Der Turm

Audiodatei: Der Turm

Es steht ein Turm im Tal der Welt,

erhebt sich hoch empor zum Licht,

er reicht bis an das Himmelszelt,

doch sieht man seine Zinnen nicht.

Willst du hinauf musst du hinab,

zuvor ins tiefe dunkle Tal,  

so lass dein Bündel nimm den Stab,

der Weg ist steil, der Mond steht fahl.

 

Den Gang hinab den Turm hinauf,

lass fahr'n dahin dein Hab und Gut,

denn jede Last hemmt deinen Lauf,

und unbeschwert wächst neuer Mut.

Rasch schlägt das Herz in mancher Brust

Schwer geht der Atem Stoß um Stoß,

doch mit der Höhe steigt die Lust:

Klein wird die Welt, der Mut so groß.

 

Hörst du des Wächters Ruf vom Turm,

er schallt hinaus weit übers Land.    

Bald warnt er vor Gewittersturm,

vor Krieg und Pest und Feuersbrand.

So nimm oh Mensch dein Herz in acht,

dass keine Macht es schrecken kann,

und wenn es fällt, so fällt es sacht

dorthin, wo alles einst begann.

 

Ach Türmer, der du einsam wachst,

auf deinem hohen Himmelsbau,

trotz deiner Größe nichts verlachst,

weshalb ich fest in dich vertrau.

Du bist mir Bruder, Freund und Held,

hast mich gerufen aus dem Tal,

damit das Dunkel sich erhellt;

Wo Licht ist endet alle Qual. 

Elmar Wieland Vogel am 23. Juli 2023

Von dort wird er kommen, zu richten …

Wenn Vergebung der Dreh- und Angelpunkt der Botschaft Jesu ist, wozu dann ein Jüngstes Gericht und inwiefern werden wir dann gerichtet? Eine erste Antwort darauf lautet: Weil alle Entzweiung mit Gott begrenzt ist. Das Begrenzte ist aber nicht das Ewige und Zeitlose. Die Sphäre des Geistes (Gottes) ist die zeitlose und unbegrenzte und außerhalb dieser existiert nichts Bleibendes. Das Begrenzte endet eines Tages, das Ewige und Zeitlose hingegen ist das Immerwährende. Soweit wir begrenzt denken und handeln, werden wir selbst ein Ende finden müssen.

Das Jüngste-Gericht – Was ist das?

English version

Jesus redete vom Jüngsten Gericht, daran besteht kein Zweifel.
Im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt es: Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Doch was darunter zu verstehen ist, wird von vielen eher nach menschlichen Vorstellungen gedeutet und verfehlt damit den Geist der Botschaft Jesu. Um den drohenden und unerbittlichen Charakter des Jüngsten Gerichts zu unterstreichen, bedient man sich vielfach der Schilderungen aus dem Buch der Offenbarung. Dass es sich bei der Bildsprache der Offenbarung um eine mystische Schau von Visionen handelt, deren Sinnbilder einer Interpretation – wie übrigens auch die Gleichnisse Jesu – bedürfen, ist dabei den wenigsten bewusst, weshalb viele sie wortwörtlich nehmen. Was uns Jesus mit seinen Hinweisen auf das Jüngste Gericht verdeutlichen wollte, erschließt sich uns erst aus dem inhaltlichen Zusammenhang seiner Lehre und aus den Umständen seiner Passion. Das bedeutet, alle Inspiration und Interpretation, die uns die Apostel in ihren Schriften hinterlassen haben, können nur auf Grundlage der Worte und der Handlungsweise Jesu eine stimmige Deutung erfahren. Jede Darstellung, die nicht den Aussagen der Botschaft Jesu Rechnung trägt, verfehlt den Geist des Evangeliums.


Gott – die unteilbare Einheit

Das Evangelium, oder die gute Nachricht, wie es übersetzt heißt, besagt, dass Gott alle Schuld vergeben „will“. Warum ist das so? Weil Gott die Vergebung selbst ist, und das bedeutet, dass „in“ Gott so etwas wie Schuld und Strafe nicht existieren. Würden in Gott Schuld und Strafe existieren, so wäre Gott geteilt, nämlich in einen guten und einen schlechten – in einen schuldigen und einen unschuldigen Teil. Gott aber ist in und mit sich selbst eins, das heißt Gott ist ungeteilt und ohne Widerspruch. Und was immer zu Gott gelangen will, das muss selbst eins werden und sein. Denn Gott ist ja die Wahrheit selbst und diese ist unteilbar, wie dies auch die biblischen Texte verdeutlichen:

Höre, Israel, der JHWH, unser Gott, ist ein einiger Gott.

5. Mose 6

Und Jesus unterstreicht diese Aussage in einer gegenteiligen Metaphorik:

Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet; und jede Stadt oder jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, wird nicht bestehen.

Matthäus 12,26

Und in eben diesem Sinne verdeutlicht Jesus, dass Gott selbst nicht richtet:

Denn der Vater richtet niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohn übergeben.

Johannes 5,22

Das ist die Konsequenz des oben Gesagten, nämlich, dass Gott nur in Relation zum Sohn überhaupt richten kann. Warum ist das so?

Gott selbst ist nondual, aber im Sohn hat er die Welt der Dualität und Teilung betreten, um sie mit Gott wieder zu vereinen.

Daher müssen wir auf den Sohn „blicken“, um das Wesen des Jüngsten Gerichts zu verstehen. Und in diesem Sinne erklärt Jesus, er tue nur das, was er den Vater tun „sieht“:

Amen, amen, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht; denn was dieser tut, das tut in gleicher Weise auch der Sohn.

Johannes 5, 19

Doch welches Tun des Sohnes sehen wir, woraus wir schließen können, was der Vater tut? Die Antwort ist schlicht: Wir sehen in Jesus Christus jenen Sohn, der dazu auffordert, bedingungslos zu vergeben, um dem Wesen eines einigen Gottes gerecht zu werden:

Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammet nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebet, so wird euch vergeben.

Matthäus 7,1

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Matthäus 6, 12

Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

Matthäus 6, 14-15

Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien, auf dass die Welt glaube, du habest mich gesandt. Und ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, dass sie eins seien, gleichwie wir eins sind.

Johannes 17,20-22

Doch Jesus fordert diese Bereitschaft nicht nur von uns, sondern er kommt dieser Forderung selbst konsequent nach, indem er sterbend am Kreuz seinen Feinden vergibt. Das ist es, was der Sohn den Vater „tun“ sieht und daher kann auch der Sohn nur so handeln, nämlich bedingungslos vergeben. Diese Geisteshaltung ist es, durch die wir (wo wir sie annehmen) zu Gott gelangen. Das ist unser Weg zu Gott. Eine andere Möglichkeit existiert nicht, wie Jesus verdeutlicht:

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Johannes 14,6

Denn in der Gewissheit, dass dem, der in diese Einheit vertraut, alles dienen muss, konnte der Sohn allumfassend Vergebung üben und vom Kreuz herab verkünden:

Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun!

Lukas 23,34

Vergebung durch Einsicht in das Wesen Gottes

Jesus Christus ist gekommen, zu verkünden und durch seine Passion zu verdeutlichen, dass in der Sphäre des Geistes (in Gott) kein Grund zur Verurteilung oder Bestrafung existieren kann. Daher sollen wir unser eigenes Leben so auffassen, wie Jesus sein Leben verstanden und aufgefasst hat. Aber wie hat Jesus sein eigenes Leben denn aufgefasst und verstanden? Jesus war es gegeben, in der Sinnlosigkeit und Geistlosigkeit des an ihm verübten Unrechts, seiner Verleumdung, Anklage, Verurteilung, Folter und Hinrichtung den Willen Gottes zu finden, wodurch diese Geschehnisse eine Bedeutung finden mussten.

Solange wir Unrecht, Leid und Tod auf ein böses Schicksal oder auf unsere Feinde zurückführen, werden wir Schaden nehmen.

Schaden nehmen wir insofern, als wir an einer Wirklichkeit, mit der wir entzweit sind, innerlich zerbrechen müssen. Was wir aber nach dem Willen Gottes auf uns nehmen, das muss gut werden, da aus Gott nur Gutes, nur Leben fließt. Jesus Christus ist gekommen, damit sich der Grund und die Ursache unseres Leides ändern.

Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

Matthäus 16,25

Das ist die inhaltliche und geistige Konsequenz, die aus der Passion Jesu folgt.

Jesus sah sich in der Lage, den Willen Gottes in Unrecht, Leid und Tod zu erkennen, wodurch er diese Bereiche des Menschseins überwand, damit sie gut werden konnten, uns zum Vorbild und Trost.

Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst.

Markus 14,36

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Johannes 16,33

Selbst die Haare auf eurem Kopf sind alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht …

Lukas 12,7

Und ihr werdet gehasst sein von jedermann um meines Namens willen. Und doch soll nicht ein Haar von eurem Haupte umkommen.

Lukas 21,17

Wir sehen, das Lebensverständnis, das Jesus in seiner Botschaft verkündete, ist ein allumfassendes und vollkommenes – ein Lebensverständnis, in welchem ausnahmslos allen Dingen eine Bedeutung zukommt, sobald wir unsere Zuversicht auf die Kraft des Geistes setzen, der uns alle Dinge zum Besten dienen lässt, wenn wir ihm nur ganz und gar darin vertrauen.

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen …

Römer 8, 28

Der Jüngste Tag – die geeinte Wirklichkeit

Jüngstes Gericht und Jüngster Tag sind der Sache nach eins, nur aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Der Jüngste Tag ist das Offenbarwerden jener zeitlosen Wirklichkeit, die Jesus in seiner Botschaft verkündete und deren Wesen er uns in seiner Passion verdeutlicht hat. Aber was für eine Wirklichkeit ist das? Es ist die Wirklichkeit des Gerechten, der Gerechtigkeit schafft ohne Anklage, ohne Strafe, ohne Vergeltung, sondern durch Annahme aller Geschehnisse aus der Hand Gottes, wodurch allein sie gut werden können. In dieser Gewissheit empfängt Jesus ausnahmslos alles nach dem Willen Gottes und erfüllt es auf diese Weise mit Geist und Sinn. Dies betrifft insbesondere alle geistlosen und sinnlosen Bereiche unseres Menschseins.

Weil Gott durch nichts eingeschränkt, verletzt, behindert oder beeinträchtigt werden kann, muss ihm alles dienen.

Wer sein Leben auf diese Weise in Gott neu erkennt, dem muss von nun an alles so dienen, wie es Jesus gedient hat. Um uns diese Grundwahrheit aufzuzeigen, ist Jesus Christus gekommen und hat in seiner Passion die Abgründe des Menschseins auf sich genommen. Er ist gekommen, um die ungerechten, die bösen, dunklen und niederträchtigen Geschehnisse, durch den Geist (durch Gott) zu überwinden, wodurch sie nun dienen konnten, so wie er es am Vorabend seiner Gefangennahme seinen Jüngern erklärte:

Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich gesagt habe: “Ich gehe zum Vater”; denn der Vater ist größer als ich.

Johannes 14, 27

Aber weil ich solches geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.

Johannes 16,7

Das Jüngste Gericht – die geteilte Wirklichkeit

Jetzt wird man fragen: Wenn doch Vergebung der Dreh- und Angelpunkt des Evangeliums ist, wozu dann ein Jüngstes Gericht und inwiefern werden wir dann gerichtet? Eine erste Antwort darauf lautet: Weil alle Entzweiung mit Gott begrenzt ist. Das Begrenzte ist aber nicht das Ewige und Zeitlose. Die Sphäre des Geistes (Gottes) ist die zeitlose und unbegrenzte und außerhalb dieser existiert nichts Bleibendes. Das Begrenzte endet eines Tages, das Ewige und Zeitlose hingegen ist das Immerwährende.

Soweit wir begrenzt denken und handeln, werden wir selbst ein Ende finden müssen. Das ist das Gericht, dass eines Tages alle Begrenzung endet – unausweichlich.

Unser menschliches Denken in Kategorien der Strafe und Vergeltung ist ein begrenztes, da es einem geteilten Wirklichkeitsverständnis entspringt. Um das Ewige, das Zeitlose zu gewinnen, muss das Begrenzte und Zeitgebundene gedanklich überwunden werden, denn in der Überwindung des Begrenzten endet auch jegliche Teilung und Entzweiung – endet auch alle Schuld und Anklage. Das Jüngste Gericht ist nichts anderes als ein Offenbarwerden unserer Entzweiung mit Gott, in dem alle Dinge von jeher eins sind. Eines Tages muss alle Entzweiung enden, eben weil sie begrenzt ist. Genauso wie die Macht einer Lüge endet, wenn die Wahrheit ans Licht kommt, so endet auch alles Begrenzte und Zeitliche, wenn es mit der Wirklichkeit des Zeitlosen und Grenzenlosen in Berührung kommt oder eben damit konfrontiert wird. Das Grenzenlose und Zeitlose ist aber nicht ausschließlich etwas Zukünftiges, denn was zeitlos ist, das gilt schon immer, denn es ist ja ohne Anfang und ohne Ende. Das heißt, es gilt sowohl innerhalb der Zeit als auch darüber hinaus. Daher lehrte Jesus: 

Es kommt die Zeit, ja sie ist schon da, dass die Toten die Stimme des Gottessohnes hören. Wer auf sie hört, wird leben.

