Glauben ohne Dogma – Philosophische Aspekte der Botschaft Jesu

Während die meisten Philosophen zumindest von ihren engsten Schülern verstanden wurden, kann dies bei Jesus mit Sicherheit verneint werden. Ein Großteil dessen, was er lehrte, löste bei seinen Zuhörern Verwunderung oder Sprachlosigkeit aus. So waren es auch in erster Linie seine Heilungen, die ihm zu großer Popularität verhalfen. Die Richtigkeit und der Wahrheitsgehalt seiner Botschaft konnten selbst von seinen Jüngern in letzter Konsequenz nur erahnt und insofern nur geglaubt werden. In dieser Hinsicht nimmt die Lehre Jesu eine Sonderstellung unter den Weisheitslehren ein.

Ist christlicher Glaube ohne Dogma möglich? Kann die Lehre Jesu an den Gesetzen der Folgerichtigkeit und Schlüssigkeit gemessen werden? Oder ist sie als Dogma aufzufassen, das nicht hinterfragt werden darf, sondern einfach geglaubt werden muss?

Das Christentum hat ganz unterschiedliche und vielfältige Formen christlicher Gemeinschaften hervorgebracht, doch in einer Forderung scheinen sie doch alle übereinzustimmen: „Am Ende musst du es glauben, auch wenn du es nicht verstehst.“ Aber ist das die Glaubenslehre, die Jesus verkündete? Verstand er unter Glaube wirklich ein kritikloses Abnicken einer zum Dogma erhobenen Glaubenswahrheit, die nicht zu hinterfragen sei?

Im folgenden Beitrag möchte ich deutlich machen, warum letztere Auffassung unzutreffend ist. Ferner zeige ich auf, in welchem Sinne die Lehre Jesu eine in sich stimmige Weisheitslehre ist, die nahtlos an die antiken Philosophien anknüpft und diese schlüssig fortschreibt. Denn nicht verstanden zu werden, bedeutet nicht, nicht verstanden werden zu wollen oder nicht verstanden werden zu können. Dass Jesus aber verstanden werden wollte, das steht ganz außer Frage. So sind seine vielen Gleichnisse, in denen er förmlich darum ringt, seine Lehre für die Menschen anschaulich und verständlich zu machen, ein lebendiges Zeugnis seiner Bemühung: 

Wem ist das Reich Gottes ähnlich, womit soll ich es vergleichen?

Lukas 13,18

Glauben heißt, nicht wissen. Stimmt das?

Tatsächlich wird der Begriff Glaube im Deutschen auf zweierlei Weise verwendet:

  • Als Mutmaßung: „Ich glaube, dass morgen schönes Wetter wird.“
  • Als Vertrauensbekundung: „Dem Zeugen, der mir den Hergang geschildert hat, glaube ich.“

Betrachtet man den Zusammenhang, in welchem Jesus vom Glauben spricht, so ist der christliche Glaubensbegriff der zweiten Kategorie zuzuordnen. Insofern verfehlt der Spruch: „Glauben heißt nicht wissen.“, die Bedeutung des christlichen Glaubensbegriffs. Jesus sieht sich selbst und jene, die um die geistige Dimension dieses Daseins wissen, als Teilhaber einer übergeordneten Wirklichkeit. Was sie dort „gesehen“ haben, macht sie zu unmittelbaren Zeugen dieser Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die über das Vordergründige hinausweist. Doch was diese Zeugen geschaut haben, was sie wissen und worüber sie Auskunft geben, findet kein Gehör bei den Menschen. Dieses Dilemma beschreibt Jesus gegenüber dem Pharisäer Nikodemus:

Amen, amen, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben; ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an.

Johannes 3,11

Warum versteht ihr denn meine Sprache nicht? Denn meine Worte finden bei euch kein Gehör.

Johannes 8,43

Somit scheint Unverstandensein, ein Merkmal und Kennzeichen geistiger Lehrer zu sein. Und dies trifft in besonderem Maße auf die Lehre Jesu zu.

Kann Unverstandenem überhaupt Glaubwürdigkeit zukommen?

Während die meisten Philosophen zumindest von ihren engsten Schülern verstanden wurden, kann dies bei Jesus mit Sicherheit verneint werden. Ein Großteil dessen, was er lehrte, löste bei seinen Zuhörern Verwunderung oder Sprachlosigkeit aus. So waren es in erster Linie seine Heilungen, die ihm zu großer Popularität verhalfen, weshalb er von vielen eher als Arzt angesehen wurde.

Die Richtigkeit und der Wahrheitsgehalt seiner Botschaft konnten selbst von seinen Jüngern in letzter Konsequenz nur erahnt und insofern nur geglaubt werden. In diesem Punkt nimmt die Lehre Jesu tatsächlich eine Sonderstellung unter den Weisheitslehren ein. Dabei ist Glaube etwas durchaus Legitimes, denn selbstverständlich können und müssen wir oft auch solche Aussagen für glaubwürdig halten, die wir selbst gedanklich nicht durchdrungen haben. So verlässt man sich ja auch ohne Weiteres auf Aussagen von Vertrauenspersonen. Ob Bergführer, Trainer, Ärzte, Fachhandwerker, Ingenieure etc. Man vertraut den Aussagen dieser Personen, auch wenn man sie in fachlichen Details nicht immer vollkommen nachvollziehen kann. Warum? Weil man sie schlicht für kompetent und ihre Aussagen für glaubwürdig hält.

Kompetenz und Glaubwürdigkeit durch Selbstlosigkeit

Das Kennzeichen wirklicher Kompetenz ist Selbstlosigkeit. Denn das, was jemand als eine allgemeine Wahrheit verkündet, muss sich auch ohne den Einfluss seiner Person bewahrheiten können – wird sich trotz Ablehnung seiner Person als wahr erweisen. In diesem Sinne beweist Jesus seine Kompetenz paradoxerweise in seiner Passion; so wurde er in seiner größten Erniedrigung erhöht. In seiner Niederlage beweist sich die Wahrheit seiner Lehre, für die er sich vollkommen selbstlos hingibt:

Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir aus tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich.

Johannes 8.28

Diese selbstlose und bedingungslose Hingabe an seine Mission kann insofern gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dennoch vertreten zunehmend Theologen die Auffassung, dass mit der Passion Jesu nichts Gutes geschehen sein kann. Damit steht die Passion Jesu als ein Beispiel dafür, dass Unverständliches und Unverstandenes vorschnell für sinnlos oder absurd erklärt wird. Das ist meist dann der Fall, wenn Menschen an die Grenzen ihrer Verständnis- und Erkenntnisfähigkeit gelangen und ihre abschließende Meinung zum Maßstab der Vernunft machen. Dabei liegt das zu Erkennende doch von jeher jenseits dessen, was wir im Moment erkennen und verstehen. Menschliches Erkennen ist nie etwas Abgeschlossenes oder Endgültiges.

Wenn Jesus in seiner Passion einen Sinn und eine Bedeutung sah, sollten wir dies zunächst immerhin so stehen lassen können, auch wenn wir es inhaltlich nicht sofort verstehen.

Es zeugt von Selbstüberschätzung und Ignoranz wenn eine Aussage verworfen wird, weil sie inhaltlich nicht verstanden wurde.

Wahrheit siegt, indem sie sich bewahrheitet

Insbesondere in seiner Passion hat Jesus aufgezeigt, dass das Wahre sich in jeder Situation als wahr erweisen kann, unabhängig davon, ob dessen Verkünder auf Wohlwollen trifft oder ob man ihn bekämpft, verletzt oder gar beseitigt, wie im Falle Jesu. Eben darin, dass Jesus bereit war, als Mensch zu unterliegen und zu scheitern, zeigte sich die Größe und die Vollkommenheit seines Wahrheitsbegriffs. Damit steht er für ein Wirklichkeitsverständnis, das sich auch ohne Bestätigung und ohne Wohlwollen von Menschen oder Umständen als wahr erweisen kann: das Reich Gottes.

Der Wahrheitsbegriff Jesu war so allumfassend, dass darin selbst das böswillige Tun und Handeln seiner Feinde eingeschlossen war.

Der Wahrheitsbegriff Jesu kann insofern als allumfassend und universell gelten, als er diesen über sein persönliches Wohlergehen setzte, wie er es selbst wiederholt erklärt:

Denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.

Johannes 6,38

Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

Matthäus 20,28

Um Unsterblichkeit zu gewinnen, gilt es daher im Sinne Jesu “für” die Wahrheit zu sterben, da einzig die Wahrheit unsterblich ist. In diesem Sinne lautet sein Aufruf:

Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren; und wer sein Leben verliert um mich und um meiner Worte willen, der wird es behalten.

Markus 8,35

Gott, ein Synonym für die Wahrheit

Jesus selbst verwendet den Begriff Gott als ein Synonym für die Wahrheit. So sagt er während seines Verhörs zu Pilatus nicht, dass er gekommen sei, um Zeugnis von Gott abzulegen, sondern er sagt:

Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen; wer aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme.

Johannes 18,37

Ging es Jesus in seiner Botschaft aber um Wahrheit, so können seine Lehren auch an den Aussagen anderer großer Philosophen gemessen werden. Mit einem Unterschied: Die Wahrheit, die Jesus lehrte, ist nicht in allen Teilen sofort erkennbar, vielmehr erschließt sie sich erst in einer vertrauensvollen Auseinandersetzung mit seiner Lehre. Der Grund dafür ist, dass seine Lehre den menschlichen Erkenntnisrahmen übersteigt. Denn wie schon erwähnt; was wir als wahr erkennen können, ist nie das Ganze und Vollkommene, sondern jegliches Erkennen ist immer nur Stückwerk, wie auch der Apostel Paulus verdeutlichte:

Denn unser Erkennen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. // Wir sehen jetzt durch einen trüben Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.

