Kurzinterview

Herr Vogel, Sie kommen nicht aus der Schule der Theologie, sondern aus den Reihen der kreativen Handwerker. Was hat Sie bewogen ein Buch über Jesus zu schreiben?

Das ist richtig, ich komme weder aus einem theologischen noch aus einem streng kirchlichen Elternhaus. Berufsbedingt kam ich während meiner Ausbildung zum Steinbildhauer mit den Themenbereichen: Bildsprache, Symbolik und Vermittlung von religiösen Inhalten für den sakralen Bereich (Kircheneinrichtung und Grabmalgestaltung) in Berührung. Die ganz persönliche Faszination an der Botschaft Jesu und an seiner Gestalt spielte dabei sicher auch eine zentrale Rolle. Nach eingehender Lektüre alt- und neutestamentlicher Schriften folgte eine Phase der intensiven Beschäftigung mit fernöstlicher Philosophie und mit theologischen Werken von Meister Eckhart, Martin Luther, Baruch Spinoza und Simone Weil. Wobei für mich die größte Faszination von Meister Eckhart ausging. Bei Eckhart empfand ich erstmals, dass sich jemand den urchristlichen Inhalten der Botschaft Jesu widmete. Mich wunderte, dass diese Gedanken in den kirchlichen Glaubensgemeinschaften so wenig Beachtung finden. Es entstand dann eine kleine private Textsammlung über die Bedeutung der Bergpredigt, die ich zunächst in Internetforen zur Diskussion stellte und auf Grund des Interesses und der – manchmal heftigen und kontroversen Diskussion – zur Buchform vervollständigte. Ich möchte nicht provozieren, sondern zum Gespräch, zur inhaltlichen Auseinandersetzung, ermutigen. Selbstverständlich sind all diese Reflexionen und Interpretationen auch ein Spiegel meiner eigenen inneren Auseinandersetzung mit der Thematik und mit mir als Mensch. Insofern ist das Buch für mich auch eine Form der Begegnung mit mir selbst.

Weshalb sollte man Ihr Buch lesen?

Kurz gesagt, um einen Jesus jenseits der etablierten Glaubensgemeinschaften und Institutionen zu erfahren. Lassen Sie mich dazu drei wesentliche Gedanken kurz umreißen:

1. In konservativen Glaubensgemeinschaften trifft man meist die Auffassung an, dass durch verbindliche Regelwerke feststellbar sei, wer zu den Rechtgläubigen gehört und wer nicht. Jesus hingegen warnt vor solchen Urteilen. Anstatt den Zeigefinger zu moralischem Fehlverhalten zu erheben, wirft er den Menschen auf sich selbst zurück. Seine Forderung lautet: aufgrund der Einsicht in die eigene Unvollkommenheit und Befangenheit, frei zu werden von einer negativen Beurteilung meines Gegenübers.

2. Während in vielen Glaubensgemeinschaften vermittelt wird, dass Vergebung von Schuld durch bestimmte rituelle Handlungsabläufe erreicht wird (Beichte, Absolution, Ablass etc.), weise ich in meinem Buch auf die Ursächlichkeit von Schuld und Vergebung hin, wie sie Jesus ursprünglich lehrte. Nach seiner Überzeugung hängt das Freiwerden von Schuld von unserer Bereitschaft ab, selbst Schuld zu vergeben – eine andere Bedingung nennt er nicht.

3. Eine dritte zentrale Aussage meines Buches thematisiert die Integration des Bösen, des Unerwünschten und die Aufforderung Jesu, seinen Feind zu lieben. Alles menschlich Mangelhafte, alles Hinderliche und auch die Begegnung mit unserem Feind erfüllt in den Augen Jesu einen tiefen Sinn. Diese Überzeugung anzunehmen bedeutet, zurückzukehren zu jenem universellen Vertrauen, in welchem wir wieder lernen und erfahren, dass nichts geschehen kann, was nicht geschehen soll.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von Ihrem Buch?

Ich persönlich glaube nicht, dass es die Inhalte der christlichen Lehre sind, die die Menschen auf Distanz zu den Kirchen gehen lassen. Eher sind es die antiquierten Formen der Religionsausübung, jene leeren Hüllen, die man fälschlicherweise für den Inbegriff des Christentums hält. Meine Vision wäre, die kirchenverdrossenen Menschen wieder für die eigentlichen christlichen Werte zu interessieren, ihnen die ganz praktische Lebenshilfe Jesu nahe zu bringen. Insofern sehe ich mein Buch als einen Beitrag zur Aufklärung für den unvoreingenommenen Leser. Ihm zeichne ich ein Jesusbild, das frei ist von kirchlicher Vereinnahmung – einen Jesus, bei dem die Gemeinsamkeiten zu anderen Geistesströmungen sichtbar werden – einen Jesus, dessen Anspruch genauso der Wahrheit verpflichtet ist wie der eines Lao-Tse oder eines Sokrates.

Das Interview führte Joachim Kamphausen

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