Johannes 5, 25

Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Denn sehet, das Reich Gottes ist in euerer Mitte.
Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.

Lukas 17, 22

Insofern beruht das Wesen des Jüngsten Gerichts nicht auf einer Laune, einem Gutdünken oder Abwägen eines Urteils durch eine Richterperson, wie es sich manche Menschen gerne vorstellen, sondern es beruht auf der unausweichlichen Folgerichtigkeit des Geistes, der allem gibt, wonach es bittet und ruft: Wer Gnade und Barmherzigkeit wertschätzt, übt und sie erbittet, empfängt Gnade, wer auf Verurteilung und Vergeltung setzt und sucht, empfängt ein Urteil.

Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.  

Matthäus 5,7

Nicht etwa, dass Gott selbst verurteilen würde – nein, in Gott existiert keine Verdammnis. Aber soweit in uns jener Irrtum herrscht, der uns glauben lässt, durch Teilung und das heißt, durch Rache, Vergeltung und Strafe, könne die Welt oder der Mensch gebessert werden, soweit sind wir nicht in Gott. Sind wir aber nicht eins mit jener Kraft, die ausnahmslos alle Dinge wirkt, können uns die beschwerlichen und leidvollen Dinge auch nicht zum Guten dienen, wie es der Apostel Paulus im Römerbrief darlegt:

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen …

Römer 8, 28

Der Jüngste Tag – die Bestimmung des Menschen

Eine weitere Antwort auf die oben gestellte Frage möchte ich wie folgt geben: Die menschliche Sehnsucht und den Wunsch nach unbegrenztem Leben empfinden wir nicht von ungefähr. Denn intuitiv wissen wir um den ideellen und zeitlosen Kern unseres Daseins. Der Beweis ist unsere Trauer über die Endlichkeit des menschlichen Lebens und die Sehnsucht nach „mehr“. Wir alle tragen eine Ahnung in uns, dass das Ganze „mehr“ ist als die Summe seiner Teile, wie Aristoteles sagte. Und indem wir dieser Sehnsucht folgen, gehen wir unserer wahren Bestimmung entgegen. Diese Ursehnsucht nach Leben gilt es nun, im Sinne Jesu zu deuten, denn er ist gekommen, damit wir unser Leben in einem neuen, größeren und zeitlosen Rahmen verstehen und erkennen, wodurch es mit Geist erfüllt wird. Der Jüngste Tag, wie auch das Jüngste Gericht, ist nichts anderes, als die Erfüllung unserer Sehnsucht nach Leben und Geist – allerdings in einem unbegrenzten, ungeteilten und bedingungslosen Sinne. Da jegliche Beschränkung, Teilung und Trennung des Lebens durch Unrecht, Irrtum, Krankheit, Schwäche, Leid und Tod zeitlich bedingt ist, wird sie mit der Zeit enden müssen. Soweit wir unser Leben in einem rein zeitlichen Sinne verstehen, sind wir sterblich und daher müssen wir am Jüngsten Tag enttäuscht werden, wenn alles Begrenzte endet. Die Enttäuschung darüber, dass das, was wir für das Leben hielten, etwas gänzlich anderes ist, werden wir als Gericht empfinden.

Wir können und werden nur sein, was wir von Herzen lieben. Nicht weniger und nicht mehr.

Da in Gott kein Gegenteil und insofern auch kein Unwille existiert, werden wir an jenem Tag nur das empfangen können, was wir hier von ganzem Herzen lieben, wertschätzen und wollen. Soweit unsere Hoffnung, unsere Liebe und Wertschätzung auf etwas gerichtet ist, das eines Tages endet, wird dieser “Gegenstand” ein Ende finden müssen. Der Jüngste Tag ist der Anbruch eines zeitlosen und unbegrenzten Lebensverständnisses in uns. Ein Leben, zu dem wir, durch seine Botschaft, bereits hier in dieser Welt finden sollen. Denn nur dieses Verständnis wird sich am Jüngsten Tag als ein gültiges und tragfähiges bewahrheiten – dann, wenn alles Zeitgebundene endet. Verstehen wir unser Leben im Geist Jesu, gewinnt unser Leben diesen Zustand der Zeitlosigkeit. Dieser Zustand wird uns einst, wenn das Zeitliche endet, über alles Zeitliche erheben und tragen, so wie die Arche in den Zeiten Noahs.

Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

Johannes 5, 24

Jüngster Tag und Jüngstes Gericht in den Gleichnissen Jesu

In vielen Gleichnissen thematisiert Jesus das Wesen des Jüngsten Gerichts. Dabei beleuchtet jedes Gleichnis auf seine eigene, besondere Weise das Prinzip der Teilung und Trennung, das wir in uns tragen und wie es uns am Jüngsten Tag daran hindern wird, in ein neues, geeintes Leben einzugehen. Denn neues, unvergängliches Leben kann nur empfangen, wer das ungeteilte Prinzip des Lebens in sich trägt und verkörpert. Selbstverständlich transportieren die im Folgenden beschriebenen vier Gleichnisse noch weitaus mehr Inhalte. Hier beleuchte ich jeweils nur die Schlusssequenzen, in denen Jesus die unfreiwillige und schmerzhafte Trennung, Enttäuschung und Entzweiung und die Empfindung des Zurückgesetztwerdens thematisiert. Jedes einzelne Szenario vermittelt ein Gefühl für den Anbruch des Gottesreiches und kann damit auch als eine Beschreibung der “Umstände” am Jüngsten Tag bzw. am Jüngsten Gericht betrachtet werden.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn
(Lukas 15,11–32)

Göttliches und menschliches Privilegverständnis

Am Schluss des Gleichnisses vom verlorenen Sohn lässt der Vater für den heimgekehrten jüngeren Sohn, der sein väterliches Erbe auf unredliche Weise durchgebracht hat, ein Fest ausrichten. Der ältere Sohn ist fassungslos und entzweit sich mit dem Vater über dessen großmütige Geste. Sein Unwille ist so groß, dass er sich weigert, am Fest teilzunehmen. Das Gleichnis zeigt, wie ein Leben in vermeintlicher Tadellosigkeit und Privilegdenken uns das Ziel verfehlen lässt. Nicht der Vater (Gott) ist es, der den älteren Bruder ausschließt, sondern der ältere Sohn verweigert sich selbst der Einheit mit dem Vater (Gott) und dem Bruder (Sohn).

Das Gleichnis von den zehn Brautjungfern (Matthäus 5, 1-13)

Die Wertschätzung des Unentbehrlichen – zur richtigen und zur falschen Zeit

In diesem Gleichnis geht es um den Erwerb der Grundlage des Lichtes, das hier als ein Sinnbild für ein Leben aus dem Geist steht. Die Metapher hier das Lampenöl, das am Tag d.h. während dieses Lebens (zur rechten Zeit) erworben und gewonnen werden soll. In der Schlusssequenz des Gleichnisses schlafen alle zehn Jungfrauen ein, was als Sinnbild für den Tod steht. Bei ihrem Wiedererwachen, nämlich der Auferstehung, eröffnet sich für die eine Gruppe die Möglichkeit des unmittelbaren Eintritts zum Hochzeitsfest. Die zweite Gruppe ohne Lampenöl findet eine geteilte Wirklichkeit vor. Die Tür zum Fest öffnet sich zwar für alle, aber nicht alle können daran teilnehmen. Dabei liegt die Bedingung zur Teilnahme am Fest nicht in der Einladung begründet, sondern in einer fehlenden Voraussetzung der zweiten Gruppe, nämlich dass jeder sein Licht zur Feier mitbringt. Licht ist hier die Voraussetzung für die Durchführung der nächtlichen Feier. Der Mangel an Lampenöl wird von der zweiten Gruppe schmerzlich empfunden, weshalb sie sich mitten in der Nacht (zur falschen Zeit) aufmacht, um Öl zu erwerben. Doch wird ihnen bei ihrer Rückkehr kein Einlass mehr gewährt, da der Bräutigam die Gesellschaft für vollständig erklärt.

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20, 1-16)

Aufwertung und Abwertung durch unerwartete Wertschätzung

Bei diesem Gleichnis empfinden die ersten gedungenen Arbeiter, die bereits frühmorgens mit der Arbeit begonnen haben, eine Ungleichbehandlung gegenüber jenen Arbeitern, die nach und nach während des Tages gedungen wurden und später hinzukamen. Der Weinbergsbesitzer hält sich an seine Zusage, einen angemessenen Tageslohn zu bezahlen. Aber bei den Arbeitern, die den vollen Tag gearbeitet haben, löst es Verärgerung aus, als bei der Auszahlung auch diejenigen, die viel später hinzugekommen sind, den vollen Tageslohn erhalten. Auch hier liegt die Ursache für den Verdruss der Ersten nicht in einer böswilligen Zurücksetzung durch den Weinbergsbesitzer – im Gegenteil, die Auszahlung ist insgesamt großzügig. Aber die Erwartung der Ersten, es müsse ihnen mehr zustehen, lässt ihre Bezahlung plötzlich minderwertig erscheinen, wodurch sie ihren Lohn selbst entwerten. Auch hier ist es das Privilegdenken der Ersten, wodurch sie sich am Ende zurückgesetzt fühlen.

Das Gleichnis von der Rangordnung der Gäste (Lukas 14, 7-14)

Zurücksetzung durch Hochmut – Ehrung durch Demut

Nach Beobachtung der Gäste und Gastgeber bei einem Hochzeitsfest, zu dem Jesus selbst eingeladen war, zieht er Parallelen zum Wesen des Gottesreiches. In diesem Gleichnis thematisiert er die Situation, in der Gäste sich selbst nahe beim Gastgeber platzieren, ihnen dann aber gesagt werden muss, dass dieser Platz für einen anderen Gast reserviert sei, sodass sie unter den Augen der Öffentlichkeit einen entfernteren Platz an der Tafel einnehmen müssen. Jesus beschreibt hier das Szenario einer Zurücksetzung und Demütigung unter den Augen der Öffentlichkeit. Auch hier ist es die hohe Meinung, die man von sich selbst hat, die an jenem Tag offenbar wird, wodurch man sich dann peinlich zurückgesetzt fühlt. Dabei darf die „Zurücksetzung“ nicht als ein Akt der Bestrafung missdeutet werden. Vielmehr folgt sie aus der Notwendigkeit der Organisation des Gastgebers. Jesus ruft daher zu Demut und aufrichtiger Selbsteinschätzung auf, damit der Jüngste Tag nicht als ein Tag der Zurücksetzung empfunden wird, sondern als ein Tag des Aufrückens, hin zum Zentrum des Festgeschehens – hin zu Gott.

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Titelbild: Aus drei Bildern generiert durch Midjourney, gefügt und bearbeitet mit Adobe-Photoshop.

Die Theodizee-Frage

Warum lässt Gott das Leid in der Welt zu? Dieser Beitrag gibt Antworten auf die sogenannte Theodizee-Frage, und zwar im direkten Bezug zu den Aussagen der Botschaft Jesu. Wer den Ausführungen unvoreingenommen folgt, dem wird sich eine neue Sichtweise auf Beschwerliches, Leidvolles und Ungerechtes eröffnen.

Warum Gott das Leid auf der Welt zulässt
English Version

Vielen Menschen fällt es schwer an die Existenz eines guten Gottes zu glauben, da die Welt augenscheinlich alles andere als gut ist. Wenn tatsächlich ein Gott die Welt erschaffen hat, und wenn dieser Gott gut, allwissend oder sogar allmächtig ist, weshalb geschieht dann so viel Böses und Ungerechtes in der Welt? Weshalb greift ein allmächtiger Gott nicht ein und bringt seine Schöpfung in Ordnung? Ist Gott doch nicht allmächtig oder ist er am Ende gar ein Sadist, der die Menschen leiden und sterben sehen will? So oder ähnlich lauten die Argumente, die gegen einen Glauben an Gott, oder zumindest an einen guten Gott sprechen. Man nennt die Auseinandersetzung mit der Frage, warum Gott das Leid in der Welt zulässt, auch die Theodizee-Frage. Der Begriff Theodizee kommt aus dem Griechischen theodikía von altgriechisch theós = Gott und díkē = Gerechtigkeit. Es geht also um die Frage, inwieweit man Gott, angesichts der Ungerechtigkeit in der Welt überhaupt als gerecht betrachten kann. Oder anders gesagt, es geht um den Versuch, Gottes Handeln zu rechtfertigen.