1. Korinther 13, 9+12

Ein Kennzeichen der Wahrheit ist, dass sie grenzenlos, zeitlos und ohne Anfang und Ende ist, weshalb wir in unserer menschlichen Begrenztheit immer nur einen Teil der Wahrheit gedanklich erfassen werden. Dennoch wünscht das zu Erkennende (Gott) von uns vollkommen erkannt zu werden, und zwar in dem gleichen Maß wie wir selbst wünschen es erkennen zu wollen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Unser Vertrauen in die Lehre Jesu bildet gewissermaßen die Grundlage, das Unerkannte und Unverstandene seiner Botschaft erkennen zu können.

Unser Vertrauen ist das noch Unerkannte ist das, was Jesus “Glaube” nennt.

Soweit wir vertrauen, werden wir glauben und erkennen können. Doch warum sollten wir Jesus vertrauen? Weil Jesus nichts für sich wollte, sondern ein Gottes- und Wahrheitsbild in vollkommener Selbstlosigkeit vermittelte.

So waren selbst die Jünger fassungslos, als Jesu nach all den Drohungen und Anfeindungen, die er durch die Pharisäer in Judäa erfahren hatte, dennoch entschlossen war, zurück nach Jerusalem zu gehen, um dort hingerichtet zu werden. Ein Szenario, das er ihnen vorher explizit ankündigte und erklärte. Hierin liegt der göttliche und transzendente Aspekt seiner Botschaft, dass vieles, was Jesus lehrte und tat, sich für uns Menschen nicht unmittelbar erschließt. In der Weisheitslehre Jesu ist das zu Erkennende stets größer als das, was sich heute, hier und jetzt als wahr erkennen lässt. Oder wie es ein Gedanke des Zenbuddhismus ausdrückt: „Erkenntnis kennt keine Grenzen.“

Christlicher Glaube und die Philosophie der Stoa

Tatsächlich unterscheidet sich die Lehre Jesu inhaltlich von den großen Philosophien der Antike nicht. Das Inhaltliche, das er vermittelt, geht wie bei den Philosophen über das Vordergründige hinaus. So finden wir insbesondere bei den Stoikern nahezu deckungsgleiche Aussagen. Wenn es beispielsweise um das Hinnehmen von Unerwünschtem, von Unrecht und Gewalt geht. Hierin sind sich Sokrates, Epiktet und Jesus völlig einig:

Unrecht zu leiden ist besser, als Unrecht zu tun.

Sokrates

Verlange nicht, dass die Dinge gehen, wie du es wünschest, sondern wünsche sie so, wie sie gehen.

Epiktet

Ich aber sage euch, dass ihr dem Bösen nicht widerstehen sollt, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.

Matthäus 5,39

Weh euch, wenn euch alle Menschen loben; denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht. Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln.

Lukas 6, 26,28

Sokrates und Jesus haben diese Lehren nicht nur verkündet, sondern sie haben sie auch konsequent gelebt. Beide haben sich nicht zur Wehr gesetzt gegenüber dem Unrecht, das sie durch ihre Feinde erfuhren. Im Gegenteil, Sokrates schaffte es in seinem Prozess, die Mehrzahl der Richter, die ihm anfangs gewogen waren, gegen sich aufzubringen. Und Jesus geht seinen Feinden sogar noch entgegen, als er nach Jerusalem kommt, um sich ihnen zu stellen. Beide haben ihr Urteil bereitwillig auf sich genommen, als man sie zum Tod wegen Gotteslästerung verurteilte und hinrichten ließ. Sokrates durch den Giftbecher, Jesus durch Kreuzigung.

Worin unterscheidet sich die Lehre Jesu von der Weisheitslehre der Philosophen?

Zwar sprechen auch viele Philosophen von den Göttern und von Gott, aber die Rolle Gottes in Bezug auf den Menschen ist nicht so konkret, wie Jesus es herausstellt. So ist seiner Lehre nach die Wahrheit, die Gott selbst ist, nicht unbeteiligt oder gleichgültig, gegenüber den Emotionen und dem Befinden des Menschen. Diese Auffassung widerspricht zwar dem Gottesbild der Pantheisten aber sie ist dennoch folgerichtig. Denn wenn Gott die Ursache aller Dinge ist, wie z. B. Spinoza sagt, dann muss er auch als Ursache unserer geistigen Regungen und Emotionen gelten können.

Die Immunität Gottes

Einerseits können zwar Leid, Tod, Schmerz und Trauer Gott „an sich“ nicht berühren, denn damit wäre Gott ja angreifbar und verletzlich, womit er aufhören würde Gott zu sein. Wohl aber existiert ein „Zustand“, der es Gott „ermöglicht“ menschliches Leid und Elend „wahrzunehmen“. Welcher Zustand ist das? Es ist jener Zustand, in dem ein Mensch sich in der Lage sieht, selbst in seinem Elend den Willen Gottes zu erkennen wodurch er es auf Gott zurückwirft, dem Urheber aller Dinge. Das ist es, was Jesus lehrte und konsequent lebte. In der Annahme seiner Passion lebte er die vollkommene Annahme von Schwäche, Feindschaft und Elend nach dem Willen Gottes. Denn in dem Moment, wo ein Mensch aufhört das Schwache und Böse, dem er in dieser Welt ausgeliefert ist, seinen Feinden oder einem bösen Schicksal, sondern Gott zuzuschreiben ändert sich seine Wirklichkeit grundlegend. Warum sollte das so sein? Einerseits weil das Elend, das ein Mensch nach dem Willen Gottes auf sich nimmt, nicht länger er selbst trägt, sondern Gott trägt es, den es nun unmittelbar betrifft und der es ja so will. Andererseits weil Gott, der Inbegriff von Wahrheit und Leben ist, nicht sterben kann und weil alles was aus Gott fließt göttlich und somit gut sein muss. Kraft dieser Erkenntnis muss alles, was dem Willen der Wahrheit (Gottes) unterliegt, Geist und Sinn finden.

Das ist es, was Jesus uns in seiner Passion verdeutlicht hat, dass wir unser Elend nach dem Willen Gottes auf uns nehmen sollen, wodurch allein es Sinn und Bedeutung finden wird.

Denn indem Jesus in seinem Leid und Elend den Willen Gottes erkannte, warf er es auf Gott und machte diesen zu dessen Urheber. All das aber, was dem Willen Gottes unterliegt das muss gut werden.

Gott, die Entsprechung unserer Sehnsucht nach Geist und Sinn

Für Jesus ist Gott, der die Wahrheit selbst ist, Urheber aller Dinge auch der leidvollen, die er kraft unserer Sehnsucht nach Wahrheit durch den Geist überwindet. Dabei ist unsere Sehnsucht von grundlegender Bedeutung: Unsere Sehnsucht nach einem Ende von Leid und Tod, ist für Gott Grund und Anlass, diese Bereiche zu überwinden und zwar dort, wo unsere Sehnsucht auf Gott gerichtet ist, der ja alle Dinge wirkt. Denn all das, was für Gott zum Grund und Anlass wird, das wird dadurch bedeutungsvoll. Ferner muss alles, was in Gott einen Grund sucht und findet, aufhören grundlos zu geschehen. Was aber seinen Grund in Gott gefunden hat, der die Wahrheit selbst ist, das wird dadurch auch Sinn und Bedeutung finden.

Die Überwindung des Bösen durch das Gute beruht darauf, dass Sinn- und Geistloses von Geist und Sinn durchdrungen und erfüllt wird, damit es notwendig und gut werden kann.

Jesus bezeichnet diese Sehnsucht, dieses Verlangen metaphorisch als „Hunger“ und „Durst“ nach Gerechtigkeit, weil wir uns hier nach Lebensnotwendigem sehnen:

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Matthäus 5,6

Selbsterkenntnis – Der Weg zur Einheit mit Gott

Nun könnte man hier einwenden, dass eine derartige Interaktion zwischen Gott und Mensch, wie Jesus es vermittelt, bei den großen Philosophen nicht vorkommt und insofern nicht philosophisch sein kann. Doch auch hier ist zu beachten, was eingangs gesagt wurde, nämlich dass Gott „nur“ ein anderes Wort für die Wahrheit ist. Der Lehre Jesu nach ist die Wahrheitssuche, die sich auf Gott bezieht etwas Wechselseitiges. Diese Auffassung folgt aus der Erkenntnis, dass die Wahrheit unteilbar ist und insofern auch nicht geteilt gedacht werden kann. In jeder Interaktion mit der Wahrheit werden wir mit der Wahrheit geeint, die Gott selbst ist. Und aus dem Gesetz der Einheit mit Gott resultiert die folgende Erkenntnis: Soweit wir nach der Wahrheit suchen und diese erkennen wollen, soweit sucht die Wahrheit auch nach uns und will uns erkennen. Meister Eckhart drückt diese Wechselseitigkeit und Einheit der Wahrheits- und Gotteserkenntnis metaphorisch im Gleichnis vom Auge aus:

Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht; mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge, und ein Sehen und ein Erkennen und ein Lieben.

Wer zum höchsten Adel seines Wesens gelangen will und zur Anschauung des höchsten Gutes, das Gott selber ist, der muss ein Erkennen seiner selbst haben,

Meister Eckhart

Und so wie Selbsterkenntnis die Basis der christlichen Wahrheits- und Gottessuche bildet, war sie von jeher auch Grundlage jeglicher Weisheitslehre und Philosophie. So stand der Überlieferung nach über dem Eingang des Tempels in Delphi der Satz:

Erkenne dich selbst und du wirst Gott erkennen.

Tempel in Delphi

Lao Tse lehrte äquivalent:

Wer andere erkennt, ist gelehrt. Wer sich selbst erkennt, ist weise.

Lao-Tse

Übereinstimmend lehrte Jesus:

Selig sind die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.

Matthäus5,8

Selbsterkenntnis im Sinne Jesu meint aufrichtig geübte Einsicht in sich selbst und das Eingeständnis eigener menschlicher Schwäche und Fehlbarkeit. Diese Einsicht in uns selbst schafft ein reines Herz, denn sie offenbart uns unsere wirkliche „Gestalt“. Und die Betrachtung unserer wahren “Gestalt” ist gleichbedeutend mit der Betrachtung Gottes.

