, Erbarmen etc. Folgen wir den Aussagen Jesu, so beruht Gottes Zorn darauf, dass jegliche Abweichung von Gottes Wesenheit, seinen „Zorn“ hervorruft. Gottes Zorn ist demnach nichts anderes als die Konsequenz eines irrtümlichen Denkens oder Handelns, das den zeitlos-ewigen, d. h. den göttlichen Prinzipien widerspricht:

Ist Gott Wahrheit, so kann in ihm keine Unwahrheit sein. Ist Gott Leben, so kann in ihm kein Tod sein. Ist Gott Liebe, so kann in Ihm kein Hass sein. Ist Gott Geist, so kann in ihm keine Geistlosigkeit sein. Ist Gott Licht der Erkenntnis, so können in ihm weder Dunkelheit noch Unwissenheit sein. Ist Gott Gerechtigkeit, so kann in ihm keine Ungerechtigkeit sein. Ist Gott Ewigkeit und Zeitlosigkeit, so kann in ihm weder zeitliche Begrenzung noch irgendeine Beschränkung sein. Ist Gott Barmherzigkeit, so kann in ihm keine Unbarmherzigkeit sein. Ist Gott Gnade, so kann in ihm keine Gnadenlosigkeit sein. Ist Gott Erbarmen, so kann in ihm keine Erbarmungslosigkeit sein. Hieraus folgt:

Soweit uns das Gegenteil von Gott anhaftet, soweit sind wir unter seinem Zorn.

Gottes Zorn – Die Konsequenz des Widerspruchs gegen Gott

So gilt im Sinne der Botschaft Jesu: Dort, wo wir entgegen dem Wesen Gottes denken oder handeln, sind wir unter dem Zorn Gottes. Nicht etwa, weil Gott uns bestrafen wollte, wie ein Mensch einen Menschen straft, sondern weil es sich bei Gottes Zorn um die Konsequenz eines Widerspruchs gegen ein universelles Prinzip handelt:

Halten wir fest an Täuschung und Lüge, werden wir bloßgestellt, sobald wir mit der Wahrheit konfrontiert werden. Die Aufdeckung des Irrtums und die Peinlichkeit unserer Bloßstellung ist der Zorn Gottes.

Bewerten wir Vergängliches höher als Unvergängliches, so werten wir damit auch die eigene ideelle Existenz ab. Wut und Trauer angesichts der Vergänglichkeit unserer Existenz ist der Zorn Gottes.

Verbreiten wir Lieblosigkeit und Verzweiflung unter unseren Mitmenschen, so ist unsere eigene Verzweiflung angesichts erfahrener Lieblosigkeit Gottes Zorn.

Leben und handeln wir geistlos, das heißt willkürlich, unbegründet und beliebig an unserem Mitmenschen, werden wir ebenda mit Geistlosigkeit konfrontiert, wo wir selbst der Willkür, dem Zufall und der Sinnlosigkeit zum Opfer fallen – eben das ist Gottes Zorn.

Verhindern wir Erkenntnis, indem wir anstelle innerer Einsichten Glaubensrezepte vertreten, werden wir die Erkenntnislehre Jesu nicht fassen können, nach welcher Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt, darin er gesucht wird. Ungläubigkeit gegenüber dem Unglaublichen und Fassungslosigkeit gegenüber dem Unfassbaren ist der Zorn Gottes.

Handeln wir ungerecht unserem Mitmenschen gegenüber, müssen wir angesichts einer Ungerechtigkeit, die uns selbst widerfährt, ungetröstet bleiben. Die Empfindung von Verlorenheit und Trostlosigkeit ist der Zorn Gottes.

Betrachten wir ideelle und zeitlose Werte für wert- und bedeutungslos, werden wir mit dem Verlust äußerer Werte alles uns Wertvolle preisgeben und verlieren. Die Verzweiflung darüber, dass sich das, was wir für wertvoll erachteten als wert- und bedeutungslos erweist, ist der Zorn Gottes.

Betrachten wir das Leben als begrenzt, werden wir selbst ein begrenztes Leben vorfinden. Unser Schmerz über die Grenzen, die uns das Dasein setzt, ist Gottes Zorn.

Handeln wir unbarmherzig, erbarmungslos und gnadenlos gegenüber den Irrtümern, Fehlern und Schwächen unserer Mitmenschen, werden wir selbst zerbrechen an einer unbarmherzigen und gnadenlosen Wirklichkeit. Das ist der Zorn Gottes.

Sünde, Leid und Tod

Wenn ich hier sage, dass jegliches Unglück, das uns in dieser Welt trifft, eine Konsequenz unserer Sünde ist, so wird man dagegenhalten, dass das doch nicht sein könne, da der Mensch ja nicht immer direkter Verursacher seines Unglücks ist. Oft trifft ihn auch nachweislich gar keine Schuld an seinem Unglück. So beispielsweise, bei höherer Gewalt oder wenn schicksalhafte Ereignisse über ihn hereinbrechen. Inwiefern ist denn da die Schuld des Menschen beteiligt, wenn der Mensch Opfer höherer Gewalt oder menschlicher Willkür wird?

Die Antwort, die Jesus Christus auf diese Frage gibt, lautet: Sündiges Denken und Handeln beruht auf einem Irrtum des Menschen über das Wesen Gottes und dieser Irrtum ist die Ursache für unser Elend. Uns von diesem Irrtum zu erlösen, ist Jesus Christus gekommen. Erlöst hat er uns von unserem Irrtum in seiner Botschaft und durch seine Passion am Kreuz.  Wie ist das möglich?  Ich habe oben gesagt:

Sünde ist die Rechtfertigung des Bösen – allerdings eine Rechtfertigung, die auf einem Irrtum beruht. Nun sage ich:

Erlösung beruht auf der Vergebung unserer Schuld. Vergebung geschieht, indem unsere Schuld und unser Elend eine Bedeutung und der Sünder dadurch Rechtfertigung erfährt.

Und ganz konkret beruht die Rechtfertigung des Sünders darauf, dass Jesus Christus allem menschlichen Elend (Sünde, Schuld, Unrecht, Leid und Tod) am Kreuz einen tiefen Sinn verliehen hat.
Dies gilt Unabhängig davon, ob es sich dabei um ein direktes Verschulden des Menschen oder um höhere Gewalt handelt, da Gott in ausnahmslos allen Geschehnissen wirkt, worin er gesucht und erkannt wird.

Denn indem Jesus seine Passion nach dem Willen Gottes auf sich nahm, trug er Sinn ins Sinnlose, Geist ins Geistlose, Gott ins Gottlose, Recht ins Unrecht, Leben in den Tod. Oder wie es der Apostel Paulus formulierte:

Denn Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit finden würden, die vor Gott gilt.

2. Korinther 5,21

Jesus wusste, dass dem Willen Gottes niemand und nichts widerstehen kann und dass unsere Erlösung nur darauf beruhen kann, in den Willen Gottes einzuwilligen, selbst wenn er Leid und Tod bedeuten sollte. Denn dort, wo wir eins werden mit dem Willen Gottes, werden wir auch eins mit Gott, dem alle Dinge dienen. Sind wir aber mit Gott eins geworden, so dient uns alles ebenso, wie es Gott von jeher dient.

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen …

Römer 8,28

In diesem Einswerden liegt unsere zeitlose Existenz begründet.

Das Mysterium der Erlösung durch das Kreuz Christi beruht darauf, dass Gott ausnahmslos alle Geschehnisse, die dem Wesen Gottes widersprechen (Elend, Unrecht, Leid und Tod) zu Gott „macht“.

Zu Gott werden sie dort, wo ein Mensch bereit ist, auch solche Geschehnisse nach dem Willen Gottes auf sich zu nehmen, die ihn behindern oder schaden. Dieser Mensch ist in Jesus Christus zu uns gekommen. Er hat uns diesen Weg des Einswerdens mit Gott als einzige Möglichkeit gewiesen:

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Johannes 14,6

Und er hat diesen Weg in seiner Passion selbst beschritten, damit nun auch wir ihn gehen können.

Simon Petrus zu Jesus: Herr, wo gehst du hin? Jesus antwortete ihm: Wo ich hingehe, kannst du mir jetzt nicht folgen; aber du wirst mir später folgen.

Johannes 13, 34

Und wo ich hingehe, das wisst ihr, und den Weg wisst ihr auch.

Johannes 14, 4

Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach.

 Lukas 9,23

In seiner Passion zeigte Jesus auf, dass Gott alle Dinge nur aus „einem“ Grund wirkt, nämlich, um sich selbst (Leben und Geist) hervorzubringen. Und indem wir seine Botschaft vom Kreuz annehmen und unser Elend so auffassen und auf uns nehmen, wie Jesus es aufgefasst und angenommen hat, haben wir den Irrtum überwunden. Jenen folgenschweren Irrtum, dass Gott in der Sünde (Unrecht, Leid und Tod) nicht gefunden werden und nicht darin wirken könne. Doch Gott kann durch Jesus Christus nun überall dort gefunden werden, wo wir ihn sehnsuchtsvoll suchen. Auch das ist eine grundlegende und zentrale Grundaussage seiner Lehre:

Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.

Lukas 11, 9

Durch den Gekreuzigten finden wir zu der Erkenntnis, dass Gott in ausnahmslos allen Geschehnissen wirkt, sofern wir ihn nur vertrauensvoll darin suchen. Durch diesen Glauben sind wir erlöst und durch dieses Vertrauen in Gott, werden wir auch fähig grundlegend zu vergeben. In der Passion Jesu erkennen wir, dass selbst ungerechte, leidvolle, bedauerliche und böse Geschehnisse nicht mehr zu unserem Schaden sind, sondern dass Gott in ausnahmslos allen Geschehnissen gegenwärtig ist. Hier gilt der Satz des Apostels Paulus:

Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Römer 8, 38–39

Der gute Aspekt der Sünde

Oben habe ich ausgeführt, dass der Grund und die Ursache für unsere Erkenntnisfähigkeit die Sünde ist, ferner, dass ohne die Sünde, uns das Heil Gottes in Jesus Christus gar nicht erreichen könnte.

Die negativen Seiten der Sünde erfahren wir dort, wo unser Denken und Handeln auf Irrtum und Täuschung beruht. Irrtum und Täuschung sind jene falsche Lebensgrundlage, auf der nichts Dauerhaftes „gebaut“ werden kann, aus der uns nichts Gutes „erwächst“, wie Jesus in den Gleichnissen vom Bauen auf Sand (Matthäus 7,24) und vom faulen Baum (Matthäus 7,17) ausdrückt. Somit sind Irrtum und Täuschung auch die wahre Ursache unserer menschlichen Unfreiheit, wie Jesus darlegt:

Soweit ihr euch an meiner Lehre orientiert, seid ihr wirklich meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Da antworteten sie ihm: Wir sind doch Abrahams Nachkommen, und nie jemandes Knecht gewesen; weshalb sagst du also: „Ihr sollt frei werden“? Jesus antwortete ihnen und sprach: Amen, amen ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht.

Johannes 8, 32–34

Der positive Aspekt der Sünde ist, dass Gott (Geist) es vermag, der Sünde Sinn und Bedeutung zu verleihen.

Solange Sünde, Unrecht, Leid und Tod – solange dem Bösen in der Welt kein Sinn zukommt, muss es sinnlos und böse bleiben, wodurch es umsonst und vergebens geschieht.

Damit sollen Unrecht, Leid und Tod keineswegs relativiert oder schöngeredet werden. Unser menschliches Elend besteht zweifellos darin, dass uns Unrecht, Leid und Tod widerfahren. Aber das größere Elend, woran wir ungetröstet zerbrechen und sterben müssen, beruht auf dem Irrtum, dass das, was der Mensch in dieser Welt erleidet, letztlich sinnlos sei und vergeblich geschehe – dass der Mensch also gänzlich umsonst leide.

Darum habe ich euch gesagt, dass ihr in euren Sünden sterben werdet; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, so werdet ihr in euren Sünden sterben.

Johannes 8,24

Jesus Christus ist gekommen, damit alles Leiden und Sterben Sinn erfährt, damit es aufhören kann, vergeblich zu geschehen. Genauso wie in der Natur kein Leiden und Sterben ohne Sinn und Bedeutung geschieht. Dieser Sinn ist Gott. Und so, wie Christus in all dem Bösen und Ungerechten, das man ihm angetan hatte, den Willen Gottes erkannte, sind nun auch wir aufgerufen, in allem, was uns an Bösem begegnet und anhaftet, den Willen Gottes zu suchen. Denn der Wille Gottes kann nur dort an uns geschehen und wirken, wo wir ihn als solchen erkennen und in ihn einwilligen. Geschieht der Wille Gottes jedoch gegen unseren Willen, wenn das Leben uns mit Unrecht, Leid und Tod konfrontiert, so sind wir von Gott getrennt und können nicht leben, denn Gott ist ja das Leben schlechthin. Geschieht aber der Wille Gottes an uns und mit uns, so werden wir immer auch getröstet sein, wenn wir Schwäche, Unrecht, Leid und Tod ausgesetzt sind.

Aber ich sage euch die Wahrheit: es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.

Johannes 16,7

Das ist das göttliche Prinzip, dass Gottes Wille ungeteilt ist: Dort, wo er geschieht, da endet auch alle Verneinung, alle Abwehr und aller Widerspruch. In unserer Einwilligung mit dem Willen Gottes werden wir eins mit Gott und Gott wird eins mit uns. Gott löscht den Geist nicht aus.

Die Gerechtigkeit des Sünders

Ein gerechter Sünder ist jener Mensch, der sich seiner menschlichen Schwächen bewusst ist. Der gerechte Sünder weiß, dass es nicht möglich ist, sich der menschlichen Schwächen aus eigener Kraft zu entledigen. Der gerechte Sünder lebt in der Einsicht, dass der Mensch fehlbar, schwach und sterblich ist, und erkennt daher alles Schwache und Sündhafte als notwendigen Teil seiner menschlichen Wirklichkeit an, den es auf sich zu nehmen gilt. Doch warum ist das so? Die Antwort auf diese Frage lautet:

Dem gerechten Sünder werden die eigenen Schwächen zum Anlass, anderen deren Schwächen zu vergeben, wodurch ihm die eigene Sünde zum Guten dient – eben darin ist sie überwunden.

So wie Jesus seine leibliche Schwäche und das Böse, das man ihm antat, bereitwillig auf sich nahm, um das Gute zu wirken, sollen auch wir unsere eigene Schwäche in seinem Sinne auf uns nehmen, um das Gute zu wirken. Eben darin erweist das Schwache seine Stärke, dass es das Kreuz der Sünde auf sich zu nehmen vermag, um das Gute hervorzubringen.

So wird auch das Falsche nur in der Wahrheit erkannt, der Mangel im Gebrechen, die Verneinung in der Bejahung. So leuchtet also das Gute im Bösen, das Wahre im Falschen, das Haben im Gebrechen [ … ] das Licht leuchtet in der Finsternis; denn die Tugend leuchtet und erscheint in Widerwärtigkeiten und Gegensätzen, die Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Nur aus der Anfechtung kommt Vollkommenheit. Wie Sankt Paulus spricht: „die Tugend vollendet sich in der Schwachheit“.

Meister Eckhart

Durch Jesus Christus haben sich alle Dinge grundlegend geändert. Das, was uns vorher daran hinderte zu Gott zu kommen, nämlich die Sünde, das dient uns nun dazu, den Weg zu Gott zu finden.

Von dort wird er kommen, zu richten …

Wenn Vergebung der Dreh- und Angelpunkt der Botschaft Jesu ist, wozu dann ein Jüngstes Gericht und inwiefern werden wir dann gerichtet? Eine erste Antwort darauf lautet: Weil alle Entzweiung mit Gott begrenzt ist. Das Begrenzte ist aber nicht das Ewige und Zeitlose. Die Sphäre des Geistes (Gottes) ist die zeitlose und unbegrenzte und außerhalb dieser existiert nichts Bleibendes. Das Begrenzte endet eines Tages, das Ewige und Zeitlose hingegen ist das Immerwährende. Soweit wir begrenzt denken und handeln, werden wir selbst ein Ende finden müssen.

Das Jüngste-Gericht – Was ist das?

English version

Jesus redete vom Jüngsten Gericht, daran besteht kein Zweifel.
Im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt es: Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Doch was darunter zu verstehen ist, wird von vielen eher nach menschlichen Vorstellungen gedeutet und verfehlt damit den Geist der Botschaft Jesu. Um den drohenden und unerbittlichen Charakter des Jüngsten Gerichts zu unterstreichen, bedient man sich vielfach der Schilderungen aus dem Buch der Offenbarung. Dass es sich bei der Bildsprache der Offenbarung um eine mystische Schau von Visionen handelt, deren Sinnbilder einer Interpretation – wie übrigens auch die Gleichnisse Jesu – bedürfen, ist dabei den wenigsten bewusst, weshalb viele sie wortwörtlich nehmen. Was uns Jesus mit seinen Hinweisen auf das Jüngste Gericht verdeutlichen wollte, erschließt sich uns erst aus dem inhaltlichen Zusammenhang seiner Lehre und aus den Umständen seiner Passion. Das bedeutet, alle Inspiration und Interpretation, die uns die Apostel in ihren Schriften hinterlassen haben, können nur auf Grundlage der Worte und der Handlungsweise Jesu eine schlüssige Deutung erfahren. Jede Darstellung, die nicht den inhaltlichen Aussagen der Botschaft Jesu Rechnung trägt, verfehlt den Geist des Evangeliums.


Gott – die unteilbare Einheit

Das Evangelium, oder die gute Nachricht, wie es übersetzt heißt, besagt, dass Gott alle Schuld vergeben „will“. Warum ist das so? Weil Gott die Vergebung selbst ist, und das bedeutet, dass „in“ Gott so etwas wie Schuld und Strafe nicht existieren. Würden in Gott Schuld und Strafe existieren, so wäre Gott geteilt, nämlich in einen guten und einen schlechten – in einen schuldigen und einen unschuldigen Teil. Gott aber ist in und mit sich selbst eins, das heißt Gott ist ungeteilt und ohne Widerspruch. Und was immer zu Gott gelangen will, das muss selbst eins werden und sein. Denn Gott ist ja die Wahrheit selbst und diese ist unteilbar, wie dies auch die biblischen Texte verdeutlichen:

Höre, Israel, der JHWH, unser Gott, ist ein einiger Gott.

5. Mose 6

Und Jesus unterstreicht diese Aussage in einer gegenteiligen Metaphorik:

Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet; und jede Stadt oder jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, wird nicht bestehen.

Matthäus 12,26

Und in eben diesem Sinne verdeutlicht Jesus, dass Gott selbst nicht richtet:

Denn der Vater richtet niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohn übergeben.

Johannes 5,22

Das ist die Konsequenz des oben Gesagten, nämlich, dass Gott nur in Relation zum Sohn überhaupt richten kann. Warum ist das so?

Gott selbst ist nondual, aber im Sohn hat er die Welt der Dualität und Teilung betreten, um sie mit Gott wieder zu vereinen.

Daher müssen wir auf den Sohn „blicken“, um das Wesen des Jüngsten Gerichts zu verstehen. Und in diesem Sinne erklärt Jesus, er tue nur das, was er den Vater tun „sieht“:

Amen, amen, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht; denn was dieser tut, das tut in gleicher Weise auch der Sohn.

Johannes 5, 19

Doch welches Tun des Sohnes sehen wir, woraus wir schließen können, was der Vater tut? Die Antwort ist schlicht: Wir sehen in Jesus Christus jenen Sohn, der dazu auffordert, bedingungslos zu vergeben, um dem Wesen eines einigen Gottes gerecht zu werden:

Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammet nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebet, so wird euch vergeben.

Matthäus 7,1

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Matthäus 6, 12

Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

Matthäus 6, 14-15

Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien, auf dass die Welt glaube, du habest mich gesandt. Und ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, dass sie eins seien, gleichwie wir eins sind.

Johannes 17,20-22

Doch Jesus fordert diese Bereitschaft nicht nur von uns, sondern er kommt dieser Forderung selbst konsequent nach, indem er sterbend am Kreuz seinen Feinden vergibt. Das ist es, was der Sohn den Vater „tun“ sieht und daher kann auch der Sohn nur so handeln, nämlich bedingungslos vergeben. Diese Geisteshaltung ist es, durch die wir (wo wir sie annehmen) zu Gott gelangen. Das ist unser Weg zu Gott. Eine andere Möglichkeit existiert nicht, wie Jesus verdeutlicht:

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Johannes 14,6

Denn in der Gewissheit, dass dem, der in diese Einheit vertraut, alles dienen muss, konnte der Sohn allumfassend Vergebung üben und vom Kreuz herab verkünden:

Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun!

Lukas 23,34

Vergebung durch Einsicht in das Wesen Gottes

Jesus Christus ist gekommen, zu verkünden und durch seine Passion zu verdeutlichen, dass in der Sphäre des Geistes (in Gott) kein Grund zur Verurteilung oder Bestrafung existieren kann. Daher sollen wir unser eigenes Leben so auffassen, wie Jesus sein Leben verstanden und aufgefasst hat. Aber wie hat Jesus sein eigenes Leben denn aufgefasst und verstanden? Jesus war es gegeben, in der Sinnlosigkeit und Geistlosigkeit des an ihm verübten Unrechts, seiner Verleumdung, Anklage, Verurteilung, Folter und Hinrichtung den Willen Gottes zu finden, wodurch diese Geschehnisse eine Bedeutung finden mussten.

Solange wir Unrecht, Leid und Tod auf ein böses Schicksal oder auf unsere Feinde zurückführen, werden wir Schaden nehmen.

Schaden nehmen wir insofern, als wir an einer Wirklichkeit, mit der wir entzweit sind, innerlich zerbrechen müssen. Was wir aber nach dem Willen Gottes auf uns nehmen, das muss gut werden, da aus Gott nur Gutes, nur Leben fließt. Jesus Christus ist gekommen, damit sich der Grund und die Ursache unseres Leides ändern.

Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

Matthäus 16,25

Das ist die inhaltliche und geistige Konsequenz, die aus der Passion Jesu folgt.

Jesus sah sich in der Lage, den Willen Gottes in Unrecht, Leid und Tod zu erkennen, wodurch er diese Bereiche des Menschseins überwand, damit sie gut werden konnten, uns zum Vorbild und Trost.

Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst.

Markus 14,36

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Johannes 16,33

Selbst die Haare auf eurem Kopf sind alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht …

Lukas 12,7

Und ihr werdet gehasst sein von jedermann um meines Namens willen. Und doch soll nicht ein Haar von eurem Haupte umkommen.

Lukas 21,17

Wir sehen, das Lebensverständnis, das Jesus in seiner Botschaft verkündete, ist ein allumfassendes und vollkommenes – ein Lebensverständnis, in welchem ausnahmslos allen Dingen eine Bedeutung zukommt, sobald wir unsere Zuversicht auf die Kraft des Geistes setzen, der uns alle Dinge zum Besten dienen lässt, wenn wir ihm nur ganz und gar darin vertrauen.

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen …

Römer 8, 28

Der Jüngste Tag – die geeinte Wirklichkeit

Jüngstes Gericht und Jüngster Tag sind der Sache nach eins, nur aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Der Jüngste Tag ist das Offenbarwerden jener zeitlosen Wirklichkeit, die Jesus in seiner Botschaft verkündete und deren Wesen er uns in seiner Passion verdeutlicht hat. Aber was für eine Wirklichkeit ist das? Es ist die Wirklichkeit des Gerechten, der Gerechtigkeit schafft ohne Anklage, ohne Strafe, ohne Vergeltung, sondern durch Annahme aller Geschehnisse aus der Hand Gottes, wodurch allein sie gut werden können. In dieser Gewissheit empfängt Jesus ausnahmslos alles nach dem Willen Gottes und erfüllt es auf diese Weise mit Geist und Sinn. Dies betrifft insbesondere alle geistlosen und sinnlosen Bereiche unseres Menschseins.

Weil Gott durch nichts eingeschränkt, verletzt, behindert oder beeinträchtigt werden kann, muss ihm alles dienen.

Wer sein Leben auf diese Weise in Gott neu erkennt, dem muss von nun an alles so dienen, wie es Jesus gedient hat. Um uns diese Grundwahrheit aufzuzeigen, ist Jesus Christus gekommen und hat in seiner Passion die Abgründe des Menschseins auf sich genommen. Er ist gekommen, um die ungerechten, die bösen, dunklen und niederträchtigen Geschehnisse, durch den Geist (durch Gott) zu überwinden, wodurch sie nun dienen konnten, so wie er es am Vorabend seiner Gefangennahme seinen Jüngern erklärte:

Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich gesagt habe: „Ich gehe zum Vater“; denn der Vater ist größer als ich.

Johannes 14, 27

Aber weil ich solches geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.

Johannes 16,7

Das Jüngste Gericht – die geteilte Wirklichkeit

Jetzt wird man fragen: Wenn doch Vergebung der Dreh- und Angelpunkt des Evangeliums ist, wozu dann ein Jüngstes Gericht und inwiefern werden wir dann gerichtet? Eine erste Antwort darauf lautet: Weil alle Entzweiung mit Gott begrenzt ist. Das Begrenzte ist aber nicht das Ewige und Zeitlose. Die Sphäre des Geistes (Gottes) ist die zeitlose und unbegrenzte und außerhalb dieser existiert nichts Bleibendes. Das Begrenzte endet eines Tages, das Ewige und Zeitlose hingegen ist das Immerwährende.

Soweit wir begrenzt denken und handeln, werden wir selbst ein Ende finden müssen. Das ist das Gericht, dass eines Tages alle Begrenzung endet – unausweichlich.

Unser menschliches Denken in Kategorien der Strafe und Vergeltung ist ein begrenztes, da es einem geteilten Wirklichkeitsverständnis entspringt. Um das Ewige, das Zeitlose zu gewinnen, muss das Begrenzte und Zeitgebundene gedanklich überwunden werden, denn in der Überwindung des Begrenzten endet auch jegliche Teilung und Entzweiung – endet auch alle Schuld und Anklage. Das Jüngste Gericht ist nichts anderes als ein Offenbarwerden unserer Entzweiung mit Gott, in dem alle Dinge von jeher eins sind. Eines Tages muss alle Entzweiung enden, eben weil sie begrenzt ist. Genauso wie die Macht einer Lüge endet, wenn die Wahrheit ans Licht kommt, so endet auch alles Begrenzte und Zeitliche, wenn es mit der Wirklichkeit des Zeitlosen und Grenzenlosen in Berührung kommt oder eben damit konfrontiert wird. Das Grenzenlose und Zeitlose ist aber nicht ausschließlich etwas Zukünftiges, denn was zeitlos ist, das gilt schon immer, denn es ist ja ohne Anfang und ohne Ende. Das heißt, es gilt sowohl innerhalb der Zeit als auch darüber hinaus. Daher lehrte Jesus: 

Es kommt die Zeit, ja sie ist schon da, dass die Toten die Stimme des Gottessohnes hören. Wer auf sie hört, wird leben.

Johannes 5, 25

Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Denn sehet, das Reich Gottes ist in euerer Mitte.
Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.

Lukas 17, 22

Insofern beruht das Wesen des Jüngsten Gerichts nicht auf einer Laune, einem Gutdünken oder Abwägen eines Urteils durch eine Richterperson, wie es sich manche Menschen gerne vorstellen, sondern es beruht auf der unausweichlichen Folgerichtigkeit des Geistes, der allem gibt, wonach es bittet und ruft: Wer Gnade und Barmherzigkeit wertschätzt, übt und sie erbittet, empfängt Gnade, wer auf Verurteilung und Vergeltung setzt und sucht, empfängt ein Urteil.

Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.  

Matthäus 5,7

Nicht etwa, dass Gott selbst verurteilen würde – nein, in Gott existiert keine Verdammnis. Aber soweit in uns jener Irrtum herrscht, der uns glauben lässt, durch Teilung und das heißt, durch Rache, Vergeltung und Strafe, könne die Welt oder der Mensch gebessert werden, soweit sind wir nicht in Gott. Sind wir aber nicht eins mit jener Kraft, die ausnahmslos alle Dinge wirkt, können uns die beschwerlichen und leidvollen Dinge auch nicht zum Guten dienen, wie es der Apostel Paulus im Römerbrief darlegt:

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen …

Römer 8, 28

Der Jüngste Tag – die Bestimmung des Menschen

Eine weitere Antwort auf die oben gestellte Frage möchte ich wie folgt geben: Die menschliche Sehnsucht und den Wunsch nach unbegrenztem Leben empfinden wir nicht von ungefähr. Denn intuitiv wissen wir um den ideellen und zeitlosen Kern unseres Daseins. Der Beweis ist unsere Trauer über die Endlichkeit des menschlichen Lebens und die Sehnsucht nach „mehr“. Wir alle tragen eine Ahnung in uns, dass das Ganze „mehr“ ist als die Summe seiner Teile, wie Aristoteles sagte. Und indem wir dieser Sehnsucht folgen, gehen wir unserer wahren Bestimmung entgegen. Diese Ursehnsucht nach Leben gilt es nun, im Sinne Jesu zu deuten, denn er ist gekommen, damit wir unser Leben in einem neuen, größeren und zeitlosen Rahmen verstehen und erkennen, wodurch es mit Geist erfüllt wird. Der Jüngste Tag, wie auch das Jüngste Gericht, ist nichts anderes, als die Erfüllung unserer Sehnsucht nach Leben und Geist – allerdings in einem unbegrenzten, ungeteilten und bedingungslosen Sinne. Da jegliche Beschränkung, Teilung und Trennung des Lebens durch Unrecht, Irrtum, Krankheit, Schwäche, Leid und Tod zeitlich bedingt ist, wird sie mit der Zeit enden müssen. Soweit wir unser Leben in einem rein zeitlichen Sinne verstehen, sind wir sterblich und daher müssen wir am Jüngsten Tag enttäuscht werden, wenn alles Begrenzte endet. Die Enttäuschung darüber, dass das, was wir für das Leben hielten, etwas gänzlich anderes ist, werden wir als Gericht empfinden.

Wir können und werden nur sein, was wir von Herzen lieben. Nicht weniger und nicht mehr.

Da in Gott kein Gegenteil und insofern auch kein Unwille existiert, werden wir an jenem Tag nur das empfangen können, was wir hier von ganzem Herzen lieben, wertschätzen und wollen. Soweit unsere Hoffnung, unsere Liebe und Wertschätzung auf etwas gerichtet ist, das eines Tages endet, wird dieser „Gegenstand“ ein Ende finden müssen. Der Jüngste Tag ist der Anbruch eines zeitlosen und unbegrenzten Lebensverständnisses in uns. Ein Leben, zu dem wir, durch seine Botschaft, bereits hier in dieser Welt finden sollen. Denn nur dieses Verständnis wird sich am Jüngsten Tag als ein gültiges und tragfähiges bewahrheiten – dann, wenn alles Zeitgebundene endet. Verstehen wir unser Leben im Geist Jesu, gewinnt unser Leben diesen Zustand der Zeitlosigkeit. Dieser Zustand wird uns einst, wenn das Zeitliche endet, über alles Zeitliche erheben und tragen, so wie die Arche in den Zeiten Noahs.

Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

Johannes 5, 24

Jüngster Tag und Jüngstes Gericht in den Gleichnissen Jesu

In vielen Gleichnissen thematisiert Jesus das Wesen des Jüngsten Gerichts. Dabei beleuchtet jedes Gleichnis auf seine eigene, besondere Weise das Prinzip der Teilung und Trennung, das wir in uns tragen und wie es uns am Jüngsten Tag daran hindern wird, in ein neues, geeintes Leben einzugehen. Denn neues, unvergängliches Leben kann nur empfangen, wer das ungeteilte Prinzip des Lebens in sich trägt und verkörpert. Selbstverständlich transportieren die im Folgenden beschriebenen vier Gleichnisse noch weitaus mehr Inhalte. Hier beleuchte ich jeweils nur die Schlusssequenzen, in denen Jesus die unfreiwillige und schmerzhafte Trennung, Enttäuschung und Entzweiung und die Empfindung des Zurückgesetztwerdens thematisiert. Jedes einzelne Szenario vermittelt ein Gefühl für den Anbruch des Gottesreiches und kann damit auch als eine Beschreibung der „Umstände“ am Jüngsten Tag bzw. am Jüngsten Gericht betrachtet werden.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn
(Lukas 15,11–32)

Göttliches und menschliches Privilegverständnis

Am Schluss des Gleichnisses vom verlorenen Sohn lässt der Vater für den heimgekehrten jüngeren Sohn, der sein väterliches Erbe auf unredliche Weise durchgebracht hat, ein Fest ausrichten. Der ältere Sohn ist fassungslos und entzweit sich mit dem Vater über dessen großmütige Geste. Sein Unwille ist so groß, dass er sich weigert, am Fest teilzunehmen. Das Gleichnis zeigt, wie ein Leben in vermeintlicher Tadellosigkeit und Privilegdenken uns das Ziel verfehlen lässt. Nicht der Vater (Gott) ist es, der den älteren Bruder ausschließt, sondern der ältere Sohn verweigert sich selbst der Einheit mit dem Vater (Gott) und dem Bruder (Sohn).

Das Gleichnis von den zehn Brautjungfern (Matthäus 5, 1-13)

Die Wertschätzung des Unentbehrlichen – zur richtigen und zur falschen Zeit

In diesem Gleichnis geht es um den Erwerb der Grundlage des Lichtes, das hier als ein Sinnbild für ein Leben aus dem Geist steht. Die Metapher hier das Lampenöl, das am Tag d.h. während dieses Lebens (zur rechten Zeit) erworben und gewonnen werden soll. In der Schlusssequenz des Gleichnisses schlafen alle zehn Jungfrauen ein, was als Sinnbild für den Tod steht. Bei ihrem Wiedererwachen, nämlich der Auferstehung, eröffnet sich für die eine Gruppe die Möglichkeit des unmittelbaren Eintritts zum Hochzeitsfest. Die zweite Gruppe ohne Lampenöl findet eine geteilte Wirklichkeit vor. Die Tür zum Fest öffnet sich zwar für alle, aber nicht alle können daran teilnehmen. Dabei liegt die Bedingung zur Teilnahme am Fest nicht in der Einladung begründet, sondern in einer fehlenden Voraussetzung der zweiten Gruppe, nämlich dass jeder sein Licht zur Feier mitbringt. Licht ist hier die Voraussetzung für die Durchführung der nächtlichen Feier. Der Mangel an Lampenöl wird von der zweiten Gruppe schmerzlich empfunden, weshalb sie sich mitten in der Nacht (zur falschen Zeit) aufmacht, um Öl zu erwerben. Doch wird ihnen bei ihrer Rückkehr kein Einlass mehr gewährt, da der Bräutigam die Gesellschaft für vollständig erklärt.