Der folgende Beitrag gibt Antworten auf die Frage, warum Gott das Leid in der Welt nicht verhindert, und zwar im direkten Bezug zu den Aussagen der Botschaft Jesu. Wer den Ausführungen unvoreingenommen folgt, dem wird sich eine neue Sichtweise auf Beschwerliches, Leidvolles und Ungerechtes eröffnen. Und wer sich diese Sichtweise zu eigen macht, wird sein Leben neu überdenken und anders verstehen können als bisher. Tatsächlich ist eine befriedigende Antwort auf die Frage, wozu Gott das Leid in der Welt zulässt, ausschließlich auf Basis der Lehre und der Passion Jesu möglich. Keine andere Lehre gibt diese Antwort so schlüssig und überzeugend wie Jesus es tut. Finden wir zum tiefen Sinn der Lehre und der Passion Jesu, so finden wir damit auch zu einer grundlegenden Beantwortung dieser Frage. Die Beantwortung erfolgt dann allerdings nicht mehr nach einem Glaubensgrundsatz oder Dogma, sondern durch eine ganz persönliche Einsicht in die Richtigkeit der Lehre Jesu. Sie erfolgt insofern, als ihre Aussagen für schlüssig, richtig und glaubwürdig erkannt werden.

Eine Botschaft der Erlösung

Tatsächlich ist Jesus von Nazareth der erste und der einzige Lehrer, der das Problem der Theodizee sowohl in seiner Botschaft als auch in seiner Handlungsweise unmittelbar berührt. Als Erlöser kann Jesus insofern gelten, als er dieses Problem nicht nur verbal, sondern auch körperlich berührt und es in seiner Passion auf unerhörte und erschütternde Weise löst. Ob die Heilung Kranker, seine Predigt vom Reich Gottes oder aber die bereitwillige Annahme seiner Passion – alles ist Ausdruck einer Mission, die nur ein Ziel hat; nämlich das Leid der Welt durch den Geist zu überwinden. Dabei ist die Erlösung, die er den Menschen überbringt, nichts Fernes, Jenseitiges oder Zukünftiges, sondern sie geschieht unmittelbar heute, hier und jetzt, wie er sagt:

Jesus sprach: Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen und sollte er’s bei ihnen lange hinauszögern? Ich sage euch, er wird ihnen Recht schaffen, unverzüglich.

Lukas 18, 7-8

Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Amen, amen, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören; und die sie hören werden, die werden leben.

Johannes 5, 24-25

Die Erlösung beruht darauf, dass Jesus in seiner Lehre eine Geisteshaltung vermittelt, durch die wir, wo wir sie annehmen, mit unserem Leben wieder versöhnt werden. Dabei ist die Versöhnung mit unserem Leben die Versöhnung mit Gott selbst. Programmatisch ist hier sein Aufruf:

Ändert euren Sinn, denn das Reich Gottes ist jetzt ganz nah bei euch.

Matthäus 3,2

Das heißt: Denkt um! Seid bereit, die Einstellung eurem Leben gegenüber grundlegend zu ändern. Lasst euch von der Botschaft vom Reich Gottes berühren.

Ein universelles, allumfassendes Gottesbild

Zunächst muss man verstehen, dass Jesus in seiner Lehre ein universelles Gottesbild vermittelt. Nur auf Basis eines Gottesbildes, das alle Geschehnisse umfasst, ist eine befriedigende Beantwortung der Theodizee-Frage überhaupt möglich. Das Gottesbild Jesu ist insofern frei von negativer, menschlicher Launenhaftigkeit, wie man das in den Gott des Alten Testaments hineininterpretieren konnte, der dort auch als ein hassender und eifernder Gott beschrieben wird. Gott erweist sich in der Botschaft Jesu als ein treuer und liebender Vater. In seinem Sohn macht er uns zu Gotteskindern und setzt seine gesamte Leidenschaft daran, das verlorene Vertrauen des Menschen wiederzugewinnen. Vertrauen heißt, die Gewissheit zu erlangen, dass Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt und uns somit alle Geschehnisse zum Besten dienen:

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind.

Römer 8, 28

Allumfassend ist das Gottesbild Jesu insofern, als es unsere Begegnungen mit Freund und Feind, Freude und Leid, Schwäche und Stärke, Leben und Sterben, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit usw. als gleichbedeutend betrachtet. Das heißt, Jesus verwirft das menschlich Mangelhafte nicht mehr, sondern er verleiht ihm in seiner Botschaft eine essenzielle Bedeutung.
Das ist der neue, der außergewöhnliche und universelle Kern seiner Botschaft, dass auch das Ungeliebte unsere Liebe erfahren muss, wenn wir vollkommen sein wollen, wie er sagt:

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.« Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr nur liebt, die auch euch lieben, welchen Lohn wollt ihr dafür erhalten? Tun nicht dasselbe auch die Steuereintreiber? Und wenn ihr euch nur gegenüber euren Brüdern freundlich verhaltet, was tut ihr Außergewöhnliches? Tun die Steuereintreiber nicht dasselbe? Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Matthäus 5, 43-48

Man beachte den Schlusssatz, in dem Jesus das Wesen Gottes als vollkommen bezeichnet. Vollkommen ist, was „vollständig“ ist, also etwas, das alle Dinge ohne Unterschied umfasst und nichts ausschließt.

Gott ist vollkommen, weil er auch das Gegenteilige, nämlich den Feind, das Böse, das Leidvolle, das Ungerechte in sich einzuschließen vermag, ohne dadurch seine Existenz zu gefährden oder zu verlieren. Gott erfährt in allen Dingen eine Förderung seiner selbst, da außer Gott nichts ist.

Nur ein allumfassender und universeller Gott vermag alle Dinge zu lieben, da er durch niemanden und durch nichts behindert, verletzt oder zerstört werden kann, sondern in allen Dingen Förderung erfährt.

Wenn wir es realistisch bedenken, dann müssen wir zugeben, dass unsere menschliche Existenz auf dieser Welt ohne das Gegenteilige gar nicht möglich wäre: Ohne Tod kein Leben, ohne Schlaf kein Wachsein, ohne Dunkelheit kein Licht usw. Die ganze Wahrheit ist unteilbar: Gäbe es nur Licht, würden wir das Licht nicht als solches empfinden. Auf unser menschliches Leben bezogen heißt das: Unser eigenes Leben kann im Sinne Jesu nur vollkommen werden, wenn wir ausnahmslos alle Dinge in unser Leben einschließen: Krankheit, Schwäche, Feindschaft, Ungerechtigkeit, Scheitern, Sterben, Leid und Tod.

Überwindung des Bösen bedeutet im Sinne Jesu, den Widerspruch der Dualität, den das Leidvolle und Beschwerliche für uns darstellt, gedanklich zu überwinden.

Alle diese negativen Erscheinungen sind wesentliche Bestandteile unserer menschlichen Wirklichkeit und aus diesem Grund sollen wir sie lieben und sehnsuchtsvoll nach ihrer Bedeutung für uns suchen. Diese Suche nach Sinn und Bedeutung des Sinn- und Bedeutungslosen ist die einzige relevante Suche überhaupt, da das Gesuchte (Gott/Geist/Sinn) genauso sehnsüchtig von uns gefunden werden will – weil Geist ebenso nach uns sucht, wie wir nach Geist (Geist/Sinn) suchen.

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Matthäus 7,7

Lieben bedeutet hier nicht, dass wir diese Dinge an sich fördern und gut finden sollen, sondern es bedeutet, dass wir sie vertrauensvoll und bereitwillig auf uns nehmen sollen, wenn wir ihnen begegnen oder ihnen ausgeliefert sind. Denn nur durch unser vertrauensvolles und bereitwilliges Annehmen kann das bisher Gehasste und Ungeliebte Sinn und Bedeutung und somit eine tiefgreifende Wandlung erfahren.

Da sprach er zu ihnen allen: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.

Lukas 9, 23-24

Ein individuelles Gottesbild – Das Objektive im Subjektiven

Auch wenn man sagen kann, dass das christliche Gottesbild ein allumfassendes und universelles ist, so beantwortet Jesus die Theodizee-Frage dennoch rein subjektiv und individuell. Das heißt, er beantwortet die Frage nach dem Leid der Welt nicht in einem politischen oder kollektiven Sinn, denn ihre Beantwortung hängt ab vom individuellen „Glauben“ – sie hängt ab von der persönlichen Einsicht und Einwilligung jedes Einzelnen in seine Botschaft.
Seine ganz persönliche Antwort auf das Leid der Welt hat uns Jesus in seiner Passion gegeben und diese Antwort gibt er jedem Einzelnen, der sie für wahr hält, glaubt und der gewillt ist, sie anzunehmen. Seine Antwort lautet:

Unrecht, Leid und Tod können für uns nur dort einen Bedeutungswandel erfahren, wo wir sie in der Gewissheit, dass allen Geschehnissen ein verborgener Sinn und eine Bedeutung innewohnt, auf uns nehmen und tragen.

Jesus willigte ein in seine Passion, weil er über die geistige Fähigkeit verfügte, auch im Wirken seiner Feinde den Willen Gottes zu erkennen:

Und ging hin ein Stück, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst.

Matthäus 26, 39

Gewissermaßen „macht“ Jesus, durch diese Einwilligung in seine Passion, Gott zur Ursache von Unrecht, Leid und Tod. Gott wiederum, der seinem Prinzip nach vollkommen ist und insofern Ursache aller Dinge sein muss, wird durch die vertrauensvolle Einwilligung des Sohnes unversehens zum Urheber von etwas, das er seinem Wesen nach nicht ist. Denn Gott ist das Sein selbst und er ist die Ursache des Lebens an sich und dieses Prinzip ist ungeteilt, das heißt, es ist ohne Alternative oder Gegenpart.

Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet; und jede Stadt oder jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, wird nicht bestehen.

Matthäus 12, 25

Gott ist das Leben selbst und es existiert in ihm kein Widerspruch, insofern ist es unmöglich, dass in Gott gleichzeitig die Ursache von Unrecht, Leid und Tod liegen können. Daher müssen diese Bereiche einen Bedeutungswandel erfahren, wenn sie auf Gott treffen. Ebendiesen Bedeutungswandel haben sie dadurch erfahren, dass Jesus sie vertrauensvoll aus der Hand Gottes entgegengenommen hat, wodurch er sie mit Gott in Berührung brachte und sie so mit Geist, Sinn und Bedeutung erfüllte.
Hierin liegt die tiefe Bedeutung der Aussage: Jesus hat für uns gelitten und ist für uns gestorben. Jesus wusste, dass jenes Leid, das ein Mensch im Vertrauen auf Gott auf sich nimmt, seine Sinnlosigkeit verlieren muss, ja, dass es nur auf diese Weise zu einem neuen und höheren Sinn finden kann.

Gott, der verborgene Sinn im Sinnlosen

»Gott ist Geist«, so lautet die Definition Jesu. (Joh 4,24) Aber was heißt das? Es besagt, dass nur der Geist es vermag, allen Dingen einen Sinn und eine Bedeutung zu verleihen, insbesondere aber den augenscheinlich Geist- und Sinnlosen. Hinsichtlich der Beantwortung der Theodizee-Frage bedeutet dies, dass das Geistlose, das wir im Vertrauen in den Geist (auf Gott) auf uns nehmen, von Geist und Sinn durchdrungen wird, wodurch es unmittelbar zu Gott wird. Das ist das göttliche Prinzip der Sinnerfüllung. Umgekehrt gilt: Geschehnisse, die wir aus Misstrauen gegen Gott (gegen das Leben) als unannehmbar ablehnen, müssen sinnlos bleiben, da wir die Macht des Geistes ausschließen, der alles mit Sinn erfüllt, was sich mit Sinn erfüllen lässt. Mächtig sind wir also dort, wo wir uns in der Lage sehen, Gott in ausnahmslos allen Dingen zu erkennen, die uns anhaften oder begegnen. Ohnmächtig hingegen sind wir, wo wir seine Macht und Gegenwart kategorisch ausschließen. Dieses geistige Prinzip hat Jesus seinen Jüngern vor seiner Gefangennahme verdeutlicht:

Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wieder nehme. Niemand nimmt es gegen meinen Willen, sondern ich lasse es freiwillig. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zunehmen. Dieses Gesetz habe ich von meinem Vater empfangen.

Johannes 10, 17-18

Die Passion Jesu – Vakuum des Geistes

Zur Verdeutlichung der Wirkungsweise des Geistes im Kontext der Beantwortung der Theodizee-Frage folgendes Gleichnis:

Unter einem Vakuum versteht man den Unterdruck von Luft/Gas innerhalb eines Raumes/Gefäßes. Ein Vakuum kann immer nur so groß sein, wie es die Stabilität des Gefäßes zulässt, in dem das Vakuum erzeugt wird. Ist der Unterdruck zu groß, nimmt das Gefäß Schaden und es folgt der Druckausgleich als Notwendigkeit. Bezeichnenderweise existieren sowohl in der hebräischen als auch in der griechischen Sprache Entsprechungen der Begriffe Geist und Luft. So der Begriff „ruach“ = Luft, Geist, Wind, Atem, Duft im Hebräischen und der Begriff „pneuma“ = Geist, Hauch, Luft, Atem im Altgriechischen. In ebendiesen beiden Sprachen sind uns die Urtexte der heutigen Bibel überliefert.