Ersetzt man auch hier das Wort Gott durch Wahrheit und versteht man unter der Reinheit des Herzens, jene aufrichtig geübte Einsicht in sich selbst, so wird die Wechselseitigkeit deutlich, die ein Kennzeichen aller echten Wahrheitssuche ist. Soweit wir uns unserer eignen Schwächen und Fehler bewusst werden, sehen wir uns so, wie wir in Wahrheit sind – sehen wir uns so, wie Gott uns sieht.

Damit beruht das Schauen Gottes in uns auf einer ungeschönten Betrachtung unserer selbst. In diesem Sinne kann die obige Aussage Jesu wie folgt verstanden werden:

Selig, die sich im Innersten so betrachten wie sie sind, denn damit werden sie die Wahrheit über sich selbst sehen, das Antlitz Gottes.

In zwei Gleichnissen, bei denen es ums Suchen und Finden geht, verdeutlicht Jesus das philosophische Prinzip der Wechselseitigkeit aller Wahrheitssuche. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn ist es der Sohn, der den Vater sucht und dem der Vater entgegengeht, als er ihn von Ferne kommen sieht – als er in dessen Blickfeld gerät:

Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

Lukas 15, 32

Im Gleichnis vom verlorenen bzw. vom verirrten Schaf ist es der gute Hirte, der alles zurücklässt, um sich auf die Suche nach dem verlorenen Schaf zu machen. Und als er es gefunden hat, nimmt er es auf seine Schultern und trägt es nach Hause.

Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet? Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller Freude.

Lukas 15, 7

Einswerden mit der Wahrheit – Die Einheit mit Gott

Wie oben gezeigt, sind der Lehre Jesu nach Gott und Wahrheit dasselbe. Und so setzt Jesus das Einswerden mit der Wahrheit gleich, mit dem Einswerden des Menschen mit Gott. Im Einswerden des Menschen mit einer leidvollen Wirklichkeit wird Gott verherrlicht. Warum ist das so? Zum einen, weil sich die Kraft der Wahrheit darin beweist, dass sie sich in Selbstlosigkeit jederzeit bewahrheiten kann und will. Zum anderen, weil Gott alle Wirklichkeit wandelt, die als Widerspruch zu den Prinzipien Leben und Geist empfunden wird, als dessen Urheber er erkannt wird. Unsere Empfindung von Trauer, Leid und Tod steht im Widerspruch zu einer Einheit mit Gott, mit Leben und Geist. An Gott, der die Wahrheit und das Leben selbst ist, rühren weder Leid noch Tod. In diesem Sinne sagte Jesus angesichts seiner Passion:

Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen. Solches Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.

Johannes 10, 17-18

Und am Vorabend seiner Verhaftung bittet er:

Ich heilige mich selbst für sie, auf dass auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien, auf dass die Welt glaube, du habest mich gesandt. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, dass sie eins seien, gleichwie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen seien in eins und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und liebest sie, gleichwie du mich liebst. Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.

Johannes  17, 19-23

Meister Eckhart schrieb in diesem Kontext:

Wo der Mensch in wahrem Gehorsam aus seinem Ich herausgeht und sich des Seinen entschlägt (d. h. eigenes Wollen aufgibt), ebenda muss Gott notgedrungen hinwiederum eingehen; denn wenn einer für sich selbst nichts will, für den muss Gott in gleicher Weise wollen wie für sich selbst. Wenn ich mich meines Willens entäußert habe in die Hand meines Oberen und für mich selbst nichts will, so muss Gott darum für mich wollen, und versäumt er etwas für mich darin, so versäumt er es zugleich für sich selbst. So steht’s in allen Dingen: Wo ich nichts für mich will, da will Gott für mich. Nun gib acht! Was will er denn für mich, wenn ich nichts für mich will? Darin, wo ich von meinem Ich lasse, da muss er für mich notwendig alles das wollen, was er für sich selbst will, nicht weniger noch mehr, und in derselben Weise, mit der er für sich will. Und täte Gott das nicht, – bei der Wahrheit, die Gott ist, so wäre Gott nicht gerecht, noch wäre er Gott, was (doch) sein natürliches Sein ist.

“Reden der Unterweisung” Meister Eckhart 1260-1327

Jesus und Sokrates 

Bei Jesus wie bei Sokrates, besteht dieses Einssein mit der Wahrheit in der Annahme ihrer Verurteilung durch ihre Feinde. Beide sahen ihre Verurteilung als Konsequenz ihrer Lehre und Geisteshaltung, der sie bedingungslos treu blieben. Sokrates lehrte, dass es besser sei, Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun. Andernfalls würde die Seele einen Schaden nehmen, der in keinem Verhältnis zum erlittenen Unrecht stünde.

Sokrates stirbt wie Jesus als Konsequenz seiner unerschütterlichen Überzeugung, von der er nicht abrückt. Aber der Tod des Sokrates ändert nichts an der Sinnlosigkeit und der Unwiderruflichkeit des Unrechts, das an ihm verübt wurde.
Anders verhält es sich bei Jesus: Die Ungerechtigkeit, die an Jesus verübt wurde, ist in seinen Augen weder unwiderruflich noch bleibt sie ungerecht. Sterbend am Kreuz widerruft Jesus das Unrecht, das seine Feinde an ihm verüben, indem er ihnen Vergebung zuspricht.
Und der Sinnlosigkeit seiner Hinrichtung setzt er, die von ihm erkannte und verkündete Notwendigkeit seiner Passion entgegen, wodurch aus der Sünde des Menschen jene Gerechtigkeit werden kann, die vor Gott gilt, wie es der Apostel Paulus erklärt:

Denn Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

2. Korinther 6, 19-21

Worin aber das konkrete Heil und der Lohn für die Seele besteht, das denjenigen erreicht, der entsprechend dieser Lehre sein Leben hingibt, das wird bei Jesus konkret: Sind wir bereit unsere Wirklichkeit in ihrer Gänze und Vollständigkeit anzunehmen, so werden wir darin eins mit der Wahrheit, die Gott selbst ist. Sind wir aber eins mit der Wahrheit, so sind wir in Gott und Gott ist in uns. Was aber in Gott ist, das empfängt auch die Immunität Gottes. Doch auf welche Weise können wir in Gott – können wir in die Wahrheit gelangen?

Der Weg zur Wahrheit

Der Weg, um in die Wahrheit zu gelangen, geschieht so, wie es die großen Philosophien von jeher sahen und wie es Jesus gelehrt und konsequent gelebt hat, nämlich durch Selbsterkenntnis.

Der Lehre Jesu nach bedeutet Selbsterkenntnis etwas ganz Konkretes, nämlich aufrichtig geübte Einsicht in die Schwäche und Mangelhaftigkeit unseres menschlichen Daseins.

Ferner durch geübte Vergebung und Barmherzigkeit gegenüber den Schwächen und Fehlern und Irrtümern unserer Mitmenschen, da wir dieser selbst bedürfen. Und in letzter Konsequenz, durch Selbstlosigkeit und Selbstverleugnung. Ausschließlich in dieser Geisteshaltung werden wir eins mit der Wahrheit – nur auf diese Weise gelangen wir zu Gott. Und in diesem selbstlosen Sinn ist der Anspruch, Jesus zu verstehen:

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Johannes 14,6

»Durch mich« bedeutet hier, durch die bereitwillige Annahme ausnahmslos aller Wirklichkeit, selbst der ungerechten, leidvollen und bösen, ganz so, wie Jesus es uns vorgelebt hat:

Da sprach er zu ihnen allen: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.

Lukas 9, 23-24

Dort, wo wir uns Krankheit, Verfolgung oder Feindseligkeiten ausgeliefert sehen und diese Dinge auf uns nehmen, da wir sie als eine Folge der Geisteshaltung Jesu erkennen, dort nehmen wir unser Kreuz im Sinne Jesu auf uns. Mit anderen Worten: Wir sollen das Elend unserer menschlichen Wirklichkeit um der Wahrheit willen wollen – um jener Wahrheit willen, die alle Dinge wirkt, um die Welt zu überwinden. Und diese Wahrheit ist Gott selbst. Ja, selbst wenn es zu unserem äußeren Nachteil oder Schaden sein sollte, sollen wir es dennoch wollen und lieben. In diesem Sinne schrieb die jüdische Philosophin Simone Weil:

Einzig der Widerspruch lässt uns erfahren, dass wir nicht alles sind. Der Widerspruch ist unser Elend, und das Gefühl für unser Elend ist das Gefühl für die Wirklichkeit. Denn unser Elend stellen wir nicht her. Es ist wahr. Deshalb muss man es lieben. Alles andere ist imaginär.

Aus “Schwerkraft und Gnade” Simone Weil

Warum ist alles andere imaginär? Weil jenes Elend, das wir bereit sind nach dem Willen Gottes auf uns zu nehmen, uns mit Gott eint. In seiner Passion lehrt uns Jesus, dass alles Elend, das ein Mensch nach dem Willen Gottes auf sich nimmt, in seinem Geist überwunden wird. Denn wer selbst in Unrecht, Leid und Tod eins wird mit Gott, der hat auch Anteil an allem was Gott in Jesus Christus vermag und was aus ihm fließt: Trost, Überwindung, Liebe, Leben, Geist und Sinn.

Sind wir eins mit der Wahrheit, die Gott selbst ist, so werden wir dadurch auch zu Teilhabern Gottes, der alles um seiner selbst willen wirkt. Und außerhalb Gottes existiert nichts und wirkt nichts.

Aber dort, wo wir um der Wahrheit willen Krankheit, Spott und Schaden erleiden, leiden wir nicht mehr um unsertwillen, sondern um Gottes Willen. Leiden wir aber um Gottes Willen, so leiden nicht wir, sondern Gott selbst leidet Krankheit, Spott und Schaden. Da aber Gott weder Krankheit, Spott noch Schaden leiden kann, muss er Krankheit, Spott und Schaden in Heil, in Ehre und in Freude verwandeln:

Amen, amen ich sage euch: ihr werdet weinen und wehklagen, die Welt aber wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit wird in Freude verwandelt werden.