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20, 1-16)

Aufwertung und Abwertung durch unerwartete Wertschätzung

Bei diesem Gleichnis empfinden die ersten gedungenen Arbeiter, die bereits frühmorgens mit der Arbeit begonnen haben, eine Ungleichbehandlung gegenüber jenen Arbeitern, die nach und nach während des Tages gedungen wurden und später hinzukamen. Der Weinbergsbesitzer hält sich an seine Zusage, einen angemessenen Tageslohn zu bezahlen. Aber bei den Arbeitern, die den vollen Tag gearbeitet haben, löst es Verärgerung aus, als bei der Auszahlung auch diejenigen, die viel später hinzugekommen sind, den vollen Tageslohn erhalten. Auch hier liegt die Ursache für den Verdruss der Ersten nicht in einer böswilligen Zurücksetzung durch den Weinbergsbesitzer – im Gegenteil, die Auszahlung ist insgesamt großzügig. Aber die Erwartung der Ersten, es müsse ihnen mehr zustehen, lässt ihre Bezahlung plötzlich minderwertig erscheinen, wodurch sie ihren Lohn selbst entwerten. Auch hier ist es das Privilegdenken der Ersten, wodurch sie sich am Ende zurückgesetzt fühlen.

Das Gleichnis von der Rangordnung der Gäste (Lukas 14, 7-14)

Zurücksetzung durch Hochmut – Ehrung durch Demut

Nach Beobachtung der Gäste und Gastgeber bei einem Hochzeitsfest, zu dem Jesus selbst eingeladen war, zieht er Parallelen zum Wesen des Gottesreiches. In diesem Gleichnis thematisiert er die Situation, in der Gäste sich selbst nahe beim Gastgeber platzieren, ihnen dann aber gesagt werden muss, dass dieser Platz für einen anderen Gast reserviert sei, sodass sie unter den Augen der Öffentlichkeit einen entfernteren Platz an der Tafel einnehmen müssen. Jesus beschreibt hier das Szenario einer Zurücksetzung und Demütigung unter den Augen der Öffentlichkeit. Auch hier ist es die hohe Meinung, die man von sich selbst hat, die an jenem Tag offenbar wird, wodurch man sich dann peinlich zurückgesetzt fühlt. Dabei darf die „Zurücksetzung“ nicht als ein Akt der Bestrafung missdeutet werden. Vielmehr folgt sie aus der Notwendigkeit der Organisation des Gastgebers. Jesus ruft daher zu Demut und aufrichtiger Selbsteinschätzung auf, damit der Jüngste Tag nicht als ein Tag der Zurücksetzung empfunden wird, sondern als ein Tag des Aufrückens, hin zum Zentrum des Festgeschehens – hin zu Gott.

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Einst
Was jenseits allen Sinnes
Als die Zeit noch reichlich
Unzeit-Unort
Welt der Gnade

Titelbild: Aus drei Bildern generiert durch Midjourney, gefügt und bearbeitet mit Adobe-Photoshop.

Die Theodizee-Frage

Warum lässt Gott das Leid in der Welt zu? Dieser Beitrag gibt Antworten auf die sogenannte Theodizee-Frage, und zwar im direkten Bezug zu den Aussagen der Botschaft Jesu. Wer den Ausführungen unvoreingenommen folgt, dem wird sich eine neue Sichtweise auf Beschwerliches, Leidvolles und Ungerechtes eröffnen.

Warum Gott das Leid auf der Welt zulässt
English Version

Vielen Menschen fällt es schwer an die Existenz eines guten Gottes zu glauben, da die Welt augenscheinlich alles andere als gut ist. Wenn tatsächlich ein Gott die Welt erschaffen hat, und wenn dieser Gott gut, allwissend oder sogar allmächtig ist, weshalb geschieht dann so viel Böses und Ungerechtes in der Welt? Weshalb greift ein allmächtiger Gott nicht ein und bringt seine Schöpfung in Ordnung? Ist Gott doch nicht allmächtig oder ist er am Ende gar ein Sadist, der die Menschen leiden und sterben sehen will? So oder ähnlich lauten die Argumente, die gegen einen Glauben an Gott, oder zumindest an einen guten Gott sprechen.

Man nennt die Auseinandersetzung mit der Frage, warum Gott das Leid in der Welt zulässt, auch die Theodizee-Frage. Der Begriff Theodizee kommt aus dem Griechischen theodikía von altgriechisch theós = Gott und díkē = Gerechtigkeit. Es geht also um die Frage, inwieweit man Gott, angesichts der Ungerechtigkeit in der Welt überhaupt als gerecht betrachten kann. Oder anders gesagt, es geht um den Versuch, Gottes Handeln zu rechtfertigen.

Der folgende Beitrag gibt Antworten auf die Frage, warum Gott das Leid in der Welt nicht verhindert, und zwar im direkten Bezug zu den Aussagen der Botschaft Jesu. Wer den Ausführungen unvoreingenommen folgt, dem wird sich eine neue Sichtweise auf Beschwerliches, Leidvolles und Ungerechtes eröffnen. Und wer sich diese Sichtweise zu eigen macht, wird sein Leben neu überdenken und anders verstehen können als bisher.

Tatsächlich ist eine befriedigende Antwort auf die Frage, wozu Gott das Leid in der Welt zulässt, ausschließlich auf Basis der Lehre und der Passion Jesu möglich. Keine andere Lehre gibt diese Antwort so schlüssig und überzeugend wie Jesus es tut. Finden wir zum tiefen Sinn der Lehre und der Passion Jesu, so finden wir damit auch zu einer grundlegenden Beantwortung dieser Frage. Die Beantwortung erfolgt dann allerdings nicht mehr nach einem Glaubensgrundsatz oder Dogma, sondern durch eine ganz persönliche Einsicht in die Richtigkeit der Lehre Jesu. Sie erfolgt insofern, als ihre Aussagen für schlüssig, richtig und glaubwürdig erkannt werden.

Eine Botschaft der Erlösung

Tatsächlich ist Jesus von Nazareth der erste und der einzige Lehrer, der das Problem der Theodizee sowohl in seiner Botschaft als auch in seiner Handlungsweise unmittelbar berührt. Als Erlöser kann Jesus insofern gelten, als er dieses Problem nicht nur verbal, sondern auch körperlich berührt und es in seiner Passion auf unerhörte und erschütternde Weise löst. Ob die Heilung Kranker, seine Predigt vom Reich Gottes oder aber die bereitwillige Annahme seiner Passion – alles ist Ausdruck einer Mission, die nur ein Ziel hat; nämlich das Leid der Welt durch den Geist zu überwinden. Dabei ist die Erlösung, die er den Menschen überbringt, nichts Fernes, Jenseitiges oder Zukünftiges, sondern sie geschieht unmittelbar heute, hier und jetzt, wie er sagt:

Jesus sprach: Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen und sollte er’s bei ihnen lange hinauszögern? Ich sage euch, er wird ihnen Recht schaffen, unverzüglich.

Lukas 18, 7-8

Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Amen, amen, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören; und die sie hören werden, die werden leben.

Johannes 5, 24-25

Die Erlösung beruht darauf, dass Jesus in seiner Lehre eine Geisteshaltung vermittelt, durch die wir, wo wir sie annehmen, mit unserem Leben wieder versöhnt werden. Dabei ist die Versöhnung mit unserem Leben die Versöhnung mit Gott selbst. Programmatisch ist hier sein Aufruf:

Ändert euren Sinn, denn das Reich Gottes ist jetzt ganz nah bei euch.

Matthäus 3,2

Das heißt: Denkt um! Seid bereit, die Einstellung eurem Leben gegenüber grundlegend zu ändern. Lasst euch von der Botschaft vom Reich Gottes berühren.

Ein universelles, allumfassendes Gottesbild

Zunächst muss man verstehen, dass Jesus in seiner Lehre ein universelles Gottesbild vermittelt. Nur auf Basis eines Gottesbildes, das alle Geschehnisse umfasst, ist eine befriedigende Beantwortung der Theodizee-Frage überhaupt möglich. Das Gottesbild Jesu ist frei von negativer, menschlicher Launenhaftigkeit, wie man das in den Gott des Alten Testaments hineininterpretieren konnte, der dort auch als ein hassender und eifernder Gott beschrieben wird. Gott erweist sich in der Botschaft Jesu als ein treuer und liebender Vater. In seinem Sohn macht er uns zu Gotteskindern und setzt seine ganze Leidenschaft daran, das verlorene Vertrauen des Menschen wiederzugewinnen. Vertrauen heißt, die Gewissheit zu erlangen, dass Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt und uns somit alle Geschehnisse zum Besten dienen:

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind.

Römer 8, 28

Allumfassend ist das Gottesbild Jesu insofern, als es unsere Begegnungen mit Freund und Feind, Freude und Leid, Schwäche und Stärke, Leben und Sterben, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit usw. als gleichbedeutend betrachtet. Das heißt, Jesus verwirft das menschlich Mangelhafte nicht mehr, sondern er verleiht ihm in seiner Botschaft eine essenzielle Bedeutung.
Das ist der neue, der außergewöhnliche und universelle Kern seiner Botschaft, dass auch das Ungeliebte unsere Liebe erfahren muss, wenn wir vollkommen sein wollen, wie er sagt:

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.« Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr nur liebt, die auch euch lieben, welchen Lohn wollt ihr dafür erhalten? Tun nicht dasselbe auch die Steuereintreiber? Und wenn ihr euch nur gegenüber euren Brüdern freundlich verhaltet, was tut ihr Außergewöhnliches? Tun die Steuereintreiber nicht dasselbe? Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Matthäus 5, 43-48

Man beachte den Schlusssatz, in dem Jesus das Wesen Gottes als vollkommen bezeichnet. Vollkommen ist, was „vollständig“ ist, also etwas, das alle Dinge ohne Unterschied umfasst und nichts ausschließt.

Gott ist vollkommen, weil er auch das Gegenteilige, nämlich den Feind, das Böse, das Leidvolle, das Ungerechte in sich einzuschließen vermag, ohne dadurch seine Existenz zu gefährden oder zu verlieren. Gott erfährt in allen Dingen eine Förderung seiner selbst, da außer Gott nichts ist.

Nur ein allumfassender und universeller Gott vermag alle Dinge zu lieben, da er durch niemanden und durch nichts behindert, verletzt oder zerstört werden kann, sondern in allen Dingen Förderung erfährt.

Christus überwindet die Dualität

Wenn wir es realistisch bedenken, dann müssen wir zugeben, dass unsere menschliche Existenz auf dieser Welt ohne das Gegenteilige gar nicht möglich wäre: Ohne Tod kein Leben, ohne Schlaf kein Wachsein, ohne Dunkelheit kein Licht usw. Die ganze Wahrheit ist unteilbar: Gäbe es nur Licht, würden wir das Licht nicht als solches empfinden. Auf unser menschliches Leben bezogen heißt das: Unser eigenes Leben kann im Sinne Jesu nur vollkommen werden, wenn wir ausnahmslos alle Dinge in unser Leben einschließen: Krankheit, Schwäche, Feindschaft, Ungerechtigkeit, Scheitern, Sterben, Leid und Tod.

Überwindung des Bösen bedeutet im Sinne Jesu, den Widerspruch der Dualität, den das Leidvolle und Beschwerliche für uns darstellt, gedanklich zu überwinden.

Alle diese negativen Erscheinungen sind wesentliche Bestandteile unserer menschlichen Wirklichkeit und aus diesem Grund sollen wir sie lieben und sehnsuchtsvoll nach ihrer Bedeutung für uns suchen. Diese Suche nach Sinn und Bedeutung des Sinn- und Bedeutungslosen ist die einzige relevante Suche überhaupt, da das Gesuchte (Gott/Geist/Sinn) genauso sehnsüchtig von uns gefunden werden will – weil Geist ebenso nach uns sucht, wie wir nach Geist (Geist/Sinn) suchen.

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Matthäus 7,7

Lieben bedeutet hier nicht, dass wir diese Dinge an sich fördern und gut finden sollen, sondern es bedeutet, dass wir sie vertrauensvoll und bereitwillig auf uns nehmen sollen, wenn wir ihnen begegnen oder ihnen ausgeliefert sind. Denn nur durch unser vertrauensvolles und bereitwilliges Annehmen kann das bisher Gehasste und Ungeliebte Sinn und Bedeutung und somit eine tiefgreifende Wandlung erfahren.

Da sprach er zu ihnen allen: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.

Lukas 9, 23-24

Ein individuelles Gottesbild – Das Objektive im Subjektiven

Auch wenn man sagen kann, dass das christliche Gottesbild ein allumfassendes und universelles ist, so beantwortet Jesus die Theodizee-Frage dennoch rein subjektiv und individuell. Das heißt, er beantwortet die Frage nach dem Leid der Welt nicht in einem politischen oder kollektiven Sinn, denn ihre Beantwortung hängt ab vom individuellen „Glauben“ – sie hängt ab von der persönlichen Einsicht und Einwilligung jedes Einzelnen in seine Botschaft.
Seine ganz persönliche Antwort auf das Leid der Welt hat uns Jesus in seiner Passion gegeben und diese Antwort gibt er jedem Einzelnen, der sie für wahr hält, glaubt und der gewillt ist, sie anzunehmen. Seine Antwort lautet:

Unrecht, Leid und Tod können für uns nur dort einen Bedeutungswandel erfahren, wo wir sie in der Gewissheit, dass allen Geschehnissen ein verborgener Sinn und eine Bedeutung innewohnt, auf uns nehmen und tragen.

Jesus willigte ein in seine Passion, weil er über die geistige Fähigkeit verfügte, auch im Wirken seiner Feinde den Willen Gottes zu erkennen:

Und ging hin ein Stück, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst.

Matthäus 26, 39

Gewissermaßen „macht“ Jesus, durch diese Einwilligung in seine Passion, Gott zur Ursache von Unrecht, Leid und Tod. Gott wiederum, der seinem Prinzip nach vollkommen ist und insofern Ursache aller Dinge sein muss, wird durch die vertrauensvolle Einwilligung des Sohnes unversehens zum Urheber von etwas, das er seinem Wesen nach nicht ist. Denn Gott ist das Sein selbst und er ist die Ursache des Lebens an sich und dieses Prinzip ist ungeteilt, das heißt, es ist ohne Alternative oder Gegenpart.

Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet; und jede Stadt oder jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, wird nicht bestehen.

Matthäus 12, 25

Gott ist das Leben selbst und es existiert in ihm kein Widerspruch, insofern ist es unmöglich, dass in Gott gleichzeitig die Ursache von Unrecht, Leid und Tod liegen können. Daher müssen diese Bereiche einen Bedeutungswandel erfahren, wenn sie auf Gott treffen. Ebendiesen Bedeutungswandel haben sie dadurch erfahren, dass Jesus sie vertrauensvoll aus der Hand Gottes entgegengenommen hat, wodurch er sie mit Gott in Berührung brachte und sie so mit Geist, Sinn und Bedeutung erfüllte.
Hierin liegt die tiefe Bedeutung der Aussage: Jesus hat für uns gelitten und ist für uns gestorben. Jesus wusste, dass jenes Leid, das ein Mensch im Vertrauen auf Gott auf sich nimmt, seine Sinnlosigkeit verlieren muss, ja, dass es nur auf diese Weise zu einem neuen und höheren Sinn finden kann.

Gott, der verborgene Sinn im Sinnlosen

»Gott ist Geist«, so lautet die Definition Jesu. (Joh 4,24) Aber was heißt das? Es besagt, dass nur der Geist es vermag, allen Dingen einen Sinn und eine Bedeutung zu verleihen, insbesondere aber den augenscheinlich Geist- und Sinnlosen. Hinsichtlich der Beantwortung der Theodizee-Frage bedeutet dies, dass das Geistlose, das wir im Vertrauen in den Geist (auf Gott) auf uns nehmen, von Geist und Sinn durchdrungen wird, wodurch es unmittelbar zu Gott wird. Das ist das göttliche Prinzip der Sinnerfüllung.

Umgekehrt gilt: Geschehnisse, die wir aus Misstrauen gegen Gott (gegen das Leben) als unannehmbar ablehnen, müssen sinnlos bleiben, da wir die Macht des Geistes ausschließen, der alles mit Sinn erfüllt, was sich mit Sinn erfüllen lässt. Mächtig sind wir also dort, wo wir uns in der Lage sehen, Gott in ausnahmslos allen Dingen zu erkennen, die uns anhaften oder begegnen. Ohnmächtig hingegen sind wir, wo wir seine Macht und Gegenwart kategorisch ausschließen. Dieses geistige Prinzip hat Jesus seinen Jüngern vor seiner Gefangennahme verdeutlicht:

Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wieder nehme. Niemand nimmt es gegen meinen Willen, sondern ich lasse es freiwillig. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zunehmen. Dieses Gesetz habe ich von meinem Vater empfangen.

Johannes 10, 17-18

Die Passion Jesu – Vakuum des Geistes

Zur Verdeutlichung der Wirkungsweise des Geistes im Kontext der Beantwortung der Theodizee-Frage folgendes Gleichnis:

Unter einem Vakuum versteht man den Unterdruck von Luft/Gas innerhalb eines Raumes/Gefäßes. Ein Vakuum kann immer nur so groß sein, wie es die Stabilität des Gefäßes zulässt, in dem das Vakuum erzeugt wird. Ist der Unterdruck zu groß, nimmt das Gefäß Schaden und es folgt der Druckausgleich als Notwendigkeit. Bezeichnenderweise existieren sowohl in der hebräischen als auch in der griechischen Sprache Entsprechungen der Begriffe Geist und Luft. So der Begriff „ruach“ = Luft, Geist, Wind, Atem, Duft im Hebräischen und der Begriff „pneuma“ = Geist, Hauch, Luft, Atem im Altgriechischen. In ebendiesen beiden Sprachen sind uns die Urtexte der heutigen Bibel überliefert.

Anknüpfend an das Beispiel vom Luftvakuum, kann man den Gedanken der Theodizee sinnbildlich auf das Geistige übertragen und sagen: Jesus hat in seiner Lehre und in seiner Passion ein Vakuum des Geistes (Gottes) erzeugt, das dieser ausfüllte, als das Gefäß zerbrach. Oder anders gesagt, die Abwesenheit von Geist und Sinn in einer sinnlosen Situation „nötigt“ den Geist herbei, sofern man um das Gesetz des geistigen Vakuums weiß, nämlich dass der Druckausgleich spätestens dann erfolgen muss, wenn das Gefäß zerbricht. Der neue atmosphärische Druck ist dann der neue normale – „außerhalb“ des alten Gefäßes in einem „größeren“ Raum. Der „größere“ Raum kann hier als ein Sinnbild für das Transzendente und Neue gelten, das über das Kleine und Alte hinausweist. Aber er ist auch ein Sinnbild für eine neue Normalität, eine neue Schöpfung:

In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, dann hätte ich nicht zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass ihr seid, wo ich bin.

Johannes 14, 2-3

In seiner Passion begibt sich Jesus bewusst in den Zustand eines geistigen Vakuums, nämlich in einen Zustand der Abwesenheit Gottes – einen Zustand der Geistlosigkeit, damit dieser mit Geist erfüllt werden kann.

Denn für denjenigen, der in allen Geschehnissen Gottes Willen und seine Gegenwart erkennt, kann ein Zustand der Abwesenheit Gottes nicht mehr existieren.

Der Tod ist ein Zustand der Abwesenheit Gottes. Doch Gott durchdringt und erfüllt alle Dinge, die sich von ihm erfüllen lassen. Gott ist alles in allem und darum „muss“ Gott solch einen Zustand der Gott – und Geistlosigkeit ausfüllen, und zwar durch und mit sich selbst, andernfalls wäre er nicht Gott. Jesus wusste um diese Gesetzmäßigkeit, daher schließt er mit den Worten:

Dieses Gesetz habe ich empfangen von meinem Vater. 

Joh 10, 17-18

Die Überwindung des äußeren Bösen

Gott steht dem Bösen keineswegs ohnmächtig gegenüber, sondern er sucht in Jesus Christus bewusst die Berührung und die Konfrontation mit dem Bösen, um es zu überwinden und das heißt, um es gut – um es zu Gott zu machen. Nur das, was durch den Geist überwunden ist, das ist wirklich „gut“ geworden. Und all das, was von Gott „berührt“ wird, das wird selbst zu Gott.

Jesus Christus ist die unmittelbare Berührung Gottes mit dem Leid der Welt.

Das Böse hingegen ist das, was sich von Gott nicht berühren lassen will, und insofern muss es für uns geistlos und sinnlos bleiben. Geist- und sinnlos sind die Geschehnisse jedoch nicht an sich, sondern sie sind es hinsichtlich unserer inneren Abwehr und unseres Unwillens. So bewertet Jesus das Böse, das ihm selbst widerfährt, nicht abschließend als böse, sondern er versteht es als etwas, das durch seine vertrauensvolle Haltung einen Sinn erfährt, wodurch es überwunden ist. Denn was durch den Geist überwunden wird, das ist unverhofft zu etwas Gutem geworden. Ebendiese Ursächlichkeit erklärt Jesus angesichts seiner bevorstehenden Passion:

Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand unter euch fragt mich: Wo gehst du hin? Sondern weil ich solches geredet habe, ist euer Herz voller Trauer geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn wenn ich nicht hingehen, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.

Johannes 16, 5-7

Man beachte die grundlegende Aussage Jesu: „Es ist euch gut, dass ich hingehe …“ Aber wie kann in Verrat, Unrecht, Folter, Hinrichtung und Sterben eines Menschen etwas Gutes liegen? Wie konnte Jesus dem grauenvollen Geschehen, das ihm bevorstand, etwas Gutes abgewinnen?  Die Antwort gibt er selbst: „Denn wenn ich nicht hingehen, so kommt der Tröster nicht zu euch …“ Was bedeutet das? Durch die Aufopferung Jesu wird ein neues geistiges Bewusstsein entstehen, das daraufhin allen Menschen zur Verfügung steht, die in menschlichen Notsituationen nach geistigem Trost suchen.

Gewissermaßen wird Gott durch die bereitwillige Passion Jesu zu einer neuen Schöpfung genötigt. Es ist das Vertrauen Jesu in die Allmacht Gottes und es ist die unerschütterliche Liebe, in der Jesus sich hingibt, die Gott seinerseits zu einer neuen Schöpfung „nötigt“. So ist durch die Passion Jesu ein neuer Mensch erschaffen worden. Und dieser neue Mensch ist Christus, der Überwinder. Christus verleiht allen, die sehnsüchtig suchen, diese, seine neue Identität und wer sie annimmt, nimmt die Gestalt des Gottessohnes an – wird selbst zu einem Kind (Sohn) Gottes.

Darum, ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!

2. Korinther 5,17

In Jesus Christus zeigt Gott unmittelbar auf, wie er das Böse überwinden würde, wenn er Mensch wäre. Da Gott nicht Mensch ist, musste er Mensch werden, damit wir Menschen dieses Prinzip der Überwindung des Bösen erfahren können. In Jesus Christus wird Gott Mensch und konfrontiert sich selbst mit dem Bösen, indem er es auf sich nimmt, um es mit Geist und Sinn zu erfüllen:

Es ist euch gut, dass ich hingehe …

Johannes 16, 7

Der verborgene Sinn im bisher Sinnlosen verleiht allem sinnlosen Geschehen Sinn und Bedeutung. Alles Geistlose und Sinnlose, das auf diese Weise durch Gott (Geist) erfüllt wird, muss nun gut werden. Und so wie Jesus um Sinn und Bedeutung seines eigenen Leidens und Sterbens wusste, sollen auch wir auf den Sinn unseres eigenen Leides vertrauen. Denn durch seine bereitwillige Hingabe am Kreuz, sollte deutlich werden, dass dieser Sinn jetzt überall dort einkehren wird, wo wir ihn vertrauensvoll suchen.

Deshalb nahm Jesus Unrecht, Leid und Tod auf sich, damit nun auch wir darauf vertrauen können, dass der Sinn in allen Geschehnissen innewohnen will, wo wir ihn ersehnen und einlassen. In Wahrheit, wohnt der Sinn von jeher in allen Geschehnissen, da ohne Gott (Geist und Sinn) nichts sein kann und der Geist alles durchdringt und mit Leben erfüllt. Jegliche Existenz, alles Leben hängt am Sinn. Doch solange wir dies nicht glauben wollen, haben wir keinen Anteil an einem Leben jenseits der Geistlosigkeit und des Unsinns in der Welt.

Alles,
was zum Leben kommen will, das muss einen allumfassenden, hintergründigen Sinn erfahren.

Alles vormals Niedere, welches Geist und Sinn empfangen hat, das ist auch lebendig geworden. Dies ist das universelle Schöpfungsprinzip, dass Gott aus Nichts etwas erschafft. Das Sinnlose, Geistlose, Niedrige, Schmutzige, Schmachvolle, Verwerfliche und Verdammte – das ist von jeher der „Stoff“ aus dem Gott neues Leben erschafft.

Da machte JHWH der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.

Genesis 2,7

Die Überwindung des inneren Bösen

Wer die Botschaft Jesu verinnerlicht, wird anfangen, die Welt in einem neuen Licht zu betrachten. Das, was wir bisher abschließend als das Böse oder das Schlechte bezeichneten, hört im Sinne Jesu auf böse und schlecht sein.
Denken wir dabei nur einmal an eigene beschwerliche, peinliche oder auch gefährliche Situationen und Erfahrungen, durch die wir grundlegend gereift sind oder durch die wir etwas Wichtiges erkannt oder gelernt haben, etwas, das wir im Nachhinein nicht mehr missen möchten. Unsere menschlichen Bewertungen und Festlegungen in Gut und Böse sind also keineswegs so ultimativ, und eindeutig wahr, wie wir oft meinen. Meist sind sie zeitbedingt und erscheinen uns mit zeitlichem Abstand bereits verändert und manchmal dann sogar gegenteilig. Wie oben erklärt, fordert uns Jesus dazu auf, dem Feindlichen, Bösen und Schlechten gegenüber, eine neue, veränderte Haltung einzunehmen, indem wir es nach Gottes Willen an und auf uns nehmen sollen. Aber dies gilt nicht nur für das Böse, das uns von außen begegnet, sondern insbesondere auch für das Böse, das uns aus unserem Innern droht, also das Böse, das uns selbst anhaftet.
Die Theodizee-Frage, warum Gott das Böse in der Welt zulässt, muss also erweitert werden auf das Innere des Menschen. Denn der Ursprung jenes Bösen, das Menschen einander immer wieder antun, liegt nicht irgendwo außerhalb, sondern er liegt vielmehr in uns selbst. Dieses innere Böse wird auch als die Ursünde des Menschen bezeichnet. Unter dieser Ursünde versteht man alle menschlichen Schwächen, wie Irrtum, Ungerechtigkeit, Hass, Neid, Missgunst, Rachsucht, Niedertracht, Unbarmherzigkeit etc.

Auch unsere eigene menschliche Schwäche und Mangelhaftigkeit soll nun, der Lehre Jesu nach, einen tiefen Sinn und eine Bedeutung finden können.

Doch welcher Sinn könnte in unserer menschlichen Schwäche und in unserer Fehlbarkeit liegen? Die Antwort Jesu ist schlicht:
Der Mensch soll Vergebung und Barmherzigkeit üben, er soll gnädig mit den Fehlern seiner Mitmenschen verfahren, eben weil er selbst der Vergebung, der Barmherzigkeit und der Gnade bedarf:

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Matthäus 5,7

Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch messen.Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, und bemerkst nicht den Balken in deinem eigenen Auge? Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und dabei, ist ein Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

Matthäus 7, 1-5

Wenn unser Antrieb Gnade, Vergebung und Barmherzigkeit zu üben, aus der Einsicht in die eigene Fehlbarkeit rührt, so kommt unserer menschlichen Unvollkommenheit plötzlich ein Sinn und eine tiefe Bedeutung zu.

Damit wir fähig werden, anderen Menschen Schuld zu vergeben, müssen wir selbst einsehen und anerkennen, schuldig zu sein. Das heißt, wir müssen bereit werden, Selbsterkenntnis zu üben. Und hierin liegt der tiefe Sinn unserer menschlichen Fehlbarkeit begründet. Was Sinn gefunden hat, das hat Geist gefunden und was Geist gefunden hat, das hat Gott gefunden. Was Gott gefunden hat, das hat aufgehört, gottlos zu sein. Und was aufgehört hat, gottlos zu sein, das hat aufgehört, unser Schaden und das heißt, es hat aufgehört, Sünde zu sein. Auf dieser Ursächlichkeit beruht die Lehre Jesu von der grundlegenden Vergebung unserer Schuld durch Gott. Unsere Schuld ist insoweit grundlegend vergeben, als wir selbst bereit werden, denen zu vergeben, die sich an uns schuldig machen, eben weil wir um unsere eigene Fehlbarkeit wissen.

Und vergib uns unsere Schuld, wie wir auch denen vergeben, die an uns schuldig werden.

Mat 6, 12

Denn wenn ihr den Menschen ihre Fehler vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben, wenn ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.

Mat 6, 14-15

Auferstehung zu neuem Leben

Im Gleichnis vom Weizenkorn verdeutlicht Jesus Sinn und Bedeutung seiner eigenen Passion. Hier legt er sinnbildlich dar, dass alles menschliche Sterben in dieser Welt einen Sinn und eine Bedeutung erfahren muss, genauso wie dem Sterben in der Natur von jeher Sinn und Bedeutung zukommt.

Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde hinabfällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Johannes 12, 24

Nur soweit auch unser Sterben eine Notwendigkeit erfährt, kann unser Leben eine grundlegende Förderung erfahren. Und diese Förderung besteht darin, dass es einem neuen, transzendenten Lebensverständnis dient. Jesus beantwortet also auch hier die Frage, wozu Gott das Leid in der Welt zulässt, indem er jeglichem Sterben in dieser Welt eine grundlegende Bedeutung zuschreibt. Dabei steht und fällt die Bedeutung von Tod und Sterben mit dem Wissen um das Transzendente – um das, was über das Zeitliche und Vordergründige hinausweist:

wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Johannes 12, 24

Genauso wie es uns die Vorgänge in der Natur lehren, so soll, der Lehre Jesu nach, jedes Opfer und jede bereitwillige Hingabe dem Werden neuen, größeren Lebens dienen. Ob wir selbst an solchem neuen Leben teilhaben, hängt am Vertrauen, das uns fähig macht, altes Leben im Sinne Jesu bereitwillig hinzugeben und zu lassen. Denn lassen müssen wir unser zeitliches Leben ja ohnehin. Doch solange wir die Wirklichkeit unserer Sterblichkeit nicht wahrhaben wollen, solange wir sie negieren und ignorieren und solange wir festhalten wollen, was wir nicht festhalten können, kann unser Sterben auch keinen Sinn erfahren, denn wir stellen uns gegen die Wahrheit unserer Sterblichkeit. Jesus lehrte „wie“ unser Sterben jenen Sinn erfahren kann, damit es Unsterblichkeit erlangt.

Die Überwindung des Todes beruht auf der gefundenen Bedeutung der Umstände unseres Sterbens

Jegliches Loslassen, Verzichten und Sterben, muss um Einsicht in eine unumstößliche Wahrheit geschehen. Das heißt, ebendort, wo unserem äußeren Sterben eine transzendente Bedeutung zukommt, da geschieht unser Sterben nicht mehr vergebens. Jesus hatte in seinem Leiden und Sterben für sich eine Notwendigkeit erkannt, nämlich dass durch seinen Tod ein neues geistiges Bewusstsein geschaffen wird, das allen Menschen zugutekommt, die danach suchen. Sein einzelnes Opfer, sein Leiden und Sterben trug „Frucht“ für viele – für all jene, die nun ihrerseits ihr Leben in seinem Geist hingeben und lassen können, wodurch es ebenfalls Erneuerung durch den Geist erfährt: Das ist das Prinzip der Auferstehung. Die Auferstehung Jesu ist die Auferstehung eines Lebensverständnisses, welches bereits hier und jetzt über das Zeitgebundene und Vordergründige hinausgelangt ist:

Diejenigen, die sagen: „Der Herr ist zuerst gestorben und dann auferstanden“, sind im Irrtum. Denn er ist zuerst auferstanden und dann gestorben. Wenn jemand nicht zuerst die Auferstehung erwirbt, wird er sterben.

Philippusevangelium Spruch 21

Es ist ein zeitloses, ein ewiges Lebensverständnis, das durch keine Sache der Welt geschmälert oder behindert werden kann, sondern das nun durch alle Geschehnisse Förderung erfährt, selbst durch Ungerechtigkeit, Leiden und Sterben, wie es Jesus lehrte:

Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nicht mehr sterben. Glaubst du das?

Joh 11, 25, 26

Christus der Überwinder
Die Auferstehung – Der Isenheimer Altar / Colmar 1512-1516 – Künstler: Matthias Grünewald

Die Theodizee-Frage ist damit keineswegs erschöpfend beantwortet doch dieser Beitrag konnte vielleich einen Eindruck von der gedanklichen Fülle der Botschaft Jesu vermitteln. Auch möchte ich den Leser nicht ermüden. Daher freue ich mich auf kritische Fragen und Kommentare, die ich hier gerne direkt beantworten werden. Und so schließe ich mit den Worten Jesu:

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Johannes 16, 33

Weitere Beiträge auf Christophilos zu dieser Thematik finden Sie unter: Missverstandener Opfertod Jesu und Die Überwindung der Welt sowie meine kritische Rezension zu dem Buch: Abschied vom Opfertod von Meinrad Limbeck

Essenzen – Die Botschaft Jesu

Undogmatisch, zeitlos, universell

Essenzen
Essenzen – Die Botschaft Jesu 360 Seiten

Undogmatisch, konfessionsunabhängig und leicht verständlich, eröffnen die Texte dem Leser eine ungewohnte und hochaktuelle Sicht auf die christlichen Grundaussagen. Während konservative christliche Gemeinschaften über verbindliche Regelwerke debattieren: Abtreibung, Rolle der Frau, Verhütung, Homosexualität, etc., verweise ich hier auf das ursprüngliche Anliegen der Bergpredigt nämlich den Akt aufrichtiger Selbsterkenntnis und Selbsteinsicht. In diesem Kontext fokussiere ich das scheinbar vergessene, jedoch zentrale Fazit Jesu: Angesichts eigener Schwäche und Unvollkommenheit vom Verurteilen anderer frei zu werden um so wieder zurückzufinden, zu einer toleranten und vorurteilsfreien Begegnungskultur und zu einer inneren Einheit.

