Soweit ihr euch an meinen Worten orientiert, seid ihr wirklich meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Johannes 8, 31-32
Was verstand Jesus unter Freiheit?
Was Jesus unter dem Begriff Freiheit verstand, ist eigentlich nicht schwer zu verstehen. Und obwohl das Freiheitsverständnis Jesu so unmissverständlich und klar aus seiner Lehre, seiner Handlungsweise und aus seiner Passion hervorgeht, wird der christliche Freiheitsbegriff heute ganz unterschiedlich und sogar oftmals widersprüchlich vermittelt. So meinen manche Glaubensgemeinschaften, über die Lebensweise ihrer Mitglieder streng wachen oder bestimmen zu müssen. Auch ein politischer Freiheitsbegriff, wonach die christliche Freiheit militärisch, also notfalls auch mit Gewalt verteidigt werden dürfe, ist in kirchlichen Kreisen weitverbreitet. Welchen Freiheitsbegriff Jesus hatte und was er unter der Freiheit des Willens verstand, ist Gegenstand des folgenden Beitrags.
Gott – der Inbegriff von Freiheit
Der Lehre Jesu nach ist Gott, als unser Vater und Ursprung, der Inbegriff von Freiheit, und dies in einem übergeordneten und zeitlosen Sinn. Das bedeutet, dass der Freiheitsbegriff Jesu über das Vordergründige und Zeitgebundene hinausgeht.
Der Lehre Jesu nach soll uns dieses Leben dazu dienen, diese Art von Freiheit zu ersehnen, zu erkennen, um sie eben dadurch zu gewinnen. Der Freiheitsbegriff Jesu beruht auf der Erkenntnis, dass Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt. Das heißt, alles, worin wir Gottes unmittelbares Wirken erkennen, wird in diesem Sinne frei sein. Warum ist das so? Weil jedes Werk und jede Erscheinung Rückschlüsse auf dessen Ursache zulässt. Hieraus folgt, dass Dinge, die Gott nicht unmittelbar wirkt, auch nicht frei sein können.
Der vermeintliche Widerspruch – Freiheit in Unfreiheit
Die These, dass Gott einerseits alle Dinge wirkt, andererseits aber Dinge existieren, die Gott nicht wirkt, scheint zunächst widersprüchlich. Denn wie kann es sein, dass Dinge existieren, die nicht frei sind, wenn Gott doch die Freiheit selbst ist und er zugleich Ursache aller Dinge ist? Um diesen Widerspruch aufzulösen, muss auch unserer Unfreiheit eine grundlegende Bedeutung zukommen und der Lehre Jesu nach tut sie das auch. Meister Eckhart hat auf diesen Gedanken wie folgt hingewiesen:
„Der gute Mensch soll seinen Willen so dem göttlichen Willen angleichen, dass er selber alles will, was Gott will: Weil nun Gott in gewisser Weise will, dass ich gesündigt habe, so wollte ich nicht, dass ich keine Sünden begangen hätte, und das ist wahre Buße.“ Meister Eckhart 1260-1327
Unsere Unfreiheit – Was ist das?
Was wir als Behinderung und Einschränkung empfinden, das betrachten wir als unsere Unfreiheit. Dabei hängen die Begriffe Freiheit und Unfreiheit ausschließlich an unserer persönlichen Empfindung und Bewertung. Dies betrifft jegliche Form von Abhängigkeit, Ohnmacht und Befangenheit, der wir uns in dieser Welt ausgeliefert sehen oder fühlen. Ob Krankheit, Schwäche, Fehlbarkeit, Irrtum, Täuschung, Ungerechtigkeit, schicksalhafte Ereignisse oder der Tod. So unterschiedlich uns die Ursachen unserer Hindernisse auch erscheinen mögen, die Wirkung ist doch immer dieselbe: Entweder wir empfinden uns eingeschränkt und begrenzt und sind darüber unglücklich oder aber wir halten unsere äußerlichen Abhängigkeiten irrtümlicherweise für Freiheit, wodurch wir ebenfalls unfrei sind, da wir damit einer Täuschung erliegen. Dabei ist es unerheblich, durch wen oder was unsere Unfreiheit ausgelöst wird – ob wir sie selbst verschuldet haben oder nicht. Konkret wird unsere Unfreiheit in dem Moment, wo wir sie als solche empfinden und darunter leiden. Ebendieses Leiden ist Grundlage und Voraussetzung dafür, dass wir an der universellen Freiheit, die Jesus lehrte, überhaupt teilhaben können.