Johannes 16,20

In Jesus Christus hat er das getan und sein Geist tut dies auch in uns. Auf diesem geistigen Prinzip beruht die Überwindung der Welt, die Jesus in seiner Weisheitslehre verkündet und konsequent gelebt hat.

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Der Turm

Audiodatei: Der Turm

Es steht ein Turm im Tal der Welt,

erhebt sich hoch empor zum Licht,

er reicht bis an das Himmelszelt,

doch sieht man seine Zinnen nicht.

Willst du hinauf musst du hinab,

zuvor ins tiefe dunkle Tal,  

so lass dein Bündel nimm den Stab,

der Weg ist steil, der Mond steht fahl.

 

Den Gang hinab den Turm hinauf,

lass fahr'n dahin dein Hab und Gut,

denn jede Last hemmt deinen Lauf,

und unbeschwert wächst neuer Mut.

Rasch schlägt das Herz in mancher Brust

Schwer geht der Atem Stoß um Stoß,

doch mit der Höhe steigt die Lust:

Klein wird die Welt, der Mut so groß.

 

Hörst du des Wächters Ruf vom Turm,

er schallt hinaus weit übers Land.    

Bald warnt er vor Gewittersturm,

vor Krieg und Pest und Feuersbrand.

So nimm oh Mensch dein Herz in acht,

dass keine Macht es schrecken kann,

und wenn es fällt, so fällt es sacht

dorthin, wo alles einst begann.

 

Ach Türmer, der du einsam wachst,

auf deinem hohen Himmelsbau,

trotz deiner Größe nichts verlachst,

weshalb ich fest in dich vertrau.

Du bist mir Bruder, Freund und Held,

hast mich gerufen aus dem Tal,

damit das Dunkel sich erhellt;

Wo Licht ist endet alle Qual. 

Elmar Wieland Vogel am 23. Juli 2023

Jenseits des Sinnes

Was jenseits allen Sinnes,
darüber will ich sinnen,
zugunsten des Gewinnes,
der über allen Stimmen,
 
und über allem Raunen,
dem gilt, der wie ein Kind
das Dasein kann bestaunen:
Unfassbar wie der Wind. 

Scheint es uns nur zu streifen?
Sucht es uns auszublasen?
Wie möcht ich dich begreifen,
in Maß und Übermaßen.

Dann stünde alles offen,
und selbst was fest verriegelt
eröffnet‘ sich dem Hoffen,
wodurch es ward besiegelt,

schon lang vor allen Zeiten,
wo alles einst begann,
fernab von allem Streiten
steh ich in deinem Bann.

Dresden 16. Februar 2020

Audiodatei: Jenseits allen Sinnes

Freier Wille

Der freie Wille ist ein Ideal,
Ist weder Regel noch Gesetz in dieser Welt
Denn jeder handelt wie es ihm gefällt;
Beliebigkeit hat keine freie Wahl.

Fest gebunden liegt der freie Wille,
an dem Gebot der Liebe und Wahrhaftigkeit
Und jenseits diesem liegt nur Krieg und Streit;
Freiheit bleibt dort eine taube Hülle.

Nur Einsicht in die tiefste Unfreiheit,
Und Distanz zu eig‘nem Denken oder Handeln
Wird befang‘nen Willen dort verwandeln,
Wo er zum Abgang und zum Tod bereit.


Dresden am  10. Juli 2020
Audiodatei: Freier Wille

Die Überwindung der Welt

Angesichts seiner bevorstehenden Verhaftung und Hinrichtung spricht Jesus erstmals von der Überwindung der Welt. Aber was meinte er als er sagte, dass er den Namen des Vaters verherrlichen werde wenn er das Leid, das seine Feinde über ihn verhängt hatten, auf sich nehmen und am Kreuz sterben würde. Worin konkret bestand für ihn die Überwindung der Welt? Bestand sie im Scheitern seiner Mission am Kreuz?

Wie kann die Welt überhaupt überwunden werden, wenn sie doch augenscheinlich obsiegt? Erfreut sich Gott etwa am Leid des Menschen? Um diese Aspekte der Botschaft Jesu soll es in dem folgenden Beitrag gehen.

Was bedeutet Überwindung?

In seiner Passion zeigte er auf wie der Mensch den beschwerlichen und leidvollen Seiten seines Menschseins begegnen soll, damit sie verstanden, getragen und letztlich geistig überwunden werden können. Dabei besteht der Weg Jesu in einer außerordentlichen, inneren Einstellung den ungerechten, beschwerlichen und leidvollen Geschehnissen gegenüber. Wir sehen in Jesus Christus den Allerersten, dem es durch unerschütterliches Vertrauen in alle Lebensumstände gegeben war, den Willen Gottes durch Unrecht, Leid und Tod hindurch zu erkennen. Diese Geisteshaltung hat ihn frei gemacht von Gedanken der Schuld, der Anklage und der Vergeltung gegenüber seinen Feinden. Durch sein unerschütterliches Vertrauen und sein Wissen um den Sinn (Gott) im Sinnlosen (Gottlosen) war er davor bewahrt, an den schicksalhaften Geschehnissen seines Leidens und Sterbens zu zerbrechen, sodass er sterbend am Kreuz rufen konnte:

„Vater vergib ihnen denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Luk 23, 34

Leidend und sterbend am Kreuz machte Jesus deutlich, dass dieses neue Lebensverständnis, selbst von Geschehnissen, die äußerlichen Schaden und sogar den Tod bedeuten, unberührt und somit unzerstörbar bleibt.

Überwindung der Welt bedeutet im Sinne Jesu, die geistige Fähigkeit zu erlangen, frei von jeglicher, menschlicher Befangenheit, denken und handeln zu können. Auf dieser unbestechlichen Handlungsweise in vollkommener Freiheit, beruht die Verherrlichung Gottes – beruht die Verklärung des Geistes, wie Jesus es vor seiner Verhaftung gegenüber seinen Jüngern verdeutlichte:

„Ich habe dich (Vater) verherrlicht auf Erden und vollendet das Werk, das du mir gegeben hast, dass ich’s tun sollte. Und nun verkläre mich du, Vater, bei dir selbst mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.“  Joh 17,5

Eben, weil Jesus sich der transzendenten Bedeutung seines Lebens bewusst war, konnte er sein Leben bereitwillig hingeben und konnte in seiner Passion konsequent im Sinne seiner Botschaft handeln, die er zuvor lehrte: „Liebet eure Feinde…“ Mat 5, 44

Metanoia – Ändert euren Sinn

Ein weiterer, essentieller Gedanke liegt der Lehre von der Überwindung der Welt zu Grunde und dieser beruht auf der Änderung der Gesinnung unserem Leben gegenüber. Mit dem Aufruf zur Änderung unserer Sichtweise knüpfte Jesus nahtlos an die Predigt Johannes des Täufers an, der den Menschen zurief: Metanoia!  „Ändert euren Sinn!“ Ein Wort, das in den meisten Bibeln etwas einseitig mit „Tuet Buße“ wiedergegeben wird.

Metanoia bedeutet aber, dass wir unser gesamtes Leben auf völlig neue Weise betrachten und bewerten sollen, nicht dem äußeren Augenschein nach, sondern nach dem Verständnis der Lehre Jesu. Dieses Verständnis besagt folgendes:

Alles, was in dieser Welt mit uns und um uns geschieht hat das Potential, im Einklang mit dem Willen Gottes zu stehen, sofern wir bereit sind nach dem Sinn und der Bedeutung leidvoller Geschehnisse zu suchen – sofern wir bereit sind, den Willen Gottes darin zu suchen.

Denn der Wille Gottes ist untrennbar verbunden mit Geist und Sinn:

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.… Mat 7,7

Was nicht im Einklang mit dem Willen Gottes steht, das muss unser Dasein  behindern, beschädigen und vernichten. Gott aber ist das Leben selbst. Würde das Leben sich selbst behindern, beschädigen oder vernichten, so könnte es nicht existieren. Leben ist aber geradezu ein Synonym für Existenz, Realität, Wirklichkeit und Wahrheit.

In der Natur und in Wahrheit existiert kein sinnloses Unterliegen, Niedergehen und Sterben; alles Sterben dient neuem Leben. Daher, indem unser eigenes Sterben Sinn erfährt, ist der Tod überwunden denn Leben ist ein Synonym für Sinn und Bedeutung.

In Christus und das bedeutet, in unserer Suche nach dem Sinn im Sinnlosen, werden Leid und Tod – wird die Welt überwunden.

Ob also im Ungerechten, Beschwerlichen und Leidvollen der Wille Gottes an uns geschieht oder nicht, das hängt durch Jesus Christus nun nicht mehr von den Geschehnissen an sich ab, sondern es hängt allein ab von unserer inneren Haltung diesen Geschehnissen gegenüber – es hängt ab von unserer Einwilligung in den Willen Gottes. In Jesus Christus offenbart sich Gott als jene universelle Kraft, die ihre Herrlichkeit mit jeder Kreatur teilt, die seinen Willen in allen Geschehnissen sucht und findet. So gelangen wir durch Jesus Christus zu dem tiefen Verständnis, dass der Wille Gottes, sofern er zu unserem Besten geschehen soll, vollkommen abhängig ist, von unserer persönlichen Einwilligung in den Willen Gottes. Diese Theologie steht in vollkommener Übereinstimmung mit der Auffassung Jesu, der vor seiner Verhaftung bat:

Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!“  Mat 26,39

“Dein Reich komme. Dein Wille geschehe…” Mat 6,10

In Jesus Christus sind wir aufgefordert den Willen Gottes in allen Geschehnissen zu suchen, wodurch allein er gefunden werden kann und muss. In seiner Passion lehrte er die Überwindung der Welt durch die vertrauensvolle Erkenntnis des göttlichen Willens in ausnahmslos allen Geschehnissen.