Die Botschaft Jesu

Dieses Buch bietet eine zeitlose und damit eine hochaktuelle Interpretation der Bergpredigt. Eine tröstliche Botschaft für die Verzweifelten, die Traurigen und Entmutigten – für all jene, die keinen Ausweg wissen in einer Welt höchster Fragwürdigkeit. Aber auch für jene, die auf der Suche nach Antworten sind über den Sinn und Zweck des menschlichen Daseins, nach der Bedeutung menschlicher Schwächen, Ungerechtigkeit, Krankheit und Willkür. Ihnen ist dieses Buch gewidmet.

Metanoia = Ändert euren Sinn!
Die Lehre von der Änderung unserer Sichtweise.

Den beschwerlichen und leidvollen Seiten des menschlichen Dasein setzt Jesus in seiner Bergpredigt die geistige Überwindung von Unrecht, Leid und Tod durch Annahme seiner neuen, universellen Geisteshaltung entgegen und eben darin liegt das tröstliche Element seiner Botschaft. Dabei beruht der Trost, den diese Lehre zu geben vermag, auf einer grundlegenden Sinnesänderung – auf einer neuen Betrachtung und Bewertung unseres Daseins und all dessen, was uns in diesem Leben begegnen oder widerfahren mag. Durch diese neue, vertrauensvolle und zuversichtliche Betrachtungsweise werden wir eins mit dem Urheber aller Wirklichkeit – werden wir eins mit Gott. In dieser Einheit mit Gott liegt das Privileg unseres Daseins im Sinne Jesu.

Gemeinsamkeiten würdigen

Wundern Sie sich nicht, wenn in diesem Buch auch Naturwissenschaftler, Künstler und andere Religionen zu Wort kommen. Dabei soll die Bedeutung der Bergpredigt nicht geschmälert werden. Vielmehr möchte ich verdeutlichen, dass die Aussagen Jesu universell sind und insofern den außerbiblischen Vergleich nicht zu scheuen brauchen. Letztlich vereint dieses Buch Weisheiten aus unterschiedlichen Kulturkreisen zu einem großen, allumfassenden Gedanken, der in der Botschaft Jesu seine Erfüllung findet.

Tun oder Sein?

Handlungen können von außen nicht abschließend bewertet werden, denn es ist immer die persönliche innere Haltung, die die Qualität menschlichen Tun und Handelns ausmacht. In diesem Sinne ist dieses Buch vor allem ein Plädoyer für menschliche Unvollkommenheit und ein Ruf nach weniger Schein und mehr Sein. In diesem Zusammenhang findet sich beispielsweise das Postulat der jüdisch-französischen Mystikerin Simone Weil:

„Das Handeln ist der Zeiger der Waage. Man soll nicht an den Zeiger rühren, sondern die Gewichte verändern“. Simone Weil

Dieser Aspekt ist eigentlich gar nicht neu, und doch scheint es, als sei er in den christlichen Traditionen irgendwie in Vergessenheit geraten. Immerhin wiesen schon der christliche Mystiker Meister Eckhart und auch Martin Luther diesen Gedanken als urchristlich aus. Eine Irrlehre, wie die damalige Amtskirche befand, und beide Theologen dafür offiziell abstrafte.

Die Hardcoverausgabe 360 Seiten ist hier auf dieser Seite erhältlich.

Die revidierte Auflage als E-book erscheint in Kürze auf Amazon.

Inhaltsverzeichnis und Leseprobe (60 Seiten) zum kostenfreien Herunterladen hier:

Leseproben:

Abschied vom Opfertod

Der katholische Theologe Dr. Meinrad Limbeck 1934-2021 trennt in seinem Buch die Predigt Jesu vom Reich Gottes kategorisch von seiner Passion, wodurch notwendigerweise auch der transzendente Gedanke entfällt.

Eine Rezension zum Buch „Abschied vom Opfertod – Das Christentum neu denken“ erschienen 2012 im Matthias-Grünewald- Verlag Ostfildern

Eine Theologie ohne Transzendenz

Der Autor Dr. Meinrad Limbeck bricht mit der urchristlichen Glaubensvorstellung, die in der Ablehnung, Verurteilung und Hinrichtung Jesu einen göttlichen Willen sieht. Dass Jesus seine Hinrichtung am Kreuz bewusst selbst verursacht und gewollt haben könnte, verneint er. Zur Untermauerung seiner These stellt er eine Vielzahl biblischer Bezüge her. Er vernachlässigt dabei jedoch, die zentrale Aussage der Evangelien, nach der Jesus seinen Leidensweg selbst für notwendig und für unumgänglich erachtete. Auch übersieht der Autor die bewusste Einwilligung Jesu in den Willen Gottes, den er in seiner Passion (für sich) so erkannt hatte. Dass diese Überzeugung Jesus letzlich dazu befähigte, selbst Unrecht, Leid und Tod auf sich zu nehmen, um diese Bereiche geistig zu überwinden, findet in der Theologie dieses Buches keine Entsprechung.

Von der Zeit an begann Jesus seinen Jüngern zu erklären, wie er müsste hin nach Jerusalem gehen und viel leiden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tage auferstehen.

Matthäus 16, 22

Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!

Matthäus 26,39

Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in die Welt gekommen.

Johannes 12, 27

Der Autor verneint, dass in der Passion Jesu ein tiefer Sinn, ja, dass in ihr überhaupt irgendetwas Gutes liegt, wobei er auch hier zentrale Aussagen der Evangelien außer Acht lässt, in denen Jesus diesen Sachverhalt seinen Jüngern explizit in diesem Sinne verdeutlicht:

Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.

Johannes 12, 24

Und wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf das alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Johannes 13, 14-15

Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand unter euch fragt mich: Wo gehst du hin? Sondern weil ich solches geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit: es ist euch „gut“, dass ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch …

Johannes 16, 5-7

Der Autor verneint den Glauben, in welchem die Vergebung menschlicher Schuld ursächlich etwas mit der Passion Jesu zu tun hat. Diese Theologie führt er als unrichtig auf den Apostel Paulus zurück. Auch diese These untermauert er durch eine Vielzahl biblischer Verweise. Doch auch hier übergeht er die zentralen Aussagen der Evangelien, in denen Jesus selbst diesen Zusammenhang in dieser Weise erklärt und darlegt:

Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.

Matthäus 20, 28

Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet und reichte ihn den Jüngern mit den Worten: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

Matthäus 26, 27-28

Der Autor verneint die Existenz eines allmächtigen Gottes. Die Erklärung Jesu in Joh. 10, 17-18, wonach göttliche Macht selbst im Zustand äußerster menschlicher Ohnmacht ihren Ausdruck findet, thematisiert der Autor nicht. Dadurch erfährt auch das allgemeine transzendente Verständnis, in welchem Jesus seine Passion auf sich nahm und welches er auch in seinen Predigten und Erklärungen verdeutlichte, in diesem Buch keinerlei Würdigung.

Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.

Johannes 10, 17-18

Auch jenen großartigen christlichen Gedanken, nach welchem die Macht der Wahrheit, selbst im Zustand menschlicher Ohnmacht niemals geschmälert werden kann, sucht man in der Theologie des Autors vergebens. Daher fehlt dieser Theologie auch der tröstliche Aspekt der Botschaft Jesu, wonach wir selbst in ungerechten, leidvollen und beschwerlichen Geschehnissen Förderung und Bestätigung erfahren müssen, wenn wir diese im Geist Jesu auf uns nehmen und bereitwillig tragen.

Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei doch lügen.

Matthäus 10,22


… sehet zu und erschreckt euch nicht … Alsdann werden sie euch überantworten in Trübsal und werden euch töten. Und ihr müsst gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern.

Matthäus 24, 6 + 9-10

Die Vernachlässigung dieses doch zentralen Gedankens der Bergpredigt verwundert, ist es doch ebendieser Gedanke, der den Glauben an die Auferstehung Jesu und damit die Auferstehung aller zeitlosen Wahrheit bestätigt und rechtfertigt.

Der Autor trennt Jesu Predigt vom Reich Gottes kategorisch von seiner Passion, wodurch notwendigerweise auch der transzendente Gedanke entfällt. Insofern definiert der Autor den Begriff vom Reich Gottes auch eher diesseitig. Konkret wird diese Auffassung in seiner Aufzählung verschiedener erfolgreicher karitativer Projekte, die der Autor selbst erfahren oder begleitet hat und die, seiner Ansicht nach als eine Verwirklichung des Reiches Gottes betrachtet werden können.

Abgesehen von den oben genannten Ansichten des Autors, die ich für mich persönlich als eine Fehlinterpretation der Botschaft Jesu erachte, enthält das Buch aber auch interessante theologische Ansätze und wertvolle Informationen, sodass sich die Lektüre für mich persönlich dennoch etwas gelohnt hat.

Eine weitere, vertiefende Betrachtung zum Thema Opfertod Jesu finden Sie hier auf Christophilos auch in dem folgenden Blogbeitrag: Missverstandener Opfertod Jesu

Dresden am 6. März 2023

Versuchung und Erlösung

Eine grundlegende Einsicht und Erkenntnis, die wir aus der Botschaft Jesu gewinnen können, ist diese: Gott führt in Versuchung, solange wir nicht um Erlösung bitten. Ohne Bitten können wir nichts erwarten und empfangen und ohne das Böse auch keine Erlösung davon. Dabei ist es allein unsere menschliche Sehnsucht nach Erlösung, die Gott zum gebenden, die ihn für uns zum Vater werden lässt.

Führt uns Gott in Versuchung?

Das Gebet, das Jesus lehrte, als seine Jünger ihn darum baten, enthält eine bemerkenswerte Bitte, die da lautet:

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Matthäus 6,13

Hier sollen wir an Gott die Bitte richten, uns nicht in Versuchung zu führen. Manche Theologen können und wollen nicht glauben, dass Gott in Versuchung führen kann. So stellen sie die durchaus berechtigte Frage: Ist es nun der Teufel, der uns in Versuchung führt, oder ist es Gott selbst? Oder anders gefragt, liegt die Versuchung des Menschen in Gottes Zuständigkeitsbereich oder liegt sie woanders?

Wie also wäre die Frage nach der Zuständigkeit der menschlichen Versuchung abschließend zu beantworten? Schlüssige Antworten zu dieser Frage findet sich im Kontext der Botschaft Jesu.

Vom anonymen Gott zum gebenden Vater

Eine grundlegende Einsicht und Erkenntnis, die wir aus der Botschaft Jesu gewinnen können, ist diese: Gott führt in Versuchung, solange wir nicht um Erlösung bitten. Ohne Bitten können wir nichts erwarten und empfangen und ohne das Böse auch keine Erlösung davon. Dabei ist es allein unsere menschliche Sehnsucht nach Erlösung, die Gott zum gebenden, die ihn für uns zum Vater werden lässt. Solange wir von Gott nicht alles erdenklich Gute und Notwendige ersehnen, um Beschwerliches und Leidvolles zu überwinden, bleibt Gott für uns eine namenlose, anonyme Größe. Bitten wir aber im Sinne Jesu: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“ Matthäus 6,13 So wird uns Gott, eben durch diese Bitte zum Vater und wir zu seinen Kindern.

Im Geist Jesu bitten wir um die Fähigkeit, Gott in allen Geschehnissen suchen und finden zu können, weil dies seinem Wesen entspricht. Ohne sehnsuchtsvolles Bitten können wir nichts empfangen und ohne die innere Auseinandersetzung mit den Erscheinungen des Bösen keine Erlösung.

Es ist unsere Suche und unser sehnsüchtiges Bitten, wodurch wir Gott zum gebenden und damit zu unserem Vater machen.

Ganz in diesem Sinn ist auch das folgende Jesuswort zu verstehen:

Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan …

Matthäus 7, 7-8

Worin liegt der Sinn der Versuchung?

Erst dort, wo wir im Sinne Jesu, Gott als Ursache ausnahmslos aller Geschehnisse verstehen, die uns begegnen, empfangen wir alles aus der Hand Gottes, wodurch die Dinge für uns gut werden können. Bedenken wir in diesem Zusammenhang, dass Jesus in seiner Passion selbst Unrecht, Leid und Tod aus der Hand Gottes entgegengenommen hat. Und bedenken wir weiter, dass auch Jesus versucht wurde, wie uns die Evangelien berichten. Diese Geschehnisse hatten für Jesus eine grundlegende Bedeutung, denn aus seiner Haltung gegenüber seiner Passion und seiner Versuchung, können wir wiederum geistige Erkenntnisse gewinnen, die uns andernfalls nicht erreicht hätten. Daraus folgt: Passion und Versuchung Jesu hatten einen tiefen Sinn und in gleicher Weise soll (im Geist Jesu) auch unsere eigene Versuchung einen Sinn finden, worauf allein sich unsere Erlösung vom Bösen begründet. Erlösung bedeutet, dass Geist und Sinnloses unverhofft Geist und Sinn erfährt und Sinnfindung bedeutet Gott finden. Und Gott finden ist wiederum gleichbedeutend mit unserem Gefunden-werden durch Gott.

Versuchung und Erlösung – zwei Zustände

Versuchung und Erlösung sind zwei unterschiedliche innere Zustände der Wahrnehmung unseres Daseins. Diese Zustände formen unsere inneren Überzeugung. Versuchung ist eine Minderung unserer Wirklichkeit, Erlösung hingegen deren Vermehrung.

Im Zustand der Versuchung verstehen wir unsere Existenz aus uns selbst heraus. Das heißt, hier finden wir alles Lebenswerte, das wir suchen, wünschen und ersehnen als etwas sinnlich Erfahrbares, äußerlich Verfügbares oder durch uns selbst Herstellbares. Alles für uns Lebenswichtige und Mögliche befindet sich nach diesem Verständnis in dieser Welt, nichts kommt von „außerhalb“. Versuchung ist ein Zustand, in dem der Transzendenz des menschlichen Daseins keine Bedeutung zukommt. Der Mensch ist das, als was er seiner Äußerlichkeit nach erscheint, nicht weniger und nicht mehr. Insofern ist dies ein Zustand der Geistlosigkeit, der Profanität, der Banalität und der Sinnlosigkeit des Daseins. Leben wir in dieser Überzeugung, so reduzieren wir unsere menschliche Existenz auf die irdische, zeitgebundene und vergängliche Erscheinung. In diesem Zustand können und werden wir hinderlichen, leidvollen und beschwerlichen Situationen keine Bedeutung beimessen können. Dies ist der Zustand, in dem wir „in“ Versuchung sind, da wir gedanklich eins geworden sind mit der Versuchung, denn wir nehmen alles Äußere für bare Münze.

Der Zustand der Erlösung hingegen ist ein suchender, ein bittender, ein sehnsuchtsvoller, der die Überwindung aller menschlichen Hindernisse im Geist, also in Gott erkennt. In diesem Zustand erkennen wir unseren Wesenskern als ideell, zeitlos und unvergänglich. Drei Zitate mögen diesen Gedanken verdeutlichen:

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.              

Aristoteles

Gut ist, was Wesen und Dingen ein Mehr an Wirklichkeit verleiht, böse, was ihre Wirklichkeit mindert. 

Simone Weil

Ist nicht das Leben mehr als Essen und Trinken und der Leib mehr als die Kleidung?  

Matthäus 6, 25

Erlösung macht uns fähig, alle Hindernisse dieses Dasein zu transzendieren, und das bedeutet, sie gedanklich zu überwinden. In diesem Zustand verstehen wir unsere gesamte Existenz in Gott und aus Gott. In der Überzeugung, die uns dieser Zustand verleiht, erkennen wir Gott als die Ursache aller Dinge, die uns begegnen und anhaften; Versuchung wie Erlösung gleichermaßen. Wann immer wir uns in diesem Zustand befinden, erkennen wir die Notwendigkeit menschlicher Versuchungen und wir werden fähig und mächtig, Gott um etwas zu bitten, das dieser uns nicht verwehren kann. Hier ist es die konkrete Bitte, dass unsere Versuchung der Erlösung dient.

In Gott sein oder in Versuchung sein

Ist Versuchung nun notwendig, oder soll sie vermieden werden? Beides! Wenn Jesus lehrt zu bitten: „Und führe uns nicht in Versuchung“ so ist in diesem Wort „in“ das Wesentliche dieser Bitte ausgedrückt. Denn so, wie wir durch Christus „in“ Gott gelangen, um vollkommen mit ihm eins zu werden, so können wir auch „in“ Versuchung geführt werden, wodurch wir eins werden mit der Versuchung. Dieses Einswerden mit der Versuchung ist es, wovon wir um Erlösung bitten sollen, wodurch es geschieht. Wir bitten nicht darum, dass unser Leben ohne Versuchung sein soll, sondern dass wir nicht eins werden mit der Versuchung. Diesen Ausdruck des Einswerdens mit einer Sache verwendet Jesus mehrfach an anderer Stelle:

An dem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch … // … damit sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien … 

Johannes 14, 20-21

Wer aber die Wahrheit tut, der kommt an das Licht, damit seine Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan.

Johannes 3, 21

Das Einswerden mit der Versuchung ist es, das Gott verhindert, sofern wir ihn darum bitten, denn erst dort, wo wir gedanklich eins werden mit der Versuchung, sind wir tatsächlich „in“ Versuchung geführt worden.

Die Distanz gegenüber sich selbst

In Versuchung geführt zu sein bedeutet, dass wir dem Schein der Dinge erliegen, dass wir Irrtum und Täuschung für Wahrheit und Wirklichkeit halten. Solange wir Versuchung als solche erkennen, sind wir der Versuchung zwar ausgesetzt, aber nicht „in“ Versuchung geführt worden, denn wir wissen um die Falschheit unserer Gedanken und Handlungen, so wie es auch der Apostel Paulus formulierte:

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber etwas tue, was ich nicht will, so tue ich dasselbe nicht; sondern die Sünde, die in mir wohnt …

Römer 7, 19-20

Dass wir versucht werden, das ist unvermeidlich, ja es ist sogar ein wesentlicher und notwendiger Teil unserer Existenz, damit wir erkennen können und wir Sehnsucht zu Gott gewinnen.

Die Bitte um Geist

Die einzige Bitte, der sich Gott nicht verschließen kann, ist die Bitte um Geist – ist die Bitte um Gott selbst. Gott kann nur sich selbst geben, da außerhalb Gottes nichts ist, was gegeben werden könnte. Wer Gott nicht entbehrt, der wird immer das Unwesentliche, das Zeitgebundene und das Entbehrliche entbehren und vermissen. Darin liegt die Versuchung, dass wir glauben, Gott entbehren zu können. Dieser Irrtum entfremdet uns von allem Wesentlichen, wie; Leben, Liebe, Geist und Sinn.  Durch diesen Irrtum werden wir selbst unwesentlich und ein Opfer der Beliebigkeit. Jedoch durch unsere Bitte und Sehnsucht, nicht in Versuchung geführt zu werden, treffen wir ins Zentrum der „Sehnsucht“ Gottes. Denn in gleicher Weise, wie wir uns nach einem Zustand sehnen, der frei ist von Täuschung und Illusion (Versuchung), sehnt Gott sich danach, uns von Täuschung und Illusion zu befreien, wodurch wir mit ihm eins werden.

Was war der Sinn der Mission Jesu?

Der Sinn der Mission Jesu bestand und besteht bis heute in der Vermittlung einer neuen, universellen Lebenseinstellung den leidvollen und beschwerlichen Seiten unseres Daseins gegenüber.

Grundlegendes zum Verständnis der Lehre und der Passion Jesu

Der Sinn der Mission Jesu erschließt sich uns einerseits aus seinen überlieferten Worten (Evangelien) und andererseits in seiner Passion, das heißt, in seinem Leidensweg, den er ganz bewusst wählte. Beides sind grundlegende Aspekte seiner Botschaft, die zusammengehören. In seiner Lehre verdeutlicht Jesus, dass alle „Unordnung“ unseres menschlichen Daseins, wie Ungerechtigkeit, Schwäche, Irrtum, Täuschung, Leid und Tod „nicht“ auf äußerliche Weise in Ordnung gebracht, d. h. heil werden können. Er macht deutlich, dass das Böse nur in einer bestimmten inneren Haltung gemeistert und somit „überwunden“ werden kann, wodurch es grundlegend gut wird. Diese Geisteshaltung verbal zu vermitteln und sie gleichzeitig selbst konsequent zu leben, war er gekommen.

Welche Lebenseinstellung vermittelte Jesus konkret?

Die neue Lebenseinstellung, die Jesus in seiner Botschaft vermittelte, ist allumfassend und universell. Sie besagt, dass Gott ausnahmslos alle Geschehnisse wirkt – eben auch die leidvollen und beschwerlichen. Deshalb sollen wir eben diese Bereiche in Gott „hineintragen“ damit sie einen Bedeutungswandel erfahren können. In Gott hineingetragen werden sie, indem wir sie ganz „individuell“ für uns als bedeutungsvoll auffassen und deshalb vertrauensvoll annehmen, auch wenn sie beschwerlich, ungerecht oder leidvoll sind. Deutlich wird dieses universelle Lebensverständnis Jesu an Weisungen wie der folgenden:

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Steuereintreiber?

Matthäus 5, 43-48

Da Gott alle Geschehnisse wirkt, geschieht uns der Lehre Jesu nach, nichts von ungefähr. Im Licht seiner Botschaft wird uns alles bedeutsam, in allen Dingen liegt ein tiefer Sinn verborgen, der von uns gesucht und gefunden werden will. Dieser Sinn ist Gott selbst – der verborgene Sinn im vermeintlich Sinnlosen. In diesem Verständnis fordert Jesus uns zu einer sehnsuchtsvollen inneren Sinn- und Gottsuche auf:

Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan.

Matthäus 7,7

Die erste Aufforderung beschreibt eine innere Sehnsucht nach Geist (Gott), ohne die uns kein neues Lebensverständnis zuteilwerden kann. Die zweite Aufforderung vermittelt uns ein tiefes Vertrauen, durch welches Gott (Geist und Sinn) sich dem aufrichtig Suchenden nicht verschließen kann, sondern sich offenbaren muss. Und die dritte Aufforderung bezieht sich auf alle harten Grenzen, die das hiesige Leben uns setzt.
Leid, Tod, Unrecht, Verleumdung, Ausgrenzung, Demütigung etc.
wir sollen diese Grenzen bewusst berühren, wodurch sie zu uns zu Türen werden, die uns neue Räume eröffnen.
Dabei kann nur das, was wir für uns „selbst“ als bedeutsam erkennen und annehmen, aufhören sinn- und bedeutungslos zu geschehen. Es ist insofern nicht möglich, jemanden anzuweisen, wie er richtig leben und handeln soll. Richtiges Leben im Sinne Jesu kommt aus dem Vertrauen, dass alles, was uns an Beschwerlichem und Leidvollem begegnet und anhaftet, einen Sinn erfährt, wenn wir es in der Geisteshaltung Jesu tragen und auf uns nehmen. Dabei ist es unerheblich, ob die Einschränkungen in uns selbst liegen (Schwäche, Irrtum, Täuschung) oder ob wir sie durch die Hand anderer erdulden.

So sind wir im Sinn Jesu aufgefordert, unsere eigene Schwäche zum Anlass zu nehmen, Vergebung und Barmherzigkeit gegenüber unserem Mitmenschen zu üben.

Bei Jesus war es die Schwachheit und Verletzlichkeit seines menschlichen Körpers, die er zum Anlass genommen hat, diesen für uns hinzugeben.

Was ist unter der Wahrheit zu verstehen, die Jesus selbst verkörperte?

Um uns diese Geisteshaltung zu vermitteln, war Jesus gekommen, darin bestand der Sinn der Mission Jesu. Diese Lehre von der grundlegenden Änderung unserer Lebenseinstellung hat er nicht nur verkündet, sondern er hat sie in seiner Passion auch selbst konsequent gelebt. In diesem Zusammenhang bezeichnet er sich selbst als die Wahrheit:

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben …

Johannes 14, 6

Hier geht es um ein transzendentes Verständnis von Wahrheit – also um jene Wahrheit, die über unsere sterbliche Existenz hinausreicht. Mit anderen Worten; es geht um ein zeitloses Wahrheits- und Selbstverständnis. In diesem Selbstverständnis war Jesus fähig, sich Verrat, Verleumdung, Unrecht, Demütigung, Leiden und Sterben auszusetzen. Denn eben das ist das Wesen der Wahrheit Jesu, dass sie durch keine Sanktion der Welt geschmälert oder vernichtet werden kann, sondern, dass sie immer und ausschließlich Förderung erfährt, und zwar dort, wo sie das Hinderliche aus der Hand Gottes auf sich nimmt und trägt.

Die Überwindung der Welt

Angesichts seiner bevorstehenden Verhaftung und Hinrichtung spricht Jesus erstmals von der Überwindung der Welt. Aber was meinte er als er sagte, dass er den Namen des Vaters verherrlichen werde wenn er das Leid, das seine Feinde über ihn verhängt hatten, auf sich nehmen und am Kreuz sterben würde. Worin konkret bestand für ihn die Überwindung der Welt? Bestand sie im Scheitern seiner Mission am Kreuz?

Wie kann die Welt überhaupt überwunden werden, wenn sie doch augenscheinlich obsiegt? Erfreut sich Gott etwa am Leid des Menschen? Um diese Aspekte der Botschaft Jesu soll es in dem folgenden Beitrag gehen.

Was bedeutet Überwindung?

In seiner Passion zeigte er auf wie der Mensch den beschwerlichen und leidvollen Seiten seines Menschseins begegnen soll, damit sie verstanden, getragen und letztlich geistig überwunden werden können. Dabei besteht der Weg Jesu in einer außerordentlichen, inneren Einstellung den ungerechten, beschwerlichen und leidvollen Geschehnissen gegenüber. Wir sehen in Jesus Christus den Allerersten, dem es durch unerschütterliches Vertrauen in alle Lebensumstände gegeben war, den Willen Gottes durch Unrecht, Leid und Tod hindurch zu erkennen. Diese Geisteshaltung hat ihn frei gemacht von Gedanken der Schuld, der Anklage und der Vergeltung gegenüber seinen Feinden. Durch sein unerschütterliches Vertrauen und sein Wissen um den Sinn (Gott) im Sinnlosen (Gottlosen) war er davor bewahrt, an den schicksalhaften Geschehnissen seines Leidens und Sterbens zu zerbrechen, sodass er sterbend am Kreuz rufen konnte:

„Vater vergib ihnen denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Luk 23, 34

Leidend und sterbend am Kreuz machte Jesus deutlich, dass dieses neue Lebensverständnis, selbst von Geschehnissen, die äußerlichen Schaden und sogar den Tod bedeuten, unberührt und somit unzerstörbar bleibt.

Überwindung der Welt bedeutet im Sinne Jesu, die geistige Fähigkeit zu erlangen, frei von jeglicher, menschlicher Befangenheit, denken und handeln zu können. Auf dieser unbestechlichen Handlungsweise in vollkommener Freiheit, beruht die Verherrlichung Gottes – beruht die Verklärung des Geistes, wie Jesus es vor seiner Verhaftung gegenüber seinen Jüngern verdeutlichte:

„Ich habe dich (Vater) verherrlicht auf Erden und vollendet das Werk, das du mir gegeben hast, dass ich’s tun sollte. Und nun verkläre mich du, Vater, bei dir selbst mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.“  Joh 17,5

Eben, weil Jesus sich der transzendenten Bedeutung seines Lebens bewusst war, konnte er sein Leben bereitwillig hingeben und konnte in seiner Passion konsequent im Sinne seiner Botschaft handeln, die er zuvor lehrte: „Liebet eure Feinde…“ Mat 5, 44

Metanoia – Ändert euren Sinn

Ein weiterer, essentieller Gedanke liegt der Lehre von der Überwindung der Welt zu Grunde und dieser beruht auf der Änderung der Gesinnung unserem Leben gegenüber. Mit dem Aufruf zur Änderung unserer Sichtweise knüpfte Jesus nahtlos an die Predigt Johannes des Täufers an, der den Menschen zurief: Metanoia!  „Ändert euren Sinn!“ Ein Wort, das in den meisten Bibeln etwas einseitig mit „Tuet Buße“ wiedergegeben wird.

Metanoia bedeutet aber, dass wir unser gesamtes Leben auf völlig neue Weise betrachten und bewerten sollen, nicht dem äußeren Augenschein nach, sondern nach dem Verständnis der Lehre Jesu. Dieses Verständnis besagt folgendes:

Alles, was in dieser Welt mit uns und um uns geschieht hat das Potential, im Einklang mit dem Willen Gottes zu stehen, sofern wir bereit sind nach dem Sinn und der Bedeutung leidvoller Geschehnisse zu suchen – sofern wir bereit sind, den Willen Gottes darin zu suchen.

Denn der Wille Gottes ist untrennbar verbunden mit Geist und Sinn:

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.… Mat 7,7

Was nicht im Einklang mit dem Willen Gottes steht, das muss unser Dasein  behindern, beschädigen und vernichten. Gott aber ist das Leben selbst. Würde das Leben sich selbst behindern, beschädigen oder vernichten, so könnte es nicht existieren. Leben ist aber geradezu ein Synonym für Existenz, Realität, Wirklichkeit und Wahrheit.

In der Natur und in Wahrheit existiert kein sinnloses Unterliegen, Niedergehen und Sterben; alles Sterben dient neuem Leben. Daher, indem unser eigenes Sterben Sinn erfährt, ist der Tod überwunden denn Leben ist ein Synonym für Sinn und Bedeutung.

In Christus und das bedeutet, in unserer Suche nach dem Sinn im Sinnlosen, werden Leid und Tod – wird die Welt überwunden.

Ob also im Ungerechten, Beschwerlichen und Leidvollen der Wille Gottes an uns geschieht oder nicht, das hängt durch Jesus Christus nun nicht mehr von den Geschehnissen an sich ab, sondern es hängt allein ab von unserer inneren Haltung diesen Geschehnissen gegenüber – es hängt ab von unserer Einwilligung in den Willen Gottes. In Jesus Christus offenbart sich Gott als jene universelle Kraft, die ihre Herrlichkeit mit jeder Kreatur teilt, die seinen Willen in allen Geschehnissen sucht und findet. So gelangen wir durch Jesus Christus zu dem tiefen Verständnis, dass der Wille Gottes, sofern er zu unserem Besten geschehen soll, vollkommen abhängig ist, von unserer persönlichen Einwilligung in den Willen Gottes. Diese Theologie steht in vollkommener Übereinstimmung mit der Auffassung Jesu, der vor seiner Verhaftung bat:

Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!“  Mat 26,39

„Dein Reich komme. Dein Wille geschehe…“ Mat 6,10

In Jesus Christus sind wir aufgefordert den Willen Gottes in allen Geschehnissen zu suchen, wodurch allein er gefunden werden kann und muss. In seiner Passion lehrte er die Überwindung der Welt durch die vertrauensvolle Erkenntnis des göttlichen Willens in ausnahmslos allen Geschehnissen.

In der Welt habt ihr Angstaber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Joh. 16, 33


Missverstandener Opfertod Jesu

Angeblich habe Gott eine Wiedergutmachung des einstigen Sündenfalls gefordert. Gemäß dem Prinzip von Schuld und Vergeltung habe Gott die Menschen bestrafen wollen. Jesus habe dann durch seine grausamen Hinrichtung am Kreuz, Gott endlich die gewünschte Genugtuung bereitet.
So oder ähnlich lautet die verkürzte, missverständliche und letztlich irrtümliche Lesart zur Bedeutung der Passion Jesu. In diesem Zusammenhang hört man auch die Meinung, dass durch den Opfertod Jesu bzw. durch seine Hingabe am Kreuz, automatisch menschliche Schuld vergeben sei. Dies sei einfach zu glauben, und nicht zu hinterfragen. Welcher Bedeutung der Hingabe Jesu – entsprechend seiner eigenen Lehre – für uns tatsächlich zukommt, das möchte ich in dem folgenden Beitrag aufzeigen. Einleitend sei dazu der folgende Gedanke vorangestellt:

Audiodatei: Missverstandener Opfertod Jesu

Gott überwindet das Leid der Welt in dem Moment, da er davon „berührt“ wird. Da Gott selbst nicht leiden kann, erreicht er durch Jesus Christus die notwendige Berührung mit dem Leid der Welt. Jesus bewirkt diese „Berührung“ indem er sein Leid in der Gewissheit auf dessen Sinn und Bedeutung, auf sich nimmt und trägt – uns zum Vorbild. Dass Jesus durch seinen Opfertod am Kreuz unsere Schuld beglichen hat ist ausschließlich im Sinne seiner Botschaft zu verstehen. Der missverstandene Opfertod Jesu rührt aus einer wörtlichen Deutung der Passion Jesu, losgelöst von den Inhalten seiner Lehre.

Der schachernde Gott

Im Grunde genommen entspricht die eingangs beschriebene Auffassung der Praxis antiker Opferkulte; denn das Opferverständnis der Antike war ein mythologisches bzw. ein magisches. Dabei wurde göttliche Gnade als ein gerechter Ausgleich oder als eine Art Automatismus verstanden. Oder Gott wurde quasi als Händler in den Bereich des Käuflichen gerückt. So brachte der Mensch der Antike seine Opfer dar, um von Gott etwas ganz Konkretes zurückzuerwarten: Wohlstand, Gesundheit, Reichtum, Macht etc. Ein Gottesverständnis – gegen das Jesus, bei der Tempelreinigung mit äußerster Vehemenz vorging, wie uns die Schriften berichten:

Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, dazu die Schafe und Rinder; das Geld der Wechsler schüttete er aus, und ihre Tische stieß er um. Zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zum Kaufhaus.