Anknüpfend an das Beispiel vom Luftvakuum, kann man den Gedanken der Theodizee sinnbildlich auf das Geistige übertragen und sagen: Jesus hat in seiner Lehre und in seiner Passion ein Vakuum des Geistes (Gottes) erzeugt, das dieser ausfüllte, als das Gefäß zerbrach. Oder anders gesagt, die Abwesenheit von Geist und Sinn in einer sinnlosen Situation „nötigt“ den Geist herbei, sofern man um das Gesetz des geistigen Vakuums weiß, nämlich dass der Druckausgleich spätestens dann erfolgen muss, wenn das Gefäß zerbricht. Der neue atmosphärische Druck ist dann der neue normale – „außerhalb“ des alten Gefäßes in einem „größeren“ Raum. Der „größere“ Raum kann hier als ein Sinnbild für das Transzendente und Neue gelten, das über das Kleine und Alte hinausweist. Aber er ist auch ein Sinnbild für eine neue Normalität, eine neue Schöpfung:

In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, dann hätte ich nicht zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass ihr seid, wo ich bin.

Johannes 14, 2-3

In seiner Passion begibt sich Jesus bewusst in den Zustand eines geistigen Vakuums, nämlich in einen Zustand der Abwesenheit Gottes – einen Zustand der Geistlosigkeit, damit dieser mit Geist erfüllt werden kann.

Denn für denjenigen, der in allen Geschehnissen Gottes Willen und seine Gegenwart erkennt, kann ein Zustand der Abwesenheit Gottes nicht mehr existieren.

Der Tod ist ein Zustand der Abwesenheit Gottes. Doch Gott durchdringt und erfüllt alle Dinge, die sich von ihm erfüllen lassen. Gott ist alles in allem und darum „muss“ Gott solch einen Zustand der Gott – und Geistlosigkeit ausfüllen, und zwar durch und mit sich selbst, andernfalls wäre er nicht Gott. Jesus wusste um diese Gesetzmäßigkeit, daher schließt er mit den Worten:

Dieses Gesetz habe ich empfangen von meinem Vater. 

Joh 10, 17-18

Die Überwindung des äußeren Bösen

Gott steht dem Bösen keineswegs ohnmächtig gegenüber, sondern er sucht in Jesus Christus bewusst die Berührung und die Konfrontation mit dem Bösen, um es zu überwinden und das heißt, um es gut – um es zu Gott zu machen. Nur das, was durch den Geist überwunden ist, das ist wirklich „gut“ geworden. Und all das, was von Gott „berührt“ wird, das wird selbst zu Gott.

Jesus Christus ist die unmittelbare Berührung Gottes mit dem Leid der Welt.

Das Böse hingegen ist das, was sich von Gott nicht berühren lassen will, und insofern muss es für uns geistlos und sinnlos bleiben. Geist- und sinnlos sind die Geschehnisse jedoch nicht an sich, sondern sie sind es hinsichtlich unserer inneren Abwehr und unseres Unwillens. So bewertet Jesus das Böse, das ihm selbst widerfährt, nicht abschließend als böse, sondern er versteht es als etwas, das durch seine vertrauensvolle Haltung einen Sinn erfährt, wodurch es überwunden ist. Denn was durch den Geist überwunden wird, das ist unverhofft zu etwas Gutem geworden. Ebendiese Ursächlichkeit erklärt Jesus angesichts seiner bevorstehenden Passion:

Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand unter euch fragt mich: Wo gehst du hin? Sondern weil ich solches geredet habe, ist euer Herz voller Trauer geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn wenn ich nicht hingehen, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.

Johannes 16, 5-7

Man beachte die grundlegende Aussage Jesu: „Es ist euch gut, dass ich hingehe …“ Aber wie kann in Verrat, Unrecht, Folter, Hinrichtung und Sterben eines Menschen etwas Gutes liegen? Wie konnte Jesus dem grauenvollen Geschehen, das ihm bevorstand, etwas Gutes abgewinnen?  Die Antwort gibt er selbst: „Denn wenn ich nicht hingehen, so kommt der Tröster nicht zu euch …“ Was bedeutet das? Durch die Aufopferung Jesu wird ein neues geistiges Bewusstsein entstehen, das daraufhin allen Menschen zur Verfügung steht, die in menschlichen Notsituationen nach geistigem Trost suchen. Gewissermaßen wird Gott durch die bereitwillige Passion Jesu zu einer neuen Schöpfung genötigt. Es ist das Vertrauen Jesu in die Allmacht Gottes und es ist die unerschütterliche Liebe, in der Jesus sich hingibt, die Gott seinerseits zu einer neuen Schöpfung „nötigt“. So ist durch die Passion Jesu ein neuer Mensch erschaffen worden. Und dieser neue Mensch ist Christus, der Überwinder. Christus verleiht allen, die sehnsüchtig suchen, diese, seine neue Identität und wer sie annimmt, nimmt die Gestalt des Gottessohnes an – wird selbst zu einem Kind (Sohn) Gottes.

Darum, ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!

2. Korinther 5,17

In Jesus Christus zeigt Gott unmittelbar auf, wie er das Böse überwinden würde, wenn er Mensch wäre. Da Gott nicht Mensch ist, musste er Mensch werden, damit wir Menschen dieses Prinzip der Überwindung des Bösen erfahren können. In Jesus Christus wird Gott Mensch und konfrontiert sich selbst mit dem Bösen, indem er es auf sich nimmt, um es mit Geist und Sinn zu erfüllen:

Es ist euch gut, dass ich hingehe …

Johannes 16, 7

Der verborgene Sinn im bisher Sinnlosen verleiht allem sinnlosen Geschehen Sinn und Bedeutung. Alles Geistlose und Sinnlose, das auf diese Weise durch Gott (Geist) erfüllt wird, muss nun gut werden. Und so wie Jesus um Sinn und Bedeutung seines eigenen Leidens und Sterbens wusste, sollen auch wir auf den Sinn unseres eigenen Leides vertrauen. Denn durch seine bereitwillige Hingabe am Kreuz, sollte deutlich werden, dass dieser Sinn jetzt überall dort einkehren wird, wo wir ihn vertrauensvoll suchen. Deshalb nahm Jesus Unrecht, Leid und Tod auf sich, damit nun auch wir darauf vertrauen können, dass der Sinn in allen Geschehnissen innewohnen will, wo wir ihn ersehnen und einlassen. In Wahrheit, wohnt der Sinn von jeher in allen Geschehnissen, da ohne Gott (Geist und Sinn) nichts sein kann und der Geist alles durchdringt und mit Leben erfüllt. Jegliche Existenz, alles Leben hängt am Sinn. Doch solange wir dies nicht glauben wollen, haben wir keinen Anteil an einem Leben jenseits der Geistlosigkeit und des Unsinns in der Welt.

Alles,
was zum Leben kommen will, das muss einen allumfassenden, hintergründigen Sinn erfahren.

Alles vormals Niedere, welches Geist und Sinn empfangen hat, das ist auch lebendig geworden. Dies ist das universelle Schöpfungsprinzip, dass Gott aus Nichts etwas erschafft. Das Sinnlose, Geistlose, Niedrige, Schmutzige, Schmachvolle, Verwerfliche und Verdammte – das ist von jeher der „Stoff“ aus dem Gott neues Leben erschafft.

Da machte JHWH der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.

Genesis 2,7

Die Überwindung des inneren Bösen

Wer die Botschaft Jesu verinnerlicht, wird anfangen, die Welt in einem neuen Licht zu betrachten. Das, was wir bisher abschließend als das Böse oder das Schlechte bezeichneten, hört im Sinne Jesu auf böse und schlecht sein.
Denken wir dabei nur einmal an eigene beschwerliche, peinliche oder auch gefährliche Situationen und Erfahrungen, durch die wir grundlegend gereift sind oder durch die wir etwas Wichtiges erkannt oder gelernt haben, etwas, das wir im Nachhinein nicht mehr missen möchten. Unsere menschlichen Bewertungen und Festlegungen in Gut und Böse sind also keineswegs so ultimativ, und eindeutig wahr, wie wir oft meinen. Meist sind sie zeitbedingt und erscheinen uns mit zeitlichem Abstand bereits verändert und manchmal dann sogar gegenteilig. Wie oben erklärt, fordert uns Jesus dazu auf, dem Feindlichen, Bösen und Schlechten gegenüber, eine neue, veränderte Haltung einzunehmen, indem wir es nach Gottes Willen an und auf uns nehmen sollen. Aber dies gilt nicht nur für das Böse, das uns von außen begegnet, sondern insbesondere auch für das Böse, das uns aus unserem Innern droht, also das Böse, das uns selbst anhaftet.
Die Theodizee-Frage, warum Gott das Böse in der Welt zulässt, muss also erweitert werden auf das Innere des Menschen. Denn der Ursprung jenes Bösen, das Menschen einander immer wieder antun, liegt nicht irgendwo außerhalb, sondern er liegt vielmehr in uns selbst. Dieses innere Böse wird auch als die Ursünde des Menschen bezeichnet. Unter dieser Ursünde versteht man alle menschlichen Schwächen, wie Irrtum, Ungerechtigkeit, Hass, Neid, Missgunst, Rachsucht, Niedertracht, Unbarmherzigkeit etc.

Auch unsere eigene menschliche Schwäche und Mangelhaftigkeit soll nun, der Lehre Jesu nach, einen tiefen Sinn und eine Bedeutung finden können.

Doch welcher Sinn könnte in unserer menschlichen Schwäche und in unserer Fehlbarkeit liegen? Die Antwort Jesu ist schlicht:
Der Mensch soll Vergebung und Barmherzigkeit üben, er soll gnädig mit den Fehlern seiner Mitmenschen verfahren, eben weil er selbst der Vergebung, der Barmherzigkeit und der Gnade bedarf:

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Matthäus 5,7

Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch messen.Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, und bemerkst nicht den Balken in deinem eigenen Auge? Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und dabei, ist ein Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

Matthäus 7, 1-5

Wenn unser Antrieb Gnade, Vergebung und Barmherzigkeit zu üben, aus der Einsicht in die eigene Fehlbarkeit rührt, so kommt unserer menschlichen Unvollkommenheit plötzlich ein Sinn und eine tiefe Bedeutung zu.

Damit wir fähig werden, anderen Menschen Schuld zu vergeben, müssen wir selbst einsehen und anerkennen, schuldig zu sein. Das heißt, wir müssen bereit werden, Selbsterkenntnis zu üben. Und hierin liegt der tiefe Sinn unserer menschlichen Fehlbarkeit begründet. Was Sinn gefunden hat, das hat Geist gefunden und was Geist gefunden hat, das hat Gott gefunden. Was Gott gefunden hat, das hat aufgehört, gottlos zu sein. Und was aufgehört hat, gottlos zu sein, das hat aufgehört, unser Schaden und das heißt, es hat aufgehört, Sünde zu sein. Auf dieser Ursächlichkeit beruht die Lehre Jesu von der grundlegenden Vergebung unserer Schuld durch Gott. Unsere Schuld ist insoweit grundlegend vergeben, als wir selbst bereit werden, denen zu vergeben, die sich an uns schuldig machen, eben weil wir um unsere eigene Fehlbarkeit wissen.

Und vergib uns unsere Schuld, wie wir auch denen vergeben, die an uns schuldig werden.

Mat 6, 12

Denn wenn ihr den Menschen ihre Fehler vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben, wenn ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.

Mat 6, 14-15

Auferstehung zu neuem Leben

Im Gleichnis vom Weizenkorn verdeutlicht Jesus Sinn und Bedeutung seiner eigenen Passion. Hier legt er sinnbildlich dar, dass alles menschliche Sterben in dieser Welt einen Sinn und eine Bedeutung erfahren muss, genauso wie dem Sterben in der Natur von jeher Sinn und Bedeutung zukommt.

Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde hinabfällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Johannes 12, 24

Nur soweit auch unser Sterben eine Notwendigkeit erfährt, kann unser Leben eine grundlegende Förderung erfahren. Und diese Förderung besteht darin, dass es einem neuen, transzendenten Lebensverständnis dient. Jesus beantwortet also auch hier die Frage, wozu Gott das Leid in der Welt zulässt, indem er jeglichem Sterben in dieser Welt eine grundlegende Bedeutung zuschreibt. Dabei steht und fällt die Bedeutung von Tod und Sterben mit dem Wissen um das Transzendente – um das, was über das Zeitliche und Vordergründige hinausweist:

wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Johannes 12, 24

Genauso wie es uns die Vorgänge in der Natur lehren, so soll, der Lehre Jesu nach, jedes Opfer und jede bereitwillige Hingabe dem Werden neuen, größeren Lebens dienen. Ob wir selbst an solchem neuen Leben teilhaben, hängt am Vertrauen, das uns fähig macht, altes Leben im Sinne Jesu bereitwillig hinzugeben und zu lassen. Denn lassen müssen wir unser zeitliches Leben ja ohnehin. Doch solange wir die Wirklichkeit unserer Sterblichkeit nicht wahrhaben wollen, solange wir sie negieren und ignorieren und solange wir festhalten wollen, was wir nicht festhalten können, kann unser Sterben auch keinen Sinn erfahren, denn wir stellen uns gegen die Wahrheit unserer Sterblichkeit. Jesus lehrte „wie“ unser Sterben jenen Sinn erfahren kann, damit es Unsterblichkeit erlangt. Jegliches Loslassen, Verzichten und Sterben, muss um Einsicht in eine unumstößliche Wahrheit geschehen. Das heißt, ebendort, wo unserem äußeren Sterben eine transzendente Bedeutung zukommt, da geschieht unser Sterben nicht mehr vergebens. Jesus hatte in seinem Leiden und Sterben für sich eine Notwendigkeit erkannt, nämlich dass durch seinen Tod ein neues geistiges Bewusstsein geschaffen wird, das allen Menschen zugutekommt, die danach suchen. Sein einzelnes Opfer, sein Leiden und Sterben trug „Frucht“ für viele – für all jene, die nun ihrerseits ihr Leben in seinem Geist hingeben und lassen können, wodurch es ebenfalls Erneuerung durch den Geist erfährt: Das ist das Prinzip der Auferstehung. Die Auferstehung Jesu ist die Auferstehung eines Lebensverständnisses, welches bereits hier und jetzt über das Zeitgebundene und Vordergründige hinausgelangt ist:

Diejenigen, die sagen: „Der Herr ist zuerst gestorben und dann auferstanden“, sind im Irrtum. Denn er ist zuerst auferstanden und dann gestorben. Wenn jemand nicht zuerst die Auferstehung erwirbt, wird er sterben.