In der Welt habt ihr Angstaber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.” Joh. 16, 33


Hindurch zum Licht

Fürchte dich nicht.
Die Dunkelheit der Erde ist ein Bild,
myriadenfach bemüht den Geist zu kränken,
der allzu Hartes bricht – den schwachen Schild;  
bereit, sich selbst in dunkle Tiefen zu versenken,
der sich verloren gibt, um neu sich dort zu finden.
So gleicht das Streben aus der Erde Schoß
der Sehnsucht eines Blinden:
Hindurch zum Licht.

Elmar Vogel     5. Januar. 2022
Audiodatei: Hindurch zum Licht

Als Bethlehem im Dunkel lag

Als Bethlehem im Dunkel lag
und Hirten hielten stille Wacht,
da ward es plötzlich heller Tag;
ein Licht erstrahlt in tiefster Nacht.
Und Klarheit, hoch von oben her,
verklärt nun Trauer, Leid und Tod;
Was ungeliebt und hart und schwer
– notwendig wird nun alle Not.

Als Dunkelheit die Welt umfing
und Blindheit alle Augen schlug
als Gottes Sohn am Kreuzstab hing,
den er hinauf zum Richtplatz trug.
Da hat erhellt den dunklen Sinn,
der uns in Not und Angst gebracht,
sein Wort, das schon vor Anbeginn,
durchdrungen hat die finstre Nacht.

So hat der Sohn uns kundgetan,
wie alles Leben ewig währt,
nahm auf sich Tadel, Schuld und Scham,
hat neu zu sterben uns gelehrt.
So nehmt, in seinem Geist und Sinn,
das eigene Kreuz nun täglich auf,
Denn Gottes Sohn ist der Ichbin*,
der führt die Welt zum Licht hinauf.

So lasst uns ohne Sorgen sein,
und nehmen was uns zugedacht.
Es lässt der Sohn uns nicht allein,
hat uns gegeben seine Macht,
dass sterben wir in seinem Geist,
der über allen Zeiten steht
denn Christus der Gesalbte weist
den Ort, da Gottes Atem weht.

*2. Mose 3,14 bzw. Joh. 8,24

© Elmar Vogel 2. Dezember 2020 / 4. Vers 12. 12. 2022

Klaviereinspielung von Peter Kitzing

Was bleibt

Der Tag zieht herauf und es dunkelt doch schon.
Die Felder sind weiß und die Frucht wiegt schwer.
Vage die Stunden der Ernte und Fron.
Schwarzes wird weiß und das Volle wird leer.

Refrain
Alles ist eitel und alles ist Wind,
doch was bleibt ist gewaltig und schwach
Im Schlafe liegt, was die Zeit mit sich nimmt
Nur das innere Auge bleibt wach.

Die Nacht bricht herein und ein Licht geht auf,
erfasst die Augen und Herzen zugleich.
Der Stern vollendet den himmlischen Lauf;
König wird Bettler, was arm ist wird reich.

Alles ist eitel und alles ist Wind,
doch was bleibt ist gewaltig und schwach
Im Schlafe liegt, was die Zeit mit sich nimmt
Nur das innere Auge bleibt wach.

Das Leben beginnt im Schoße der Nacht;
erneut geboren aus Wasser und Geist.
Die Zuversicht hat ein Feuer entfacht,
das alles entblößt und den Stoff zerreißt.

Alles ist eitel und alles ist Wind,
doch was bleibt ist gewaltig und schwach
Im Schlafe liegt, was die Zeit mit sich nimmt
Nur das innere Auge bleibt wach.

© Elmar Vogel 21. 4. 2021

Audiodatei zum privaten Download:

Audiodatei: Was bleibt – Gitarre und Gesang Elmar Vogel

Notwendiges

In allem Scheitern liegt ein Sterben,
und jede Krankheit atmet Tod.
Doch alles irdische Verderben,
birgt auch die Wendung unsrer Not. 

Wenn als notwendig ich erachte,
auch meinen abgrundtiefsten Fall,
und so im bittren Elend schmachte,
durchmisst ein Ruf das Weltenall.

Denn was notwendig ist geworden,
durch mein Bejahen und Vertraun,
das hat nun aufgehört zu morden
und lässt mich neues Leben schaun.

In der Notwendigkeit der Dinge,
liegt auch der Wahrheit tiefster Grund,
den ich von Herzen hier besinge,
der immer neu zu jeder Stund.

Und in der Wahrheit liegt das Leben,
beschlossen in Notwendigkeit
Wer bittet, dem wird hier gegeben,
zu überwinden Zeit und Streit.

Elmar Vogel  19. Oktober 2020

Dunkle Pforten

Was ich bin und was ich werde,
liegt verborgen in der Zeit.
Wie ein Baum in reicher Erde,
treib ich meine Äste weit.

Taste mich ins Unbekannte,
da sich freie Räume dehnen.
Was ich vormals Zweifel nannte,
ward mir Hoffnung, Mut und Sehnen.

Jeder bange Schritt ins Leere,
jenseits altbekannter Orte,
alles Grobe, alles Schwere,
führt mich an die dunkle Pforte,

dran ich klopfe, unverdrossen
und um Einlass bitt‘ und dränge,
bis sich auftut was verschlossen;
lichter Raum in Breit und Länge.

Überwunden ward die Enge,
die der Zweifel nur gesetzt,
und entledigt alter Zwänge,
strahlt die Seele unverletzt.

Elmar Vogel 1. März 2020

Paradoxon

Leben ist stete Suche nach Leben,
Leben ist Finden in allen Dingen.
In jeder Regung entschlossenes Streben,
ahnendes Wissen zu großem Gelingen.

Am Ende wird das Verworfene dienen,
den Auftakt setzen zu neuem Beginn,
und Tage, die uns als Bürden erschienen;
wir leben sie neu in geläutertem Sinn.

Sterben folgt der Suche nach Tod;
Verlust des Lebens in allen Dingen,
In jeder Regung verzweifelte Not,
die drohende Fessel niederzuringen.

Am Ende wird das Verworfne zertreten,
nicht weil verwerflich, sondern weil verhasst.
Wir werden empfangen, was wir erbeten:
Erleuchtetes Dunkel - Bürde und Last.


Elmar Vogel  13. April 2020

Welt der Gnade

Welt der Gnade, komm herbei,
stille mein Verlangen.
Böses wie auch Gutes sei
liebevoll umfangen.

Wandelbar ist alles dem,
der fest auf dich vertraut,
der, wenn harte Winde gehn,
auf neue Sphären schaut.

Darin harret alles Glück,
in der Einsicht Stille,
dass das ärgste Missgeschick,
sich mit Sinn erfülle.

Und wer sucht in Zuversicht, 
Geist und Sinn zu finden,
das, woran es ihm gebricht,
wie das Licht dem Blinden,

wird nun sehend im Verstand,
dass kein unnütz Treiben,
und was hier noch unerkannt,
kann es dort nicht bleiben.

Seht, die Zeit steht stille nun,
da der Grund gefunden.
Dort wo alle Dinge ruhn,
wird die Welt gesunden.

19. Juli 2020 Elmar Vogel

Wie ein Baum

Wie ein Baum der seine Zeiten kennt,
will ich Blatt um Blatt beschreiben,
und was unerkannt mich von dir trennt,
will und kann in dir nicht bleiben.

Refrain:
Lass dein grünes Holz mir Zeichen sein
in den kalten, kahlen Zeiten,
bis mich neu erweckt der Sonne Schein,
und sich öffnen helle Weiten. 

Wie der Wind, der nicht zu fassen ist,
weht dein Geist mir ins Gemüte,
offenbart mir alle arge List,
die du deckst in deiner Güte. 

Refrain:
Lass dein grünes Holz mir Zeichen sein
in den kalten, kahlen Zeiten,
bis mich neu erweckt der Sonne Schein,
und sich öffnen helle Weiten. 

Komm und mach mich meiner selbst bewusst,
dass ich neu geboren werde
und die Pforten, die du auf mir tust,
offen stehen wenn ich sterbe. 

Refrain:
Lass dein grünes Holz mir Zeichen sein
in den kalten, kahlen Zeiten,
bis mich neu erweckt der Sonne Schein,
und sich öffnen helle Weiten. 

Wie die Erde alles Leben schafft,
mach auch mich zu gutem Lande,
damit aufersteht in deiner Kraft,
was hier fällt in Schimpf und Schande. 

Refrain:
Lass dein grünes Holz mir Zeichen sein
in den kalten, kahlen Zeiten,
bis mich neu erweckt der Sonne Schein,
und sich öffnen helle Weiten. 

Lass mich fallen in der Zuversicht,
dass solches Sterben Sinn erfährt.
Alles Dunkle strebt empor zum Licht,
das sich von der Sonne nährt. 

Refrain:
Lass dein grünes Holz mir Zeichen sein
in den kalten, kahlen Zeiten,
bis mich neu erweckt der Sonne Schein,
und sich öffnen helle Weiten.

Einst und jetzt


Bis erfüllt sind alle Zeiten
liegt die Welt in Krieg und Streiten
Darum will ich mich nicht an sie binden.
Meine Ängste und mein Bangen,
all mein Hoffen und Verlangen,
sind mir Suchen und Erfüllungfinden.

Darum suche ich und finde
wie der Lahme, wie der Blinde,
ungeahnte helle Worte,
abgrundtiefe, dunkle Orte,
die noch keine Namen tragen.
Und die Antwort aller Fragen:
Wie das Häßliche und Schöne
mich mit dieser Welt versöhne?

Bis getan sind alle Taten
muss die Welt sich selbst verraten,
wird die ihren täuschen und verlieren.
Alles wahre, echte Handeln
wird die Wirklichkeit verwandeln,
wird sie überwinden und regieren.

Darum suche ich und finde
wie der Lahme, wie der Blinde,
ungeahnte helle Worte,
abgrundtiefe, dunkle Orte,
die noch keine Namen tragen.
Und die Antwort aller Fragen:
Wie das Häßliche und Schöne
mich mit dieser Welt versöhne?

Wenn verklungen das Gesagte
und gesagt was keiner wagte,
wird der Taube neue Worte hören,
dass die Krankheit und die Bürde,
aller Schmerz verwandelt würde
allen denen, die sich nicht empören.