Joh. 2. 13,25

Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb hinaus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus soll ein Bethaus heißen«; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus.

Mt 21, 12-13

Das antike Opferverständnis basierte gewissermaßen auf der Logik eines Tauschgeschäfts oder eines magischen Aktes. Der christliche Glaube hingegen ist seinem Inhalt nach, das Gegenteil von Kalkül und Berechnung. Denn sowohl in seiner Lehre als auch in seiner Hingabe am Kreuz, zeigte Jesus, dass er absolut nichts für sich selbst wollte. Vielmehr war er bereit, all das bereitwillig auf- und hinzugeben, was der Mensch mit Glück und mit Wohlergehen verbindet.

Grund und Ursache der Hingabe Jesu

Zunächst möchte ich aufzeigen inwiefern die Passion Jesu und der Aspekt der Erlösung nicht als ein „Tauschgeschäft“ mit Gott, sondern entsprechend den Inhalten seiner Botschaft, als geistige Folgerichtigkeit zu verstehen ist. Tatsächlich vermittelt uns Jesus in seiner Lehre eine ganz bestimmte Geisteshaltung, die dem, der sie annimmt die Identität des Christus verleiht. Diese Identität nennt Jesus Gotteskindschaft. Kraft dieser Identität werden wir Christus gleich, werden wir vollkommen eins mit ihm. Im vertrauensvollen Annehmen dieser neuen Identität, liegt die Erlösung des Menschen begründet. In dieser Identität sind wir erlöst, weil diese Identität die einzige Existenzform darstellt, die frei ist von menschlicher Befangenheit.

Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.

Joh 15, 5

Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Joh 14,6

Das Unsagbare – was nur „getan“ werden konnte

In seiner Passion vermittelt Jesus auf nonverbale Weise den unaussprechlichen und essentiellsten Aspekt seiner Botschaft: den individuellen Umgang mit menschlicher Schwäche und Schuld. In seiner Hingabe an seine Feinde zeigt er eine Haltung vollkommener Unbestechlichkeit, angesichts äußerer Bedrohung durch Unrecht, Leid und Tod. All das, was er zuvor in Worten und Gleichnissen ausgedrückt hatte, das setzte er in seiner Passion konsequent um. Dabei ist seine Handlungsweise genau genommen ein tatenloses Handeln, es ist ein Geschehen lassen, in welchem Gott selbst zum Handelnden wird – zum Handelnden werden muss. Denn in einer Geisteshaltung grenzenloser Integration dem Ungerechten und Leidvollen gegenüber, macht Jesus Gott zum Urheber von Schuld, Unrecht, Leid und Tod.  Da aber in Gott weder Leid noch Unrecht existieren können, überwindet Gott in Jesus Christus diese Bereiche, indem er in diese Geschehnissen gewissermaßen Geist und Sinn hineinträgt. Was Sinn gefunden hat, das ist zu einem Teil Gottes geworden. Was aber ein Teil Gottes geworden ist, das ist auch lebendig geworden. Auf dieser Ursächlichkeit beruht das „Gesetz“ der Auferstehung Jesu.

Einwilligung in alle Geschehnisse – die Universalität des Geistes

Es ist dieses bewusste Einwilligen in das Geistlose und Böse, wodurch Christus die dunkle Wirklichkeit des Menschseins mit solcher Vehemenz auf Gott (den Urheber jeglicher Wirklichkeit) zurückwirft, dass dieser zum Schöpfer einer neuen, hellen und guten Wirklichkeit werden muss – einer Wirklichkeit, die über alles Vordergründige und Vergängliche hinausgeht. Ich sage, dass Gott zum Schöpfer werden muss, weil innerhalb Gottes weder Leid noch Tod existieren können. Die bewusste Hingabe an eine böse und feindliche Wirklichkeit, ist die Ursache für die Auferstehung Jesu, die als eine Auferstehung zeitloser und unvergänglicher Sphären verstanden werden muss. So hat uns Christus in seiner Passion einen Weg zu einem neuen, transzendenten Lebensverständnis aufgezeigt. Eben diese Ursächlichkeit verdeutlicht er vor seiner Gefangennahme seinen Jüngern mit den Worten:

Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wieder nehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es freiwillig. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu nehmen. Dieses Gesetz habe ich empfangen von meinem Vater.

Joh 10, 17

Erlösung durch Vergebung und Vergebung durch Sinnfindung

Einen weiteren, grundlegenden Gedanken, der aus dieser Geisteshaltung Jesu folgt und den er im Zusammenhang mit seiner Passion lehrte, ist, dass durch seine Hingabe am Kreuz den Menschen Erlösung zuteil und Schuld vergeben wird:

Wer der Vornehmste unter euch sein will, der sei euer Knecht, gleichwie des Menschen Sohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern dass er diene und sein Leben gebe zu einer Erlösung für viele.

Mt 20, 27-28

Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.

Mt 26, 27-28

Allmacht in äußerster Ohnmacht

Um eine zusammenhängende Betrachtung dieser beiden Gedanken geht es hier: so die bereitwillige Hinnahme von Leid und Tod auf der einen und die Vergebung von Schuld auf der anderen Seite, mit anderen Worten: Macht inmitten äußerster Ohnmacht und Schuldlosigkeit angesichts größter Verfehlung gegenüber der Wahrheit.

Der Zusammenhang dieser beiden Aspekte scheint nicht ohne weiteres erkennbar, und doch ist er folgerichtig und insofern grundlegend für die Botschaft Jesu. Im erstgenannten Gedanken vermittelt Jesus, dass er durch seine vertrauensvolle Hingabe an die ungerechte und leidvolle Wirklichkeit dieser Welt die Macht hat, sein hingegebenes Leben wieder zu nehmen.

Gott liebt jede Hingabe an die Wahrheit, insbesondere aber an jene, die uns wie das Ende oder das Gegenteil der Wahrheit erscheinen – eben weil Gott darin zum Schöpfer neuer Kreaturen und Welten werden kann. Denn dem Verständnis Jesu nach, wird uns jede harte Lebensgrenze, an die wir zuversichtlich und vertrauensvoll rühren, neue ungeahnte Lebensräume eröffnen:

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.…

Mat 7,7-8

Die Immunität Gottes

Aber welche Gesetzmäßigkeit bzw. welches „Gesetz“ könnte dem zugrunde liegen, wie Jesus es hier darlegt?  Die Voraussetzung für das Verständnis dieses Gedankens, liegt in der Fähigkeit zu erkennen, dass Gott die Ursache jedweder Wirklichkeit ist und dass alle Wirklichkeit, die Gott wirkt, immer nur einem Zweck dient, nämlich unaufhörlich neues Leben hervorzubringen.

Das Wesen Gottes besteht in einem Hervorbringen seiner selbst, und was Gott hervorbringt, das kann nicht zum Schaden seiner selbst sein, sonst wäre er nicht Gott. Und da Gott ohnehin niemals irgendeinen Schaden erleiden kann, müssen ihm alle Geschehnisse zur Hervorbringung und zur Förderung seiner selbst dienen, selbst ungerechte, beschwerliche und leidvolle – also auch Geschehnisse, die wir Menschen mit dem Gegenteil von Wahrheit, Leben, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit verbinden. Dieses geistige Prinzip hat uns Jesus in seiner Passion verdeutlicht. In eben dieser Gewissheit handelte er, als er sein Leben für uns hingab. Am Kreuz vermittelt er eine Geisteshaltung, in welcherBestrafung, Vergeltung, Unrecht, Erniedrigung, Leid und Tod – keine Existenzberechtigung mehr haben, da in dieser Geisteshaltung alle Geschehnisse nun einer neuen Schöpfung dienen: dem der auf dieses universelle Gesetz vertraut. Der Auferstandene Christus, ist ein Bild der Unzerstörbarkeit der Wahrheit, eine völlig neue Kreatur – das erste neue Geschöpf einer gänzlich neuen Schöpfung, so wie es der Apostel Paulus beschreibt:

Darum, ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!

2. Kor 5,17

Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt, als Erstling derer die entschlafen sind.

1. Kor 15,20

Denn welche er zuvor erwählt hat, die hat er auch dazu bestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbild seines Sohnes, auf dass derselbe der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. 

Röm 8, 29

Das christliche Prinzip der Transzendenz des Bösen

Deshalb: Fassen wir unser eigenes Leid so auf, wie Jesus sein Leid auffasste, so leiden wir nicht mehr um unserer selbst willen, sondern wir leiden um Gottes, also um der Wahrheit willen. Leiden wir aber um der Wahrheit willen, so ist eben dieses Leid der Grund und Anlass für eine neue Schöpfung, da in Gott kein Leid existieren kann. Gott überwindet Leid, in dem Moment, wo er davon „berührt“ wird. Jesus Christus erreicht am Kreuz die Berührung Gottes mit dem Leid der Welt, da er es im Glauben an einen tiefen Sinn (Geist) auf sich nahm und trug. Gott kann nur von jenem Leid berührt werden, das als sinnstiftend erkannt und angenommen wird, eben darum, weil in Gott allen Geschehnissen Sinnstiftendes zukommt. Deshalb bat Jesus angesichts seiner Passion:

Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.

Mat 26,39

Schöpfung bedeutet, dass allem unter Begrenzung Leidenden, neuer unbegrenzter Lebensraum zuteil wird. Allein das Vertrauen in dieses universelle Gesetz, verändert alle Wirklichkeit grundlegend. Leiden wir um Gottes willen, so erhält unser Leid eine Bedeutung und einen Sinn, da Gott ein Synonym für Geist und Sinn ist. Und so wie Jesus einen Sinn in seinem eigenen Leid erkannte, und es deshalb auf sich nahm und dadurch gedanklich überwand, so wird auch unser eigenes Leid einen Sinn erfahren können, wenn wir es im Geist Jesu auf uns nehmen und tragen.

Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

Mt 5, 11-12

Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen:Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.  

Mk 8, 34-35

Der Sinn, den Jesus in seinem eigenen Kreuz sah, war -für ihn- die Erlösung des Menschen und die Vergebung von Schuld, und eben diese Einsicht machte seine Passion sinnvoll. Eine Erlösung, die all jenen zuteilwerden sollte, die seinem Beispiel gedanklich folgen wollen.

Damit berühre ich den zweiten Gedanken, der die Frage aufwirft: Wie kann das Leid eines Menschen für andere Menschen Erlösung sein, und wie ist es möglich, dass Schuld dort vergeben wird, wo Menschen einem unschuldigen Menschen Leid zufügen? Ein Widerspruch in sich, wie es scheint.

Die erste Antwort auf diese Frage findet sich bereits in dem oben Gesagten, dass alle Geschehnisse dem dienen, der Gott bedingungslos vertraut, so wie es der Apostel Paulus im Römerbrief beschreibt: 

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.

Röm 8,28

Selbsterkenntnis – die Grundlage echter Vergebung

Eine weitere Antwort, die konsequent an diesen Gedanken anknüpft, findet sich in der Aufforderung Jesu – Einsicht in die eigene Schuld und Schwäche zu üben, um dadurch gnädig und barmherzig mit den Schwächen anderer zu verfahren. Denn wenn uns jetzt tatsächlich alle Dinge zum Besten dienen, wie Paulus sagt, dann konsequenterweise auch Schwäche, Schuld, Leid und Tod. Und dabei ist es völlig unerheblich, woher diese Mangelhaftigkeit rührt, ob von uns selbst, von unserem Nächsten oder von widrigen Lebensumständen.


Darum vermittelt uns Jesus die Einsicht, dass wir durch Betrachtung unserer menschlichen Schwäche und Mangelhaftigkeit frei werden können von einer Verurteilung unseres Nächsten. Mit anderen Worten, das was bisher Sünde war, das ist in dieser neuen Betrachtungsweise überwunden, denn es ist in dieser Geisteshaltung gut geworden. Derart frei geworden vom Gedanken der Vergeltung, erreichen wir vor Gott „Nichtverurteilbarkeit“. Denn Gott (die Wahrheit) wird uns nur soweit verurteilen können, solange uns Gedanken von Schuld und Vergeltung anhaften. Daher gilt es, frei zu werden von einer Verurteilung anderer, wozu uns wiederum die Einsicht in die eigene menschliche Schwäche dienen und helfen soll. Wir sehen – eben dadurch erhält unsere menschliche Schwäche und Fehlbarkeit (Sünde) eine tiefe Bedeutung, indem sie uns dazu verhilft, uns selbst in unserer Mangelhaftigkeit zu erkennen:

Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit dem Maßstab, den ihr bei anderen anlegt, werdet ihr selbst gemessen werden. Warum starrst du auf den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! – und siehe, in deinem Auge steckt ein Balken! Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen!

Mt 7, 1-5

Das Jüngstes Gericht – Ende allen Widerspruchs

Am jüngsten Tag wird Gott jegliche Verurteilung verurteilen, denn Gott wird dort allem Widerspruch ein Ende setzen. Eben darum, dass in Gott alles dient, ist in ihm kein Raum für Widerspruch und Verurteilung. Deshalb sollen wir bereits hier und jetzt alles daran setzen, frei zu werden von jeglicher Verurteilung. Bei allem was am Tag des Jüngsten Gerichts an Gedanken der Verurteilung gefunden wird, das wird verurteilt werden, um der Verurteilung willen, die ihm anhaftet. Denn nach dem Gesetz der Gnade Gottes, muss eines Tages alle Verurteilung ein Ende finden.

Dieser Ursächlichkeit nach sind alle Aussagen Jesu zu verstehen, in denen er darlegt, dass durch seine Hingabe am Kreuz vielen Menschen ihre Schuld vergeben werden wird, nämlich all denen, die seiner Botschaft Glauben schenken und die seinem Beispiel der Vergebung inhaltlich folgen wollen:

Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe.

Joh. 13, 15

Wir sehen, im Kreuzestod Jesu liegt kein Automatismus. Die Hingabe Jesu ist gewissermaßen eine Tür, eine enge Pforte, die uns gewiesen wurde; hindurchgehen kann nur jeder einzelne selbst.

Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der hinab zur Verurteilung führt; und es sind viele, die darauf gehen. Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind es, die ihn finden.

Mat 7, 13-14

Amen, Amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

Joh 5, 24

Vergebung durch Wissen – Nur der Wissende kann vergeben

Die Auffassung, mir sei meine Schuld vergeben, weil ja Jesus am Kreuz für mich gestorben sei, ist nicht vollständig, solange wir Sinn und Bedeutung – solange wir den Beweggrund für seine Hingabe am Kreuz nicht erkennen und verstehen wollen. Denn glauben wir den Worten Jesu, so endet Schuld dort, wo wir selbst aktiv vergeben, so wie Jesus seinen Feinden am Kreuz vergeben hat:

Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun! Und sie teilten seine Kleider und warfen das Los um sein Gewand.

Luk 23,34

Erst wenn wir den Worten Jesu Glauben schenken, nämlich dass in allen Geschehnissen ein tiefer Sinn und eine Bedeutung verborgen liegt und wir seinem Beispiel folgen, werden wir die Welt (den Gedanken der Schuld und Vergeltung) grundlegend überwinden können. Nehmen wir diese Geisteshaltung Jesu nicht an, so bewirkt auch sein Tod am Kreuz für uns nichts. Das Bild vom Opfertod, wonach Gott durch das Sühneopfer seines Sohnes mit der Menschheit versöhnt wurde, kann daher nicht losgelöst von der Bereitschaft zur eigenen inneren Auseinandersetzung mit der Welt – der Sinnsuche und der Sinnfindung allen Geschehnissen gegenüber – verstanden werden.

Überwindung des Bösen durch Vertrauen in den Sinn (Gott)

In seiner Hingabe am Kreuz verdeutlichte Jesus die Notwendigkeit der menschlichen Schwäche: Was wir das Böse nennen, wird – in seinem Geist getragen – aufhören, unser Schaden zu sein – ausnahmslos dient nun alles, auch die Sünde und das Böse. Jesus lehrte und verkörperte durch sein Beispiel den einzig möglichen Weg, durch den objektive Vergebung, also Vergebung durch Gott möglich ist. Denn das, was Jesus Glaube nannte, ist jenes tiefe Vertrauen, dass demjenigen alle Dinge zum Besten dienen, welcher Gott bedingungslos vertraut. Wer dem Leben (Gott) misstraut, bleibt sterblich, denn der Tod ist nichts anderes als unser Misstrauen gegenüber dem Leben, das immer Förderung erfährt, selbst wenn es augenscheinlich scheitert und unterliegt. Also hat Jesus in seiner Geisteshaltung verdeutlicht, dass wir – so wie er – durch vertrauensvolle Preisgabe unserer menschlichen Existenz, neues, unvergängliches Leben annehmen werden.

Missverständnis und Bedeutung des Opfertodes Jesu

Damit uns diese Botschaft erreicht, dafür hat Jesus sein Leben am Kreuz hingegeben. Jede andere, von dieser Botschaft losgelöste Kreuzestheologie, geht am Geist und damit am Inhalt der Botschaft Jesu vorbei. Insbesondere betrifft dies verkürzte Lesarten wie: „Gott hätte nach einem Opfer für den einstigen Sündenfall verlangt.“ – Gott hätte die Menschen strafen wollen.“ und „Jesus habe durch Erduldung seiner grausamen Hinrichtung am Kreuz – Gott eine Genugtuung bereitet.“ Sündenvergebung meint jedoch, dass Sinn- und Geistloses unverhofft Sinn erfährt. Wer die tiefe Bedeutung dieser Lehre nicht versteht, dem wird das als zu wenig erscheinen, denn er meint, das Kreuzesopfer Jesu müsse die Vergebung von Schuld ganz unabhängig von uns leisten. Sündenvergebung durch die Hingabe Jesu besagt aber eben genau das, nämlich dass Sinn- und Geistloses (Sünde) unverhofft Sinn erfährt, sobald wir es wie er – im Vertrauen auf seinen Sinn – auf uns nehmen und tragen.

Es ist auch nicht so, dass Gott einer Laune folgt, dass er durch irgendein menschliches Tun oder Handeln um- oder milde gestimmt werden könnte. Gott ist die Gnade selbst, und dort wo er Gnade findet, da findet er sich selbst. Findet nun Gott sich selbst in uns, so macht er uns sich gleich. Das heißt er erkennt sich in uns und uns in sich. Das ist das Prinzip der Gnade, gegen welches Gott nicht handeln kann. Das heißt, Gott kann nicht anders, als demjenigen Gnade erweisen, der die Gnade schätzt, sucht, lebt und übt. Gott kann nicht gegen sich selbst handeln. Dort wo wir gnädig und barmherzig handeln, dort handelt Gott selbst durch, mit und in uns.

Sündenvergebung bedeutet, dass Jesus das Unrecht, das man ihm antat, aus der Hand Gottes entgegennahm. Indem er dieses Geschehen als einen Dienst an uns und als Anlass zu einer neuen Schöpfung auffasste, hat er das Böse durch das Gute (Geist und Sinn) überwunden.

Dieser Beitrag ist auch erschienen auf: ZEITENGEIST -Magazin für Kultur, Gesellschaft und Bewusstsein

Geburt aus Wasser und Geist

Unser Leben in dieser Welt gleicht einem Sinnbild des Untergangs im luftlosen, geistlosen Element, dem Wasser. Die Sehnsucht nach Geist treibt uns nach oben. Man muss hinauf gelangen, die Oberfläche durchbrechen, um neuen Atem – um Geist zu schöpfen.

Durch vertrauensvolles Eintauchen in das Spannungsfeld der Dualität dieser Welt geschieht unsere neue Geburt aus Wasser und Geist

Die tiefsinnigsten Reden Jesu finden sich zweifellos im Johannesevangelium. Eine davon in Form eines Zwiegesprächs, das Jesus dort mit dem jüdischen Geistlichen Nikodemus führt, einem Pharisäer. Nikodemus war offensichtlich ein heimlicher Bewunderer Jesu, doch öffentlich zu ihm bekennen wollte er sich nicht. Nikodemus kommt wohl aus diesem Grund in der Dunkelheit der Nacht zu Jesus und sucht das Gespräch mit ihm. Doch Jesus gibt sich distanziert. Auf die Äußerungen und Fragen des Geistlichen antwortete er ausschließlich in Sinnbildern, die um das Thema Geburt aus Wasser und Geist kreisen. Die Antworten, die Nikodemus sich von Jesus erhoffte, erhält er definitiv nicht und bleibt am Ende verwirrt zurück.

Ein Wort vorab

Im Folgenden werde ich auf den Sinngehalt der Antworten Jesu eingehen. Dazu gebe ich den Text aus dem Johannesevangelium abschnittsweise wieder. Nach jedem Abschnitt folgt zunächst ein kurzer Hinweis auf Besonderheiten zum Urtext und danach die entsprechende Auslegung.
Vorab sei noch darauf hingewiesen, dass der Symbolgehalt von Sinnbildern nie vollkommen und endgültig ausgeschöpft werden kann, da sie immer einen Bedeutungsüberschuss aufweisen. Dies betrifft im besonderen Maße sämtliche Sinnbilder und Gleichnisse, die Jesus verwendete, und das ist beabsichtigt. Seine Bilder und Gleichnisse sind gewissermaßen „Zeitkapseln“, die seine Botschaft unverändert durch die Zeiten hindurch transportieren. Durch jede, auf das jeweilige Zeitgeschehen bezugnehmende Interpretation, erwachen diese Sinnbilder zu neuem Leben und eröffnen uns ein Stück weit die zeitlosen Inhalte der Botschaft Jesu. 

„Ein Pharisäer namens Nikodemus, der zur jüdischen Führungsschicht gehörte, kam eines Nachts zu Jesus und bekannte: „Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, der von Gott kommt. Denn wer solche Wunder wirkt wie du, der muss schon mit Gott zu tun haben.
“Jesus antwortete: „Amen, amen, ich sage dir: Nur einer der noch einmal von oben her geboren wird, kann Gottes Reich sehen.“

Johannes 3, 1-3

Hinweis zum Urtext:
Das griechische Adverb ἄνωθεν, ánothen  („von neuem“) fasst Nikodemus nicht als „von oben her“ auf, obwohl das dem Wort nach möglich wäre, sondern er versteht es als erneute bzw. nochmalige Geburt, wie der nachfolgende Vers deutlich macht, da Nikodemus von der erneuten Rückkehr eines Menschen in den Mutterleib spricht. Aufgrund dieser Mehrdeutigkeit habe ich das Adverb im Text nach seinem doppelten Sinn wiedergegeben.

Vordergründiges und hintergründiges Sehen

Die Erklärung Jesu auf das freimütige Bekenntnis des Nikodemus wirkt im ersten Moment deplatziert, da dieser ihn ja gar nicht nach dem Reich Gottes gefragt hatte, doch das ist sie nicht. Nikodemus erklärt Jesus, man würde ihn wegen seiner Wunder, die er in der Öffentlichkeit wirkt, als von Gott gesandt anerkennen. Doch Jesus gibt ihm zu verstehen, dass das, was er gesehen hat (nämlich die Wunder), nicht das ist, was er gekommen ist offenbar zu machen. Er sei gekommen, um das Reich Gottes auf Erden sichtbar zu machen. Die Heilungen sind äußerliche Zeichen. Wer die Mission Jesu am äußerlich Sichtbaren festmacht, bleibt blind für das Eigentliche und hintergründige seiner Mission, das in seiner Botschaft vom Reich Gottes liegt. Insofern ist die Antwort Jesu auch Ausdruck einer gewissen Enttäuschung darüber, dass Nikodemus sein Bekenntnis an äußeren Erscheinungen festmacht – dass ein führender geistlicher Lehrer sich mehr von Wundertaten, als von den Worten seiner Lehre beeindruckt zeigt. Jesus war gekommen, eine Botschaft zu vermitteln, durch die der Mensch ein geistig Sehender wird, um das Reich Gottes in allen Geschehnissen sehen zu können. Die Enttäuschung darüber, dass die Aufmerksamkeit der Menschen auf das Vordergründige fixiert ist, bringt Jesus aber auch gegenüber seinen Jüngern unmissverständlich zum Ausdruck:

„Habt ihr denn keine Augen, um zu sehen und keine Ohren, um zu hören?“  Markus 8, 18

Daraufhin fragte Nikodemus: „Und wie kann jemand geboren werden, wenn er schon älter ist? Kann er etwa wieder in den Mutterleib zurückkehren und noch einmal geboren werden?“
Jesus antwortete: „Amen, amen, ich sage dir: Nur wer aus Wasser und Geist geboren wird, kann in das Reich Gottes hineingelangen. Fleischgeborene bringen Fleischgeborene hervor und Geist gebiert Geist. Sei nicht verwundert darüber, dass ich dir gesagt habe, ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Rauschen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wo er hingeht. So ergeht es jedem, der aus dem Geist geboren ist. Nikodemus antwortete und sagte zu ihm: Wie ist so etwas möglich? 

Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du bist der Lehrer des Volkes Israel und weißt das nicht? Amen, amen ich sage dir: Was (Johannes) der Täufer und ich wissen, das verkünden wir, und wir bezeugen, was wir geschaut haben. Ihr aber wollt unser Zeugnis nicht hören. Wenn ihr schon nicht glaubt, was ich über Irdisches sage, wieviel weniger werden ihr dann glauben, wenn ich euch vom Himmel sage.

Johannes 3, 4-12

Hinweis zum Urtext:
Das griechische Wort für „Geist“ und „Wind“ ist identisch: πνεῦμα, pneuma. Ebenso auch das hebräische und aramäische Wort רוח ruach bzw. ruch, das neben Wind auch Atem oder Hauch bedeuten kann. Der Begriff „Heiliger Geist“ beispielsweise, kann im Hebräischen auch als „Heiliger Atem“ oder „Atem Gottes“ gelesen werden.

Menschliche und göttliche Geburt

Auf die Frage von Nikodemus, was es mit dieser neuen Geburt von oben auf sich hat und ob der Begriff Geburt hier im wörtlichen Sinne zu verstehen sei, erklärt Jesus zunächst, welche Voraussetzung erfüllt sein muss, um in das Reich Gottes gelangen zu können. Damit lenkt er die Aufmerksamkeit von Nikodemus nochmals vom vordergründigen auf das hintergründige Geschehen um das Reich Gottes. Danach folgt der Hinweis Jesu auf zweierlei Geburten, unterschiedlicher Art, nämlich einer fleischlichen und einer geistigen.

Doch wenden wir uns zunächst der Bedingung zu, die Jesus nennt, ohne die kein Eingang in das Reich Gottes möglich ist – der Geburt aus Wasser und Geist. Bedenkt man allein die Mehrdeutigkeit und die Bedeutungsvielfalt des Begriffs Geist im Urtext, so drängt sich ein Sinngehalt sofort auf, und dieser liegt in der Gegensätzlichkeit der beiden Begriffe:

Auf der einen Seite ist da der Geist als Element der Luft, des Windes, des Atems und auf der anderen Seite das Wasser, als das geistlose bzw. das luftlose Element. Zugleich ist aber der Wind (Geist) auch ein Element des Himmels – der Höhe, das von oben kommt und dort wirkt. Sein Gegensatz ist das Wasser, das niedere, irdische und dunkle Element, das mit dem Abgründigen, also mit dem Begriff der Tiefe in Verbindung gebracht wird. Damit lässt sich nicht von ungefähr eine direkte Parallele zum alttestamentlichen Schöpfungsmythos ziehen, wo es heißt:

Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. 1. Mose 1,2

Vom Wesen der Geistgeborenen

Die erneute Geburt, von der Jesus hier spricht, beschreibt insofern einen neuen Schöpfungsakt. Es geht um die Geburt neuer Geschöpfe, die in eine neue Welt hineingeboren werden, nämlich in das Reich Gottes. Aus dem Element Wasser sind alle Menschen bereits geboren, entsprechend ihres fleischlichen Ursprungs von „unten“. Doch auch das Potential der hohen, geistigen Geburt ist in allen Menschen angelegt, die bereits „hören“, dass etwas Hintergründiges in dieser Welt vor sich geht. Diese Menschen sind jene, die „Ohren haben, um zu hören.“ Jesus verdeutlicht dieses Phänomen in dem Satz:

Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Rauschen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wo er hingeht. So ergeht es jedem, der aus dem Geist geboren ist.“

Was heißt das?  Es besagt, dass all jene aus dem Geist Geborene sind, die nach dem Woher und dem Wohin des menschlichen Daseins fragen und suchen, die innerlich von der Frage bewegt werden; woher kommen wir, und wohin gehen wir? Diese Menschen sind es, die das Raunen des Geistes schon vernehmen, aber es nicht deuten können. Wegen dieser Menschen ist Jesus gekommen, um ihnen den Weg in das Reich Gottes zu weisen. Denn Christus ist jener, der von sich sagen kann:

Ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wisst nicht, woher ich komme und wohin ich gehe.“ Johannes 8,14

Hier sind die beiden Beschaffenheiten, die notwendig sind und die uns fähig machen, in das Reich Gottes zu gelangen. Doch damit ist die Deutung der Sinnbilder „Wasser und Geist“ keineswegs ausgeschöpft. Bisher haben wir beide Sinnbilder getrennt betrachtet und gedeutet.  Von viel  grundlegenderer Bedeutung ist aber ihre Bedingtheit und Abhängigkeit zu einander. Jesus sagt ja nicht, dass man zuerst aus Wasser und danach aus Geist geboren werden müsse, um in das Reich Gottes zu gelangen, sondern er sagt:

Nur wer aus Wasser und Geist geboren wird, kann in das Reich Gottes gelangen.“

Das Sinnbild der Geburt

Um den tiefen Sinn, der in dieser Metaphorik liegt, zu verstehen, müssen wir uns zunächst dem Sinnbild der Geburt zuwenden und es deuten, damit sich uns die Bedeutung der Gegensätzlichkeit der Begriffe, Wasser und Geist erschließt. Was also ist in diesem Zusammenhang bezeichnend für den Vorgang der Geburt? Geburt ist ein schmerzvoller Akt und steht damit auch für einen Zustand der Ausweglosigkeit, der, wenn er zu einem guten Ende kommen soll, nur einen Ausgang kennt, nämlich das Geborenwerden eines neuen Menschen. Geburt wird von dem, der geboren werden muss, als lebensbedrohliche Einengung empfunden, wie es die sinkende Herzfrequenz des Kindes während einer Wehe bezeugt. Jesus verwendet eben dieses Sinnbild von der Geburt als beängstigenden und schmerzvollen Vorgang noch einmal an einer anderen Stelle:

„Wenn eine Frau gebiert, so hat sie Traurigkeit, weil ihre Stunde gekommen ist; wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst, um der Freude willen, dass ein Mensch in die Welt geboren ist.“  Johannes 16, 21

Aus der Dualität zur Einheit des Geistes

Das Leben in dieser Welt gleicht einem Sinnbild des Untergangs im luftlosen, geistlosen Element, dem Wasser. Die Sehnsucht nach Geist treibt uns nach oben. Man muss hinauf gelangen, die Oberfläche durchbrechen, um neuen Atem – um Geist zu schöpfen. Was heißt das? Im Spannungsfeld der Dualität dieser Welt geschieht jene neue Geburt aus Wasser und Geist, und in diesem Sinne müssen wir von neuem, d. h. von oben geboren werden. Unten im Alten, Vergänglichen ist für uns Geistgeborene kein Raum mehr. Für uns ist das Alte bereits vergangen, weil es als vergänglich erkannt wurde und aus geistiger Sicht nicht mehr erhaltbar ist. Das Neue, Unvergängliche und Zeitlose ist noch nicht offenbar, aber wir wissen darum und indem wir auf die Macht des Geistes vertrauen, werden wir aus den Tiefen des Wassers nach oben gezogen. Doch der Weg dorthin ist bedrohlich, beängstigend und nimmt uns den Atem. Das bedeutet, jede Einengung, jede Beschwerlichkeit, die wir in dieser Welt erfahren gleicht einer Wehe, die uns in das Reich Gottes hinein gebären will.

Geburt aus Wasser und Geist

Jede Erfahrung und Konfrontation mit Krankheit, Hass, Ungerechtigkeit, Schwäche (eigener wie fremder), Leid und Tod, gleicht unserem Untergang in abgründigen Tiefen dunkler Wasser.

Das Wasser als ein Symbol des luft- und geistlosen Elements versinnbildlicht jede Erfahrung in dieser Welt, die uns geistlos, sinnlos, böse und bedeutungslos erscheint.
Doch der Geist verharrt nicht in diesem Zustand, er strebt nach oben zu sich selbst: Geist sucht seinesgleichen – Geist gebiert Geist. Die Sehnsucht nach dem Geist, nach dem Atem, zieht uns nach oben. Und jedes Mal, wenn wir die Oberfläche – das Oberflächliche – durchbrechen, schöpfen wir neuen Atem, den Geist Gottes, der uns erkennend und zu neuen Kreaturen macht. Jede Überwindung durch den Geist ist ein Hindurchdringen vom Tod zum Leben, im Geist der Botschaft Jesu. Jedes neue Auftauchen aus dem Wasser und Aufnehmen von Geist – ist eine Geburt aus Wasser und Geist.

Geburt aus Wasser und Geist, ist insofern kein einmaliger oder ultimativer Akt, sondern ein immer wieder erneutes Handeln in einer bestimmten Geisteshaltung. Jener Geisteshaltung, in der auch Jesus Christus seine eigene Passion auf sich genommen hat. Indem er sie im Vertrauen auf den Geist auf sich genommen hat, hat er sie bedeutsam gemacht. Denn allein der Geist vermag das Sinnlose mit Sinn zu erfüllen, wodurch es gewandelt und überwunden ist.

In der Welt habt ihr Angst, aber seid getröstet, denn ich habe die Welt überwunden.“ Johannes 16, 33

Von der Würde des Glaubens

Wäre der Wahrheitsgehalt einer Glaubensüberzeugung von Ehre, Anerkennung und Wohlergehenen abhängig, so wären Lehrmeister wie Sokrates, Jesus, Meister Eckhart, Jan Hus, Giordano Bruno, Baruch Spinoza usw. der Unglaubwürdigkeit überführt.