Philippusevangelium Spruch 21

Es ist ein zeitloses, ein ewiges Lebensverständnis, das durch keine Sache der Welt geschmälert oder behindert werden kann, sondern das nun durch alle Geschehnisse Förderung erfährt, selbst durch Ungerechtigkeit, Leiden und Sterben, wie es Jesus lehrte:

Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nicht mehr sterben. Glaubst du das?

Joh 11, 25, 26

Christus der Überwinder
Die Auferstehung – Der Isenheimer Altar / Colmar 1512-1516 – Künstler: Matthias Grünewald

Die Theodizee-Frage ist damit keineswegs erschöpfend beantwortet doch dieser Beitrag konnte vielleich einen Eindruck von der gedanklichen Fülle der Botschaft Jesu vermitteln. Auch möchte ich den Leser nicht ermüden. Daher freue ich mich auf kritische Fragen und Kommentare, die ich hier gerne direkt beantworten werden. Und so schließe ich mit den Worten Jesu:

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Johannes 16, 33

Weitere Beiträge auf Christophilos zu dieser Thematik finden Sie unter: Missverstandener Opfertod Jesu und Die Überwindung der Welt sowie meine kritische Rezension zu dem Buch: Abschied vom Opfertod von Meinrad Limbeck

Abschied vom Opfertod

Der katholische Theologe Dr. Meinrad Limbeck 1934-2021 trennt in seinem Buch die Predigt Jesu vom Reich Gottes kategorisch von seiner Passion, wodurch notwendigerweise auch der transzendente Gedanke entfällt.

Eine Rezension zum Buch “Abschied vom Opfertod – Das Christentum neu denken” erschienen 2012 im Matthias-Grünewald- Verlag Ostfildern

Eine Theologie ohne Transzendenz

Der Autor Dr. Meinrad Limbeck bricht mit der urchristlichen Glaubensvorstellung, die in der Ablehnung, Verurteilung und Hinrichtung Jesu einen göttlichen Willen sieht. Dass Jesus seine Hinrichtung am Kreuz bewusst selbst verursacht und gewollt haben könnte, verneint er. Zur Untermauerung seiner These stellt er eine Vielzahl biblischer Bezüge her. Er vernachlässigt dabei jedoch, die zentrale Aussage der Evangelien, nach der Jesus seinen Leidensweg selbst für notwendig und für unumgänglich erachtete. Auch übersieht der Autor die bewusste Einwilligung Jesu in den Willen Gottes, den er in seiner Passion (für sich) so erkannt hatte. Dass diese Überzeugung Jesus letzlich dazu befähigte, selbst Unrecht, Leid und Tod auf sich zu nehmen, um diese Bereiche geistig zu überwinden, findet in der Theologie dieses Buches keine Entsprechung.

Von der Zeit an begann Jesus seinen Jüngern zu erklären, wie er müsste hin nach Jerusalem gehen und viel leiden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tage auferstehen.

Matthäus 16, 22

Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!

Matthäus 26,39

Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in die Welt gekommen.

Johannes 12, 27

Der Autor verneint, dass in der Passion Jesu ein tiefer Sinn, ja, dass in ihr überhaupt irgendetwas Gutes liegt, wobei er auch hier zentrale Aussagen der Evangelien außer Acht lässt, in denen Jesus diesen Sachverhalt seinen Jüngern explizit in diesem Sinne verdeutlicht:

Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.

Johannes 12, 24

Und wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf das alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Johannes 13, 14-15

Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand unter euch fragt mich: Wo gehst du hin? Sondern weil ich solches geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit: es ist euch “gut”, dass ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch …

Johannes 16, 5-7

Der Autor verneint den Glauben, in welchem die Vergebung menschlicher Schuld ursächlich etwas mit der Passion Jesu zu tun hat. Diese Theologie führt er als unrichtig auf den Apostel Paulus zurück. Auch diese These untermauert er durch eine Vielzahl biblischer Verweise. Doch auch hier übergeht er die zentralen Aussagen der Evangelien, in denen Jesus selbst diesen Zusammenhang in dieser Weise erklärt und darlegt:

Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.

Matthäus 20, 28

Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet und reichte ihn den Jüngern mit den Worten: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

Matthäus 26, 27-28

Der Autor verneint die Existenz eines allmächtigen Gottes. Die Erklärung Jesu in Joh. 10, 17-18, wonach göttliche Macht selbst im Zustand äußerster menschlicher Ohnmacht ihren Ausdruck findet, thematisiert der Autor nicht. Dadurch erfährt auch das allgemeine transzendente Verständnis, in welchem Jesus seine Passion auf sich nahm und welches er auch in seinen Predigten und Erklärungen verdeutlichte, in diesem Buch keinerlei Würdigung.

Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.

Johannes 10, 17-18

Auch jenen großartigen christlichen Gedanken, nach welchem die Macht der Wahrheit, selbst im Zustand menschlicher Ohnmacht niemals geschmälert werden kann, sucht man in der Theologie des Autors vergebens. Daher fehlt dieser Theologie auch der tröstliche Aspekt der Botschaft Jesu, wonach wir selbst in ungerechten, leidvollen und beschwerlichen Geschehnissen Förderung und Bestätigung erfahren müssen, wenn wir diese im Geist Jesu auf uns nehmen und bereitwillig tragen.

Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei doch lügen.

Matthäus 10,22


… sehet zu und erschreckt euch nicht … Alsdann werden sie euch überantworten in Trübsal und werden euch töten. Und ihr müsst gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern.

Matthäus 24, 6 + 9-10

Die Vernachlässigung dieses doch zentralen Gedankens der Bergpredigt verwundert, ist es doch ebendieser Gedanke, der den Glauben an die Auferstehung Jesu und damit die Auferstehung aller zeitlosen Wahrheit bestätigt und rechtfertigt.

Der Autor trennt Jesu Predigt vom Reich Gottes kategorisch von seiner Passion, wodurch notwendigerweise auch der transzendente Gedanke entfällt. Insofern definiert der Autor den Begriff vom Reich Gottes auch eher diesseitig. Konkret wird diese Auffassung in seiner Aufzählung verschiedener erfolgreicher karitativer Projekte, die der Autor selbst erfahren oder begleitet hat und die, seiner Ansicht nach als eine Verwirklichung des Reiches Gottes betrachtet werden können.

Abgesehen von den oben genannten Ansichten des Autors, die ich für mich persönlich als eine Fehlinterpretation der Botschaft Jesu erachte, enthält das Buch aber auch interessante theologische Ansätze und wertvolle Informationen, sodass sich die Lektüre für mich persönlich dennoch etwas gelohnt hat.

Eine weitere, vertiefende Betrachtung zum Thema Opfertod Jesu finden Sie hier auf Christophilos auch in dem folgenden Blogbeitrag: Missverstandener Opfertod Jesu

Dresden am 6. März 2023

Versuchung und Erlösung

Eine grundlegende Einsicht und Erkenntnis, die wir aus der Botschaft Jesu gewinnen können, ist diese: Gott führt in Versuchung, solange wir nicht um Erlösung bitten. Ohne Bitten können wir nichts erwarten und empfangen und ohne das Böse auch keine Erlösung davon. Dabei ist es allein unsere menschliche Sehnsucht nach Erlösung, die Gott zum gebenden, die ihn für uns zum Vater werden lässt.

Führt uns Gott in Versuchung?

Das Gebet, das Jesus lehrte, als seine Jünger ihn darum baten, enthält eine bemerkenswerte Bitte, die da lautet:

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Matthäus 6,13

Hier sollen wir an Gott die Bitte richten, uns nicht in Versuchung zu führen. Manche Theologen können und wollen nicht glauben, dass Gott in Versuchung führen kann. So stellen sie die durchaus berechtigte Frage: Ist es nun der Teufel, der uns in Versuchung führt, oder ist es Gott selbst? Oder anders gefragt, liegt die Versuchung des Menschen in Gottes Zuständigkeitsbereich oder liegt sie woanders?

Um Eindeutigkeit zu erreichen, wollen manche Theologen diesen Text lieber „glätten“. Sie meinen, es sollte richtig, heißen: “Lass uns nicht in Versuchung geraten …” Was aber dem Sinn nach nichts ändert, denn auch hier wäre es ja Gott, der unsere Versuchung entweder geschehen lassen oder verhindern kann. Andere sind noch mutiger, sie wittern eine falsche Übersetzung und formulieren völlig neu: Und führe uns „in“ der Versuchung. Bei allen diesen Überlegungen gilt jedoch eines zweifelsfrei: Der altgriechische Text ist eindeutig und lautet exakt so, wie er bisher übersetzt wurde, was uns die Altphilologen bestätigen.

Wie also wäre die Frage nach der Zuständigkeit der menschlichen Versuchung abschließend zu beantworten? Schlüssige Antworten zu dieser Frage findet sich im Kontext der Botschaft Jesu.

Vom anonymen Gott zum gebenden Vater

Eine grundlegende Einsicht und Erkenntnis, die wir aus der Botschaft Jesu gewinnen können, ist diese: Gott führt in Versuchung, solange wir nicht um Erlösung bitten. Ohne Bitten können wir nichts erwarten und empfangen und ohne das Böse auch keine Erlösung davon. Dabei ist es allein unsere menschliche Sehnsucht nach Erlösung, die Gott zum gebenden, die ihn für uns zum Vater werden lässt. Solange wir von Gott nicht alles erdenklich Gute und Notwendige ersehnen, um Beschwerliches und Leidvolles zu überwinden, bleibt Gott für uns eine namenlose, anonyme Größe. Bitten wir aber im Sinne Jesu: “Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.” Matthäus 6,13 So wird uns Gott, eben durch diese Bitte zum Vater und wir zu seinen Kindern.

Im Geist Jesu bitten wir um die Fähigkeit, Gott in allen Geschehnissen suchen und finden zu können, weil dies seinem Wesen entspricht. Ohne sehnsuchtsvolles Bitten können wir nichts empfangen und ohne die innere Auseinandersetzung mit den Erscheinungen des Bösen keine Erlösung.

Es ist unsere Suche und unser sehnsüchtiges Bitten, wodurch wir Gott zum gebenden und damit zu unserem Vater machen.

Ganz in diesem Sinn ist auch das folgende Jesuswort zu verstehen:

Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan …

Matthäus 7, 7-8

Worin liegt der Sinn der Versuchung?

Erst dort, wo wir im Sinne Jesu, Gott als Ursache ausnahmslos aller Geschehnisse verstehen, die uns begegnen, empfangen wir alles aus der Hand Gottes, wodurch die Dinge für uns gut werden können. Bedenken wir in diesem Zusammenhang, dass Jesus in seiner Passion selbst Unrecht, Leid und Tod aus der Hand Gottes entgegengenommen hat. Und bedenken wir weiter, dass auch Jesus versucht wurde, wie uns die Evangelien berichten. Diese Geschehnisse hatten für Jesus eine grundlegende Bedeutung, denn aus seiner Haltung gegenüber seiner Passion und seiner Versuchung, können wir wiederum geistige Erkenntnisse gewinnen, die uns andernfalls nicht erreicht hätten. Daraus folgt: Passion und Versuchung Jesu hatten einen tiefen Sinn und in gleicher Weise soll (im Geist Jesu) auch unsere eigene Versuchung einen Sinn finden, worauf allein sich unsere Erlösung vom Bösen begründet. Erlösung bedeutet, dass Geist und Sinnloses unverhofft Geist und Sinn erfährt und Sinnfindung bedeutet Gott finden. Und Gott finden ist wiederum gleichbedeutend mit unserem Gefunden-werden durch Gott.

Versuchung und Erlösung – zwei Zustände

Versuchung und Erlösung sind zwei unterschiedliche innere Zustände der Wahrnehmung unseres Daseins. Diese Zustände formen unsere inneren Überzeugung. Versuchung ist eine Minderung unserer Wirklichkeit, Erlösung hingegen deren Vermehrung.