Darum suche ich und finde
wie der Lahme, wie der Blinde,
ungeahnte helle Worte,
abgrundtiefe, dunkle Orte,
die noch keine Namen tragen.
Und die Antwort aller Fragen:
Wie das Häßliche und Schöne
mich mit dieser Welt versöhne?

Elmar Vogel 20. Juni 2021

Einst

 Wenn alle Sinne endlich ruhn
 und aller Tränenfluss versiegt,
 die Welt geeint wird in ein Nun
 und jeder Widerspruch besiegt,

 Wenn jeder Ruf nach Licht und Raum
 verhallt in einem Augenblick,
 wenn er zergeht wie Gischt und Schaum,
 wenn nur noch Hin und kein Zurück,

 Dann leg ich ab, was ich nicht bin
 und was ich bin, wird offenbar;
 Was ich nicht sein will, geht dahin
 und Unvergängliches wird klar.

 Wo jenes Licht, das in mich fällt,
 das mir die Maske offenbart,
 die ich stets trage vor der Welt,
 wo es mich trifft im Herzen hart,

 Wo es erleuchtet meinen Sinn,
 der dunkel, eitel und blasiert,
 wo mir bewusst wird, was ich bin,
 wenn sich das Scheinbare verliert,

 Dort leg ich ab, was ich nicht bin
 was zeitlich ist und arm und schwach;
 Was ich nicht sein will, geht dahin
 und was im Schlummer lag wird wach. 


 Elmar Vogel  8. April 2020

Die Heilung durch den Geist

Jesus heilte die Menschen durch den Geist ohne dafür irgendeine Gegenleistung zu erwarten. Eine Praxis, die von der Schulmedizin heute eher beargwöhnt wird.

Über den Wert und die Bedeutung der Heilhandlungen Jesu

Die wissenschaftliche Medizin betrachtet den Kranken und seine Krankheit als Objekt und weist ihm beinahe verächtlich die Rolle absoluter Passivität zu; er hat nichts zu fragen und nichts zu sagen, nichts zu tun, als den Anordnungen des Arztes gehorsam und sogar gedankenlos zu folgen und sich selbst möglichst aus der Behandlung auszuschalten. In diesem Wort >>Behandlung<< liegt der Schlüssel. Denn während in der wissenschaftlichen Medizin der Kranke als Objekt >>behandelt<< wird, verlangt die seelische Heilkur vom Kranken vor allem, dass er selbst seelisch handle, dass er als Subjekt, als Träger und Hauptvollbringer der Kur, die höchste ihm mögliche Aktivität gegen die Krankheit entfalte. In diesem Aufruf an den Kranken, sich selbst seelisch aufzuraffen, sich zur Willenseinheit zusammenzufassen und diese Ganzheit seines Wesens der Ganzheit der Krankheit entgegenzuwerfen, besteht das eigentliche und einzige Medikament aller psychischen Kuren, und meist beschränkt sich der Hilfsakt ihrer Meister auf nichts anderes als auf das gesprochene Wort.”

Stefan Zweig


Dieser Text aus Stefan Zweigs Schrift: „Die Heilung durch den Geist“ scheint heute aktueller denn je und ist mir so aus dem Herzen gesprochen, dass ich hier die Personen, die er in seinem Buch exemplarisch als geistige Heiler porträtiert, um eine Person erweitern möchte: Jesus Christus.

Privileg des Krankseins

Die Gesundheit ist für uns Menschen das Gute und das Richtige, Krankheit hingegen das Falsche und Schlechte. Der Lehre Jesu nach, kommt aber gerade der Krankheit eine wichtige Bedeutung zu. Ist es doch gerade die Krankheit, die es vermag, uns innehalten zu lassen, die wir als stumme Aufforderung verstehen können, unsere bisherige Lebensweise zu hinterfragen und die uns so ein transzendentes Denken ermöglichen kann.

Ich sage ganz bewusst “kann” weil eben dieses Potential, das im Zustand der Krankheit liegt, oft nicht als solches erkannt wird. Tatsächlich wurde Jesus von der Mehrheit seiner Zeitgenossen eher als Arzt betrachtet und weniger als spiritueller Lehrer. Das zeigt u. a. die Kritik von jüdischer Seite, er würde den Sabbat missachten, weil er am Feiertag seiner Arbeit nachgehe bzw.  Menschen am Sabbat gesund mache.

Jesus selbst verwendet den Begriff Krankheit aber immer im doppelten Sinne; nämlich als körperliches und als seelisches Gebrechen. So antwortet er auf den Vorwurf, er würde mit Sündern und Volksverrätern Umgang pflegen: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken!“ Dabei versuchte er deutlich zu machen, dass die geistige Gesundheit an erster Stelle stehen muss.

Steht der Mensch in seiner geistigen Gesundheit, so überwindet er jede Mangelsituation und alle menschlichen Gebrechen – durch den Geist überwindet er die Krankheit der Welt.

Glaube macht Krankheit


Jesus zeigte auf, dass das, was wir für krank bzw. schlecht oder für gesund bzw. gut halten, seinen Ursprung in unserem persönlichen Urteil den Dingen und den Geschehnissen gegenüber hat. von Natur aus sind jedoch die Dinge weder gut noch schlecht. Daher liegt nicht in den Dingen oder Geschehnissen selbst, sondern in unserem persönlichen Urteil, unserer Einschätzung den Geschehnissen gegenüber, die Ursache für unser Heil oder Unheil.  Was uns ungerecht, leidvoll und beschwerlich erscheint, betrachten wir gewöhnlich als schlecht, das Stärkende, Fördernde und Angenehme hingegen als gut. Jesus aber verleiht den Dingen eine völlig neue Bedeutung: Der Reiche, Wohlhabende und Mächtige ist in die vielen Dinge dieser Welt verstrickt und so warnt er:

Eher geht ein Ankertau durch ein Nadelöhr als ein Reicher in Gottes neue Welt.“

Hingegen aus der Gruppe der Armen, Schwachen und Kranken, derer, denen Unrecht widerfahren ist, die am Rande der Gesellschaft stehen, die nichts zu verlieren haben, erwächst die Sehnsucht nach Heilung, nach Erleichterung und nach ausgleichender Gerechtigkeit. Und weil eben diese Sehnsucht genau dem entspricht, was Jesus zu geben hat, verkündet er:

„So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten”

Die Heilung, die Jesus an den Menschen vollbringt, ist immer eine geistige, auch wenn er „nur“ ihre körperlichen Gebrechen heilt. Immer wieder erklärt er den Geheilten, dass ihr Glaube und ihre feste Überzeugung, er (Jesus) könne ihre Gebrechen heilen, ihre Gesundung letztlich bewirkt hat:

Dein Glaube hat dir geholfen“ – „Dein Glaube hat dich gerettet“, – „Dein Glaube hat dich gesund gemacht“, sind dann seine Worte.

Auch hier steht die feste innere Überzeugung – nämlich die geistige Stärke über den Zustand der Krankheit hinaus zu denken – über der Krankheit selbst. Nur diese eine Einsicht, nämlich, dass alle äußere und sichtbare Welt auf einer geistigen Grundlage besteht, wird den Glauben an eine Heilung durch den Geist rechtfertigen können. Oder wie Aristoteles sagte:

„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“.

Besteht aber unsere äußere Erscheinungswelt auf Grundlage des Geistes, so liegt in allen äußeren Erscheinungen auch ein tiefer Sinn und eine Bedeutung verborgen. Dass sich uns Sinn und Bedeutung des Leidvollen, des Beschwerlichen und des Umstandes, dass wir sterben müssen, erschließen, dass wir den Grund aller Dinge, die uns widerfahren erkennen und verstehen, will ersehnt, gesucht und gefunden werden. Denn der Begriff “Geist” ist ein Synonym für eine Sinnhaftigkeit, die über die rein äußere Erscheinung der Dinge hinausgeht. Somit ist die Suche nach dem Sinn, ist die Suche nach Geist, ist die Suche nach Gott, letztlich die Suche nach unserer heilen, eigentlichen und zeitlosen Existenz. Unsere Sehnsucht nach dem Geist ist dabei die Grundlage dieser Heilung:

„Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.…“ Lukas 11,9

Die Heilung durch den Geist vermag viel mehr, als “nur” die Heilung von körperlichen Gebrechen, denn sie fußt auf der Erkenntnis, dass jede Heilung, alles Gute, ja dass das Leben selbst auf einer geistigen Basis ruht. Kraft dieser Erkenntnis, betreten wir diese Basis und vermögen damit alles, was auch der Geist vermag, der Ursprung und Ursache aller äußeren Erscheinungen ist. In dieser Erkenntnis sehen wir uns aber auch in der Lage, alle äußeren Dinge zu entbehren, da wir die Grundlage des Lebens auf seiner geistigen Basis erkannt und gefunden haben. Dieser Fund macht uns zu Teilhabern des Geistes, der uns wiederum mit allem notwendig Äußerem bedenkt.