Der letzte, ultimative Vorstoß, um den Verkünder einer unerwünschten Lehrmeinung, zum Einlenken zu bewegen, für unglaubwürdig zu erklären oder ganz zum Schweigen zu bringen, geschieht durch Bedrohung seiner körperlichen Existenz. Über die menschliche Schwäche und körperliche Verletzbarkeit meint man selbst gültige Überzeugungen jederzeit schwächen, verletzen oder vernichten zu können.

Entwürdigung, oder: Die Schaffung von Unglaubwürdigkeit durch Entzug der Würde

Als man Jesus ans Kreuz schlug und er dort einen würdelosen Verbrechertod starb, schien damit für viele der Beweis erbracht, dass dieser Mensch ein Hochstapler gewesen sein muss. Kurz zuvor hatte sich eben dieser Jesus noch als König feiern lassen und war in der Vollmacht des Gottessohnes aufgetreten. Hier am Kreuz zeigte sich nun, dass er doch nur ein gewöhnlicher Sterblicher war. In welch offensichtlichem Widerspruch stand sein Privileg der Gotteskindschaft nun zu seinem kläglichen Scheitern am Kreuz? Insofern war die Kreuzigung für die Feinde Jesu die Stunde der Wahrheit. Hier zeigte sich für sie, was seine Lehre und sein Anspruch, mit dem er aufgetreten war wert waren. Dementsprechend waren auch die Kommentare der Pharisäer und der Schriftgelehrten während der Hinrichtung:

Anderen hat er geholfen, aber sich selber kann er offenbar nicht helfen. Wenn er wirklich der König Israels wäre, so könnte er doch vom Kreuz heruntersteigen, und wir würden ihm glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er wirklich Interesse an ihm hat; denn er hat ja selbst gesagt: Ich bin Gottes Sohn … 

Matthäus 27,42

Warum führe ich diese Geschichte an? Weil sie als Beispiel für eine heuchlerische Beweisführung steht. Heuchlerisch deshalb, weil hier der Wahrheitsgehalt einer Aussage an Äußerlichkeiten und an menschlichen Schwächen einer Person gemessen wird. Als Beweis für die Unglaubwürdigkeit einer Überzeugung genügt dann der Entzug der Würde und der Hinweis auf das menschliche Scheitern. Unterliegt ein Mensch äußerlich, so wird dies auch als schlüssiger Beweis für die Haltlosigkeit seiner inneren Überzeugung verstanden.

Die Unveränderbarkeit des Wahren und Guten

Folgt man dieser Argumentation konsequent, so dürfte kein Mensch jemals irgendetwas Wahres äußern können, da kein Mensch frei ist von menschlichen Schwächen. Tatsächlich verhält es sich so, dass jeder Mensch – ganz unabhängig von seinen Schwächen –  in der Lage ist, Wahrheit von Unwahrheit zu unterscheiden. Mit anderen Worten, Wahrheit wird nicht zur Unwahrheit, indem eine Person, die sie ausspricht, offiziell zum Lügner oder Übeltäter erklärt wird, und Wahrheit endet auch nicht durch Bestrafung oder Vernichtung ihres Überbringers. Ein Gleichnis aus dem Philippus-Evangelium verdeutlicht diesen Sachverhalt bildhaft:

Wenn die Perle in den Schmutz hinabgeworfen wird, wird sie dadurch nicht minderwertiger, noch wird sie wertvoller, wenn man sie mit Balsam salbt, vielmehr behält sie immer den gleichen Wert bei ihrem Besitzer.

Philippus-Evangelium Spruch 48

Die Unerfüllbarkeit geistiger Ideale

Wie wir aus den Evangelienberichten wissen, verkündete Jesus kein System weltlicher Stärke oder äußerer Überlegenheit, sondern die Achtung und Wertschätzung geistiger Ideale. Gleichzeitig machte er deutlich, dass all jene, die ihm darin nachfolgen, in dieser Welt nicht siegen oder triumphieren werden, sondern scheitern und unterliegen. Der Sieg der Wahrheit stand für ihn im Gegensatz zum Sieg der Welt. Der Sieg der Welt ist ein scheinbarer, zeitgebundener und vergänglicher. Der Sieg der Wahrheit jedoch ist ein grundlegender, ideeller und zeitloser.

Wahrheit ist eine Größe, die unabhängig von unserer vergänglichen Existenz besteht. Dennoch ist jemand, der geistige Werte vertritt, nicht verloren in dieser Welt, nur weil er unterliegt. Der Trost, den Jesus seinen Nachfolgern vermittelt, beruht auf der Gewissheit, dass unsere innere Unversehrtheit grundlegend und von zeitloser Qualität ist, da Wahrheit als ein innerer und ideeller Wert unvergänglich ist.

Sterben wir um der Wahrheit willen, so werden wir auch leben um der Wahrheit willen.

Die äußere Unversehrtheit hingegen, ist scheinbar, zeitgebunden und vergänglich, wie Jesus verdeutlicht:

Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

Mt 16, 25-26

Leben wir um der Äußerlichkeit willen, so werden wir auch sterben um der Äußerlichkeit willen.

Dennoch sind die Ansprüche, die Jesus an seine Jünger stellt so hoch, dass ihnen niemand vollkommen gerecht werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass seine Lehre deshalb weltfremd oder lebensfern wäre. Im Gegenteil, die Kraft der christlichen Lehre besteht eben gerade in der Einsicht in die eigene menschliche Schwäche. Das mag paradox klingen, ist es aber nicht, wie im Beitrag „Schuld und Vergebung“ ausführlich dargelegt. Da wir als Menschen der Vergänglichkeit unterworfen und unseren menschlichen Schwächen ausgeliefert sind, können wir der Lehre Jesu zwar nicht in allen äußeren Handlungen gerecht werden, aber auf eine innere Weise können wir sie erfüllen. Sie auf innere Weise erfüllen bedeutet, dass wir unsere Distanz zu ihr (der Lehre Jesu) erkennen, und diesen Zustand innerlich bedauern. Einerseits werden wir uns also immer wieder eingestehen müssen, dass wir an der Umsetzung der christlichen Ideale scheitern. Andererseits können wir die Inhalte dieser Botschaft dennoch für richtig und für wahr anerkennen, können sie wertschätzen und lieben. Diese innere „Wertschätzung“ bildet das Herz der christlichen Glaubenslehre.

Die Wertschätzung der christlichen Ideale ist das, was Jesus als den Begriff „Glaube“ vermittelt, der lebendig und gerecht macht.

Sind wir im Zustand dieser inneren Wertschätzung, kann uns die Entfernung zu unseren Idealen nicht hindern, an ihnen teilzuhaben. Ja mehr noch, durch diese innere Wertschätzung werden wir eins mit den Idealen, die wir lieben. In dieser Gesinnung sind wir bereits dort, wo wir uns innerlich hingezogen fühlen.

Der christliche Glaube – was ist das?

Zu glauben bedeutet, die Botschaft Jesu für wahr halten – es bedeutet, den Worten Jesu zu vertrauen. Ich werde mich im Rahmen dieses Beitrags lediglich auf solche Worte Jesu beschränken, die unsere äußere Existenz betreffen: Jesus lehrte beispielsweise, darauf zu vertrauen, dass Gott weiß, was wir zum täglichen Leben benötigen, noch bevor wir ihn darum bitten. (Mt 6,8) Er lehrte auch, dass wir uns nicht sorgen sollen um Essen, Trinken, Kleidung. (Mt 6,25), auch nicht um unsere Zukunft – nicht einmal um den morgigen Tag sollen wir uns sorgen. (Mt 6, 34) Und selbst wenn man uns verkauft und ausliefert wie Sperlinge, so sind wir vor Gott dennoch nicht verloren. (Mt 10,29) Auch sollen wir uns gewiss sein, dass selbst unsere Haare auf dem Kopf alle gezählt sind. (Mt 10, 30). Und hätten wir nur so viel Glauben wie ein Senfkorn, so könnten wir Berge versetzen. ( Lk 17, 20) Doch selbst wenn ich davon überzeugt bin, dass ich im Vertrauen auf die Worte Jesu niemals sterben kann, auch wenn man mich tötet, (Mt 10, 28 und Joh 11,25-26), so bleibe ich dennoch ein Mensch mit all meinen menschlichen Schwächen – ein kleingläubiger Mensch, der an dieser Botschaft doch immer wieder zweifelt.

Das Paradoxon: Obwohl ich einerseits den Worten Jesu glaube, ja ihnen sogar zutiefst vertraue, wird mein Glaube doch immer wieder erschüttert werden: Komme ich in eine Notsituation, so handle ich aus menschlicher Angst und Vertrauenslosigkeit. In meiner Befangenheit suche ich dann nach menschlichen Sicherheiten. Geht es um die Erfüllung meiner Ideale, klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander: So verleugnete Petrus seinen Meister aus Angst vor der eigenen Verhaftung dreimal in derselben Nacht und weinte danach bitterlich über seine menschliche Schwäche. Doch eben diese Einsicht, dieses Bedauern der eigenen menschlichen Schwäche, ist ein wesentlicher und grundlegender Aspekt der Botschaft Jesu. Denn das, was ich als meine Schwäche erkannt habe, das versuche ich nicht vor mir selbst zu rechtfertigen und werde mich deshalb innerlich davon distanzieren. Nun könnte man hier einwenden: Ja, aber Jesus hatte doch keine menschlichen Schwächen, zumindest nicht in den Augen gläubiger Christen! Aber das stimmt nicht, im Gegenteil, die Verurteilung und Hinrichtung Jesu, zeigen uns ein sehr menschliches Bild von ihm. Er war schwach, verletzlich und sterblich, wie jeder andere Mensch auch. Stark war er in seiner Bereitschaft, die grausamen Konsequenzen seiner Geisteshaltung auf sich zu nehmen. Schwach war er als geborener Mensch. Ungeachtet seiner körperlichen Schwäche hat er an seinen Idealen festgehalten und war bereit, dafür die Schmach des äußersten menschlichen Scheiterns auf sich zu nehmen.

Der belächelte, kindliche Glaube

Nun gibt es Menschen, die ungeachtet ihrer menschlichen Zweifel und Schwächen, dennoch zuversichtlich in die Botschaft Jesu vertrauen. Auf geradezu kindliche Weise halten sie daran fest, dass ihnen nichts geschehen kann, was nicht im Willen Gottes liegt. Diese Menschen glauben unerschütterlich, dass Jesus Christus der Heiland ist, der alle Krankheit der Welt zu heilen vermag. Sie glauben, dass dieser Jesus der Christus ist, der durch seine Auferstehung selbst den Tod überwunden hat. Solche Menschen sind sogar bereit, für ihren „kindlichen“ Glauben Anfeindung, Hass und Ausgrenzung auf sich zu nehmen.

Auf der anderen Seite melden sich aktuell Kirchenvertreter zu Wort, die solch ein „naives Glaubensverständnis“ für falsch, verantwortungslos ja sogar für allgemeingefährlich halten. Sie verkünden Kraft ihres Amtes, dass diese oder jene Krankheit so gefährlich sei, dass hier weder Jesus, noch Gott und auch kein Beten helfen kann. Sie erklären daher, dass gerade Christen sich den offiziell verordneten Maßnahmen zu unterziehen hätten. Täten sie das nicht, so seien sie gar keine wirklichen Christen. Sie sind der Auffassung, dass selbst Jesus diese Maßnahmen befürworten würde – dass er sich ihnen selbstverständlich selbst unterzogen hätte, würde er heute leben.
Halten die kindlich Glaubenden hier dagegen, dass sie kein Vertrauen in die verordneten Maßnahmen haben und dass sie in dieser Sache lieber auf Gott vertrauen wollen, dann geben solche Kirchenvertreter ihnen zu verstehen, dass solch ein Verständnis von christlichem Glauben falsch, unhaltbar ja absurd sei.

Die Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit

Der letzte und ultimative Angriff, eine unliebsame Überzeugung zu diskreditieren, richtet sich immer gegen die Unversehrtheit des Körpers. Über die äußerliche Verletzbarkeit eines Menschen meint man auch die Wertlosigkeit seiner christlichen Überzeugung beweisen zu können. So scheint der Nachweis für die Absurdität einer Glaubensauffassung auch dann erbracht, wenn der Glaubende bei körperlichen Gebrechen einen Arzt aufsucht und nicht etwa auf Gott vertraut. Dann hält man ihm vor: „Siehst du, damit hast du dich als gewöhnlicher Mensch erwiesen. Das ist der Beweis dafür wie weltfremd, falsch und absurd deine Glaubensvorstellungen doch sind.“ Doch die so reden sind im Irrtum. Sie unterschlagen die Grundlage des christlichen Glaubens als eine aufrichtige, innere Wertschätzung von Idealen, unabhängig davon ob man diesen gerecht wird oder nicht.

Man kann Ideale glauben und wertschätzen, obwohl man ihnen als Mensch nicht gerecht zu werden vermag.

Fazit: Der aus tiefer innerer Überzeugung Glaubende wird den Ansprüchen dieser Welt nicht gerecht werden: Bleibt er standhaft, bleibt er seiner Überzeugung treu, so riskiert er Verfolgung, Ausgrenzung und Sanktionierung. Durch öffentlichen Entzug seiner Würde scheint der Beweis seines Irrtums erbracht.
Zeigt er sich hingegen menschlich, furchtsam und schwach, lenkt er aus Angst vor leidvollen Konsequenzen ein, so wird man seine Glaubensüberzeugung eben deshalb für abwegig und irrig erklären.

„Das Böse ist immer die Zerstörung sinnlicher Dinge, in denen das Gute wirklich gegenwärtig ist. Das Böse wird von denen verübt, die von dieser wirklichen Gegenwart keine Kenntnis haben.“

Simone Weil – Schwerkraft und Gnade

Der Blog zur christlichen Philosophie

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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Aus Angst vor den Unwägbarkeiten des Daseins, meinen wir das Leben (be)zwingen zu müssen. Doch führen wir damit einen Krieg gegen einen Gegner, der uns immer überlegen sein wird.

Welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin ...

Selbstüberschätzung

Das Gleichnis vom Turmbau

Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, - damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ...

Geistige Verwandtschaft

Geistige Verwandtschaft

Geistige Verwandtschaft

Es ging aber eine große Menge mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht ...

Als Bethlehem im Dunkel lag

Als Bethlehem im Dunkel lag
und Hirten hielten stille Wacht,
da ward es plötzlich heller Tag;
ein Licht erstrahlt in tiefster Nacht.
Und Klarheit, hoch von oben her,
verklärt nun Trauer, Leid und Tod;
Was ungeliebt und hart und schwer
– notwendig wird nun alle Not.

Als Dunkelheit die Welt umfing
und Blindheit alle Augen schlug
als Gottes Sohn am Kreuzstab hing,
den er hinauf zum Richtplatz trug.
Da hat erhellt den dunklen Sinn,
der uns in Not und Angst gebracht,
sein Wort, das schon vor Anbeginn,
durchdrungen hat die finstre Nacht.

So hat der Sohn uns kundgetan,
wie alles Leben ewig währt,
nahm auf sich Tadel, Schuld und Scham,
hat neu zu sterben uns gelehrt.
So nehmt, in seinem Geist und Sinn,
das eigene Kreuz nun täglich auf,
Denn Gottes Sohn ist der ICHBIN*,
der führt die Welt zum Licht hinauf.

So lasst uns ohne Sorgen sein,
und nehmen was uns zugedacht.
Es lässt der Sohn uns nicht allein,
hat uns gegeben seine Macht,
dass sterben wir in seinem Geist,
der über allen Zeiten steht
denn Christus der Gesalbte weist
den Ort, da Gottes Atem weht.

*2. Mose 3,14 bzw. Joh. 8,24

©Text und Komposition: Elmar Wieland Vogel
2. Dezember 2020 / 4. Vers 12. 12. 2022

Klavierauszug

Verschiedene Gesangsarrangements generiert durch AI Suno:

Chorgesang dynamisch
Chorgesang Ensemble
Solo für Sopran
Solo für Countertenor
Solo für Altstimme

Der Verlust der Transzendenz

Die Angst vor dem Tod oder vor äußerem Schaden macht uns korrumpierbar und bereit, jedes nur erdenkliche Verbrechen gegenüber unseren Mitmenschen zu rechtfertigen oder es sogar selbst zu verüben.

Ist das christliche Verständnis von der Transzendenz unseres menschlichen Daseins noch Grundlage kirchlichen Glaubens?

Wenn Kirchenvertreter dazu aufrufen, Menschen auszugrenzen, religiöse Gemeinschaft nur noch für „Sichere“ zu gestatten oder wenn sie Mitmenschen, die in der öffentlichen Meinung nicht als integer gelten, offen als Feinde bezeichnen, dann ist höchste Wachsamkeit geboten. Der Grund für solche Forderungen mag zum einen auf Opportunismus und Abhängigkeitsverhältnisse zurückzuführen sein, zum anderen aber ist es schlicht Angst – die allzu menschliche Angst vor dem Unwägbaren unserer menschlichen Existenz, vor Krankheit, Leid und Tod. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich mir die Frage nach der Bedeutung der Transzendenz, die dem christlichen Glauben doch zugrunde liegen sollte. Konkret: Ist der christliche Gedanke von der Transzendenz unseres Daseins für die Kirchen überhaupt noch von Bedeutung?

Ein Freund der Kranken und Ausgestoßenen

Aus den Evangelienberichten wissen wir, dass Jesus von Nazareth, auf den die Kirchen sich berufen, ganz bewusst Gemeinschaft pflegte mit Menschen, die am Rande der Gesellschaft standen, mit Prostituierten und Steuereintreibern. Selbst einem Feind Israels – einem Römer, verweigerte er seine Bitte nicht. Er kam zu den Kranken und sogar zu den Aussätzigen, und diese zu ihm, und er rief den Menschen zu:

Wer zu mir kommt den werde ich nicht abweisen.

Johannes. 6,37.

Nun haben wir es hier, verglichen mit der Situation Jesu, nicht mit wirklich Kranken zu tun, sondern mit Gesunden, die für „potentiell“ krank erklärt wurden. Aber ist dies nun tatsächlich eine Ausnahmesituation im Sinne einer Pestilenz? Keineswegs, denn der Mensch, als potentiell Kranker und Totgeweihter ist so alt ist wie die Menschheit selbst und keine Arznei der Welt kann ihn vor dieser Realität schützen oder bewahren.

Krankheit, Leid und Tod sind notwendige Begleiter unseres Daseins, die uns zu dem machen, was wir sind: Menschen.


Insofern bewirken die Forderungen nach Ausgrenzung vor allem eines; dass sich Menschen gedanklich entzweien, dass ein Klima des Misstrauens entsteht und dass Gemeinschaften zerbrechen. Doch was haben diese Forderungen mit dem Vorbild gemein, das Jesus den Menschen gegeben hat? Nicht das Geringste! Sowohl die Forderung nach Ausgrenzung, als auch das Verbot der Gemeinschaft, zeigt die Unvereinbarkeit mit der Lehre Jesu: Seiner Lehre nach, ist weder unsere menschliche Existenz noch unsere Gesundheit unser menschliches Verdienst, sondern Gnade. Wer den Menschen im Namen Jesu sagt, dass die Berechtigung ihrer Existenz von einer bestimmten Kur oder einer Arznei abhängig sei, hat den Bezug zur christlichen Gnadenlehre grundlegend verloren. Die Folge einer solchen Ideologie wird ein System der Gnadenlosigkeit sein.

Der Gedanke der Transzendenz

Der Gedanke der Transzendenz „des Übersteigens oder Hindurchdringens“ geht von der Möglichkeit der gedanklichen Durchdringung unserer endlichen Erfahrungswelt aus, hin zu einem übergeordneten, immateriellen und geistigen Grund von zeitloser Gültigkeit. Auf diesen Gedanken gründet sich der christliche Glaube. Es ist ein Glaube an unsere eigentliche und ewige Existenz, die in Gott begründet ist.

Der Gedanke der Transzendenz unseres Lebens bildet gewissermaßen die Grundlage der Botschaft Jesu, denn seiner Lehre nach liegt unsere eigentliche und grundlegende Existenz in Gott. Das heißt, sie besteht auf einer geistigen Ebene. Diese Existenz ist zeitlos und insofern unsterblich. Sie ist es jedoch nur in dem Maße, wie wir uns dieser Wahrheit nähern wollen, d. h. soweit wir diese Wirklichkeit suchen, ersehnen und wünschen, dass sie uns bewusst werde. Suchen und ersehnen wir unsere Existenz in Gott nicht, so haben wir auch keinen Anteil an ihr. Erkennen wir jedoch unsere Existenz in Gott als unsere eigentliche, so wird sie dadurch zu unserer neuen und unvergänglichen Wirklichkeit. In dieser Erkenntnis werden wir auch unser Dasein neu verstehen lernen. Das eine ist jedoch nicht möglich ohne das andere:

Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen anhängen und den andern hintergehen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. 

Matthäus 6, 24

Jesus Christus ist gekommen, damit wir uns unserer transzendenten, d. h. unserer geistigen Existenz bewusst werden; und dazu war er bereit, seine eigene zeitliche Existenz hinzugeben.

In seiner Passion hat er deutlich gemacht, dass unsere geistige Existenz über der stofflichen steht. Er hat ferner aufgezeigt, dass die geistige Existenz die Grundlage jeglicher Existenz ist und wir daher alle unsere Kräfte aufwenden sollen, uns unsere geistige Existenz zu bewahren, selbst wenn unsere äußere Existenz dadurch Schaden nehmen sollte. 

Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?    

Matthäus 16,25-26

Profanierung des Menschen – der Ausverkauf der Seele

Nicht nur in seiner Botschaft, auch durch die bewusste Einwilligung in seine Passion vermittelte Jesus, dass uns nur der Glaube an unsere ewige und zeitlose Existenz in Gott frei machen kann. Frei von einem Dasein, dessen Handlungen von Angst und Befangenheit bestimmt sind. Sei es die Angst vor Krankheit, vor Ausgrenzung, vor Ächtung, vor Ungerechtigkeit, vor Leid oder vor dem Tod. Wo immer solche Ängste unser Tun und Handeln bestimmen, und wir der Illusion erliegen, Leid und Tod entgehen oder ausschließen zu können, sind wir getäuscht und korrumpierbar – das heißt wir sind käuflich. Als „Gekaufte“ werden wir auch bereit sein, all das zu verkaufen und zu verraten, was geistig-ideellen Wert besitzt. Man nennt das den Ausverkauf der Seele. Denn was wir auf diese Weise verraten und preisgegeben haben, darauf haben wir auch willentlich jeden Anspruch aufgegeben. Von daher führt jede Schwächung des Geistes unweigerlich zu einer profanen und sinnentleerten Existenz – einem geistlosen Lebensverständnis, das in letzter Konsequenz hinausgeschüttet und zertreten werden wird, wie es Jesus in seinem Gleichnis von der Wirkkraft des Salzes verdeutlichte: 

Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz kraftlos wird, womit soll man’s salzen? Es ist hinfort zu nichts nütze, als dass man es hinausschütte und lasse es die Leute zertreten.

Matthäus 5, 13

Ein profaniertes Lebensverständnis, bedeutet die Reduktion des Menschen auf seine reine Äußerlichkeit, die nun um jeden Preis erhalten werden muss.

Der Preis, der dafür bezahlt werden muss scheint für viele schon akzeptiert: Trennung, Ausgrenzung, Entrechtung, Wut und Hass gegenüber unserem Nächsten, der unser korrumpiertes Lebensverständnis nicht teilt. Doch da solche Sanktionen gegen unseren Mitmenschen offiziell und ideologisch begründet werden – dürfen und sollen sie ausdrücklich geübt werden. Da selbst korrumpiert, fördern solche „Seelsorger“ ein Milieu der Angst, des Misstrauens, der Unversöhnlichkeit und der Feindseligkeit. Dabei wären Sie in Namen Jesu aufgerufen das Gegenteil zu tun, nämlich Frieden zu stiften:

Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Töchter und Söhne Gottes genannt werden.

Matthäus 5,9

Den Feind hassen heißt, ihm berechtigt Nachteile zu wünschen 

Das Liebesgebot bildet zweifellos das Kernstück der Botschaft Jesu. Seine Aufforderung, auch den Feind zu lieben, erscheint dabei selbst manchen „Christen“ unzumutbar, oder zumindest kaum praktikabel. Umso dringender stellt sich gerade in unserer aktuellen Situation die Frage, was es mit diesem außerordentlichen Liebesgebot auf sich hat.

Warum sollen wir unsere Feinde lieben, ihnen Gutes tun, für sie beten usw. wie es Jesus fordert? Die Antwort ist einfach und erschütternd zugleich: Wir sollen unsere Feinde lieben, weil diese ein wesentlicher Teil unseres Daseins sind. Weil, dem Verständnis Jesu nach, uns kein Mensch von ungefähr begegnet. Auch unser Feind ist unser Nächster, der uns nach dem Willen Gottes begegnen muss und den wir darum ebenso lieben sollen wie uns selbst. So hat Jesus auch den Menschen vergeben, die hinterhältig und ungerecht an ihm gehandelt haben. Und heute bemühen Theologen seinen Namen, um Menschen ohne böse Absichten auszugrenzen und zu sanktionieren.

Und selbst wenn es so wäre, dass jemand Feindliches gegen uns im Schilde führen würde. Auftrag unseres Glaubens wäre es dann, auch unsere Feinde zu lieben, da uns Gott auch in ihnen begegnet. In der Annahme seiner Passion zeigt Jesus diese Grundwahrheit auf. Hier vermittelt er uns jene Geisteshaltung, in der wir Gottes Willen selbst in solchen Geschehnissen vertrauensvoll suchen und finden sollen, die Unrecht, Leid und Tod bedeuten. Und dort, wo wir den Willen Gottes finden, dient uns alles zu unserem Besten, wie es der Apostel Paulus schrieb:

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Vorsatz berufen sind.

Römer 8, 28

Auch sollten wir uns dringend davor hüten, jemanden deshalb für unseren Feind zu halten, weil dieser von Obrigkeiten öffentlich und offiziell zum Feind erklärt wurde. In diesem Zusammenhang sollten wir uns die Hintergründe vor Augen halten, die zur Verurteilung und Hinrichtung Jesu führten: Jesus konnte nur verleumdet, angeklagt, verurteilt und hingerichtet werden, weil Obrigkeiten ihn zuvor zu einer öffentlichen Gefahr, zum Feind und zum Straftäter erklärt hatten.

Das Leben in seiner Gänze annehmen

Unsere Vorstellung von dem, was wir „Leben“ nennen, kann nur vollständig sein, wenn auch Leid und Tod darin inbegriffen sind. Das heißt, unsere menschliche Existenz kann nur ganz und heil werden, wenn wir auch die herbe Erfahrung der Ablehnung, der Ausgrenzung und der Ungerechtigkeit, in unser Leben mit einschließen. Erst in der Liebe gegenüber unserem Feind und all dem was dieser über uns verhängen mag, wird unser Leben vollständig. Nur das Vollständige ist das Ungeteilte und das Göttliche, dem Unsterblichkeit und Zeitlosigkeit zukommt.

Dabei geht es keineswegs darum, ob unser Feind sich im Unrecht befindet und wir im Recht oder umgekehrt. Nein, der Botschaft Jesu nach beruht jeder Gedanke der Feindschaft und des Hasses, den wir gegenüber unseren Nächsten hegen, auf einem folgenschweren Irrtum.

Jeglicher Hass beruht auf dem Irrglauben, dass die Welt gegen den Willen unseres Mitmenschen gebessert werden könne und müsse.

Menschlicher Hass beruht aber auch auf dem Irrtum, dass eine geteilte Welt am Ende immer noch eine bessere, da eine sicherere Welt sei. Doch das Gegenteil davon ist wahr. Was im Streit mit sich selbst liegt, kann nicht dauerhaft Bestand haben. Was geteilt ist, hat seine „Ganzheit“ bereits verloren und muss zu Grunde gehen. Darum ist es notwendig, dass wir auch in unserem Feind und in dessen Handlungen gegen uns, den Willen Gottes erkennen.

Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet; und jede Stadt oder jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, kann nicht bestehen.

Matthäus 12. 25

Unser Weltbild kann nur von Bestand sein und bleiben, wenn wir unser Leben in seiner Gänze annehmen. Eben darin war uns Jesus Christus Vorbild, indem er auch das Beschwerliche, die Widerstände, ja sogar Leid und Tod aus der Hand Gottes bereitwillig angenommen hat.

Die größte menschliche Befangenheit rührt aus der Angst vor dem Tod, dem aber doch niemand entgehen kann.

So, wie die Angst vor dem Tod uns befangen macht, macht sie uns auch verführbar und bereit, jedes nur erdenkliche Verbrechen gegenüber unseren Mitmenschen zu rechtfertigen oder es sogar selbst zu verüben. Dieser Grundwahrheit sollten wir uns angesichts der aktuellen Entwicklung vor Augen halten, um auch den Menschen verzeihen zu können, die solchen Ängsten bedingungslos erliegen.

Der Feind, das ist der Andersdenkende

Die absurdeste Form des Feindbildes rührt aus dem Glauben, dass der andere mein Leben gefährdet, ohne etwas konkret böses getan zu haben. Allein durch seine, Gott gegebene Existenz, bedroht er die Existenz anderer. Wir kennen dieses Szenario aus der Geschichte: Ob die Christen im alten Rom, die Juden, die über Jahrhunderte hinweg die Schuldigen waren, ob die Ketzer, die eine andere Meinung vertraten als die Amtskirche, die Hexen und Hexer, die schuld waren an Missernten usw., die Protestanten, die Hugenotten und all die Glaubensflüchtlinge und Exulanten des 30-jährigen Krieges. Es genügte, wenn man Teil einer Gruppe war, die hochoffiziell zu Gefährdern erklärt wurde, um zum Feind der übrigen Gesellschaft zu werden. War man einmal offiziell als Feind des Systems benannt worden, dann war es auch erlaubt oder sogar heilige Pflicht, diesen Menschen zu verfolgen, auszugrenzen, zu entrechten, zu schädigen oder gar zu töten.

Unsere Geborgenheit in Gott 

Der Angst vor dem Feind, der unser Leben bedroht, setzt Jesus das Vertrauen in Gott entgegen. Gott, der alle Geschehnisse wirkt und der all jene Menschen in ihrer Not bedenkt und aufrichtet, die in seine Allmacht vertrauen. Selbst wenn man uns „verkauft“ oder ausliefert, wie man es ja mit Jesus gemacht hat, so sind wir von Gott doch nicht vergessen.

Verkauft man nicht fünf Sperlinge um zwei Pfennige? Dennoch ist vor Gott nicht einer vergessen. Aber selbst die Haare auf eurem Haupt sind alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.

Lukas 12, 6-7

Auch Jesus wurde offiziell einem Feindbild zugeordnet, weil seine Ansichten sich nicht mit dem „offiziellen“ Religionsverständnis deckten und weil er zudem dessen Missstände offen und vehement anprangerte. Auch bei seiner Verurteilung spielte die menschliche Angst vor einer drohenden Gefahr – dem militärischen Eingreifen Roms – eine entscheidende Rolle. Selbst wenn diese „Gefahr“ letztlich nur ein politischer Vorwand war und Jesus ein willkommenes Bauernopfer:

Einer aber unter ihnen, Kaiphas, der in jenem Jahre Hoherpriester war, meldete sich zu Wort und sprach: Ihr habt ja keine Ahnung, ihr bedenkt die Konsequenzen nicht; es ist immer noch besser wenn ein einzelner Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.

Johannes 11, 49-50

Und doch war Jesus gekommen, um den Irrtum jeglichen Hasses aufzudecken, und dafür war er bereit, selbst zum Objekt des Hasses zu werden. Sein Ruf am Kreuz; „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ ( Lukas 23, 34)  zeigt, dass er seiner Botschaft bis zum Ende treu geblieben ist, indem er sterbend noch für seine Feinde bat. In dieser Geisteshaltung wird die Transzendenz seiner Botschaft deutlich, die uns folgende geistige Wahrheit vermittelt:

Soweit wir das Böse, das uns unser Feind antut, im Vertrauen auf uns nehmen, dass uns in allen Geschehnissen Gott selbst begegnet und wir insofern auch unseren Feind von Schuld freisprechen müssen, soweit stellen wir uns unter den Willen Gottes, der ausnahmslos alle Dinge wirkt. Doch Gott wirkt diese Dinge nicht umsonst.

Alles was Gott wirkt, das wirkt er, um das Leben zu fördern, dessen Ursprung er selbst ist.

Darum, sind wir in Gott, so kann uns nichts hindern. Sind wir nicht in Gott, so hindert uns alles. In diesem Sinne schrieb Meister Eckhart:

Wir selbst sind die Ursache aller unserer Hindernisse. Hüte dich vor dir selbst und du hast wohl gehütet.

Meister Eckhart

Und der Apostel Paulus schrieb:

Wenn Gott für uns ist, wer will dann gegen uns sein?

Römerbrief 8,31 

An den Früchten erkennt man den Baum

Wo wir im Vertrauen auf Gott anfangen, auch unseren Feind zu lieben, rufen wir Gott herbei und ermächtigen ihn, alle Dinge zu unserem Besten zu wenden. Durch unser Vertrauen, dass Gott alles in allem ist und dass da nichts ist, wo Gott nicht wirken könnte, rufen wir Gott ins Ungerechte, in das Böse ja, selbst in unseren Tod und allein durch unser Vertrauen, wird Gott es wandeln, sodass aus Tod Leben und aus Trauer Freude werden wird. 

Dadurch wird jeder Mensch, der in die Botschaft Jesu vertraut, auch in seinem Feind und in dessen böswilligen Handlungen den Willen Gottes finden können, weil er auf den Sinn und die Bedeutung aller Geschehnisse vertraut, die ihm begegnen. So wie Jesus Christus, der in der Anfeindung, im Hass und schließlich in Leid und Tod, das man ihm antat, den Willen Gottes erkannte. In unerschütterlichem Vertrauen hat er damit Gott zum Vater aller Geschehnisse gemacht und hat alle, die ihm gedanklich darin folgen wollen, frei gemacht vom Gedanken der Vergeltung. Das ist der gute Baum, der gute Frucht hervor bringt.

Wer nicht in die Botschaft Jesu vertraut, wird diese Lehre für absurd und unsinnig halten. Und so wird er „triftige“ Gründe finden Ausgrenzung, Entrechtung, Wut und Hass gegenüber seinem Nächsten zu rechtfertigen. Der Vertrauenslose wird seinen Nächsten zum rechtmäßigen Feind erklären, der kein Erbarmen verdient. Das ist der faule Baum, der schlechte Frucht hervorbringt.

Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben ernten von den Dornen oder etwa Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringt gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt arge Früchte.…

Matthäus 7, 15-17

Eine kritische Zuschrift hierzu und meine Antwort darauf finden Sie auf Poeten.de

Geistige Impulse

Zum Nach- und Weiterdenken

Die unten aufgelisteten Impulse sollen zum Nach- und Weiterdenken anregen. Geistige Impulse stellen eine kurze, komprimierte, inhaltliche Auseinandersetzung mit einer grundlegenden Aussage des Neuen Testaments dar. Dabei orientiert sich jeder einzelne Impuls direkt und unmittelbar an den der Lehre Jesu, aus der er sich inhaltlich jederzeit folgerichtig und schlüssig ableiten lässt.

Sprachkürze schafft Denkweite

Einige der hier aufgelisteten Kurztexte sind Auszüge aus Posts, ,Diskussionsbeiträgen auf Twitter oder Ausschnitte eigener Kommentaren auf Christophilos sowie teilweise Auszüge aus Essenzen – Die Botschaft Jesu. Manche Kurztexte sind auch einfach nur Gedankensplitter zu einer bestimmten Thematik. In diesem Fall sind es Textsammlungen, die mir als Grundlage für spätere Blogbeiträge dienen.

Inhalt:

Der Sabbat – Die Ruhe vor der neuen Schöpfung
Inwiefern sorgt Gott für etwas?
Jungfrauengeburt
Alle Ursache liegt in Gott
Bedeutung des Sühnetodes Jesu

Zum Bilde Gottes schuf er ihn …
Was ist Sühne?
Gut und Böse
Rettung und Vergebung
Tod und Sterben
Freier Wille
Kreativität und Schöpfung
Äußere und innere Wahrheit
Wesen des Abendmahls
Überwindung des Bösen durch das Gute
Jüngstes Gericht

Schuld und Sühne
Feindesliebe

Heilung
Unentschuldbares
Lüge – Ursache des Todes
Der Fall in die Bedeutungslosigkeit
Vergebung
Universeller Anspruch
Göttliche Gnade vs. weltliche Gnadenlosigkeit
Liebe und Hass
Gotteskindschaft


Der Sabbat – Die Ruhe vor der neuen Schöpfung
Das Pessach – Der Übergang zu Neuem

Jesus war nicht tot. Es war Gott selbst, der am Sabbat ruhte, dem jüdischen Pessach .

Am siebten Tag ruhte Gott von seiner Arbeit. Der Sabbat ist ein Sinnbild der Untätigkeit Gottes. Die Mission Jesu findet ihre Vollendung am Kreuz. Der Tod Jesu am darauffolgendem Sabbattag ist Sinnbild der Ruhe Gottes am Pessach, was „Vorübergehen“ oder „Überschreitung“ bedeutet. In Christus „überschreitet“ Gott die alte Welt am Sabbattag in Ruhe und Untätigkeit. Der Ruhe Gottes folgt in Christus die Auferstehung zu neuem Leben. In Jesus Christus hat sich Gott von seinem Ruhestatt erhoben, um erneut Schöpfer zu sein- um neues Leben zu geben. Nun gibt er jedem, der insistiert, bittet, sucht, anklopft:

 

„Und er sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote;  denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann,  und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf. Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.“

Luk 11, 5-10

 

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„Sorgt“ Gott für etwas?

Sorgt Gott dafür, dass dieses oder jenes geschieht oder nicht geschieht?

Dieser Gedanke wäre eine Vermenschlichung Gottes. Gott „sorgt“ für nichts im menschlichen Sinne. Gott ist die Wahrheit und Wahres entsteht als Konsequenz einer Folgerichtigkeit. Wahrheit ist auch keine Auswahl unter verschiedenen Möglichkeiten. Wahrheit geschieht unausweichlich, wir können nur einwilligen in sie. In unserer Einwilligung werden wir eins mit ihr – werden wir eins mit Gott. Und ausschließlich in dieser Einheit erfahren wir alles Gute: Trost, Gnade, Liebe, Vergebung, Barmherzigkeit, Leben etc. Von dieser Art ist die „Sorge“ Gottes. Gott sorgt nicht wie ein Mensch für etwas sorgt. Der Gekreuzigte ist jener, der fähig war in alle Wahrheit einzuwilligen. Eben auch in jene Wahrheit, die sein Scheitern und seinen sicheren Tod bedeutete. Hier und nur hier kann Gott für etwas „sorgen“. Warum? Weil im Einswerden des Menschen mit Gott sich alles Notwendige unausweichlich finden muss. Das Notwendige aber ist die Liebe und das Leben selbst. Deshalb musste Jesus auferstehen. Seine Auferstehung war die Konsequenz seiner Einheit mit Gott. Damit hat er verdeutlicht, dass Einheit mit Gott, selbst im Tod Leben hervorbringen muss. Wäre es anders, so wäre Gott nicht Gott.

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Jungfrauengeburt

Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie Immanu-El nennen, das heißt Gott-mit-uns.

Jesaja 7,14

Tatsächlich ist in diesem alttestamentlichen Text, der als Prophezeiung für die Geburt des Messias herangezogen wird, nicht von einer Jungfrau im Wortsinn die Rede, sondern von einer עַלְמָה = almâh. Als „almâh“ bezeichnete man im Hebräischen eine junge Frau im heiratsfähigen Alter bis zur Geburt ihres ersten Kindes. Erst durch die spätere Übersetzung ins Griechische wurde aus der „almâh“ dann eine Jungfrau.

Ausserdem existierte im Hebräischen auch eine explizite Bezeichnung für eine sexuell noch unberührte Frau im Sinne des deutschen Begriffs Jungfrau und diese lautete: betula בתולה

Wegen der semantischen Unsicherheit musste im Hebräische bei dem Ausdruck בתולה („junge Frau“) zusätzlich sichergestellt werden, wenn die betreffende Person sexuell tatsächlich noch unberührt war. Diese Näherbestimmung erfolgt im Alten Testament mit präzisierenden Formulierungen wie: … ein Mann hatte noch nicht mit ihr geschlafen Gen 24,16 … die noch keinem Mann gehört hatte Lev 21,3 … die noch mit keinem Mann geschlafen hatte. Ri 21,12

Das „Zeichen“ , das Gott hier geben sollte war demnach, dass der Messias von einer unverheirateten Frau, ausserehelich empfangen sein sollte, was das neue Testament ja zweifelsfrei belegt. Somit lag der Geburt des Messias ein menschlicher Makel zugrunde. In diesem Kontext wird auch der Ausruf Marias verständlich:

Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.

Luk 1,46

Die Freude über Ihre Rettung aus der Niedrigkeit war Ausdruck ihres Glaubens, den Messias zur Welt zu bringen. Dieser Glaube hob sie gedanklich über den gesellschaftlichen Makel ihrer unehelichen Schwangerschaft.

Bezeichnend für die Botschaft Jesu wird später sein, dass das Niedrige und Unwerte eine unerhoffte Wertschätzung erfährt; von der Geburt im Stall bis zur Passion am Kreuz. Dieser Gedanke wird grundlegend für das gesamte Neue Testament:

Was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme.

1. Korinther 1, 28-29

27. 11. 2023

Alle Ursache liegt in Gott

Die Passion Jesu wird oft dahingehend missdeutet, dass er am Kreuz die Strafe für einen Fehltritt des Menschen verbüßte. Doch bereits der Jesajatext weist auf diese Fehlwahrnehmung hin:

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber dachten, diese Leiden seien Gottes gerechte Strafe für ihn. Wir glaubten, dass Gott ihn schlug und leiden ließ, weil er es verdient hatte.

Jesaja 53,4

Wenn es daher heißt, dass Jesus die „Krankheit“ des Menschen auf sich genommen hat, so ist damit gemeint, dass Jesus die Verantwortung für alles Leid der Welt auf sich genommen hat. Denn derjenige, der die Verantwortung für einen Umstand auf sich nimmt und trägt, hat sich als dessen Verursacher zu erkennen gegeben. Am Kreuz hat Jesus Gott zur Ursache menschlicher „Krankheit“ gemacht. Jesus wusste: Erst wenn uns Gott zur Ursache dessen geworden ist, woran wir kranken und leiden, können wir davon erlöst werden.

25.7. 2023

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Zur Bedeutung des Sinnbildes vom „Sühnetod“

Die Vergebung menschlicher Schuld durch Jesus Christus beruht auf einer äußerst schlichten Wahrheit: Jesus war es gegeben, Gott als Ursache aller Erscheinungen zu erkennen. Kraft dieser Erkenntnis war er fähig, selbst in Feindschaft, Unrecht, Schwäche, Leid und Tod, Gottes Willen zu finden. In diesem außerordentlichen geistigen Bewusstsein sah er sich in der Lage, das Leid der Welt auf sich nehmen. Warum? Jesus wusste, dass alles, was ein Mensch aus der Hand Gottes annimmt, nur gut sein kann, da aus Gott immer nur Gutes (Leben und Geist) fließt, selbst wenn es gegenteilig erscheint. Hierauf beruht der Stellvertretergedanke, nämlich, dass Jesus eine geistige Fähigkeit besaß, die kein Mensch aus eigener Kraft hätte erreichen können. Und durch sein Vorbild können nun auch wir fähig werden, das Beschwerliche aus Gott zu empfangen, ohne daran zu zerbrechen. Gut wird Böses, indem es Geist und Sinn erfährt, denn das Böse ist immer das Sinnlose und Geistlose. Jesus wusste um den Sinn seiner Passion. Indem wir diese Geisteshaltung Jesu annehmen wird alle menschliche Schuld und Schwäche, alles Unrecht, alles Leid, ja, selbst unser Tod Sinn finden. Was so Sinn gefunden hat, das hat aufgehört „Sünde“ zu sein, denn es hat Notwendigkeit gewonnen.

Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele

Matthäus 20, 28

Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet und reichte ihn den Jüngern mit den Worten: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

Matthäus 26, 27-28

Ihr seid von untenher, ich bin von obenher; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt. Deshalb habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, so werdet ihr sterben in euren Sünden.

Johannes 8, 23-24

In »Sünden« sterben bedeutet, in einem Zustand innerer Anklage, Schuldzuweisung oder Schuld zu sterben. Es bedeutet, nicht einwilligen zu können in den ewigen Willen, der alle Dinge wirkt. In der Einwilligung mit allen Geschehnissen werden wir eins mit Gott. Was eins geworden ist mit Gott, das ist ohne Schuld, denn in Gott existiert keine Schuld. Lebendig ist nur das, was Gott gleich ist und eben das (Gott) ist ohne Schuld.

Sühne bedeutet Wiedergutmachung. Durch den Tod Jesu wurde das Böse wieder gut. Die Sühne beruht darauf, dass Gott (Geist) allem bisher Gottlosen (Geistlosen) sich selbst verleiht, es also mit Sinn erfüllt. Im Geist Jesu findet alles bisher Sinnlose unverhofft Sinn. Darauf beruht die Erlösung durch das Opfer Jesu.

1. 6. 2023

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Zum Bilde Gottes schuf er ihn…

Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn…

1. Mose 9,6

Der Schöpfungsbericht ist eine Metapher, denn Gott selbst ist ohne Bild. Zum Bild, und das heißt zum Wesen und Prinzip Gottes gehört die Fähigkeit, sich verloren geben zu können, um sich neu wieder zu finden. Dieses Gottesbild vermittelt Jesus angesichts seiner Passion. Deshalb musste Gott auch den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse wachsen lassen. Hätte er das nicht getan, so wäre der Mensch nicht nach dem Bilde Gottes geschaffen gewesen.
Durch das Essen vom Baum der Erkenntnis ging der Mensch verloren, d. h. er starb, so wie es Gott gewollt hatte nämlich so, wie er es immer auch für sich selbst wollte und will.
In Jesus Christus – in seiner Passion, zeigt Gott nun selbst auf „wie“ – also auf welche Weise – ein Gott verloren geht, um neu gefunden zu werden. Durch Jesus Christus erhält der Sündenfall eine tiefe Bedeutung und Notwendigkeit. Seiner Botschaft nach, gingen wir im Paradies verloren, „um“ neu gefunden zu werden: Das Prinzip der Auferstehung aller Wahrheit.

3. 11. 2022

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Was ist Sühne?

Sühne bedeutet Wiedergutmachung. Durch den Tod Jesu wurde das Böse wieder gut. Die Sühne beruht darauf, dass Gott (Geist) allem bisher Gottlosen (Geistlosen) sich selbst verleiht, es also mit Geist und Sinn erfüllt. Im Geist Jesu findet alles bisher Sinnlose unverhofft Sinn. Darauf beruht die Erlösung.
Sühne = Sinnfindung. Um zu Gott zurückzufinden müssen wir zurückfinden zu Geist und Sinn – zu einem Gottesbild, das Ursache aller Dinge ist, so wie es Jesus gelehrt hat: Liebet eure Feinde! Indem wir beginnen ausnahmslos auch beschwerliche und leidvolle Erscheinungen zu lieben, wie Feindschaft, Unrecht, Leid und Tod , werden diese überwunden, da in Gott weder Feindschaft, noch Unrecht, noch Leid und Tod existieren können -da Gott alles dient.

1. 4. 2023

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Gut und Böse

Das Gute ist authentisch, folgerichtig und selbstverständlich und kann daher nicht verneint werden. Das Böse ist beliebig, mutwillig und künstlich konstruiert. Eben weil es verneint werden kann, muss es mit Gewalt durchgesetzt werden.

Das Gute bedingt aller Erscheinungen auch der des Bösen, um sie zu transzendieren. Das Gute schließt das Böse ein. Das Böse hingegen bedingt des Guten nicht, sondern verfolgt und hasst es – versucht es auszuschließen: Grund und Ursache aller Lüge.

Das Gute ist das durch Wirklichkeit Belastbare und Substantielle. Das Böse ist substanzlos – es zerfällt unmittelbar bei der Belastung durch die Wirklichkeit.

Das Böse befiehlt den Vollzug der äußeren Handlung es besitzt weder Tiefe noch Transzendenz. Das Gute handelt aus innerer Notwendigkeit ohne fremde Anordnung oder einen Befehl von außen.

22. 10.2021

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Rettung und Vergebung

Manche Menschen meinen sie seien gerettet, wenn sie nur eine bestimmte Gebetsformel sprechen und ihre Schuld sei vergeben wenn sie nur fest glauben, dass Jesus für ihre Sünden gestorben sei. Doch Rettung und Vergebung beruhen darauf, dass wir jene Geisteshaltung annehmen, die Jesus lehrte und lebte.

22. 9. 2022

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Tod und Sterben

In der Sterblichkeit unseres Lebens liegt ein Sinn verborgen: Der Tod und mit ihm alles Mangelhafte ist unser Potential, um Tiefe und Bedeutung zu gewinnen, sofern wir diese Bereiche im Geist der Botschaft Jesu bedenken. Die Verdrängung menschlicher Schwäche, Leid u. Tod, ist die Verdrängung der Wahrheit über uns selbst. Dadurch wird das Leben seicht und bedeutungslos – werden wir vom Tod ereilt.

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Freier Wille

Der Glaube an eine freie Willensentscheidung, macht den Gedanken der Verantwortung und der Schuld erst möglich. Nun aber nimmt Jesus Christus alle Schuld und Verantwortung auf sich. Was heißt das? Es bedeutet, dass durch ihn Gott wieder zum Urheber aller Geschehnisse wurde und wird, was dem eigentlichen und wahren Wesen Gottes entspricht.

29. 8. 2022

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Kreativität und Schöpfung

Kreativität ist nie Relativierung oder Beliebigkeit, sondern sie ist eine authentische und glaubwürdige Interpretation der Wahrheit. Die höchste und vollkommenste Interpretation der Wahrheit ist ihre Erschaffung – ist Schöpfung. In Jesus Christus (in seiner Passion ) wird Gott zum Schöpfer neuer Wahrheit.

9. 7. 2022

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Äußere und innere Wahrheit

Mathematik und Naturwissenschaft sind nur Sinnbilder der Wahrheit – sie sind es hinsichtlich der Unumstößlichkeit ihrer Logik und ihrer Erkenntnisse. Doch Begriffe wie Gnade, Liebe, und Barmherzigkeit sind ihnen fremd. Dabei sind das jene Größen die unserer menschliche Existenz viel grundlegender ausmachen, da sie unser ideelles Menschsein betreffen und uns durch Christus im Innersten berühren wollen.

27. 4. 2022

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Das Wesen des Abendmahls

Das Brot nehmen und essen ist Wertschätzung und Andenken – ist das Wissen um die Notwendigkeit der Hingabe des Äußeren für das Innere. Den Leib essen ist äußeres Teilhabenwollen und ist Einwilligung in den Tod Jesu. Das Brot essen ist auch ein Sinnbild für das Annehmen der „Gestalt“ Jesu und seiner Geisteshaltung, es ist insofern Ausdruck der eigenen Hingabebereitschaft für die Sache Jesu.

Den Kelch nehmen und trinken ist Andenken und ist Einwilligung und Teilhabe am Leiden Jesu, und seiner Hingabebereitschaft, in der auch alles eigene Leiden verstanden sein soll. Der Inhalt (Wein bzw. Geist ) des Leides (Kelch) ist Wandlung des Leidvollen durch den Geist (Blut) dessen, der von königlich-himmlischem Geblüt. Wein ist ein Sinnbild geistiger Nahrung, die uns selbst und unsere Wahrnehmung verändert. Denn so wie der Wein ein Getränk ist, das eine Wandlung erfahren hat, wir auch der in seiner Wahrnehmung verwandelt, der ihn trinkt.

9. 5. 2022

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Überwindung des Bösen durch das Gute

Das Böse an sich existiert in Christus nicht mehr, da es in seinem Geist überwunden wurde. Was wir sehen sind zwei Formen dessen, was wir als das Böse wahrnehmen, nämlich Erkanntes (Benanntes) und Unerkanntes (Namenloses). Was uns als Widerpart des Guten erscheint, ist in Wahrheit (nur) das noch unerkannte und das noch namenlose Gute. Alles Böse, das wir im Geist Jesu betrachten, muss erkannt werden. Indem es erkannt ist verliert es seine Namenlosigkeit, und eben darin ist es überwunden.

25. 3. 2022

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Jüngstes Gericht

Die Welt ist im Geist Jesu überwunden, der Dunkles erhellt und Böses gewandelt hat. Ohne Geist muss alles sinnlos bleiben, denn Sinnlosigkeit ist Geistlosigkeit. Gericht ist die Verkennung Gottes, der Sinnloses geschehen lässt, um es zu überwinden, wodurch neuer, größerer Sinn geboren werden kann.


18. 3. 2022

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Schuld und Sühne

Zwei universelle Wege zur Überwindung von Unrecht, ohne Vergeltung zu üben: Vergebung zu üben, und Einsicht in die Notwendigkeit aller Erscheinungen. Christus hat beide Wege vereint.

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Feindesliebe

„Liebet eure Feinde!“ Gott als Ursache aller Dinge erkennen. Das Leben als ungeteiltes Ganzes verstehen u. annehmen: Nichts ausklammern, nichts verwerfen, alles bedingungslos aus der Hand Gottes entgegennehmen, wodurch alle Dinge gewandelt werden u. dienen können – ja, dienen müssen.

5. 3. 2022

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Heilung

Christus konnte die Menschen nur heilen, weil er das Heil selbst war. Um uns vor der Ursache aller Krankheit zu heilen, musste er sich mit uns gleichsetzen – musste selbst Krankheit tragen. Darum setzte er sich selbst Hass, Erniedrigung, Leid und Tod aus. Er, der es vermochte alle Krankheit zu heilen, hat durch seine Passion aufgezeigt, dass er vollkommen heil war. Nur der vollkommen heile, der Heiland konnte einen Sinn finden in Leid und Tod und dieser Sinn war für ihn unsere Heilung.

24. 2. 2022

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Unentschuldbares

Das eigentliche Vergehen des Judas bestand nicht darin, dass er seinen Meister verriet (auch Petrus verleugnete Jesus). Sein wahres Vergehen bestand darin, dass er seine Tat für unentschuldbar hielt und sich deshalb das Leben nahm. Nicht der Fehltritt an sich, sondern die eigene Hoffnungslosigkeit ist es, durch die wir Handlungen vor uns selbst unentschuldbar machen.

18. Juli 2023

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Lüge – Ursache des Todes

„Alles, was die Zeit bedroht, sondert Lüge ab, um nicht zu sterben, und zwar je mehr, je größer die Todesgefahr ist. Deshalb gibt es keine Liebe zur Wahrheit ohne vorbehaltlose Bereitschaft zum Tode. Das Kreuz Christi ist die einzige Pforte zur Erkenntnis.“ Simone Weil

5. 8. 2022

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Der Fall in die Bedeutungslosigkeit

Das Gute sucht nach der Bedeutung des Bösen – transzendiert es durch Geist und Sinn. Das Böse hingegen sucht das Gute bedeutungslos zu machen. Weder kennt es seine eigene wirkliche Bedeutung noch will es die Bedeutung des Guten wahrhaben.

18. 2. 2022

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Vergebung

Erst dort, wo wir (wie Jesus Christus) erkennen, dass uns nichts widerfährt, was nicht in Gott beschlossen ist, werden wir bedingungslos vergeben können.

26. 1. 2022

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Universeller Anspruch

Der universelle Anspruch der Botschaft Jesu ist ein individueller, denn er beruht auf der subjektiven Annahme jeder Erscheinung meines Daseins als Notwendigkeit. Nicht durch Widerstand oder Gewalt, sondern im vertrauensvollen Annehmen erfahren die Dinge grundlegende Wandlung.


5. 2. 2022

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Göttliche Gnade vs. weltliche Gnadenlosigkeit

17. 11. 2021

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Liebe und Hass

Liebe gewinnen wir aus der Gewissheit, dass in allen Geschehnissen, insbesondere in den beschwerlichen und leidvollen, ein verborgener Sinn liegt, der von uns gesucht und gefunden werden will – dieser Sinn ist Gott selbst.: „Suchet so werdet ihr finden, …denn wer da sucht, findet.“ Lukas 11, 9-10

Hass entspringt dem menschlichen Irrtum, dass die Welt gewaltsam, gegen den Willen unseres Mitmenschen verbessert werden könnte. Christus ist gekommen, diesen Irrtum aufzudecken. Dafür war er bereit, selbst zum Objekt des Hasses zu werden. Hass existiert, um als Irrtum erkannt zu werden, wodurch allein er überwunden wird.

4. 11. 2021

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Gotteskindschaft

Würden wir uns als Kinder erkennen, so wären wir frei von Schuld, denn Kinder sind nicht strafmündig. In unserer menschlichen Überheblichkeit frei, mündig und verantwortlich zu handeln, werden wir verantwortlich und schuldig: “Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder…” Matthäus 18, 3

29. September 2021

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Beiträge auf Twitter

In der Timeline unten werden vorwiegend eigene Beiträge auf X (Vormals Twitter) angezeigt. Durch Betätigung der seitlichen weißen Scrollleiste (rechts neben den Tweets) können alle Beiträge endlos aufgerufen werden. Um Antworten anderer Teilnehmer oder Diskussionsverläufe einzusehen muss in einem Tweet auf den Schriftzug >>Twitter<< geklickt werden. Es erfolgt dann eine automatische Weiterleitung zum Twitterportal. Um die Beiträge und Diskussionen direkt auf Twitter lesen zu können ist keine Anmeldung und kein eigenes Konto dort erforderlich. Lediglich den Datenschutzbestimmungen muss zugestimmt werden.

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Schuld und Vergebung

Wohl kaum ein Aspekt der christlichen Botschaft hat je eine größere Pervertierung erfahren, als die neutestamentlichen Aussagen über Schuld und Vergebung.

Tatsächlich kultivieren fast alle gesellschaftlichen Systeme den Narrativ von Schuld und Strafe – also das Schuldigwerden und die Sanktionierung von Schuld. Kein Mittel scheint geeigneter, um Menschen willfährig und abhängig zu machen, oder sie einfach zur Kasse zu bitten.

Der schuldige Untertan

Künstliche Schuldkonstrukte waren von jeher ein Mittel, um bestimmte Gruppen zu stigmatisieren, auszugrenzen oder schlicht zu Sündenböcken zu erklären. Letztlich geht es bei dieser Praxis immer darum, weltliche Machtstrukturen zu etablieren, sie zu festigen und zu erweitern.
Um die Unterschiede und die Unvereinbarkeit einer künstlich geschaffenen Schuld gegenüber dem Schuld- und Sühneverständnis Jesu zu verdeutlichen, möchte ich im Folgenden die spezifischen Inhalte seiner Botschaft näher betrachten.

Das Verhältnis von Schuld und Macht

Wer die neutestamentlichen Reden Jesu über Schuld und Sühne liest wird unschwer feststellen, dass es diesem Lehrmeister nicht um die Errichtung einer Gesellschaftsordnung und damit verbundener Machtansprüche ging. Tatsächlich kehrt Jesus jedes menschliche Hierarchiedenken komplett um, wenn er lehrt, dass derjenige in der geistigen Hierarchie am höchsten steht, der sich als ein Diener seines Mitmenschen versteht. Diesen Grundsatz äußerte er klar und unmissverständlich:

Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so soll es bei euch nicht sein; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

Markus 10, 43-45

Der Dienst, den Jesus den Menschen selbst erweist, klingt im letzten Satz seiner Rede bereits an. Dieser Dienst besteht – im weiteren Kontext – in einer konkreten geistigen Hilfe, durch die wir die Bedeutung der beschwerlichen und leidvollen Seiten unseres Daseins erkennen und verstehen lernen, um unser Leben in einer neuen, vertrauensvollen Betrachtungsweise zu meistern, wodurch das Böse überwunden wird.

Überwindung bedeutet im Sinne Jesu, dass das, was wir bisher für sinnlos gehalten haben, einen individuellen Sinn erfährt.

Will man daher von einem Machtanspruch Jesu reden, so muss man auf dieser gedanklichen Ebene noch einen Schritt weitergehen. Allmacht ist in den Augen Jesu ein Potential, das in der völligen Ohnmacht des Menschen begründet liegt. Das mag paradox klingen, doch folgen wir der Definition Jesu, dann liegt tatsächlich in der Ohnmacht des Menschen die Allmacht Gottes verborgen. Also dort, wo die Macht des Menschen aufhört, eben dort beginnt die Macht Gottes.  Um diese Kernaussage seiner Lehre zu verdeutlichen und diesen Gedanken weiter zu vertiefen, möchte ich ein eindrückliches Zitat aus dem Johannesevangelium anführen. Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser Äußerung Jesu um eine Erklärung, die er angesichts seiner bevorstehenden Verhaftung äußerte.

Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand nimmt es gegen meinen Willen, sondern ich gebe es freiwillig hin. Ich habe die Macht, es hinzugeben, und ich habe die Macht, es wieder zu nehmen. Das ist das Gesetz, das ich von meinem Vater empfangen habe.

Johannes. 10, 18

Soviel wird hier deutlich; da will einer nichts für sich und daher ist seine Definition von Macht auch nicht mit weltlichen Machtansprüchen vergleichbar und sie sind insofern auch nicht korrumpierbar.

Schuld – Chance zur Selbsterkenntnis

Eine Begebenheit, die uns die Unvereinbarkeit von weltlichem und christlichem Schuldverständnis verdeutlicht, schildert uns der Bericht von Jesus und jener Ehebrecherin, die öffentlich gesteinigt werden soll.

Um die Brisanz der Situation zu verstehen, in die Jesus da hineingeraten ist, muss man wissen, dass es den jüdischen Behörden zur Zeit Jesu untersagt war, selbstständig Todesurteile zu verhängen. Die Gerichtsbarkeit lag in solchen Fällen bei den römischen Behörden.

Frühmorgens aber kam Jesus wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie. Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Rabbi, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du dazu?  Das sagten sie aber, um ihn zu versuchen, auf dass sie etwas hätten, ihn zu verklagen. Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde.  Als sie ihn nun beharrlich so fragten, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.  Als sie das hörten, gingen sie hinaus, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.  Da richtete Jesus sich auf und sprach zu ihr: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Johannes 8, 3-11

In dieser, für die Ankläger völlig unerwarteten, Reaktion Jesu auf die provozierende und hinterlistige Frage, wie denn die angezeigte Schuld nun rechtmäßig zu bestrafen sei, wird die christliche Haltung bezüglich menschlicher Schuld und Sühne exemplarisch deutlich. Denn in der Antwort, die Jesus gibt, löst er die Gruppe der Ankläger auf, indem er jeden Einzelnen auf sich selbst zurückwirft – indem er ihn ganz persönlich mit dessen eigener menschlicher Unvollkommenheit konfrontiert. Diese Haltung ist bezeichnend und grundlegend für die Botschaft Jesu und tatsächlich ruht die gesamte christliche Lehre auf dieser gedanklichen Basis. Immer gründet sie sich auf der Frage nach dem Sinn und der Bedeutung des menschlichen Daseins mit seinen Schwächen und Unzulänglichkeiten: Scheitern, Schwäche, Krankheit, Irrtum, Täuschung, Ungerechtigkeit, Leid oder Tod – explizit diese Bereiche des Menschseins stehen im Fokus der Theologie Jesu.

Man könnte jetzt noch weitere ähnliche Aussagen Jesu anführen. Ich beschränke mich auf den folgenden Text der ebenso exemplarisch für die Lösung der Schuldfrage steht:

Richtet niemanden, damit ihr nicht gerichtet werdet! Denn wie ihr richtet, so werdet ihr selbst gerichtet werden und nach dem Maß, mit dem ihr messt, werdet ihr gemessen werden. Warum starrst du auf den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! – und siehe, in deinem Auge steckt ein Balken! Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, danach kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen!

Matthäus 7, 1-5

In diesem Gleichnis erfahren wir einen weiteren elementaren Grundgedanken der Lehre Jesu, nämlich die Ursächlichkeit von Schuld. Aus der Sicht Jesu liegt die Ursache unserer Schuld nicht nur in einem Unrecht, das wir vorsätzlich begangen haben, sondern auch dort, wo wir einen Makel unseres Mitmenschen aufzeigen, um diesen durch einen Eingriff korrigieren zu wollen.

Immer müssen wir bedenken, dass jede Korrektur, die wir an unserem Mitmenschen vornehmen wollen, vor dem Hintergrund unserer eigenen menschlichen Fehlbarkeit bestehen können muss.

Tut sie das nicht, so handeln wir unrecht, weil wir uns der Heuchelei also der Unaufrichtigkeit, der Befangenheit und damit der Amtsanmaßung schuldig machen. Die Aufforderung Jesu, zuerst den Balken aus dem eigenen Auge zu ziehen, zeigt die fast unmögliche Aufgabe schonungslos geübter Selbstkritik. Nur derjenige, der sich in solcher Selbstkritik übt, der sich die eigene Schwäche und Befangenheit stets vor Augen hält, ist authentisch, und nur der authentische Mensch ist fähig, angemessen Kritik zu üben. Und noch etwas: Werden wir durch freiwillige Einsicht in uns selbst frei von Verurteilung anderer, so existiert keine Grundlage mehr, die uns schuldig sprechen kann. Dies ist eine Folgerichtigkeit, die sich aus der christlichen Vergebungstheologie ergibt.

In dem Gebet, das Jesus lehrte vermittelt er diese Ursächlichkeit und Folgerichtigkeit von Schuld und Vergebung :

Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben denen, die sich an uns schuldig gemacht haben.

Matthäus 6, 9

Damit zeigt Jesus die einzige Möglichkeit auf, durch die Schuld objektiv vergeben werden kann, und zwar durch subjektiv geübte Vergebung desjenigen, dem ein Unrecht widerfahren ist, gegenüber demjenigen, der es an ihm begangen hat.

Der objektive Wille – also Gott – liegt somit in der subjektiven Vergebungsbereitschaft des Menschen begründet.

Aber noch etwas Grundlegendes wird hier deutlich: Jede Vergebung, die wir in dieser Überzeugung üben, ist gleichbedeutend mit der Vergebung, die wir durch Gott erfahren. Ja mehr noch; Gottes Vergebung ist vollkommen abhängig von der Vergebung, die wir selbst bereit sind zu üben. Mit anderen Worten: Vergeben wir nicht, so kann auch Gott nicht vergeben.
Vergeben wir im Sinne Jesu, so muss Gott vergeben – er kann nicht anders.

An keinem Ort der Welt – als allein in uns selbst – findet sich jene Instanz, die eine objektive Vergebung bewirkt.

Schuld macht Sinn

Aber warum sollte ein Unrecht überhaupt vergeben werden? Mit der Beantwortung dieser Frage kommen wir zum Sinn und zur Bedeutung der menschlichen Schuld . Alle Formen von menschlicher Schwäche, Irrtum und Schuld sind der Botschaft Jesu nach, nicht etwa entbehrlich oder überflüssig – ganz im Gegenteil, sie sind unabdingbare und notwendige Begleiter unseres menschlichen Daseins, denn ohne Schuld keine Vergebung, ohne Vergebung keine Gnade und insofern auch keine Barmherzigkeit. Jesus fasst diesen Gedanken in folgendem Kernsatz zusammen.

Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin gekommen zu rufen die Sünder zur Buße, und nicht die Gerechten.

Lukas 5, 31-32

Unsere menschliche Schwäche und das Eingeständnis der eigenen Unvollkommenheit sind die Grundlage und die Voraussetzung für unsere Heilung und Erlösung, ja mehr noch, sie sind unabdingbar notwendig, um über unseren temporären und mangelhaften Zustand hinauszugelangen, um diese Welt zu transzendieren. Insofern ist jede Form von menschlichem Versagen, Schwäche und Schuld unser größtes Potential überhaupt, sofern wir es im Sinne Jesu auffassen und annehmen.

Während in weltlichen Gesellschaftssystemen, Schwäche und Schuld als ein Instrument zur Demütigung oder Unterdrückung der Menschen dient, verhält es sich in der Botschaft Jesu – in der geistigen Sphäre – anders. 

Je mehr der Mensch sich in seiner Schwäche selbst erkennt, desto mehr Wahrhaftigkeit kann er daraus gewinnen.