Im Zustand der Versuchung verstehen wir unsere Existenz aus uns selbst heraus. Das heißt, hier finden wir alles Lebenswerte, das wir suchen, wünschen und ersehnen als etwas sinnlich Erfahrbares, äußerlich Verfügbares oder durch uns selbst Herstellbares. Alles für uns Lebenswichtige und Mögliche befindet sich nach diesem Verständnis in dieser Welt, nichts kommt von „außerhalb“. Versuchung ist ein Zustand, in dem der Transzendenz des menschlichen Daseins keine Bedeutung zukommt. Der Mensch ist das, als was er seiner Äußerlichkeit nach erscheint, nicht weniger und nicht mehr. Insofern ist dies ein Zustand der Geistlosigkeit, der Profanität, der Banalität und der Sinnlosigkeit des Daseins. Leben wir in dieser Überzeugung, so reduzieren wir unsere menschliche Existenz auf die irdische, zeitgebundene und vergängliche Erscheinung. In diesem Zustand können und werden wir hinderlichen, leidvollen und beschwerlichen Situationen keine Bedeutung beimessen können. Dies ist der Zustand, in dem wir „in“ Versuchung sind, da wir gedanklich eins geworden sind mit der Versuchung, denn wir nehmen alles Äußere für bare Münze.

Der Zustand der Erlösung hingegen ist ein suchender, ein bittender, ein sehnsuchtsvoller, der die Überwindung aller menschlichen Hindernisse im Geist, also in Gott erkennt. In diesem Zustand erkennen wir unseren Wesenskern als ideell, zeitlos und unvergänglich. Drei Zitate mögen diesen Gedanken verdeutlichen:

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.              

Aristoteles

Gut ist, was Wesen und Dingen ein Mehr an Wirklichkeit verleiht, böse, was ihre Wirklichkeit mindert. 

Simone Weil

Ist nicht das Leben mehr als Essen und Trinken und der Leib mehr als die Kleidung?  

Matthäus 6, 25

Erlösung macht uns fähig, alle Hindernisse dieses Dasein zu transzendieren, und das bedeutet, sie gedanklich zu überwinden. In diesem Zustand verstehen wir unsere gesamte Existenz in Gott und aus Gott. In der Überzeugung, die uns dieser Zustand verleiht, erkennen wir Gott als die Ursache aller Dinge, die uns begegnen und anhaften; Versuchung wie Erlösung gleichermaßen. Wann immer wir uns in diesem Zustand befinden, erkennen wir die Notwendigkeit menschlicher Versuchungen und wir werden fähig und mächtig, Gott um etwas zu bitten, das dieser uns nicht verwehren kann. Hier ist es die konkrete Bitte, dass unsere Versuchung der Erlösung dient.

In Gott sein oder in Versuchung sein

Ist Versuchung nun notwendig, oder soll sie vermieden werden? Beides! Wenn Jesus lehrt zu bitten: „Und führe uns nicht in Versuchung“ so ist in diesem Wort „in“ das Wesentliche dieser Bitte ausgedrückt. Denn so, wie wir durch Christus „in“ Gott gelangen, um vollkommen mit ihm eins zu werden, so können wir auch „in“ Versuchung geführt werden, wodurch wir eins werden mit der Versuchung. Dieses Einswerden mit der Versuchung ist es, wovon wir um Erlösung bitten sollen, wodurch es geschieht. Wir bitten nicht darum, dass unser Leben ohne Versuchung sein soll, sondern dass wir nicht eins werden mit der Versuchung. Diesen Ausdruck des Einswerdens mit einer Sache verwendet Jesus mehrfach an anderer Stelle:

An dem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch … // … damit sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien … 

Johannes 14, 20-21

Wer aber die Wahrheit tut, der kommt an das Licht, damit seine Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan.

Johannes 3, 21

Das Einswerden mit der Versuchung ist es, das Gott verhindert, sofern wir ihn darum bitten, denn erst dort, wo wir gedanklich eins werden mit der Versuchung, sind wir tatsächlich „in“ Versuchung geführt worden.

Die Distanz gegenüber sich selbst

In Versuchung geführt zu sein bedeutet, dass wir dem Schein der Dinge erliegen, dass wir Irrtum und Täuschung für Wahrheit und Wirklichkeit halten. Solange wir Versuchung als solche erkennen, sind wir der Versuchung zwar ausgesetzt, aber nicht „in“ Versuchung geführt worden, denn wir wissen um die Falschheit unserer Gedanken und Handlungen, so wie es auch der Apostel Paulus formulierte:

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber etwas tue, was ich nicht will, so tue ich dasselbe nicht; sondern die Sünde, die in mir wohnt …

Römer 7, 19-20

Dass wir versucht werden, das ist unvermeidlich, ja es ist sogar ein wesentlicher und notwendiger Teil unserer Existenz, damit wir erkennen können und wir Sehnsucht zu Gott gewinnen.

Die Bitte um Geist

Die einzige Bitte, der sich Gott nicht verschließen kann, ist die Bitte um Geist – ist die Bitte um Gott selbst. Gott kann nur sich selbst geben, da außerhalb Gottes nichts ist, was gegeben werden könnte. Wer Gott nicht entbehrt, der wird immer das Unwesentliche, das Zeitgebundene und das Entbehrliche entbehren und vermissen. Darin liegt die Versuchung, dass wir glauben, Gott entbehren zu können. Dieser Irrtum entfremdet uns von allem Wesentlichen, wie; Leben, Liebe, Geist und Sinn.  Durch diesen Irrtum werden wir selbst unwesentlich und ein Opfer der Beliebigkeit. Jedoch durch unsere Bitte und Sehnsucht, nicht in Versuchung geführt zu werden, treffen wir ins Zentrum der „Sehnsucht“ Gottes. Denn in gleicher Weise, wie wir uns nach einem Zustand sehnen, der frei ist von Täuschung und Illusion (Versuchung), sehnt Gott sich danach, uns von Täuschung und Illusion zu befreien, wodurch wir mit ihm eins werden.

Freier Wille

Der freie Wille ist ein Ideal,
Ist weder Regel noch Gesetz in dieser Welt
Denn jeder handelt wie es ihm gefällt;
Beliebigkeit kennt keine freie Wahl.

Fest gebunden liegt der freie Wille,
an dem Gebot der Liebe und Wahrhaftigkeit
Und jenseits diesem liegt nur Krieg und Streit;
Freiheit bleibt dort eine taube Hülle.

Nur Einsicht in die tiefste Unfreiheit,
Und Distanz zu eig‘nem Denken oder Handeln
Wird befang‘nen Willen dort verwandeln,
Wo er zum Abgang und zum Tod bereit.


Dresden am  10. Juli 2020
Audiodatei: Freier Wille

Die Überwindung der Welt

Angesichts seiner bevorstehenden Verhaftung und Hinrichtung spricht Jesus erstmals von der Überwindung der Welt. Aber was meinte er als er sagte, dass er den Namen des Vaters verherrlichen werde wenn er das Leid, das seine Feinde über ihn verhängt hatten, auf sich nehmen und am Kreuz sterben würde. Worin konkret bestand für ihn die Überwindung der Welt? Bestand sie im Scheitern seiner Mission am Kreuz?

Wie kann die Welt überhaupt überwunden werden, wenn sie doch augenscheinlich obsiegt? Erfreut sich Gott etwa am Leid des Menschen? Um diese Aspekte der Botschaft Jesu soll es in dem folgenden Beitrag gehen.

Was bedeutet Überwindung?

Unter Überwindung der Welt verstand Jesus einen Weg, das menschliche Schicksal zu meistern. In seiner Passion vermittelte er diesen Weg, den er nicht nur lehrte, sondern den er am Kreuz selbst beispielhaft gegangen ist.
Damit wurde er selbst zum Prinzip dessen was er zuvor verkündete und so konnte er von sich sagen:
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.. Joh 14,6

In seiner Passion zeigte er auf wie der Mensch den beschwerlichen und leidvollen Seiten seines Menschseins begegnen soll, damit sie verstanden, getragen und letztlich geistig überwunden werden können. Dabei besteht der Weg Jesu in einer außerordentlichen, inneren Einstellung den ungerechten, beschwerlichen und leidvollen Geschehnissen gegenüber. Wir sehen in Jesus Christus den Allerersten, dem es durch unerschütterliches Vertrauen in alle Lebensumstände gegeben war, den Willen Gottes durch Unrecht, Leid und Tod hindurch zu erkennen. Diese Geisteshaltung hat ihn frei gemacht von Gedanken der Schuld, der Anklage und der Vergeltung gegenüber seinen Feinden. Durch sein unerschütterliches Vertrauen und sein Wissen um den Sinn (Gott) im Sinnlosen (Gottlosen) war er davor bewahrt, an den schicksalhaften Geschehnissen seines Leidens und Sterbens zu zerbrechen, sodass er sterbend am Kreuz rufen konnte:

„Vater vergib ihnen denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Luk 23, 34

Leidend und sterbend am Kreuz machte Jesus deutlich, dass dieses neue Lebensverständnis, selbst von Geschehnissen, die äußerlichen Schaden und sogar den Tod bedeuten, unberührt und somit unzerstörbar bleibt.

Überwindung der Welt bedeutet im Sinne Jesu, die geistige Fähigkeit zu erlangen, frei von jeglicher, menschlicher Befangenheit, denken und handeln zu können. Auf dieser unbestechlichen Handlungsweise in vollkommener Freiheit, beruht die Verherrlichung Gottes – beruht die Verklärung des Geistes, wie Jesus es vor seiner Verhaftung gegenüber seinen Jüngern verdeutlichte:

„Ich habe dich (Vater) verherrlicht auf Erden und vollendet das Werk, das du mir gegeben hast, dass ich’s tun sollte. Und nun verkläre mich du, Vater, bei dir selbst mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.“  Joh 17,5

Eben, weil Jesus sich der transzendenten Bedeutung seines Lebens bewusst war, konnte er sein Leben bereitwillig hingeben und konnte in seiner Passion konsequent im Sinne seiner Botschaft handeln, die er zuvor lehrte: „Liebet eure Feinde…“ Mat 5, 44

Metanoia – Ändert euren Sinn

Ein weiterer, essentieller Gedanke liegt der Lehre von der Überwindung der Welt zu Grunde und dieser beruht auf der Änderung der Gesinnung unserem Leben gegenüber. Mit dem Aufruf zur Änderung unserer Sichtweise knüpfte Jesus nahtlos an die Predigt Johannes des Täufers an, der den Menschen zurief: Metanoia!  „Ändert euren Sinn!“ Ein Wort, das in den meisten Bibeln etwas einseitig mit „Tuet Buße“ wiedergegeben wird.

Metanoia bedeutet aber, dass wir unser gesamtes Leben auf völlig neue Weise betrachten und bewerten sollen, nicht dem äußeren Augenschein nach, sondern nach dem Verständnis der Lehre Jesu. Dieses Verständnis besagt folgendes:

Alles, was in dieser Welt mit uns und um uns geschieht hat das Potential, im Einklang mit dem Willen Gottes zu stehen, sofern wir bereit sind nach dem Sinn und der Bedeutung leidvoller Geschehnisse zu suchen – sofern wir bereit sind, den Willen Gottes darin zu suchen.

Denn der Wille Gottes ist untrennbar verbunden mit Geist und Sinn:

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.… Mat 7,7

Was nicht im Einklang mit dem Willen Gottes steht, das muss unser Dasein  behindern, beschädigen und vernichten. Gott aber ist das Leben selbst. Würde das Leben sich selbst behindern, beschädigen oder vernichten, so könnte es nicht existieren. Leben ist aber geradezu ein Synonym für Existenz, Realität, Wirklichkeit und Wahrheit.

In der Natur und in Wahrheit existiert kein sinnloses Unterliegen, Niedergehen und Sterben; alles Sterben dient neuem Leben. Daher, indem unser eigenes Sterben Sinn erfährt, ist der Tod überwunden denn Leben ist ein Synonym für Sinn und Bedeutung.

In Christus und das bedeutet, in unserer Suche nach dem Sinn im Sinnlosen, werden Leid und Tod – wird die Welt überwunden.

Ob also im Ungerechten, Beschwerlichen und Leidvollen der Wille Gottes an uns geschieht oder nicht, das hängt durch Jesus Christus nun nicht mehr von den Geschehnissen an sich ab, sondern es hängt allein ab von unserer inneren Haltung diesen Geschehnissen gegenüber – es hängt ab von unserer Einwilligung in den Willen Gottes. In Jesus Christus offenbart sich Gott als jene universelle Kraft, die ihre Herrlichkeit mit jeder Kreatur teilt, die seinen Willen in allen Geschehnissen sucht und findet. So gelangen wir durch Jesus Christus zu dem tiefen Verständnis, dass der Wille Gottes, sofern er zu unserem Besten geschehen soll, vollkommen abhängig ist, von unserer persönlichen Einwilligung in den Willen Gottes. Diese Theologie steht in vollkommener Übereinstimmung mit der Auffassung Jesu, der vor seiner Verhaftung bat:

Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!“  Mat 26,39

“Dein Reich komme. Dein Wille geschehe…” Mat 6,10

In Jesus Christus sind wir aufgefordert den Willen Gottes in allen Geschehnissen zu suchen, wodurch allein er gefunden werden kann und muss. In seiner Passion lehrte er die Überwindung der Welt durch die vertrauensvolle Erkenntnis des göttlichen Willens in ausnahmslos allen Geschehnissen.