Eine weitere, grundlegende Aussage, die uns insbesondere die Passion Jesu lehrt, ist diese: Alle Krankheit, alles Beschwerliche, ja selbst erlittenes Unrecht, Leid und Tod werden einen persönlichen und individuellen Sinn erfahren, wo wir beginnen, ihren Ursprung im Geist, also in Gott zu suchen. Weil alle Erscheinungen ihren Ursprung im Geist haben, muss ihnen auch Sinn und Bedeutung innewohnen. Doch dieser Sinn ist uns in dem Moment, wo wir erschrecken, dunkel und verborgen, er will aber von uns gesucht und gefunden werden, denn dieser Sinn ist Gott selbst.   Daher das immer wiederkehrende Postulat Jesu:  „suchet, so werdet ihr finden…“

Ohne Sehnsucht keine Heilung

Die Überwindung des Leidvollen und vermeintlich Sinnlosen durch den Sinn geschieht, indem wir das Beschwerliche in der Geisteshaltung Jesu vertrauensvoll auf uns nehmen, so wie auch er bewusst Unrecht, Leid und Tod auf sich genommen und getragen hat, in der Gewissheit, dass auch in diesen Bereichen Gott wirken wird, sofern er von uns darin gesucht wird. Wer auf diese Weise Gott in allen Erscheinungen sucht, der wird ihn in allen Dingen finden – selbst im eigenen Tod. Unser unerschütterliches, kindliches Vertrauen in den Geist veranlasst Gott zur Sinnschöpfung über das Starre und Leblose hinaus, denn alle Schöpfung Gottes ist die Kreation von Geist und Sinn alles bis dahin Geist- und Sinnlosen. Insofern liegt bereits ein grundlegender Sinn in unseren äußeren Gebrechen, denn sie fördern unsere Sehnsucht nach Geist. Die Heilung durch den Geist geschieht dabei in jeder gewonnenen Einsicht, in der wir uns der grundlegenden Bedeutung der Botschaft Jesu bewusst werden. Erst wenn wir nichts anderes mehr wünschen und begehren, als die Hinwendung zu den geistigen Belangen unseres Daseins, jenen, welche die Grundlage unserer inneren Vollkommenheit und somit auch die unserer äußeren Unversehrtheit sind, können und werden wir die grundlegendste aller Heilungen überhaupt erfahren: Unsterblichkeit.

Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt. Und wer da lebt und an mich glaubt, wird unsterblich.   Johannes. 11, 25

Wer die geistigen Belange über alles Äußere stellt, gewinnt dadurch die Grundlage allen Lebens und somit alle äußerlich notwendige Unversehrtheit hinzu.

Überwindung der Geistlosigkeit – die grundlegendste Krankheit der Welt


Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen.” Matthäus 6, 33

Jesus ist gekommen, damit wir durch diese Botschaft auf unserer geistigen, d. h. auf einer zeitlosen Basis Heilung erfahren, also jener, die alles äußerlich Notwendige in sich einschließt. Unsere innere Heilung, durch die wir zu unsere zeitlose Existenz finden, ist die eigentliche Heilung im Sinne Jesu. Durch die Heilung von körperlichen Gebrechen hat Jesus die Kraft des Geistes für uns nur sichtbar gemacht, denn eine Heilung von körperlichen Krankheiten, muss nicht zwingend die geistige Heilung des Menschen einschließen.

Jesus Christus ist gekommen, damit wir Zugang zu grundlegender Heilung und Unversehrtheit finden können, und diese liegt im Gewinn unserer zeitlosen Existenz, die in Gott liegt. In unserer zeitlosen Existenz sind wir unsterblich. In unserer zeitlosen Unversehrtheit, der des Geistes, werden wir fähig, alles Äußere zu entbehren, so wie Jesus in der Lage war, alle Dinge zu entbehren sei es Anerkennung, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Leben. Durch sein Vorbild und Beispiel wollte er aufzeigen, dass all das, was wir in seiner Geisteshaltung willig preisgeben und verlieren, in Gott wiedergefunden werden muss, da es hierin einen tiefen Sinn erfährt. Wird uns im Geiste Jesu die äußere Unversehrtheit genommen, so werden wir auch in das Schicksalhafte und das Leidvolle einwilligen können, ohne daran zu zerbrechen.

Somit liegt die grundlegendste Heilung aller unserer Gebrechen im Bewußtwerden unserer zeitlosen Existenz.

In unserer geistigen Existenz sind wir zeitlos, unverwundbar und unzerstörbar. In unserer zeitlosen Existenz sind wir ewige Geschöpfe und das bedeutet wir waren bereits, bevor wir hier in diesem Leben wurden. Diese Grundwahrheit versuchte Jesus den Menschen zu verdeutlichen – oftmals vergebends:

Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen in Ewigkeit. Da sprachen die Juden zu ihm: Jetzt erkennen wir, dass du verrückt bist. Abraham ist gestorben und die Propheten, und du sagst: Wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht schmecken in Ewigkeit. Bist du etwa mehr als unser Vater Abraham, der gestorben ist? Und selbst die Propheten sind gestorben. Was machst du hier aus dir selbst? Jesus antwortete: Wenn ich mich selber ehre, so ist meine Ehre nichts. Es ist aber mein Vater, der mich ehrt, von dem ihr sagt: Er ist unser Gott. Und ihr kennt ihn nicht, ich aber kenne ihn. Und wenn ich sagen würde: Ich kenne ihn nicht, wäre ich ein Lügner wie ihr. Aber ich kenne ihn und halte sein Wort. Abraham, euer Vater, wurde froh, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich. Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht mal fünfzig Jahre alt und willst Abraham gesehen haben? Jesus sprach zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich. Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Aber Jesus verbarg sich und ging zum Tempel hinaus.                Johannes. 8, 52-58

Eine Vertiefung dieser Aussage Jesu findet sich bei Meister Eckhart:

In jenem Sein Gottes nämlich, wo Gott über allem Sein und über aller Unterschiedenheit ist, dort war ich selber, da wollte ich mich selber und erkannte mich selber, (willens) diesen Menschen zu schaffen. Und darum bin ich Ursache meiner selbst meinem Sein nach, das ewig ist, nicht aber meinem Werden nach, das zeitlich ist. Und darum bin ich ungeboren, und nach der Weise meiner Ungeborenheit kann ich niemals sterben. Nach der Weise meiner Ungeborenheit bin ich ewig gewesen und bin ich jetzt und werde ich ewiglich bleiben. Was ich nach meiner hiesigen Geborenheit nach bin, das wird sterben und zunichte werden, denn es ist sterblich; darum muss es (zusammen) mit der Zeit verderben. In meiner (ewigen) Geburt aber wurden alle Dinge geboren, und ich war die Ursache meiner selbst und aller Dinge, und hätte ich gewollt, so wäre weder ich noch wären alle Dinge, wäre aber ich nicht, so wäre auch Gott nicht: Dass Gott, Gott ist, dafür bin ich die Ursache; wäre ich nicht so wäre Gott nicht Gott.                Meister Eckhart  Predigt 52

Sinnsuche

Verlischt der Geist am Totenlager?
Vergeht der Sinn wenn er verloren?
Ich frage; wie wird Sinn geboren?
Bewirk‘ ich selber ihn, als Frager? 

Und gleicht die Antwort, die ich gebe,
wenn ich den Sinn zu finden glaube,
nicht einer einz‘gen süßen Traube,
die bald getrennt von ihrer Rebe, 

im Nu verkostet und zerronnen.
So scheint Bedeutung nur ersonnen,
für eine allzu kurze Weile. 

Lass Leid und Tod, die bitt‘ren Beeren,
doch jenen tiefen Sinn mich lehren,
der mich von allem Unsinn heile.

Elmar Vogel – Dresden 29. Januar 2021

Steige hinab

Steige hinab in die Tiefen der Seele,
teile das Dunkel und atme das Licht,
wechsle die Räume, der Fügung befehle,
alles zu wandeln was Trauer und Pflicht.

Gib dich dahin in bewusster Gebärde,
Dunkles betrachte im Wandel der Zeit,
harre der Sonne im Schoße der Erde,
bis die Gestalt von der Scholle befreit.

Beug dich hinab und erkenne die Gründe,
koste und schmecke das Salz im Gestein.
Was du geschaut und geschmeckt das verkünde
und es erstrahlt aus der Tiefe der Schein.

Hebe und trage die Bürden der Tage,
such und vertrau auf den Sinn jeder Last.
Klopfe und harre und rufe und frage,
öffne die Pforte und werde mein Gast.

Elmar Vogel 28. März 2021

Licht und Schatten

In allem Dunkel liegt ein Sehnen,
darin die Herzen klopfend schlagen.
und Schlag um Schlag ein stilles Nehmen,
und ein Verlangen und ein Fragen:
Wo sind die hohen hellen Stätten,
die uns die Führer einst verhießen,
wo wir die Leiber sicher betten,
wo sie des Nachts die Tore schließen?

Doch fällt ein Schatten all der Lasten,
die an uns haften Nacht für Nacht,
die stumm nach unsrem Herzschlag tasten,
die uns berühren zart und sacht,
in jenen Grund, der ohne Gründe,
die Welt aus Dunkelheiten wirkt,
wo jeder Schatten, jede Sünde,
das Licht des Geistes in sich birgt.

In der Geburt der lichten Sphären,
in der Erkenntnis unsres Grundes,
dort wird sich Licht von Licht ernähren
wo es berührt vom Saum des Mundes,
dessen, der vollbringt und der vollbracht.
Und Finsternisse werden fallen,
und was gebeugt von dunkler Macht,
wird aufrecht stehn in lichten Hallen.

Dresden 4. 9. 2020

Auferstehung

Die Toten leben in uns fort
in vielerlei Gebärde
und manch gesagtem Wort.
Auch in des Ackers Erde,
fällt sinnlos nichts hinab.
In dem Vertrauen lassen,
dass aus dem dunklen Grab,
wir neues Leben fassen.

© Elmar Vogel – Mai 2020 

ATMAN

Ich atme den Sinn deiner Worte,
wie salzgeschwängerte Luft,
die mir Bilder und Orte,
aus alter Erinnerung ruft.

Dort finde ich viele Sphären,
in sanfter, zarter Kontur,
die ihre Erfüllung begehren,
als grenzenlose Natur.

In unerklärlicher Schau,
harrt Kreatur und Welt,
bis klarer Morgentau,
in jede Einsicht fällt.

Dresden 19. April 2020 Elmar Vogel 

Transzendenz

Wenn alle Regung dieser Welt ein tiefer Sinn durchwebte
und wir die Gnade hätten, eben diesen Sinn zu fassen,
so würden Schicksal, Leid und Tod und alles je Gelebte
sich, in jenem neuen Licht betrachtet, wandeln lassen.

Wenn ein Gedanke doch, der jeder Schwerkraft widerstünde,
der Schweres heben könnte und allzu Leichtes fallen ließe,
das Herz zutiefst ergreifen könnte, dass es doch verstünde,
zu dulden, wenn sich höchster Sinn in Eigensinn ergieße.