Ein heute geläufigeres Wort für Wahrhaftigkeit ist Authentizität. Soviel Authentizität wir erlangen, so viel Göttlichkeit haftet uns an. Und in diesem Sinne lehrt Jesus:

Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.

Matthäus 5, 8

Auch dieser Lehrsatz wurde und wird immer wieder dahingehend missdeutet, dass ein guter Christ frei sein müsse von „unreinen“ Gedanken. Doch das ist zu kurz gegriffen, der Mensch soll die Unreinheit seiner Gedanken genau betrachten. Reinheit des Herzens ist ein Sinnbild dafür, dass wir uns in unserem Innersten (Herzen) genau so sehen, wie wir in Wahrheit sind: überheblich, unvollkommen, schwach, irrend, zweifelnd, fehlbar und sterblich. Die ungeschminkte und reine Einsicht in uns selbst ist jene Schau Gottes in unserem Herzen. Denn sehen wir uns so, wie wir in Wahrheit sind, so sehen wir nichts anderes als die Wahrheit, die wiederum Gott selbst ist. Und nur diese innere Einsicht kann uns nun dazu befähigen, die Schwäche und Unvollkommenheit unseres Mitmenschen zu verstehen und diese zu vergeben. Hierin liegt übrigens die einzig sinnvolle und geistvolle Konsequenz, die wir aus unserer menschlichen Schwäche überhaupt ziehen können, nämlich Angesichts eigener Unvollkommenheit, die Unvollkommenheit unserer Mitmenschen zu verzeihen. Auf diese Weise kann das Kranke, das Falsche, das Schwache und das Sterbliche eine neue Bedeutung erfahren, wodurch allein es grundlegend überwunden wird.

Hat unsere menschliche Unvollkommenheit und Schwäche auf diese Weise eine Notwendigkeit und eine grundlegende Bedeutung erfahren, so kann uns nichts mehr anklagen. Daher beinhaltet der christliche Vergebungsgedanke das Ende jeglicher Anklage und Verurteilung.  Zur Vertiefung dieses Gedankens eine weitere Darlegung Jesu:

Da kam Petrus auf ihn zu und fragte: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal. Darum gleicht das Himmelreich einem König, der mit seinen Knechten abrechnen woll­te. Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig. Da er’s nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kin­der und alles, was er hatte, zu verkaufen und damit zu bezahlen. Da fiel ihm der Knecht zu Füßen und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir’s alles bezahlen. Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei, und die Schuld erließ er ihm auch. Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Silbergroschen schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle, was du mir schuldig bist! Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir’s bezahlen. Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war. Als aber seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich gebeten hast; hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war. So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr einander nicht von Herzen vergebt, ein jeder seinem Bruder.

Matthäus 18,21-35

Der schachernde Gott

Hinsichtlich der Ursächlichkeit von Schuld und Vergebung trifft man in manchen christlichen Kreisen auch immer wieder den Gedanken des sogenannten Sühneopfers an. Dabei wird der Kreuzestod Jesu als eine Art Automatismus oder als ein Handel mit Gott verstanden, wodurch sein Zorn besänftigt wurde und nun jeder Mensch, der an diesen Handel glaubt, auf wundersame Weise erlöst sei. Oft wird ein Gottesbild gezeichnet, das nach einem grausamen Opfer des eigenen Sohnes verlangte, wodurch dieser Gott schließlich besänftigt werden konnte.
Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Dieses Narrativ an sich ist nicht grundlegend falsch, wohl aber ist es die verkürzte Darstellung. Tatsächlich ist der Erlösungsgedanke in der Lehre Jesu kein undurchsichtiges Mysterium, sondern er beruht auf einer geistigen Folgerichtigkeit und diese Folgerichtigkeit, besteht auf Grundlage einer bestimmten gedanklichen Konsequenz.

Die Überwindung der Schuld

Anknüpfend an die Bedeutung der beschwerlichen, peinlichen und leidvollen Seiten unseres menschlichen Daseins, wie ich sie oben bereits ausgeführt habe, ergibt sich als gedankliche Konsequenz, dass ausnahmslos allen Erscheinungen in unserem Dasein eine Bedeutung innewohnt – ein tiefer Sinn, der von uns gesucht und gefunden werden will, wie es Jesus mehrfach postuliert:

Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Lukas 11, 9-10

Würden wir ausschließlich den positiven, förderlichen und angenehmen Seiten unseres Daseins eine Bedeutung beimessen und alles andere verwerfen, so handelten wir auch hier wieder aus menschlicher Befangenheit heraus. Denn blicken wir zeitlich zurück, so waren es oft gerade die beschwerlichen und schicksalhaften Geschehnisse, die uns viel grundlegender geformt und geprägt haben als die oberflächlichen und leichten.


Ein Mensch, der die Geisteshaltung Jesu annimmt, wird ein universeller und neuer Mensch sein, einer der nichts verwirft, was ihm begegnet – ferner ein Geschöpf, das aus der Gewissheit lebt, dass ihm nichts Bedeutungsloses widerfährt, dass ihm in allen Dingen niemand anderer begegnet als Gott selbst. Und dies insbesondere in den schicksalhaften, leidvollen und beschwerlichen Geschehnissen. Auf dieser inneren Einsicht beruht sowohl der Vergebungs- als auch der Erlösungsgedanke der Botschaft Jesu.

Werfen wir noch einmal einen Blick auf zwei elementare Aussagen, die den Erlösungsgedanken Jesu thematisieren. Angesichts seiner bevorstehenden Hinrichtung äußert sich Jesus mehrfach in dieser und ähnlicher Weise:

… und wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht, gleichwie des Menschen Sohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“  

Matthäus 20, 27-28


 … das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.

Matthäus 26, 28

Im ersten Moment scheinen diese Aussagen wenig schlüssig. Wie kann das Leid oder das vergossene Blut eines Einzelnen bei anderen Menschen irgend etwas Positives bewirken? Wie kann es den Menschen Vergebung oder gar Erlösung bringen?  Betrachtet man jedoch diese Aussagen auf Basis der oben ausgeführten Gedanken so ergibt sich folgende, ungeheure gedankliche Konsequenz: Jesus sah sich in der Lage in allen Geschehnissen, die ihm begegneten eine Bedeutung zu finden. Nicht nur seine Anhänger und Freunde waren ihm lieb und teuer, sondern eben auch seine Feinde. Nicht nur das Gute, das man ihm tat, war für ihn bedeutungsvoll, sondern auch das Böse, das die Menschen an ihm verübten. Daher auch seine kompromisslose Aufforderung zur Feindesliebe:

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« (3. Mose 19,18) und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr nur liebt, die auch euch lieben, welchen Lohn erwartet ihr dafür? Tun nicht dasselbe auch die Steuereintreiber? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Gottlosen? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist. Matthäus 5, 43-48

Die vollkommene Liebe schließt niemanden und nichts aus, und in der Annahme aller Geschehnisse, auch jener leidvollen, die unsere Feinde über uns verhängen mögen, wirkt Gott, jedoch nur in demjenigen, der bereit ist, diesen Gedanken zu fassen. Diese Wirkung universeller Liebe ist wechselseitig. Was heißt das? Sehen wir uns in der Lage auch in den unschönen, beschwerlichen und leidvollen Geschehnissen eine Bedeutung zu finden, so tragen wir – eben durch diese Zuversicht – Sinn und Bedeutung in solche Geschehnisse hinein. Mit anderen Worten, wir selbst sind es, die wir in der Geisteshaltung Jesu Sinn ins Sinnlose tragen. Denn keine Frage: Nüchtern betrachtet, war die Hinrichtung Jesu ein sinnloser, barbarischer und menschenverachtender Akt. Für Jesus selbst hingegen, der an die Bedeutung seines schicksalhaften Scheiterns am Kreuz glaubte, war es der Sinn und Zweck seiner Mission. Allein seine veränderte Betrachtungsweise – den leidvollen und beschwerlichen Geschehnissen gegenüber – änderte für ihn das Geschehen am Kreuz, und in dieser geistigen Haltung wollte und will er ein Beispiel und Vorbild für alle Menschen sein. Doch worin liegt nun der Unterschied? Ein Leid, dessen Sinn und Bedeutung wir erkennen und einsehen, wird dadurch tragbar. Aber mehr noch, jedes Leid, das wir im Vertrauen auf seine Sinnhaftigkeit auf uns nehmen, das nimmt eben dadurch erst neuen Sinn an, und indem es neuen Sinn annimmt nimmt es Gott an, und indem es Gott annimmt, nimmt sich Gott selbst des Leid’s an.
Nimmt sich aber Gott des menschlichen Leid’s an, so kann es überwunden werden. Mit anderen Worten, tragen wir unser Leid – wie Jesus – in der Gewissheit seiner Bedeutung, so trägt es Gott selbst, da Gott die Bedeutung selbst ist.  Trägt aber Gott unser Leid, so muss es überwunden werden, da in Gott kein Leid bleiben kann. Durch unerschütterliches Vertrauen in den Sinn des vermeintlich Sinnlosen überwindet der Geist das Geistlose, überwindet der Sinn das bis dahin Sinnlose. Eine andere Möglichkeit zur Überwindung des Sinnlosen existiert nicht, daher sagte Jesus:

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Johannes 14,6

Durch mich, heißt hier, durch meine Geisteshaltung. Durch seine Geisteshaltung am Kreuz zeigte Jesus der Welt den einzig möglichen Weg, wie Böses gut, Ungerechtes gerecht, Sinnloses sinnvoll und Totes wieder lebendig werden kann. Das Geheimnis des Glaubens besteht in einer Wechselwirkung, die wir allein durch unsere geänderte geistige Haltung bewirken: Sehen wir uns angesichts des Bösen in der Lage, die Geisteshaltung Jesu anzunehmen, so übt sie auch Gott an uns: Vergeben wir, so vergibt Gott, lieben wir, so liebt Gott. Das Eine ist Inbegriff des anderen. Tatsächlich können wir diese Kausalität auch umkehren: Weil Gott uns bereits vergeben hat, sollen auch wir vergeben. Weil er durch seine Liebe alles erlöst hat, sollen auch wir durch unsere Liebe alles erlösen, denn erlösen bedeutet, innerlich frei zu werden von aller äußeren Anhaftung.

Der Missbrauch des Schuldkomplexes

Ganz anders verhält es sich dagegen bei weltlich auferlegter Schuld, sie kann nur durch entsprechende Sanktionierung oder Strafe getilgt werden.
Während der christliche Geist uns zur Einsicht in die eigenen menschlichen Schwächen aufruft, mit dem Ziel, dass wir dadurch bewegt werden, Schuld ohne Gegenleistung zu tilgen, geht es bei weltlichen Schuldrechnungen um ein ständig neues Erschaffen von Schuld mit dem Ziel, Abhängigkeiten zu erzeugen. Diese Form der Schulderzeugung ist willkürlich, ihre perfideste Form ist jene, die Menschen allein durch ihre Geburt und Existenz, also ohne ein Verbrechen begangen zu haben, zu Schuldigen macht. Wer hier das eine vom anderen nicht unterscheiden kann, steht diesem Schuldvorwurf hilflos gegenüber, da sich Schuld hier nicht mehr auf ein Verhalten sondern auf die Existenz bezieht. Das Mittel zur Sühne halten jene parat, die diese künstliche Schuld erdachten: Die Veränderung der Existenz gegen den Willen. Die Welt bedient sich von jeher des Werkzeugs der Schuld, um Abhängigkeiten, Hierarchien und Machtgefälle zu erzeugen oder um bestimmten Gruppen die Existenzberechtigung abzusprechen, indem man sie zur Bedrohung oder zur öffentlichen Gefahr erklärt. Das christliche Schuldverständnis hingegen dient dem konsequenten und grundlegenden Freiwerden von Schuld. Es ist frei vom Gedanken der Gegenleistung, der Vergeltung oder der Verurteilung.

Ich schließe mit einem Wort des Apostels Paulus, in dem er die positive Bedeutung aller Geschehnisse wie folgt zusammenfasst:

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Willen berufen sind. /… / daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes, auf daß derselbe (Christus) der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Römer 8, 28-29

Die Heilung durch den Geist

Jesus heilte die Menschen durch den Geist ohne dafür irgendeine Gegenleistung zu erwarten. Eine Praxis, die von der Schulmedizin heute eher beargwöhnt wird.

Über den Wert und die Bedeutung der Heilhandlungen Jesu

Die wissenschaftliche Medizin betrachtet den Kranken und seine Krankheit als Objekt und weist ihm beinahe verächtlich die Rolle absoluter Passivität zu; er hat nichts zu fragen und nichts zu sagen, nichts zu tun, als den Anordnungen des Arztes gehorsam und sogar gedankenlos zu folgen und sich selbst möglichst aus der Behandlung auszuschalten. In diesem Wort >>Behandlung<< liegt der Schlüssel. Denn während in der wissenschaftlichen Medizin der Kranke als Objekt >>behandelt<< wird, verlangt die seelische Heilkur vom Kranken vor allem, dass er selbst seelisch handle, dass er als Subjekt, als Träger und Hauptvollbringer der Kur, die höchste ihm mögliche Aktivität gegen die Krankheit entfalte. In diesem Aufruf an den Kranken, sich selbst seelisch aufzuraffen, sich zur Willenseinheit zusammenzufassen und diese Ganzheit seines Wesens der Ganzheit der Krankheit entgegenzuwerfen, besteht das eigentliche und einzige Medikament aller psychischen Kuren, und meist beschränkt sich der Hilfsakt ihrer Meister auf nichts anderes als auf das gesprochene Wort.“

Stefan Zweig


Dieser Text aus Stefan Zweigs Schrift: „Die Heilung durch den Geist“ scheint heute aktueller denn je und ist mir so aus dem Herzen gesprochen, dass ich hier die Personen, die er in seinem Buch exemplarisch als geistige Heiler porträtiert, um eine Person erweitern möchte: Jesus Christus.

Privileg des Krankseins

Die Gesundheit ist für uns Menschen das Gute und das Richtige, Krankheit hingegen das Falsche und Schlechte. Der Lehre Jesu nach, kommt aber gerade der Krankheit eine wichtige Bedeutung zu. Ist es doch gerade die Krankheit, die es vermag, uns innehalten zu lassen, die wir als stumme Aufforderung verstehen können, unsere bisherige Lebensweise zu hinterfragen und die uns so ein transzendentes Denken ermöglichen kann.

Ich sage ganz bewusst „kann“ weil eben dieses Potential, das im Zustand der Krankheit liegt, oft nicht als solches erkannt wird. Tatsächlich wurde Jesus von der Mehrheit seiner Zeitgenossen eher als Arzt betrachtet und weniger als spiritueller Lehrer. Das zeigt u. a. die Kritik von jüdischer Seite, er würde den Sabbat missachten, weil er am Feiertag seiner Arbeit nachgehe bzw.  Menschen am Sabbat gesund mache.

Jesus selbst verwendet den Begriff Krankheit aber immer im doppelten Sinne; nämlich als körperliches und als seelisches Gebrechen. So antwortet er auf den Vorwurf, er würde mit Sündern und Volksverrätern Umgang pflegen: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken!“ Dabei versuchte er deutlich zu machen, dass die geistige Gesundheit an erster Stelle stehen muss.

Steht der Mensch in seiner geistigen Gesundheit, so überwindet er jede Mangelsituation und alle menschlichen Gebrechen – durch den Geist überwindet er die Krankheit der Welt.

Glaube macht Krankheit


Jesus zeigte auf, dass das, was wir für krank bzw. schlecht oder für gesund bzw. gut halten, seinen Ursprung in unserem persönlichen Urteil den Dingen und den Geschehnissen gegenüber hat. von Natur aus sind jedoch die Dinge weder gut noch schlecht. Daher liegt nicht in den Dingen oder Geschehnissen selbst, sondern in unserem persönlichen Urteil, unserer Einschätzung den Geschehnissen gegenüber, die Ursache für unser Heil oder Unheil.  Was uns ungerecht, leidvoll und beschwerlich erscheint, betrachten wir gewöhnlich als schlecht, das Stärkende, Fördernde und Angenehme hingegen als gut. Jesus aber verleiht den Dingen eine völlig neue Bedeutung: Der Reiche, Wohlhabende und Mächtige ist in die vielen Dinge dieser Welt verstrickt und so warnt er:

Eher geht ein Ankertau durch ein Nadelöhr als ein Reicher in Gottes neue Welt.“

Hingegen aus der Gruppe der Armen, Schwachen und Kranken, derer, denen Unrecht widerfahren ist, die am Rande der Gesellschaft stehen, die nichts zu verlieren haben, erwächst die Sehnsucht nach Heilung, nach Erleichterung und nach ausgleichender Gerechtigkeit. Und weil eben diese Sehnsucht genau dem entspricht, was Jesus zu geben hat, verkündet er:

„So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten“

Die Heilung, die Jesus an den Menschen vollbringt, ist immer eine geistige, auch wenn er „nur“ ihre körperlichen Gebrechen heilt. Immer wieder erklärt er den Geheilten, dass ihr Glaube und ihre feste Überzeugung, er (Jesus) könne ihre Gebrechen heilen, ihre Gesundung letztlich bewirkt hat:

Dein Glaube hat dir geholfen“ – „Dein Glaube hat dich gerettet“, – „Dein Glaube hat dich gesund gemacht“, sind dann seine Worte.

Auch hier steht die feste innere Überzeugung – nämlich die geistige Stärke über den Zustand der Krankheit hinaus zu denken – über der Krankheit selbst. Nur diese eine Einsicht, nämlich, dass alle äußere und sichtbare Welt auf einer geistigen Grundlage besteht, wird den Glauben an eine Heilung durch den Geist rechtfertigen können. Oder wie Aristoteles sagte:

„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“.

Besteht aber unsere äußere Erscheinungswelt auf Grundlage des Geistes, so liegt in allen äußeren Erscheinungen auch ein tiefer Sinn und eine Bedeutung verborgen. Dass sich uns Sinn und Bedeutung des Leidvollen, des Beschwerlichen und des Umstandes, dass wir sterben müssen, erschließen, dass wir den Grund aller Dinge, die uns widerfahren erkennen und verstehen, will ersehnt, gesucht und gefunden werden. Denn der Begriff „Geist“ ist ein Synonym für eine Sinnhaftigkeit, die über die rein äußere Erscheinung der Dinge hinausgeht. Somit ist die Suche nach dem Sinn, ist die Suche nach Geist, ist die Suche nach Gott, letztlich die Suche nach unserer heilen, eigentlichen und zeitlosen Existenz. Unsere Sehnsucht nach dem Geist ist dabei die Grundlage dieser Heilung:

„Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.…“ Lukas 11,9

Die Heilung durch den Geist vermag viel mehr, als „nur“ die Heilung von körperlichen Gebrechen, denn sie fußt auf der Erkenntnis, dass jede Heilung, alles Gute, ja dass das Leben selbst auf einer geistigen Basis ruht. Kraft dieser Erkenntnis, betreten wir diese Basis und vermögen damit alles, was auch der Geist vermag, der Ursprung und Ursache aller äußeren Erscheinungen ist. In dieser Erkenntnis sehen wir uns aber auch in der Lage, alle äußeren Dinge zu entbehren, da wir die Grundlage des Lebens auf seiner geistigen Basis erkannt und gefunden haben. Dieser Fund macht uns zu Teilhabern des Geistes, der uns wiederum mit allem notwendig Äußerem bedenkt.

Eine weitere, grundlegende Aussage, die uns insbesondere die Passion Jesu lehrt, ist diese: Alle Krankheit, alles Beschwerliche, ja selbst erlittenes Unrecht, Leid und Tod werden einen persönlichen und individuellen Sinn erfahren, wo wir beginnen, ihren Ursprung im Geist, also in Gott zu suchen. Weil alle Erscheinungen ihren Ursprung im Geist haben, muss ihnen auch Sinn und Bedeutung innewohnen. Doch dieser Sinn ist uns in dem Moment, wo wir erschrecken, dunkel und verborgen, er will aber von uns gesucht und gefunden werden, denn dieser Sinn ist Gott selbst.   Daher das immer wiederkehrende Postulat Jesu:  „suchet, so werdet ihr finden…“

Ohne Sehnsucht keine Heilung

Die Überwindung des Leidvollen und vermeintlich Sinnlosen durch den Sinn geschieht, indem wir das Beschwerliche in der Geisteshaltung Jesu vertrauensvoll auf uns nehmen, so wie auch er bewusst Unrecht, Leid und Tod auf sich genommen und getragen hat, in der Gewissheit, dass auch in diesen Bereichen Gott wirken wird, sofern er von uns darin gesucht wird. Wer auf diese Weise Gott in allen Erscheinungen sucht, der wird ihn in allen Dingen finden – selbst im eigenen Tod. Unser unerschütterliches, kindliches Vertrauen in den Geist veranlasst Gott zur Sinnschöpfung über das Starre und Leblose hinaus, denn alle Schöpfung Gottes ist die Kreation von Geist und Sinn alles bis dahin Geist- und Sinnlosen. Insofern liegt bereits ein grundlegender Sinn in unseren äußeren Gebrechen, denn sie fördern unsere Sehnsucht nach Geist. Die Heilung durch den Geist geschieht dabei in jeder gewonnenen Einsicht, in der wir uns der grundlegenden Bedeutung der Botschaft Jesu bewusst werden. Erst wenn wir nichts anderes mehr wünschen und begehren, als die Hinwendung zu den geistigen Belangen unseres Daseins, jenen, welche die Grundlage unserer inneren Vollkommenheit und somit auch die unserer äußeren Unversehrtheit sind, können und werden wir die grundlegendste aller Heilungen überhaupt erfahren: Unsterblichkeit.

Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt. Und wer da lebt und an mich glaubt, wird unsterblich.   Johannes. 11, 25

Wer die geistigen Belange über alles Äußere stellt, gewinnt dadurch die Grundlage allen Lebens und somit alle äußerlich notwendige Unversehrtheit hinzu.

Überwindung der Geistlosigkeit – die grundlegendste Krankheit der Welt


Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen.“ Matthäus 6, 33

Jesus ist gekommen, damit wir durch diese Botschaft auf unserer geistigen, d. h. auf einer zeitlosen Basis Heilung erfahren, also jener, die alles äußerlich Notwendige in sich einschließt. Unsere innere Heilung, durch die wir zu unsere zeitlose Existenz finden, ist die eigentliche Heilung im Sinne Jesu. Durch die Heilung von körperlichen Gebrechen hat Jesus die Kraft des Geistes für uns nur sichtbar gemacht, denn eine Heilung von körperlichen Krankheiten, muss nicht zwingend die geistige Heilung des Menschen einschließen.

Jesus Christus ist gekommen, damit wir Zugang zu grundlegender Heilung und Unversehrtheit finden können, und diese liegt im Gewinn unserer zeitlosen Existenz, die in Gott liegt. In unserer zeitlosen Existenz sind wir unsterblich. In unserer zeitlosen Unversehrtheit, der des Geistes, werden wir fähig, alles Äußere zu entbehren, so wie Jesus in der Lage war, alle Dinge zu entbehren sei es Anerkennung, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Leben. Durch sein Vorbild und Beispiel wollte er aufzeigen, dass all das, was wir in seiner Geisteshaltung willig preisgeben und verlieren, in Gott wiedergefunden werden muss, da es hierin einen tiefen Sinn erfährt. Wird uns im Geiste Jesu die äußere Unversehrtheit genommen, so werden wir auch in das Schicksalhafte und das Leidvolle einwilligen können, ohne daran zu zerbrechen.

Somit liegt die grundlegendste Heilung aller unserer Gebrechen im Bewußtwerden unserer zeitlosen Existenz.

In unserer geistigen Existenz sind wir zeitlos, unverwundbar und unzerstörbar. In unserer zeitlosen Existenz sind wir ewige Geschöpfe und das bedeutet wir waren bereits, bevor wir hier in diesem Leben wurden. Diese Grundwahrheit versuchte Jesus den Menschen zu verdeutlichen – oftmals vergebends:

Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen in Ewigkeit. Da sprachen die Juden zu ihm: Jetzt erkennen wir, dass du verrückt bist. Abraham ist gestorben und die Propheten, und du sagst: Wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht schmecken in Ewigkeit. Bist du etwa mehr als unser Vater Abraham, der gestorben ist? Und selbst die Propheten sind gestorben. Was machst du hier aus dir selbst? Jesus antwortete: Wenn ich mich selber ehre, so ist meine Ehre nichts. Es ist aber mein Vater, der mich ehrt, von dem ihr sagt: Er ist unser Gott. Und ihr kennt ihn nicht, ich aber kenne ihn. Und wenn ich sagen würde: Ich kenne ihn nicht, wäre ich ein Lügner wie ihr. Aber ich kenne ihn und halte sein Wort. Abraham, euer Vater, wurde froh, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich. Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht mal fünfzig Jahre alt und willst Abraham gesehen haben? Jesus sprach zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich. Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Aber Jesus verbarg sich und ging zum Tempel hinaus.                Johannes. 8, 52-58

Eine Vertiefung dieser Aussage Jesu findet sich bei Meister Eckhart:

In jenem Sein Gottes nämlich, wo Gott über allem Sein und über aller Unterschiedenheit ist, dort war ich selber, da wollte ich mich selber und erkannte mich selber, (willens) diesen Menschen zu schaffen. Und darum bin ich Ursache meiner selbst meinem Sein nach, das ewig ist, nicht aber meinem Werden nach, das zeitlich ist. Und darum bin ich ungeboren, und nach der Weise meiner Ungeborenheit kann ich niemals sterben. Nach der Weise meiner Ungeborenheit bin ich ewig gewesen und bin ich jetzt und werde ich ewiglich bleiben. Was ich nach meiner hiesigen Geborenheit nach bin, das wird sterben und zunichte werden, denn es ist sterblich; darum muss es (zusammen) mit der Zeit verderben. In meiner (ewigen) Geburt aber wurden alle Dinge geboren, und ich war die Ursache meiner selbst und aller Dinge, und hätte ich gewollt, so wäre weder ich noch wären alle Dinge, wäre aber ich nicht, so wäre auch Gott nicht: Dass Gott, Gott ist, dafür bin ich die Ursache; wäre ich nicht so wäre Gott nicht Gott.                Meister Eckhart  Predigt 52

Zum Taufverständnis Jesu

Der Auffassung Jesu nach, muss der Begriff der Taufe viel weiter gefasst werden, als wir ihn aus dem gängigen kirchengeschichtlichen Rahmen kennen.

Über die Bedeutung des menschlichen Scheiterns und Unterliegens und die Wiederauferstehung zeitloser Werte im Sinnbild der christlichen Taufe.

In den Urtexten des Neuen Testaments lautet das altgriechische Wort für „taufen“  baptízein (βαπτίζειν) und das für „Taufe“ baptein. Die Bedeutung des Begriffs reicht von „ein- oder  untertauchen“ bis hin zu „tränken und färben“.

In der ersten germanischen Bibelübersetzung, der gotischen Bibel von Wulfila aus dem 4. Jahrhundert, wird baptizein mit daupjan übersetzt, das ebenso wie das griechische Wort „tauchen“, „eintauchen“ bedeutet. Wie das gotische Wort daupjan gehen das altnordische deypa, das altenglische dyppan (s. a. dippen) und das althochdeutsche toufen, auf ein Wort zurück,  das im Neuhochdeutschen mit „tief“ wiedergegeben wird.  Quelle Wikipedia

Nun war die Muttersprache Jesu aber nicht das Altgriechische, sondern das Aramäische, denn er lehrte das Volk in der damaligen Landessprache. Im Aramäischen lautet das Wort für Taufe mamodita, das sich vom hebräischen amad ableitet und „aufstehen“ bedeutet. Die Wurzeln des Verbs amad wiederum gehen zurück auf den hebräischen Begriff amuda = Pfeiler. Vor diesem Hintergrund ist Taufe eher als ein Untergangs- bzw. Auferstehungsritual aufzufassen. Das heißt, neben dem Aspekt des Reinwerdens geht es auch um die innere Bereitschaft zu unterliegen (zu fallen und zu sterben) um danach erneut aufzustehen – um wieder aufgerichtet zu werden.

Damit wird deutlich, dass der Begriff der Taufe viel weiter gefasst werden muss, als wir ihn aus dem kirchlichen Rahmen kennen. Man vermutet heute, dass die große jüdische Täuferbewegung zur Zeit Jesu auf die Essener zurückgeht, die damals neben den Gruppierungen der Pharisäer und Sadduzäer eine besondere Form des Judentums vertrat. Stark für diese Vermutung sprechen die großen Wasserbecken mit Treppenanlagen zu beiden Seiten, wie sie bei den archäologischen Ausgrabungen des essenischen Wüstenklosters am Toten Meer zum Vorschein kamen. Hier war erstmals ein Untertauchen des ganzen Körpers möglich. Hinsichtlich des vollständigen Untertauchens unterschied sich dieser Ritus von den religiösen Waschungen des alten Testaments. Es ist anzunehmen, dass auch Johannes der Täufer in der Tradition der  Essener stand, später aber eigene Wege ging.  So setzte er gegenüber der Essenertaufe weitere, neue Akzente: das Untertauchen in „lebendigem“ Wasser und die öffentliche Taufe für jedermann – d. h. sein Taufbegriff war frei vom essenischen Elitegedanken. Der Begriff Lebendiges Wasser hat in der Sprache des Neuen Testaments eine doppelte Bedeutung. So bezeichnete man fließende (frische) Gewässer allgemein als lebendiges Wasser.  Wohl aus diesem Grund taufte Johannes die Menschen, die zu ihm kamen, auch in  einem Fluss, dem  Jordan. Auch Jesus verwendet den Begriff lebendiges Wasser jedoch bereits in einem übertragenen Sinne, wie aus dem Dialog mit der Samaritanerin hervorgeht, die den Begriff im herkömmlichen Sinne als fließendes bzw. frisches Wasser (im Gegensatz zu stehendem, abgestandenem Wasser) auffasst:

Dort war ein Brunnen, der Jakobsbrunnen, an den sich Jesus setzte, ermüdet von der langen Wanderung. Es war gegen 12 Uhr. Da kam eine samarische Frau zum Wasserschöpfen. Jesus sagte zu ihr: „Hast du auch etwas zu trinken für mich?“ Seine Jünger waren ins Dorf gegangen um etwas zu essen zu kaufen. Die samarische Frau sagte: „ Wie kannst du als Jude mich, die Samaritanerin, um etwas zu trinken bitten?“ (Die Juden halten sich nämlich von Samaritanern fern) Jesus antwortete ihr:  Wenn du wüsstest was Gott gibt und wer ich bin, dann hättest du mich um lebendiges Wasser gebeten, und ich hätte es dir gereicht.  Die Frau entgegnete: „Herr, du hast kein Schöpfgefäß und der Brunnen ist tief. Woher willst du das lebendige Wasser nehmen? Kannst du etwa mehr als Jakob unser Vater? Er hat uns nämlich den Brunnen geschenkt und selbst daraus getrunken, wie auch seine Kinder und seine Herde“ Jesus erwiderte: „ Jeder der von diesem Wasser trinkt, wird danach doch wieder durstig werden. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, der wird nie mehr Durst haben. Vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm selbst zu einer Quelle werden, die bis in das ewige Leben sprudelt.“ Da sagte die Frau: „Herr gib mir von diesem Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierher kommen muss, um Wasser zu schöpfen…                           Johannes 4,6-15

Obwohl Johannes der Täufer eine neue, populärere Form der Taufe schuf, ahnte er doch, dass die Taufe als reines Wasserritual noch nicht zu ihrer eigentlichen Bedeutung gefunden hatte. So erklärt er freimütig:

Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber einer, der ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, dass ich ihm die Riemen seiner Schuhe löse; der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen.                    Lukas 3,16

Tatsächlich interpretiert Jesus den Taufbegriff für sich selbst bereits nicht mehr im Sinne Johannes des Täufers, sondern vielmehr im ursprünglichen Sinne des Wortes mamodita.  Und wie von Johannes dem Täufer angekündigt, kommt bei Jesus ein neuer transzendenter Aspekt hinzu: Taufe als bewusste Einwilligung in die leidvolle Konfrontation mit dieser Welt und damit als Akt der geistigen Überwindung von Leid und Tod. So bezieht Jesus den Begriff Taufe ganz konkret auf seine eigene Verurteilung und  Hinrichtung am Kreuz, wie in folgenden Aussagen deutlich wird:

Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?   Markus 10,38

Aber ich muss mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollbracht ist! Lukas 12,50

Dennoch bleibt die eigentliche und ursprüngliche Symbolik des Untertauchens im hintergründigen Sinne erhalten. Das heißt, Taufe ist in den Augen Jesu Sinnbild für ein temporäres Untergehen, Scheitern, Unterliegen, Leiden und Sterben, damit das zeitlose Element (der Geist) umso kraftvoller wieder auferstehen kann. Hier ist es nun das Bild vom aufgerichteten Kreuzespfeiler (Pfeiler = amuda), das mit dem ursprünglichen Taufbegriff zusammen geht, das Jesus für sich so interpretiert:

Und  wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.        Johannes 3,14

Hier bezieht er sich auf ein Geschehen aus dem 4. Buch Mose, das er als Hinweis auf die transzendente Bedeutung seiner eigenen Kreuzigung und insofern als Erfüllung der Schrift versteht:

Da sprach der JHWH zu Mose: Mache dir eine eiserne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. 4. Mose 21, 8

Auch wenn in den Evangelien davon die Rede ist, dass Jesus getauft wurde, und dass er taufte, so erfahren wir in einem Nebensatz des Evangelisten Johannes, dass er selbst nicht taufte, dass es vielmehr seine Jünger waren,  die den johannäischen Ritus weiter pflegten, worin Jesus sie gewähren ließ:

Als nun Jesus erfuhr, dass den Pharisäern zu Ohren gekommen war, dass er mehr zu Jüngern machte und taufte als Johannes – obwohl Jesus nicht selber taufte, sondern seine Jünger –  verließ er Judäa und ging wieder nach Galiläa.    Johannes 4,1-3

Derselbe Evangelist Johannes schildert noch eine weitere Begebenheit, die uns das transzendente Taufverständnis Jesu verdeutlicht. Es ist der Bericht von der sog. Fußwaschung, am Vorabend seiner Verhaftung und Hinrichtung:

da stand er vom Abendessen auf, legte sein Obergewand ab, nahm eine Schürze und band sie sich um. Danach goss er Wasser in ein Becken und fing an den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, den er sich umgebunden hatte. Da kam die Reihe an Simon Petrus; der jedoch sprach zu ihm: Herr, du willst mir die Füße waschen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber zu einem späteren Zeitpunkt  erfahren. Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr, dann nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt! Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.  Johannes 13,4-17

Dass es Jesus hier weniger um körperliche Reinheit ging, wird aus dem Kontext deutlich. Und Jesus präzisiert seinen Begriff der Reinheit schon wenige Sätze später in seinem Gleichnis vom Weinstock:

Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.       Johannes 15,3

Doch selbst der Jünger Petrus missdeutet die Handlung Jesu und betrachtet sie als eine besondere Form der Wassertaufe, daher seine Bitte, Jesus möge ihm auch den Kopf und die Hände waschen.