In der Welt habt ihr Angstaber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.” Joh. 16, 33



Es ist ein Schnee gefallen

Es ist ein Schnee gefallen,
und es ist noch nicht Zeit.
Man wirft mich mit dem Ballen,
der Weg ist mir verschneit.
Mein Haus hat keinen Giebel,
es ist mir worden alt;
zerbrochen sind die Riegel,
mein Stüblein ist mir kalt.

Ein schwarzer Schnee wird fallen,
denn es ist an der Zeit.
Dann wird ein Ruf erschallen:
„Mach dich zum Gang bereit!“
Hinauf in höchste Sphären,
wo Götter sind vereint,
in Freuden zu verzehren,
das Brot, das hier beweint.  

Ein roter Schnee geht nieder,
ein Schnee so rot wie Blut.
Da kehret nimmer wieder,
was je darunter ruht.
Er decket alles Leben,
als wie ein dunkles Grab.
Die ganze Welt muss beben,
wenn alles fährt hinab.

Wohlan zu dieser Stunde,
wo man noch scherzt und lacht,
da bringe ich die Kunde,
von allertiefster Nacht.
Wie ists dem Menschen bange,
der all das tragen wird.
Drum bitte und verlange,
dass keiner sich verirrt. 

Der Tag neigt sich dem Ende,
schon bricht die Nacht herein.
Hier steh ich und verschwende
das Brot, das Salz, den Wein,
um noch einmal zu sagen,
dass alle Not und Qual,
Verzweiflung, Angst und Fragen,
erfüllt in Tag und Zahl.

Ach Herr lass dich‘s erbarmen,
dass ich so elend bin,
und schließ mich in dein Armen,
so fährt der Winter hin.
Der Winter und die Nächte,
die kalt und ohne Licht.
So lehr mich, dass ich möchte,
erschauen dein Gesicht.

Thematisch angelehnt an einen Liedtext von 1467 : “Es ist ein Schnee gefallen” sowie die Apokalypse des Johannes und “A hard rain’s gonna fall” von Bob Dylan.

Der Träumende

Ich steige hinab in die Tiefen der Nacht
und suche das Licht auf dem Grunde der Zeit,
doch während ich suche, berühre ich sacht,
den Schlafenden, der mir zu folgen bereit.

Refrain:
Am Ziel sind wir dort, wo die Zeit stille steht,
wo das Gestern sich mit dem Morgen vereint,
wo ein Sturm durch die Klagen der Geister weht
und mit sich nimmt, was wir hier unten beweint. 

So steigen wir ab manchen finsteren Pfad,
das Licht in den Herzen, den schimmernden Schein,
und wenn sich ein einsamer Wanderer naht,
so teilen wir mit ihm das Brot und den Wein.

Am Ziel sind wir dort, wo die Zeit stille steht,
wo das Gestern sich mit dem Morgen vereint,
wo ein Sturm durch die Klagen der Geister weht
und mit sich nimmt, was wir hier unten beweint. 

Uns leuchtet das innere Auge den Weg, 
es schwindet das Dunkel nach Hochmitternacht.
Der Träumende findet den sicheren Steg,
so zögert er nicht, setzt den Fuß mit bedacht.

Am Ziel sind wir dort, wo die Zeit stille steht,
wo das Gestern sich mit dem Morgen vereint,
wo ein Sturm durch die Klagen der Geister weht
und mit sich nimmt, was wir hier unten beweint. 

Es ängstigt das Dunkel der Tiefe uns nicht,
wir schreiten hinab und durchdringen die Nacht,
wir schauen im Abgrund das eigne Gesicht,
den Spiegel der Seele, die göttliche Macht.

Am Ziel sind wir dort, wo die Zeit stille steht,
wo das Gestern sich mit dem Morgen vereint,
wo ein Sturm durch die Klagen der Geister weht
und mit sich nimmt, was wir hier unten beweint. 



Elmar Vogel 31. Juli 2022 und 4. Vers am 3. Oktober 2022

Audiodatei und Notenblatt: Download nur zum persönlichen Gebrauch:

Der Träumende

Missverstandener Opfertod Jesu

Angeblich habe Gott eine Wiedergutmachung des einstigen Sündenfalls gefordert. Gemäß dem Prinzip von Schuld und Vergeltung habe Gott die Menschen bestrafen wollen. Jesus habe dann durch seine grausamen Hinrichtung am Kreuz, Gott endlich die gewünschte Genugtuung bereitet.
So oder ähnlich lautet die verkürzte, missverständliche und letztlich irrtümliche Lesart zur Bedeutung der Passion Jesu. In diesem Zusammenhang hört man auch die Meinung, dass durch den Opfertod Jesu bzw. durch seine Hingabe am Kreuz, automatisch menschliche Schuld vergeben sei. Dies sei einfach zu glauben, und nicht zu hinterfragen. Welcher Bedeutung der Hingabe Jesu – entsprechend seiner eigenen Lehre – für uns tatsächlich zukommt, das möchte ich in dem folgenden Beitrag aufzeigen. Einleitend sei dazu der folgende Gedanke vorangestellt:

Audiodatei: Missverstandener Opfertod Jesu

Gott überwindet das Leid der Welt in dem Moment, da er davon „berührt“ wird. Da Gott selbst nicht leiden kann, erreicht er durch Jesus Christus die notwendige Berührung mit dem Leid der Welt. Jesus bewirkt diese “Berührung” indem er sein Leid in der Gewissheit auf dessen Sinn und Bedeutung, auf sich nimmt und trägt – uns zum Vorbild. Dass Jesus durch seinen Opfertod am Kreuz unsere Schuld beglichen hat ist ausschließlich im Sinne seiner Botschaft zu verstehen. Der missverstandene Opfertod Jesu rührt aus einer wörtlichen Deutung der Passion Jesu, losgelöst von den Inhalten seiner Lehre.

Der schachernde Gott

Im Grunde genommen entspricht die eingangs beschriebene Auffassung der Praxis antiker Opferkulte; denn das Opferverständnis der Antike war ein mythologisches bzw. ein magisches. Dabei wurde göttliche Gnade als ein gerechter Ausgleich oder als eine Art Automatismus verstanden. Oder Gott wurde quasi als Händler in den Bereich des Käuflichen gerückt. So brachte der Mensch der Antike seine Opfer dar, um von Gott etwas ganz Konkretes zurückzuerwarten: Wohlstand, Gesundheit, Reichtum, Macht etc. Ein Gottesverständnis – gegen das Jesus, bei der Tempelreinigung mit äußerster Vehemenz vorging, wie uns die Schriften berichten:

Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, dazu die Schafe und Rinder; das Geld der Wechsler schüttete er aus, und ihre Tische stieß er um. Zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zum Kaufhaus.

Joh. 2. 13,25

Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb hinaus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus soll ein Bethaus heißen«; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus.

Mt 21, 12-13

Das antike Opferverständnis basierte gewissermaßen auf der Logik eines Tauschgeschäfts oder eines magischen Aktes. Der christliche Glaube hingegen ist seinem Inhalt nach, das Gegenteil von Kalkül und Berechnung. Denn sowohl in seiner Lehre als auch in seiner Hingabe am Kreuz, zeigte Jesus, dass er absolut nichts für sich selbst wollte. Vielmehr war er bereit, all das bereitwillig auf- und hinzugeben, was der Mensch mit Glück und mit Wohlergehen verbindet.

Grund und Ursache der Hingabe Jesu

Zunächst möchte ich aufzeigen inwiefern die Passion Jesu und der Aspekt der Erlösung nicht als ein „Tauschgeschäft“ mit Gott, sondern entsprechend den Inhalten seiner Botschaft, als geistige Folgerichtigkeit zu verstehen ist. Tatsächlich vermittelt uns Jesus in seiner Lehre eine ganz bestimmte Geisteshaltung, die dem, der sie annimmt die Identität des Christus verleiht. Diese Identität nennt Jesus Gotteskindschaft. Kraft dieser Identität werden wir Christus gleich, werden wir vollkommen eins mit ihm. Im vertrauensvollen Annehmen dieser neuen Identität, liegt die Erlösung des Menschen begründet. In dieser Identität sind wir erlöst, weil diese Identität die einzige Existenzform darstellt, die frei ist von menschlicher Befangenheit.

Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.

Joh 15, 5

Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Joh 14,6

Das Unsagbare – was nur „getan“ werden konnte

In seiner Passion vermittelt Jesus auf nonverbale Weise den unaussprechlichen und essentiellsten Aspekt seiner Botschaft: den individuellen Umgang mit menschlicher Schwäche und Schuld. In seiner Hingabe an seine Feinde zeigt er eine Haltung vollkommener Unbestechlichkeit, angesichts äußerer Bedrohung durch Unrecht, Leid und Tod. All das, was er zuvor in Worten und Gleichnissen ausgedrückt hatte, das setzte er in seiner Passion konsequent um. Dabei ist seine Handlungsweise genau genommen ein tatenloses Handeln, es ist ein Geschehen lassen, in welchem Gott selbst zum Handelnden wird – zum Handelnden werden muss. Denn in einer Geisteshaltung grenzenloser Integration dem Ungerechten und Leidvollen gegenüber, macht Jesus Gott zum Urheber von Schuld, Unrecht, Leid und Tod.  Da aber in Gott weder Leid noch Unrecht existieren können, überwindet Gott in Jesus Christus diese Bereiche, indem er in diese Geschehnissen gewissermaßen Geist und Sinn hineinträgt. Was Sinn gefunden hat, das ist zu einem Teil Gottes geworden. Was aber ein Teil Gottes geworden ist, das ist auch lebendig geworden. Auf dieser Ursächlichkeit beruht das „Gesetz“ der Auferstehung Jesu.

Einwilligung in alle Geschehnisse – die Universalität des Geistes

Es ist dieses bewusste Einwilligen in das Geistlose und Böse, wodurch Christus die dunkle Wirklichkeit des Menschseins mit solcher Vehemenz auf Gott (den Urheber jeglicher Wirklichkeit) zurückwirft, dass dieser zum Schöpfer einer neuen, hellen und guten Wirklichkeit werden muss – einer Wirklichkeit, die über alles Vordergründige und Vergängliche hinausgeht. Ich sage, dass Gott zum Schöpfer werden muss, weil innerhalb Gottes weder Leid noch Tod existieren können. Die bewusste Hingabe an eine böse und feindliche Wirklichkeit, ist die Ursache für die Auferstehung Jesu, die als eine Auferstehung zeitloser und unvergänglicher Sphären verstanden werden muss. So hat uns Christus in seiner Passion einen Weg zu einem neuen, transzendenten Lebensverständnis aufgezeigt. Eben diese Ursächlichkeit verdeutlicht er vor seiner Gefangennahme seinen Jüngern mit den Worten:

Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wieder nehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es freiwillig. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu nehmen. Dieses Gesetz habe ich empfangen von meinem Vater.

Joh 10, 17

Erlösung durch Vergebung und Vergebung durch Sinnfindung

Einen weiteren, grundlegenden Gedanken, der aus dieser Geisteshaltung Jesu folgt und den er im Zusammenhang mit seiner Passion lehrte, ist, dass durch seine Hingabe am Kreuz den Menschen Erlösung zuteil und Schuld vergeben wird:

Wer der Vornehmste unter euch sein will, der sei euer Knecht, gleichwie des Menschen Sohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern dass er diene und sein Leben gebe zu einer Erlösung für viele.

Mt 20, 27-28

Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.

Mt 26, 27-28

Allmacht in äußerster Ohnmacht

Um eine zusammenhängende Betrachtung dieser beiden Gedanken geht es hier: so die bereitwillige Hinnahme von Leid und Tod auf der einen und die Vergebung von Schuld auf der anderen Seite, mit anderen Worten: Macht inmitten äußerster Ohnmacht und Schuldlosigkeit angesichts größter Verfehlung gegenüber der Wahrheit.

Der Zusammenhang dieser beiden Aspekte scheint nicht ohne weiteres erkennbar, und doch ist er folgerichtig und insofern grundlegend für die Botschaft Jesu. Im erstgenannten Gedanken vermittelt Jesus, dass er durch seine vertrauensvolle Hingabe an die ungerechte und leidvolle Wirklichkeit dieser Welt die Macht hat, sein hingegebenes Leben wieder zu nehmen.