So schüfe ganz alleine jene tiefe Zuversicht,
die bei uns stünde selbst in allergrößtem Ungemach,
den inn'ren Frieden uns, an dem es dieser Welt gebricht
und selbst im Sterben, zöge uns doch alles Leben nach.

Elmar Vogel am 25. Januar 2020

Der Tod

Der Tod kann nimmer böse sein, 
denn die Natur kennt keine Strafen
ein jeder geht für sich allein
zurück, zu jenem großen Schlafen,
aus dem der Geist die Bilder weckt,
und dieser Welt die Schönheit schenkt,
wodurch uns dieses Leben schmeckt,
bis sich das Bild zur Scholle senkt.

Was ohne Geist, das wähnt die Strafe,
in allem was da auferlegt.
Mensch wird Tier und Herr wird Sklave,
wo dieser Eisenbesen fegt.
So fegt er hart, bis unser Kummer
so groß, dass wir darin vergehn,
- versinken tief in jenen Schlummer,
da uns der Geist heißt aufzustehn.

Elmar Vogel Januar 2020

Überwindung

Liebet, deutet alle Zeichen,
die das Schicksal uns gesetzt,
denn zur Gunst kann nur gereichen,
was beachtet und geschätzt.

Jedes Übel sei durchdrungen,
überwunden durch den Geist,
der aus tiefsten Niederungen
in die höchsten Sphären weist.

Alles,  alles dient dem Leben
denn in tiefer Zuversicht,
wo in Not wird hingegeben,
Totgeglaubtes zu uns spricht.

Elmar Vogel 10. Januar 2020

Freiheit

Freiheit, die du meine bange Seele rührst ,
wüsst ich, dass du meines Herzens Schläge spürst,
so könnte ich dich ganz und gar entbehren.
Ja, hätt ich alle Freiheit dann verloren,
und wär in tiefster Sklaverei geboren,
du würdest als dein Kind mich doch ernähren.

Und alle die von dir gegessen, machst du reich
machst ebenbürtig deine Kinder dir und gleich
und gibst dich selber hin und ungeteilt.
Und wer dich unumschränkt genießt,
wer duldet, dass du dich in ihn ergießt,
der wird durch dich geadelt und geheilt.

Nur du vermagst dich ohne Reue aufzugeben
Und wäre ich vereint mit dir in solchem Streben,
so wär ich ganz – und wär ein Teil von dir.
Dann kann mir niemand nehmen was ich bin,
nur was ich nicht bin, das geht wohl dahin
Und bliebe es, wärs doch kein Teil von mir.


Elmar Vogel – Oktober 2019


Vergänglichkeit

Die Zeit trägt alle Dinge mit sich fort 
und nichts vermag zu widerstehn.
Sie wirkt im Stillen, unsichtbar und ohne Ort.
Wer kann ihr Schranken setzen, ohne zu vergehn?

Wer kann dort hin, wo weder Zeit noch Raum
noch irgendein Verlust die Seele rühren kann? 
Gefangen zwar hängen wir doch an jenem Traum,
dass Freiheit möglich sein wird - irgendwann.

Verfall und Tod scheint unser Los zu sein
vor dem es kein Entweichen, kein Entrinnen gibt
Wir fügen uns und hoffen dennoch insgeheim
dass wo wir selbstlos lieben,  werden wir geliebt.

                                                         Elmar Vogel 21. Juli 2019

Die innere Schau

Manchmal entdecke ich in dunklen Stunden,
da ich mir selber fremd und feind,
dass das, was ich für bös und schicksalhaft befunden,
was grob und ungebührlich mir erscheint,
der Seele helfen könnte zu gesunden,
obgleich es der Verstand verneint.

Die eigne Unzulänglichkeit genau betrachten,
den Blick auf Lüge und auf Heuchelei
zu richten, indes dann dennoch zu beachten,
dass niemand sagen kann, er sei von Schwäche und von Irrtum frei
wäre ein Weg, Tyrannen zu entmachten
und auch ein Ausweg aus der eignen Tyrannei.

Die innre Schau in meinen tiefsten Herzensgrund,
macht mir das eigene unverfälschte Antlitz offenbar,
und was ich dort erblicke tut mir gleichwohl kund,
dass Gott und Wahrheit und ich selbst von jeher eines war.
Betracht ich mich auf jene Weise, dann schau ich Gottes Antlitz und
erkenn mich selbst im Spiegel meines Herzens wie Kristall so klar.

In dieser Einsicht kann ich die Gestalt annehmen,
in welcher Mensch dem Menschen würdig sich erweist
da überwunden und vergessen aller Tadel, alles Schämen
und abgelegt das alte Sinnen, das immerfort um Schuld und um Vergeltung kreist
So läge jener Ort, an dem das Paradies wir wähnen
dort wo den Sinn des Mangels und des Ungenügens man begreift.

Elmar Vogel am 10. Mai 2019

Meister Eckhart

In meiner tiefsten Einsicht, da ich mich selbst in dir erblickte und dich in mir, da hast du mich geboren, 
hast mich hervorgebracht als deine eigene Natur. 

Und alles, was mir vormals dunkel war und stumm und namenlos und ungenannt, das sprach dort unverhüllt und rein und pur und ich verstand,
dass deine Offenbarung mir immer schon vertraut gewesen – dass sie von jeher mir bekannt. 

Und doch erscheint mir allzu niedrig dieser Ort, 
zu grob und ohne jede Zier,
dass ich nicht glauben und nicht fassen kann, er sei dein Hort - 
die Wiege aller Kreatur, die zu erkennen dich vermag – die dich begreifbar macht im Jetzt und Hier. 

In meiner tiefsten Einsicht meiner selbst, 
bist du in mir geboren und ich in dir
dort hab ich dich hervorgebracht 
und du hast mir dein Antlitz offenbar gemacht.  

Elmar Vogel am 22. April 2019

Der überkonfessionelle Blog mit geistigen Impulsen aus der Botschaft Jesu

Eine philosophische und undogmatische Interpretation der Botschaft Jesu als zeitlose und universelle Weisheitslehre

Christophilos ist überkonfessionell und widmet sich ausschließlich den Inhalten der Botschaft Jesu. Überkonfessionell und undogmatisch interpretiere ich die Inhalte des Neuen Testaments als universelle Weisheitslehre von zeitloser Gültigkeit. Auf dieser Grundlage entstand auch das Buch: Essenzen – Die Botschaft Jesu sowie die hier veröffentlichten Beiträge, Gedichte, Lieder und Impulse. In diesem Sinne verfolge ich den philosophischen Aspekt des Plausiblen, Schlüssigen und Folgerichtigen. Dennoch sind meine Auslegungen intuitiver und kreativer Natur. Dies steht meiner Auffassung nach jedoch nicht im Widerspruch zum philosophischen Denken. Tatsächlich betrachte ich die Philosophie als eine geistige Disziplin, bei der auch der kreative und schöpferische Ausdruck grundlegend ist.

Warum überkonfessionell und undogmatisch?

Hier geht es nicht um kirchlich Trennendes, sondern um das rein Inhaltliche. Das heißt, das Geistige, das Relevante, das Zentrale, das Einende, das alle christlichen Konfessionen verbindet ist Gegenstand meines Nachdenkens. Vor diesem Hintergrund kann mein Ansinnen ja nur ein überkonfessionelles und undogmatisches sein und im weitesten Sinne ist es damit auch religionsübergreifend. Denn der Anspruch, den Jesus für sich selbst und für seine Weisheitslehre erhebt, ist meiner Überzeugung nach letztlich ein universeller. Insofern ist dieser Blog auch ein Beitrag zum interreligiösen Dialog.

Was heißt christlich – philosophisch?

Auf der Suche nach adäquatem Ausdruck bediene ich mich der alten, urchristlichen Tradition des freien Nachdenkens und Philosophierens über die Worte Jesu im besten Sinne des Wortes: „Philos-Sophia“, nämlich als Freundschaft zur Weisheit. Eine Praxis, wie sie bereits in den Briefen des neuen Testaments, den sogenannten Episteln, lebendig bezeugt wird. Diese Praxis steht in einer Tradition, welche die Botschaft Jesu von jeher als eine Weisheits- und Erkenntnislehre ausweist, wie es der Apostel Paulus in seinem Brief an die Kolosser verdeutlicht:

“In Christus verborgen liegen alle Schätze, der Weisheit und der Erkenntnis.”

Kolosser 2,1–5

Die Philosophie, d. h. die Weisheitslehre Jesu sucht nicht das Trennende, sondern das Gespräch, den Dialog und den geistigen Austausch. Jedwede Ausgrenzung oder Sanktionierung Andersdenkender oder die Forderung: “Das musst du glauben!”, ist der christlichen Weisheitslehre fremd.
Damit steht christliche Philosophie auf der Grundlage der toleranten Geisteshaltung Jesu, der immer bemüht war, auf ernst gemeinte und interessierte Fragen (auch die seiner Gegner), umfassende und tiefgründige Antworten zu geben.

Kompetenz vor Hierarchie

Die Botschaft Jesu ist frei von menschlichem Elitedenken. Hierarchie ist der Lehre Jesu nach eine Folge echter Kompetenz, was umgekehrt nicht möglich ist. Der Begriff “Verantwortung” bedeutet hier, Antworten geben zu können. In diesem Sinne hat die Botschaft Jesu nichts Knechtisches, was besonders in den Abschiedsworten Jesu zum Ausdruck kommt:

“Ein Knecht weiß nicht was sein Herr tut …//… Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid …//… Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben lässt für seine Freunde.”

Joh 25, 5-23 (Altgriechisch: philos=Freund)

Ein idealistisches Projekt

Christophilos ist kein kommerzielles Projekt. Als rein private Initiative wird es von keiner Gruppierung oder religiösen Gemeinschaft unterstützt, vereinnahmt oder getragen. Es ist individueller Ausdruck eines aufrichtigen, inneren Interesses an einer freien und geistig-kreativen Auseinandersetzung mit den Inhalten der Botschaft Jesu.

Soziale Netzwerke

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