Frühlingserwachen

Audiodatei: Frühlingserwachen
Du brichst den harten Frost, mit einer Geste tausend Händen gleich,
und doch ist, was du aufgebrochen dem Tode fremd und fern.
Was kläglich war und starr und alt, opfert dir willig die Gestalt,
wird vor dir gern im neuen Kleide wieder jung und schön und reich. 

Das Mangelhafte hast du als dein Element erwählt und nimmst in Acht,
was durch die Zeiten tief gezeichnet, was dem Verfall schon preisgegeben und verdorben. In deinem Schaffensrausch stehn Abfall, Dung und alles Todgeweihte dir zur Seite und was gestorben war, das schlummert bloß - durch deinen Ruf ist es erwacht. 

Voll Lust erhebt sich jede Stimme, die dein Mysterium jetzt schon leis erahnt,
und was im Schoß der Finsternis verborgen seine Wege bahnt, strebt unbeirrt hinauf zum Licht. Das Fremde und das Unbekannte zieht zu sich das Alte, das Triviale - das Niedre und Banale - verwirft es aber nicht, hebt es vielmehr empor und trinkt mit ihm aus einer Schale. 

Wo ist nun Schöpfer und wo ist Kreatur wenn beides nur gemeinsam wirken kann? Wenn Gleichklang dein Geheimnis und tiefster Abgrund dir nicht tief genug? Wenn alles was bisher verloren und verworfen und getadelt nun unverhofft geadelt, schön und klug dann ist dort Einheit nur und Treue und allerhöchster Rang.
 

Elmar Vogel /April 2019 

Am offnen Fenster

Am offnen Fenster ging in kühler Abendstunde
ein Frühlingshauch durch meine Kammer ein und aus.
Betörend alle meine Sinne, brachte er stille Kunde
und eine ungekannte Sehnsucht zog meine Seele weit in dunkle Feld und Flur hinaus.

Elmar Vogel 10. Mai 2019

Herbstmelancholie

In stummen Schauern gehen Blätter nieder,
ein federleichter Fall bringt sie zur Erde sacht,
und Baum um Baum reckt unbedeckte Glieder
empor zum Himmel, in die sternenklare Nacht.

Fern fallen die Gestirne - in weiten Räumen
verlischt ihr Glanz im Abgrund dunkler Tiefen dort.
Das Höchste und das Tiefste will uns träumen,
ihr Raunen ist dem Schlummernden ein sanftes Wort. 

Im dunklen Abgrund wie in höchster Sphäre liegt
der Sinn des Wortes, das einst unerkannt gesagt,
dass Wind das tote Blatt im Fallen sanft noch wiegt
und, dass erstrahlen wird, was ganz zu fallen wagt.

Elmar Vogel am 30. September 2020

Herbstgedanken

Der Herbst fällt ein mit kühler Hast knickt er das Blümlein blau,
 die stolzen Rosen schlank und schön vergehn im Nebelgrau.
 Kein Widerstand, kein Aufbegehrn, kein  Fluch und auch kein Streit.
 In tiefer Stille scheint die Kreatur zum Abgang nun bereit.

Vorüber ist das Lustspiel auf der weiten Bühne der Natur.
 Schon kleiden für den letzten Akt sich Wald und Feld und Flur.
 Nun wird sich Blatt um Blatt noch einmal prachtvoll färben.
 Mir scheint, ein letztes großes Leuchten steht vor allem Sterben.

Ach könnte ich den eignen Herbst doch nur in diesem Bild begreifen,
 so würde ich wie eine süße, volle Frucht am Baum des Lebens reifen.
 Dort wüsste ich, dass alles Fallen und Vergehn ein tiefer Sinn durchwebt,
 dass Sterben nicht Verderben ist und Neues nur durch Altes lebt.

Elmar Vogel – Oktober 2019

                            

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