Somit ist Taufe entsprechend dem Verständnis Jesu der Beginn einer  vertrauensvollen Haltung, in der wir jedes Scheitern, Unterliegen, selbst das eigene Sterben, tragen und somit dem Leid, verursacht durch eigenes Versagen oder durch höhere Gewalt, eine neue Qualität verleihen. Alles Leid, alle Ächtung oder Strafe, die wir in der Geisteshaltung Jesu tragen, hat aufgehört, Strafe Gottes zu sein. Im Geist Jesu wird alles Unterliegen und Scheitern zum Auftakt einer neuen Schöpfung. Hierin finden wir zu jener geistigen Taufe, in der Jesus sein eigenes Leid begriff. In einer Haltung, die nichts für sich selbst will, weil sie sich ihres unvergänglichen Wertes bewusst geworden ist, gibt es kein wirkliches Unterliegen. Unterliegen wird nur das, was seinen wahren Wert nicht gefunden hat, und deshalb irrtümlicherweise für wertlos erachtet wurde. Was seinen zeitlos-gültigen Wert erkannt hat, kann nicht endgültig zu Grunde gehen. Hier ist die Grundlage des Auferstehungsgedankens: Eben, weil Jesus die Konsequenz dieses Gedankens in seiner ganzen Tiefe erkannt hatte, war er bereit, das Äußerste auf sich zu nehmen und sein Leben hinzugeben. Diese Form der Hingabe ist die eigentliche Taufe im Sinne Jesu. Was heißt das? Die Preisgabe unserer selbst, d. h. das Opfer der äußeren Form ist sinnbildlich gesprochen, ein Untertauchen in das Luftlose – ein Hinabsteigen in die geistlosen Bereiche dieser Welt.  Weil das göttliche Element weder behindert noch ausgelöscht werden kann, wird es alles Geist- und Sinnlose mit Geist erfüllen und wird in einer neuen kraftvollen Form wiederkehren.

Patti Smith und die Dogmatik

Neulich fiel mir ein Zeitungsartikel über ein Rockkonzert in die Hand, in dem die  Unverständlichkeit einer Aussage Jesu thematisiert wurde. In dem Bericht  ging es um die Ansichten der Popmusikerin Patti Smith,  die in einem streng gläubigen Elternhaus (Zeugen Jehovas) aufgewachsen ist und die den christlichen Grundgedanken, dass Jesus für  unsere Sünden gestorben sei, mit folgenden Worten in Frage stellt: „ Jesus ist für unsere Sünden gestorben, aber nicht für meine!“

Über die negative Wirkung starrer und unreflektierter Glaubensformeln.

Dabei kam mir der  Gedanke, dass Jesus die Menschen ohne Dogmatik von seiner Sicht der  Dinge, zu überzeugen versuchte. Das zeigt schon allein die Vielzahl und die Unterschiedlichkeit seiner Gleichnisse. Vertrauen sollte auf  einer Überzeugung des Für-wahr-haltens seiner Botschaft beruhen. Die  Gleichnisse waren Interpretationsversuche einer grundlegenden, hintergründigen Wahrheit, die Jesus erkannt und geschaut hatte. Die Gleichnisse sind insofern Zeugnisse seines inneren Ringens, um seinen Zuhörern die Hintergründe seines Wirklichkeitsverständnisses verständlich zu machen, damit das, was Relevanz hat, für wahr erkannt werden kann. Erkennen und Vertrauen bedingen hier einander. Viele  christliche Religionsgemeinschaften tun aber genau das Gegenteil. Sie verlangen das sture Anerkennen von Glaubenssätzen,  die nicht hinterfragt werden dürfen. Mit der Forderung, dass bestimmte  biblische Aussagen, ohne dass sie verinnerlicht oder verstanden werden, einfach geglaubt werden müssen, haben sich viele  christliche Religionsgemeinschaften einen Bärendienst erwiesen. Insofern ist es den Skeptikern nicht zu verdenken, keinen Sinn in solchen Aussage Jesu zu sehen. Eigentümlich finde ich aber doch,  dass die aufgeklärten Zweifler sich den Texten nicht selbstständig  nähern, sondern, dass sie das Programm ihrer kirchlichen Prägung als ein Dogma annehmen, das keine andere Interpretation  zulässt, um es dann getrost in das Land der Märchen zu verbannen.  Während also Jesus versuchte, seine Sicht auf die hintergründige  Wirklichkeit (Reich Gottes) seinen Zuhörern möglichst transparent zu  machen, ziehen die Dogmatiker ihren undurchsichtigen Vorhang davor.   Da kommt mir unwillkürlich der Gedanke vom zerrissenen  Vorhang im Tempel in den Sinn… Derart von den inhaltlichen Grundlagen  getrennt, konnten Kreuzestod und Abendmahl als magische Handlungen missverstanden bzw. umgedeutet werden. Weshalb der ursächliche Zusammenhang von Kreuzestod und Sündenvergebung nicht gesehen bzw. vermittelt wird, bleibt für mich rätselhaft.  Die Vergebung von Schuld beruht nach dem Verständnis Jesu eben nicht auf  einer magischen Heilshandlung, sondern ausschließlich auf der Annahme  der Geisteshaltung Jesu, der die Ungerechtigkeit, die man ihm angetan hatte, als eine höhere Art der Gerechtigkeit neu  interpretierte. Auf diese Weise wurde das alte Verständnis von Anklage und Schuld, in welchem Jesus als ein Opfer der Böswilligkeit seiner Feinde verstanden werden konnte, durch ein  neues Wirklichkeitsverständnis überwunden. Kraft dieser Erkenntnis  opfert sich Jesus also einem neuen, universellen Lebensverständnis, in welchem nun allem was uns wiederfährt, eine Relevanz und Notwendigkeit zukommt. Innerhalb eines solchen Verständnisses ist kein  Platz mehr für Anklage und Schuld, da hier auch derjenige, der an     mir schuldig wird, zu einem Teil des göttlichen Willens wird. Die  Ursache für die Vergebung von Schuld liegt dabei in der persönlichen und individuellen Einwilligung in das bisher „Ungerechte“,  wie Jesus es selbst verstand als er sagte: „Vater wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen, jedoch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ Indem  Jesus sein eigenes Leiden und Sterben zum Willen Gottes machte, wurde  dieser notgedrungen zur Ursache von Schuld, Leid und Tod.  Weil aber in Gott weder Schuld noch Leid noch Tod existieren, müssen  alle Klagen und Anklagen aufhören. Hieraus folgt auch der Gedanke, dass  derjenige der diesem Verständnis Jesu Christus folgt zum Glücksfall für seine Feinde wird….

Zu meiner Person

Elmar Wieland Vogel

Steinmetzmeister, Bildhauer, Steintechniker, Autor, Lyriker, Liedermacher

Elmar Wieland Vogel

Geboren und aufgewachsen im mittelfränkischen Ansbach. Vater: Bildhauer, Mutter: Zirkusartistin. Kindheit und Jugend waren geprägt durch ein unkonventionelles, kreatives und weltoffenes Elternhaus. Neben vielfältigen musischen Interessen entwickelte ich in meiner Kindheit ein großes Interesse für die biblischen Geschichten, besonders für die Gestalt Jesus. Von jeher fasziniert war ich von seinem Anspruch, seinen Worten und von den Inhalten seiner Botschaft, die ich zunehmend als universell verstand und auch heute für mich so deute.

Die Faszination der Botschaft Jesu

Als Jugendlicher erfuhr ich beim Lesen der “Guten Nachricht” einen unerwartet neuen, intuitiven und undogmatischen Zugang zum Verständnis der Lehre Jesu. Durch die zeitgleiche berufliche Auseinandersetzung mit Kunstgeschichte, Bildsprache und Symbolik – durch freie bildkünstlerische Arbeiten für den sakralen Bereich, durch individuelle und personenbezogene Grabmalgestaltung, aber auch durch die tägliche, berufsbedingte Konfrontation mit der Thematik Trauer und Tod gewannen für mich ethische und philosophische Themen und die Frage nach den letzten Dingen zunehmend an Bedeutung.

Theologisches Verständnis und Prägung

Neben dem Studium der biblischen Schriften des Alten und Neuen Testaments wurde mein theologisches Verständnis unter anderem geprägt und bestätigt durch Schriften von: Lao-Tse, Meister Eckhart, Johannes Tauler, Martin Luther, die Theologia Deutsch, Baruch de Spinoza, Simone Weil , Viktor Frankl , Humberto Maturana und Francisco Varela.

Berufliches

Gemeinsam mit meinem Bruder führe ich einen kleinen Handwerksbetrieb an den Standorten Ansbach und Dresden in der siebenten Generation. Näheres dazu unter: vogel-bildhauer.de . Neben meiner beruflichen Tätigkeit bin ich aktives Mitglied der Freimaurerloge „Zum goldenen Apfel“ in Dresden. Ich mache Musik, schreibe eigene Lieder, die ich teilweise auch hier oder bei Youtube veröffentliche. Hier blogge ich und verfasse hin und wieder lyrische Texte wobei mich vor allem das Denken im Metaphern bewegt.

Beitrag aus dem Magazin: Leben in der Frauenkirche Dresden

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Lebensstationen:

1977-1979Ausbildung zum Steinmetz und Steinbildhauer bei Roland E. Vogel
1979Arbeitsaufenthalt in den USA bei Harold C. Vogel + 2011
1981Volontariat bei dem Bildhauer Reinhart Fuchs + 2009
1982Praktikum in einer Kunstgießerei in Aschaffenburg und Tätigkeit als Steinmetz- und Bildhauergeselle in Dinkelsbühl
1983Kriegsdienstverweigerung in II. Instanz
1984-86Zivildienst im Internat des Windsbacher Knabenchores
1986-88 Weiterbildung zum Steinmetz- und Steinbildhauermeister und staatl. gepr. Steintechniker an einer staatlichen Fachschule
1987Auszeichnung bzw. Preis der Benno und Therese Danner’schen Stiftung
1988Heirat – Geburt meines Sohnes
1989 Eintritt in die Freimaurerloge Alexander zu den drei Sternen
1990 Arbeitsaufenthalt in der Schweiz/Basel
1991Geburt meiner Tochter
1992Wechsel nach Dresden. Übernahme der Dombauhütte der Kathedrale-Dresden und Mitwirkung am Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche
2006Vorstandsmitglied der Freimaurerstiftung Dresden
2009Buchveröffentlichung: ESSENZEN – Die Botschaft Jesu
2019 CHRISTOPHILOS Beiträge zur christlichen Philosophie


Der überkonfessionelle Blog mit geistigen Impulsen aus der Botschaft Jesu

Eine philosophische und undogmatische Interpretation der Botschaft Jesu als zeitlose und universelle Weisheitslehre

Christophilos ist ein unabhängiger, überkonfessioneller Blog, in dem ich mich zu den geistigen Inhalten der Botschaft Jesu äußere. Konfessionsunabhängig und undogmatisch interpretiere ich die Inhalte des Neuen Testaments als universelle Weisheitslehre von zeitloser Gültigkeit. Auf dieser Grundlage entstand auch das Buch: Essenzen – Die Botschaft Jesu sowie die hier veröffentlichten Beiträge, Gedichte, Lieder, Bilder, Impulse und Kommentare. In diesem Sinne verfolge ich den philosophischen Anspruch des Plausiblen, Schlüssigen und Folgerichtigen. Gleichwohl sind meine Auslegungen intuitiver und kreativer Natur. Dies steht meiner Auffassung nach jedoch nicht im Widerspruch zum philosophischen Anspruch, den ich hier konsequent verfolge. Tatsächlich betrachte ich die Philosophie als eine geistige Disziplin, bei der auch der kreative und schöpferische Ausdruck grundlegend ist.

Warum überkonfessionell und undogmatisch?

Mir geht es nicht um kirchlich Trennendes, sondern um das rein Inhaltliche. Das heißt, das Geistige, das Relevante, das Zentrale, das Einende, das alle christlichen Konfessionen verbindet ist Gegenstand meines Nachdenkens. Vor diesem Hintergrund kann mein Ansinnen ja nur ein überkonfessionelles und undogmatisches sein und im weitesten Sinne ist es damit auch religionsübergreifend. Denn der Anspruch, den Jesus für sich selbst und für seine Weisheitslehre erhebt, ist meiner Überzeugung nach letztlich ein allumfassender. Insofern ist dieser Blog auch als ein Beitrag zum interreligiösen Dialog zu verstehen.

Was heißt christlich – philosophisch?

Auf der Suche nach adäquatem Ausdruck bediene ich mich der alten, urchristlichen Tradition des freien Nachdenkens und Philosophierens über die Worte Jesu im besten Sinne des Wortes: „Philos-Sophia“, nämlich als Freundschaft zur Weisheit. Eine Praxis, wie sie bereits in den Briefen des neuen Testaments, den sogenannten Episteln, lebendig bezeugt wird. Diese Praxis steht in einer Tradition, in welcher die Botschaft Jesu von jeher als eine Weisheits- und Erkenntnislehre aufgefasst wurde, wie es unter anderem der Apostel Paulus in seinem Brief an die Kolosser verdeutlicht:

„In Christus verborgen liegen alle Schätze, der Weisheit und der Erkenntnis.“

Kolosser 2,1–5

Christliche Philosophie, d. h. die Weisheitslehre Jesu sucht nicht das Trennende, sondern das Gespräch, den Dialog und den geistigen Austausch. Jedwede Ausgrenzung oder Sanktionierung Andersdenkender oder die Forderung: „Das musst du glauben!“, ist dem christlichen Anspruch fern und fremd.
Damit steht christliche Philosophie auf der Grundlage der toleranten Geisteshaltung Jesu, der immer bemüht war, auf ernst gemeinte und interessierte Fragen (auch die seiner Gegner), umfassende und tiefgründige Antworten zu geben. Eine Kirche, die keine Antworten gibt, oder geben will, handelt verantwortungslos.

Kompetenz vor Hierarchie

Die Botschaft Jesu ist frei von menschlichem Elitedenken. Hierarchie ist der Lehre Jesu nach eine Folge wirklicher Kompetenz, was anders ja gar nicht möglich ist. Der Begriff „Verantwortung“ bedeutet hier, Antworten geben zu können. In diesem Sinne hat die Botschaft Jesu nichts Knechtisches, was besonders in den Abschiedsworten Jesu zum Ausdruck kommt:

„Ein Knecht weiß nicht was sein Herr tut …//… Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid …//… Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben lässt für seine Freunde.“

Johannes 15, 5-23 (Altgriechisch: philos=Freund)

Ein idealistisches Projekt

Christophilos ist kein kommerzielles Projekt. Als rein private Initiative wird es von keiner Gruppierung oder religiösen Gemeinschaft unterstützt, vereinnahmt oder getragen. Es ist individueller Ausdruck eines aufrichtigen, inneren Interesses an einer freien und geistig-kreativen Auseinandersetzung mit den Inhalten der Botschaft Jesu.

Soziale Netzwerke

Wer mir auf Facebook oder Twitter folgen möchte, findet mich dort:

Geistige Verwandtschaft

Geistige Verwandtschaft

Es ging aber eine große Menge mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. Lukas 14,25-27

Die Situation selbst hat etwas Gleichnishaftes. Der Evangelist fängt die Stimmung um den wandernden Christus ein, indem er eine scheinbare Nebensächlichkeit schildert:

 „…und er wandte sich um und sprach zu ihnen“. 

Hier wird auch deutlich, wie sehr das Volk die Nähe zu diesem außergewöhnlichen Menschen  suchte, wie es seine Ausstrahlung auffing – ihm regelrecht hinterherlief. Christus knüpft hier also nicht von ungefähr an das menschliche Bedürfnis nach Nähe, nach Gemeinschaft, nach menschlichen Bindungen und Abhängigkeiten an, als er seine Rede beginnt.

Es hat den Anschein, als ob er aufgreift, was situationsbedingt in der Luft liegt. So erklärt er seinen Zuhörern, dass jemand, der zu ihm kommt, ihm damit nicht unweigerlich auch „nahe steht“. Äußerliche Nähe oder menschliche Bindungen sind nicht der Schlüssel zu echter Nähe bzw. Gemeinschaft, vielmehr entsteht erst durch innere und geistige Verbundenheit wirkliche Nähe.

Nicht derjenige, der Jesus Christus buchstäblich hinterherläuft, sondern vielmehr jener, der sich nach einer geistigen Verbindung zu seiner Botschaft sehnt, kann sich Nachfolger oder Jünger Jesu nennen. Diese geistige Form von menschlicher Bindung beinhaltet ein vollkommen neues Lebensverständnis, in welchem jede menschliche Begegnung nun gleich wertvoll wird.

Und je höher das Ideal, desto weniger Raum für menschlich–vordergründige Bindung. In der ernsthaften Suche nach so einer geistigen Verbindung zur Person Jesu und zu seiner Betrachtung der Welt wird man sich der Enge rein menschlicher Bindungen und Konventionen bewusst.

Das heißt, menschlich-verwandtschaftliche Verhältnisse, die in Konkurrenz zu diesem allumfassenden Lebensverständnis stehen, werden als Einengung und Behinderung empfunden, weil in der Geisteshaltung Jesu eine gänzlich neue, eine universelle Art von Verwandtschaft mehr und mehr an Bedeutung gewinnt, und diese Art von Verwandtschaft steht über jeder rein menschlichen oder familiären Bindung.

Die Forderung Jesu steht insofern nicht im Widerspruch zum Gebot der Nächstenliebe, sondern sie steht geradezu exemplarisch für die vorbehaltlose Öffnung gegenüber jedem Mitmenschen. Die Worte Jesu sind so auch eine konsequente Fortführung und eine Bestätigung seiner Forderung nach Nächsten- und Feindesliebe.

Man denke in diesem Zusammenhang z. B. an den zwölfjährigen Jesus im Tempel, der seinen Vaterbegriff für sich bereits neu definiert hatte und seinen aufgebrachten Eltern entgegnet:

„Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich nur in dem sein konnte, was meines Vaters ist?“ Lukas 9,42

Oder als während einer öffentlichen Rede jemand auf ihn zukommt und ihm die Nachricht überbringt, dass draußen seine Mutter und seine Brüder auf ihn warten und dass sie dringend mit ihm sprechen möchten; da reagiert Jesus ganz ähnlich:

„Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“ Und er streckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: „Siehe da, das ist meine Mutter, und das sind meine Brüder! Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“                 Markus. 3,31-35;

Wir wissen durch die Evangelienberichte auch, dass die leiblichen Verwandten Jesu versuchten, ihn zur Rückkehr in sein altes familiäres Umfeld zu bewegen, wie es uns der Evangelist Markus berichtet:

„Und als es die Seinen hörten, machten sie sich auf und wollten ihn festhalten; denn sie sprachen: Er ist von Sinnen.“     Markus 3, 21

So hat Jesus auf seine Weise ein völlig neues, universelles Lebensverständnis vermittelt; indem er all die Menschen als Verwandte bezeichnet, die sich innerlich zu ihm (seiner Weisheitslehre) hingezogen fühlen, – die seine geistige Gemeinschaft suchen.

Durch diese völlig neue Art von Verwandtschaftsdenken betritt der Mensch sozusagen eine neue Begegnungsebene, eine Ebene, auf der nun alle Menschen gleichermaßen eingeschlossen sind.

„….alle Menschen werden Brüder, wo Dein sanfter Flügel weilt“                       Schillers Ode an die Freude

Erst in dieser neuen (christlichen) Lebensauffassung kann ausnahmslos und vorbehaltlos jeder Mensch als Verwandter, als Bruder, als der Nächste erkannt und geachtet werden.

Das althergebrachte rein verwandtschaftliche Denken wird innerhalb solch einer Auffassung notwendigerweise als unzulänglich und überholt empfunden. Das Thomasevangelium gibt diesen radikalen Anspruch Jesu ganz in diesem Sinne und damit in nachvollziehbarer Weise wieder:

Wer nicht hasst seinen Vater und seine Mutter wie ich, wird mir nicht Schüler werden können. Und wer nicht liebt seinen Vater und seine Mutter wie ich, wird mir nicht Schüler werden können.    Thomasevangelium Spruch 101

Mit „hassen“ wäre demnach nicht der Hass gegen den Menschen an sich gemeint, vielmehr richtet sich der Hass gegen die konventionellen und übernommenen menschlichen Festlegungen, Einteilungen und Bewertungen – also gegen die kleinlichen Kategorien, in die wir den Menschen und dazu uns selbst packen.

Der Hass, den Jesus hier fordert, richtet sich also gegen unser Denken in althergebrachten familiären Dimensionen. Seine Aufzählung Vater, Mutter Frau, Kinder, Schwester und Bruder ist eine Infragestellung jeder rein blutsverwandtschaftlichen Bindung.

Der Mensch ist eben keinesfalls nur das, wofür er sich seiner Geburt, seiner Abstammung oder seinem äußeren Anschein nach hält. Daraus folgt: Uns  kann nur dann eine „höhere“ Rolle bzw. ein „tieferes“ Verständnis in dieses Leben zuteil werden, wenn wir gewillt sind, unser bisheriges bzw. unser rein menschliches Rollen- und Werteverständnis bedingungslos zu hinterfragen.

„Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht……“ ist auch nicht die konkrete Aufforderung sich von heute auf morgen von seiner Familie zu trennen, vielmehr geht es um das ehrliche – innere Eingeständnis, dass jeder Einzelne ein Befangener und ein Gefangener seiner selbst bzw. seines kleinlichen menschlichen Selbstverständnisses ist.

Mit „hassen“ meint Christus, dass man sich diesen bedauerlichen Zustand vor Augen halte, dass man sich des Dilemmas menschlicher Abhängigkeiten schonungslos bewusst werde und dass man angesichts dieser Tatsache innerlich betroffen und angerührt sei. Nur echte Betroffenheit schafft die notwendige Tugend der Demut in uns.

In dem geforderten Selbsthass liegt aber auch das Eingeständnis, dass man aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, konsequent nach wahrer, geistiger Verwandtschaft zu suchen. Denn diese Art von Hass beinhaltet den sehnlichen Wunsch, von allen vordergründigen Abhängigkeiten frei zu werden.

Letztlich ist dieser Gedanke der Kern des ganzen Erlösungsmysteriums, und er kehrt wieder in der Vergebungsbitte des „Vaterunsers“.

„und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ 

Das ehrliche und aufrichtige Eingeständnis der eigenen Befangenheit und der innere Wunsch nach Ungebundenheit und Freiheit -jenseits menschlicher Konventionen- sind die Grundlage für eine tief greifende innere Wandlung des Menschen. Die viel gerühmte äußerliche Wandlung entzieht sich – in Wahrheit – jeder menschlichen Beurteilung. Denn jede authentisch äußere Wandlung ist eine Frage individueller Reife und wird das unweigerliche Produkt einer aufrichtig inneren Auseinandersetzung sein.

„Nehmt einen guten Baum, so wird auch seine Frucht gut sein“
Matthäus 12,33

Äußere Wandlung vollzieht sich ohne unser Zutun. Nicht wir sind es, die wir uns willentlich verwandeln, sondern wir werden verwandelt werden, dort wo wir die Geisteshaltung Jesu annehmen.

Es geht hier überhaupt  nicht darum, dass wir unser menschliches Dilemma durch einen einmaligen Akt der Umkehr ein für alle Mal abstellen oder endgültig beenden könnten, sondern, uns der eigenen misslichen Lage immer und immer wieder bewusst zu werden – sie täglich zu tragen und zu ertragen. Daher auch der Nachsatz Jesu: „Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.“ Jesus fordert also (entgegen manch dogmatischer Darstellung) dazu auf, dass man gerade das Unangenehme und das Unselige berühren, anfassen, auf sich nehmen muss, um ihm wirklich „nahe“ zu sein.

Das Kreuz steht insofern als ein Sinnbild für alle peinlichen Hindernisse, durch die wir uns täglich unserer eigenen Schwerfälligkeit und Ohnmacht bewusst werden. Tragen und Nachfolgen meint das schonungslose Eingeständnis und die innere Bereitschaft, die äußerst unangenehme Bürde der Befangenheit und Peinlichkeit dieses Menschseins auf sich selbst zu beziehen und diese bereitwillig auf sich zu nehmen.

Dieser Gedanke Jesu ist in der Tat beispiellos und essentiell zugleich:

Wer die eigene Schuld in vollem Bewusstsein und mit innerem Bedauern trägt, wird dadurch in die Lage versetzt, sich von sich selbst zu distanzieren. Wer sich von seiner Schattenseite distanziert, indem er sich diese täglich mit innerem Bedauern eingesteht (was im ersten Moment als ein Widerspruch erscheint) und deshalb seinem Nächsten gegenüber großzügig handelt, wird eben durch diese Geisteshaltung frei von Schuld.

Insofern liegt in jeder Großzügigkeit gegenüber unserem Nächsten die Großzügigkeit des Lebens bzw. die Barmherzigkeit Gottes gegen uns selbst begründet. Daraus folgt: Wollen wir, dass das Leben uns gnädig begegnet, so müssen wir anfangen, selbst Gnade zu üben.  Hierin liegt das Geheimnis des göttlichen Privilegs und des Auserwähltseins. In der Annahme dieser Geisteshaltung werden wir zu Söhnen und Töchtern  des Geistes (Gottes), werden wir erst zu wirklichen Geschöpfen unseres menschlichen Daseins.

Aus dem schonungslosen Eingeständnis der eigenen Befangenheit und Unvollkommenheit (äußerlich und innerlich) und aus der Erkenntnis unseres menschlichen Unvermögens resultiert aber auch, dass vordergründige Festlegung oder minutiöse Planung unseres Lebens fragwürdig werden. Sind wir ehrlich zu uns selbst, so vermögen wir nicht das Geringste! So werden wir paradoxerweise im Eingeständnis unserer Unfreiheit und Ohnmacht mächtig und frei.

Im anschließenden Gleichnis vom Turmbau zeigt Jesus auf, welch ungeheure Konsequenz in dem Gedanken liegt, dass jede vordergründig- menschliche Festlegung, jede menschliche Sicherheit, jedes menschliche Wollen und Planen im Grunde genommen nichts weiter ist als eine Trotzgebärde gegen die herrschende Wirklichkeit,  eine kleinliche menschliche Illusion, die in ihrem Streben nach äußerer Perfektion die inneren Belange  unterdrückt. Doch wenn das Innere Unterdrückung erfährt, wie sollte das Äußerliche dann erhalten werden?

Krieg und Frieden

Aus Angst vor den Unwägbarkeiten des Daseins, meinen wir das Leben (be)zwingen zu müssen. Doch führen wir damit einen Krieg gegen einen Gegner, der uns immer überlegen sein wird.

Welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend? Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden. So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.  Lukas 14,31-33

Jesus sah seine Mission vor allem darin, dass der Mensch ein neues, freundschaftliches Verhältnis zu seinem Leben finden könnte, doch dazu muss er sich von allem vermeintlich Sicheren distanzieren. Der christliche Erlösungsgedanke besteht darin, dass der Mensch in einem neuen Bewusstsein den erbitterten und aussichtslosen Kampf gegen das „ungerechte“ Leben nicht mehr zu kämpfen braucht. Denn dort wo wir uns nicht in der Lage sehen, auch in den Unannehmlichkeiten des Lebens Sinn und Bedeutung zu finden, wo wir uns also entschieden abwenden von den Schattenseiten unseres Daseins, wo wir das Unliebsame nicht sehen wollen, leben wir nicht im Einklang mit unserem Dasein.
Indem wir nur einen bestimmten Teil unseres Lebens akzeptieren und den anderen für unbrauchbar erklären, liegen wir im Krieg mit dem entscheidenden Bereich unseres Daseins, und es bleibt nur abzuwarten, wann der Zeitpunkt erreicht ist und das Leben mit allem verdrängten Leid anklopft und über uns hereinbricht.
Jesus hält uns hier eine ungewohnte Realität vor Augen und hinterfragt in diesem Gleichnis jenes Realitätsverständnis, das wir im Laufe unseres Lebens irgendwann einmal übernommen haben. So geht es ihm darum, den Krieg gegen das eigene Leben wieder ins menschliche Bewusstsein zu rufen. Rat halten, bedeutet hier abwägen, das heißt, man soll sich selbst ehrlich befragen, ob man sich tatsächlich gegen alle Unannehmlichkeiten – die das Leben uns entgegenhält – absichern oder sie wirkungsvoll ausschließen kann. Wenn wir uns diese Frage stellen, können wir sie letztlich nur mit „Nein“ beantworten. Das Leben ist uns übermächtig; es behält in seiner scheinbaren Teilnahmslosigkeit die Oberhand. Gerade dann, wenn man meint, man hätte alle Dinge für sich geregelt, wirft uns igendetwas plötzlich und unerwartet zurück. Gegen diese Übermacht antreten, heißt, seine Chancen in diesem Kampf nicht realistisch abgeschätzt zu haben. Sieht man solche Übermacht auf sich zukommen, bleibt im Grunde genommen gar keine andere Wahl, als den Kontakt mit dem Gegner zu suchen und um Frieden zu bitten. Tut man das, so wird man nun seine ganze Kraft darauf verwenden, mit dem vermeintlichen Feind Frieden zu schließen.
Konsequent ist daher auch hier der Nachsatz Jesu:  „So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.“ (Lukas 14, 33) Damit gibt er zu bedenken, dass uns die Bürde des Menschseins durch Vordergründiges und Kurzlebiges nicht genommen werden kann. Der einzig gangbare Weg kann nur in einer Akzeptanz der ganzen Wahrheit liegen – also nicht im Ausweichen und durch Flucht in eine konstruierte Wirklichkeit. Erst auf Basis dieses Bewusstseins und Eingeständnisses gelingt uns das Annehmen aller Unannehmlichkeiten wie:  Schwäche, Unvermögen, Verlust, Krankheit, Verrat, Ungerechtigkeit und Tod.

Nun geht es darum, nichts, aber auch absolut gar nichts, auszuklammern, sondern alles „Schwere“ in das Denken und Handeln mit einzubeziehen. Exakt in dem Moment, in dem wir beginnen, nach Sinn und Bedeutung der Lebenssituationen zu suchen, die uns so sehr widerstreben, stehen wir in einer fruchtbaren Verhandlung mit dem vermeintlichen Gegner. Dieses Vertrauen in den bisherigen Feind führt dazu, dass uns das Leben in völlig neuer und freundschaftlicher Weise begegnen wird. Allem Unschönen, Peinlichem und allem Leid entgegenzugehen, um Frieden darin und damit zu finden, heißt im Grunde ja nichts anderes, als Selbsterkenntnis zu üben, da diese Dinge mit niemand anderem als mit uns selbst zu tun haben.

Das Gleichnis vom Turmbau

Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, – damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann’s nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann’s nicht ausführen?    Lukas 14, 28-30

Ausdruck des Lebens ist das Streben nach „oben“. Im Streben nach oben versuchen wir uns „Freiräume“ zu verschaffen, in denen uns nichts „Niedriges“ mehr berühren kann. Mit dem Gleichnis vom Turmbau, drückt Jesus das menschliche Verlangen nach Erhabenheit aus, den Wunsch, sich über die beschwerlichen und feindlichen Seiten dieses Daseins zu erheben.

Einen Turm bauen wollen, bedeutet im Sinne des Gleichnisses, die Dinge von einer höheren Warte aus – die Welt mit Distanz betrachten zu wollen. Damit steht der Turm als ein Gleichnis für Erhabenheit, für den Wunsch nach Ruhe, Sicherheit, Unerreichbarkeit und Unberührbarkeit. So ist jeder auf seine eigene Weise bemüht, sich einen Ort zu schaffen, an dem ihm das Leid dieser Welt nichts mehr anhaben kann.

So symbolisiert der Turmbau unser Streben nach Individualität und Erhabenheit, aber auch nach Entzug und Rückzug. Der Wunsch nach Erhabenheit ist nichts Schlechtes an sich, er wird jedoch auf ganz unterschiedliche Weise umgesetzt: Aus rein menschlicher und vordergründiger Sicht läuft es meist darauf hinaus, sich den Status des „Turmes“ durch Äußerlichkeiten zu verschaffen – beispielsweise durch Familienbande, durch Beziehungen, durch Geld, durch Besitz, durch den gesunden oder den schönen Körper, durch materielle Absicherung, durch persönlichen Erfolg, durch gesellschaftliche Anerkennung, durch Machtausübung, durch Unterdrückung anderer, aber auch durch Drogenkonsum und durch Todessehnsucht.

Wie auch immer, man möchte unerreichbar und unberührbar sein gegenüber dem Leid der Welt, möchte in „Sicherheit“ leben und über das Unkalkulierbare herrschen.  Im Gleichnis vom Turmbau gibt Jesus zu bedenken, dass alle Versuche, das Unkalkulierbare und Unangenehme abzuwenden, immer unzureichend sein werden, solange sie auf irgendwelche Äußerlichkeiten d. h. solange sie auf Vordergründigem basieren, denn alles Äußerliche – wie es auch heißen mag – unterliegt der Schwächung, dem Verfall, und in allem Hiesigen liegt bereits der Niedergang. Das Unkalkulierbare jedoch ist das Unabwendbare. Es ist Leid, Tod, Niederlage, Schmach, Verrat und Verlust. Diese Dinge nicht in seine Lebensplanung einzukalkulieren, bedeutet, sich zu verkalkulieren.