Gott liebt jede Hingabe an die Wahrheit, insbesondere aber an jene, die uns wie das Ende oder das Gegenteil der Wahrheit erscheinen – eben weil Gott darin zum Schöpfer neuer Kreaturen und Welten werden kann. Denn dem Verständnis Jesu nach, wird uns jede harte Lebensgrenze, an die wir zuversichtlich und vertrauensvoll rühren, neue ungeahnte Lebensräume eröffnen:

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.…

Mat 7,7-8

Die Immunität Gottes

Aber welche Gesetzmäßigkeit bzw. welches „Gesetz“ könnte dem zugrunde liegen, wie Jesus es hier darlegt?  Die Voraussetzung für das Verständnis dieses Gedankens, liegt in der Fähigkeit zu erkennen, dass Gott die Ursache jedweder Wirklichkeit ist und dass alle Wirklichkeit, die Gott wirkt, immer nur einem Zweck dient, nämlich unaufhörlich neues Leben hervorzubringen.

Das Wesen Gottes besteht in einem Hervorbringen seiner selbst, und was Gott hervorbringt, das kann nicht zum Schaden seiner selbst sein, sonst wäre er nicht Gott. Und da Gott ohnehin niemals irgendeinen Schaden erleiden kann, müssen ihm alle Geschehnisse zur Hervorbringung und zur Förderung seiner selbst dienen, selbst ungerechte, beschwerliche und leidvolle – also auch Geschehnisse, die wir Menschen mit dem Gegenteil von Wahrheit, Leben, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit verbinden. Dieses geistige Prinzip hat uns Jesus in seiner Passion verdeutlicht. In eben dieser Gewissheit handelte er, als er sein Leben für uns hingab. Am Kreuz vermittelt er eine Geisteshaltung, in welcherBestrafung, Vergeltung, Unrecht, Erniedrigung, Leid und Tod – keine Existenzberechtigung mehr haben, da in dieser Geisteshaltung alle Geschehnisse nun einer neuen Schöpfung dienen: dem der auf dieses universelle Gesetz vertraut. Der Auferstandene Christus, ist ein Bild der Unzerstörbarkeit der Wahrheit, eine völlig neue Kreatur – das erste neue Geschöpf einer gänzlich neuen Schöpfung, so wie es der Apostel Paulus beschreibt:

Darum, ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!

2. Kor 5,17

Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt, als Erstling derer die entschlafen sind.

1. Kor 15,20

Denn welche er zuvor erwählt hat, die hat er auch dazu bestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbild seines Sohnes, auf dass derselbe der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. 

Röm 8, 29

Das christliche Prinzip der Transzendenz des Bösen

Deshalb: Fassen wir unser eigenes Leid so auf, wie Jesus sein Leid auffasste, so leiden wir nicht mehr um unserer selbst willen, sondern wir leiden um Gottes, also um der Wahrheit willen. Leiden wir aber um der Wahrheit willen, so ist eben dieses Leid der Grund und Anlass für eine neue Schöpfung, da in Gott kein Leid existieren kann. Gott überwindet Leid, in dem Moment, wo er davon „berührt“ wird. Jesus Christus erreicht am Kreuz die Berührung Gottes mit dem Leid der Welt, da er es im Glauben an einen tiefen Sinn (Geist) auf sich nahm und trug. Gott kann nur von jenem Leid berührt werden, das als sinnstiftend erkannt und angenommen wird, eben darum, weil in Gott allen Geschehnissen Sinnstiftendes zukommt. Deshalb bat Jesus angesichts seiner Passion:

Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.

Mat 26,39

Schöpfung bedeutet, dass allem unter Begrenzung Leidenden, neuer unbegrenzter Lebensraum zuteil wird. Allein das Vertrauen in dieses universelle Gesetz, verändert alle Wirklichkeit grundlegend. Leiden wir um Gottes willen, so erhält unser Leid eine Bedeutung und einen Sinn, da Gott ein Synonym für Geist und Sinn ist. Und so wie Jesus einen Sinn in seinem eigenen Leid erkannte, und es deshalb auf sich nahm und dadurch gedanklich überwand, so wird auch unser eigenes Leid einen Sinn erfahren können, wenn wir es im Geist Jesu auf uns nehmen und tragen.

Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

Mt 5, 11-12

Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen:Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.  

Mk 8, 34-35

Der Sinn, den Jesus in seinem eigenen Kreuz sah, war -für ihn- die Erlösung des Menschen und die Vergebung von Schuld, und eben diese Einsicht machte seine Passion sinnvoll. Eine Erlösung, die all jenen zuteilwerden sollte, die seinem Beispiel gedanklich folgen wollen.

Damit berühre ich den zweiten Gedanken, der die Frage aufwirft: Wie kann das Leid eines Menschen für andere Menschen Erlösung sein, und wie ist es möglich, dass Schuld dort vergeben wird, wo Menschen einem unschuldigen Menschen Leid zufügen? Ein Widerspruch in sich, wie es scheint.

Die erste Antwort auf diese Frage findet sich bereits in dem oben Gesagten, dass alle Geschehnisse dem dienen, der Gott bedingungslos vertraut, so wie es der Apostel Paulus im Römerbrief beschreibt: 

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.

Röm 8,28

Selbsterkenntnis – die Grundlage echter Vergebung

Eine weitere Antwort, die konsequent an diesen Gedanken anknüpft, findet sich in der Aufforderung Jesu – Einsicht in die eigene Schuld und Schwäche zu üben, um dadurch gnädig und barmherzig mit den Schwächen anderer zu verfahren. Denn wenn uns jetzt tatsächlich alle Dinge zum Besten dienen, wie Paulus sagt, dann konsequenterweise auch Schwäche, Schuld, Leid und Tod. Und dabei ist es völlig unerheblich, woher diese Mangelhaftigkeit rührt, ob von uns selbst, von unserem Nächsten oder von widrigen Lebensumständen.


Darum vermittelt uns Jesus die Einsicht, dass wir durch Betrachtung unserer menschlichen Schwäche und Mangelhaftigkeit frei werden können von einer Verurteilung unseres Nächsten. Mit anderen Worten, das was bisher Sünde war, das ist in dieser neuen Betrachtungsweise überwunden, denn es ist in dieser Geisteshaltung gut geworden. Derart frei geworden vom Gedanken der Vergeltung, erreichen wir vor Gott „Nichtverurteilbarkeit“. Denn Gott (die Wahrheit) wird uns nur soweit verurteilen können, solange uns Gedanken von Schuld und Vergeltung anhaften. Daher gilt es, frei zu werden von einer Verurteilung anderer, wozu uns wiederum die Einsicht in die eigene menschliche Schwäche dienen und helfen soll. Wir sehen – eben dadurch erhält unsere menschliche Schwäche und Fehlbarkeit (Sünde) eine tiefe Bedeutung, indem sie uns dazu verhilft, uns selbst in unserer Mangelhaftigkeit zu erkennen:

Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit dem Maßstab, den ihr bei anderen anlegt, werdet ihr selbst gemessen werden. Warum starrst du auf den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! – und siehe, in deinem Auge steckt ein Balken! Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen!

Mt 7, 1-5

Das Jüngstes Gericht – Ende allen Widerspruchs

Am jüngsten Tag wird Gott jegliche Verurteilung verurteilen, denn Gott wird dort allem Widerspruch ein Ende setzen. Eben darum, dass in Gott alles dient, ist in ihm kein Raum für Widerspruch und Verurteilung. Deshalb sollen wir bereits hier und jetzt alles daran setzen, frei zu werden von jeglicher Verurteilung. Bei allem was am Tag des Jüngsten Gerichts an Gedanken der Verurteilung gefunden wird, das wird verurteilt werden, um der Verurteilung willen, die ihm anhaftet. Denn nach dem Gesetz der Gnade Gottes, muss eines Tages alle Verurteilung ein Ende finden.

Dieser Ursächlichkeit nach sind alle Aussagen Jesu zu verstehen, in denen er darlegt, dass durch seine Hingabe am Kreuz vielen Menschen ihre Schuld vergeben werden wird, nämlich all denen, die seiner Botschaft Glauben schenken und die seinem Beispiel der Vergebung inhaltlich folgen wollen:

Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe.

Joh. 13, 15

Wir sehen, im Kreuzestod Jesu liegt kein Automatismus. Die Hingabe Jesu ist gewissermaßen eine Tür, eine enge Pforte, die uns gewiesen wurde; hindurchgehen kann nur jeder einzelne selbst.

Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der hinab zur Verurteilung führt; und es sind viele, die darauf gehen. Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind es, die ihn finden.

Mat 7, 13-14

Amen, Amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

Joh 5, 24

Vergebung durch Wissen – Nur der Wissende kann vergeben

Die Auffassung, mir sei meine Schuld vergeben, weil ja Jesus am Kreuz für mich gestorben sei, ist nicht vollständig, solange wir Sinn und Bedeutung – solange wir den Beweggrund für seine Hingabe am Kreuz nicht erkennen und verstehen wollen. Denn glauben wir den Worten Jesu, so endet Schuld dort, wo wir selbst aktiv vergeben, so wie Jesus seinen Feinden am Kreuz vergeben hat:

Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun! Und sie teilten seine Kleider und warfen das Los um sein Gewand.

Luk 23,34

Erst wenn wir den Worten Jesu Glauben schenken, nämlich dass in allen Geschehnissen ein tiefer Sinn und eine Bedeutung verborgen liegt und wir seinem Beispiel folgen, werden wir die Welt (den Gedanken der Schuld und Vergeltung) grundlegend überwinden können. Nehmen wir diese Geisteshaltung Jesu nicht an, so bewirkt auch sein Tod am Kreuz für uns nichts. Das Bild vom Opfertod, wonach Gott durch das Sühneopfer seines Sohnes mit der Menschheit versöhnt wurde, kann daher nicht losgelöst von der Bereitschaft zur eigenen inneren Auseinandersetzung mit der Welt – der Sinnsuche und der Sinnfindung allen Geschehnissen gegenüber – verstanden werden.

Überwindung des Bösen durch Vertrauen in den Sinn (Gott)

In seiner Hingabe am Kreuz verdeutlichte Jesus die Notwendigkeit der menschlichen Schwäche: Was wir das Böse nennen, wird – in seinem Geist getragen – aufhören, unser Schaden zu sein – ausnahmslos dient nun alles, auch die Sünde und das Böse. Jesus lehrte und verkörperte durch sein Beispiel den einzig möglichen Weg, durch den objektive Vergebung, also Vergebung durch Gott möglich ist. Denn das, was Jesus Glaube nannte, ist jenes tiefe Vertrauen, dass demjenigen alle Dinge zum Besten dienen, welcher Gott bedingungslos vertraut. Wer dem Leben (Gott) misstraut, bleibt sterblich, denn der Tod ist nichts anderes als unser Misstrauen gegenüber dem Leben, das immer Förderung erfährt, selbst wenn es augenscheinlich scheitert und unterliegt. Also hat Jesus in seiner Geisteshaltung verdeutlicht, dass wir – so wie er – durch vertrauensvolle Preisgabe unserer menschlichen Existenz, neues, unvergängliches Leben annehmen werden.

Missverständnis und Bedeutung des Opfertodes Jesu

Damit uns diese Botschaft erreicht, dafür hat Jesus sein Leben am Kreuz hingegeben. Jede andere, von dieser Botschaft losgelöste Kreuzestheologie, geht am Geist und damit am Inhalt der Botschaft Jesu vorbei. Insbesondere betrifft dies verkürzte Lesarten wie: „Gott hätte nach einem Opfer für den einstigen Sündenfall verlangt.“ – Gott hätte die Menschen strafen wollen.“ und „Jesus habe durch Erduldung seiner grausamen Hinrichtung am Kreuz – Gott eine Genugtuung bereitet.“ Sündenvergebung meint jedoch, dass Sinn- und Geistloses unverhofft Sinn erfährt. Wer die tiefe Bedeutung dieser Lehre nicht versteht, dem wird das als zu wenig erscheinen, denn er meint, das Kreuzesopfer Jesu müsse die Vergebung von Schuld ganz unabhängig von uns leisten. Sündenvergebung durch die Hingabe Jesu besagt aber eben genau das, nämlich dass Sinn- und Geistloses (Sünde) unverhofft Sinn erfährt, sobald wir es wie er – im Vertrauen auf seinen Sinn – auf uns nehmen und tragen.

Es ist auch nicht so, dass Gott einer Laune folgt, dass er durch irgendein menschliches Tun oder Handeln um- oder milde gestimmt werden könnte. Gott ist die Gnade selbst, und dort wo er Gnade findet, da findet er sich selbst. Findet nun Gott sich selbst in uns, so macht er uns sich gleich. Das heißt er erkennt sich in uns und uns in sich. Das ist das Prinzip der Gnade, gegen welches Gott nicht handeln kann. Das heißt, Gott kann nicht anders, als demjenigen Gnade erweisen, der die Gnade schätzt, sucht, lebt und übt. Gott kann nicht gegen sich selbst handeln. Dort wo wir gnädig und barmherzig handeln, dort handelt Gott selbst durch, mit und in uns.

Sündenvergebung bedeutet, dass Jesus das Unrecht, das man ihm antat, aus der Hand Gottes entgegennahm. Indem er dieses Geschehen als einen Dienst an uns und als Anlass zu einer neuen Schöpfung auffasste, hat er das Böse durch das Gute (Geist und Sinn) überwunden.

Dieser Beitrag ist auch erschienen auf: ZEITENGEIST -Magazin für Kultur, Gesellschaft und Bewusstsein