Die Ursache unserer Unfreiheit
Was die Ursache für unsere Unfreiheit betrifft, werden der Lehre Jesu nach zwei scheinbar widersprüchliche Antworten gegeben:
1. Das Böse ist die Ursache für unsere Unfreiheit.
2. Das Gute, nämlich Gott selbst, ist die Ursache unserer Unfreiheit.
Je nachdem, wie wir unsere Unfreiheit persönlich verstehen und bewerten, wird eine dieser beiden Antworten zutreffen. Doch solange wir glauben, dass die Ursache der Dinge, die uns einschränken oder behindern, böse ist, kann Gott nicht dessen Urheber sein. Warum ist das so? Weil unser Glaube dies verhindert. Erkennen wir aber in dem, was uns einschränkt und behindert, den Willen Gottes, so wird Gott dadurch zum Urheber dessen, was uns bisher eingeschränkt und behindert hat.
Auf ebendiesem Glauben beruht unsere Freiheit in Christus. Denn alles, was seine Ursache in Gott findet, kann weder eingeschränkt noch behindert werden. Warum ist das so? Weil Gott die Freiheit selbst ist, in welchem alle Behinderung und Einschränkung aufhören. Auf dieser Ursächlichkeit beruht der Sinn und die Bedeutung der Passion Jesu, die als äußerste Form der Einschränkung und Behinderung in seiner Auferstehung ihre grundlegende Wandlung und Freiheit erfährt.
Das Böse als Ursache unserer Unfreiheit
Dass die Ursache für unsere Unfreiheit das Böse, der Satan oder der Teufel ist, ist in der Hinsicht zu verstehen, dass wir oft dem Schein der Dinge zu erliegen drohen, nämlich der Versuchung. Das Böse, der Satan oder der Teufel sind insofern Sinnbilder der Täuschung und der Illusion, die wir irrtümlicherweise für unsere Wirklichkeit halten und daraus irrtümliche Schlüsse ziehen. Dort, wo uns Unrecht, Beschwerliches oder Leidvolles trifft und wir dies dem Bösen zuordnen, ist es folglich auch das Böse, das uns betrifft. Dies bezieht sich insbesondere auf solche Situationen, in welchen die Täuschung so stark auf uns einwirkt, dass wir geneigt sind, ihr zu erliegen. Böse ist insofern auch das, was wir irrtümlich und wider besseres Wissen für gut halten. Meist, weil es uns gut erscheint, da es uns äußere Vorteile bringt, wobei wir jedoch unsere geistigen Ideale hintergehen und verraten, wie aus der folgenden Reaktion Jesu zu erfahren ist:
„Von der Zeit an fing Jesus an, gegenüber seinen Jüngern davon zu sprechen, dass er nach Jerusalem gehen müsse und dort viel Leid ertragen müsse von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten und dass er getötet werden müsse und am dritten Tage auferstehen. Und Petrus nahm ihn zu sich, und redete ihm ins Gewissen und sprach: Herr, schone dich selbst; lass nicht zu, dass das geschieht! Aber er wandte sich um und sprach zu Petrus: Hebe dich von mir, Satan! Du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“
Matthäus 16, 21-23
In diesem Dialog zwischen Jesus und dem Jünger Petrus wird das scheinbar zweiseitige Freiheitsverständnis Jesu deutlich. Sagt Jesus hier ja nichts anderes, als dass sein Freiheitsbegriff, nicht mit dem menschlichen Verständnis von Freiheit identisch ist, sondern sogar das genaue Gegenteil bedeuten kann.
Gott, das Gute als Ursache unserer Unfreiheit
Ob also etwas frei ist oder unfrei, ob es gut ist oder böse, hängt von unserer persönlichen Bewertung und Einwilligung ab: So wie das Böse ohne unsere Bewertung und Einwilligung nicht böse sein kann, kann auch das Gute ohne unsere Bewertung und Einwilligung nicht gut sein. Wenn nun Gutes wie Böses, Freiheit wie Unfreiheit von unserer Bewertung und Einwilligung abhängen, so wird damit deutlich, dass wir selbst es sind, die wir durch unsere Bewertung und Einwilligung ein Geschehen für gut oder schlecht erklären. Insofern liegt in unserer persönlichen Ablehnung wie in unserer Einwilligung in ein Geschehen die Ursache des Guten wie auch des Bösen begründet. Was wir für gut halten, davon glauben wir, dass es uns hebt und fördert. Was wir für böse halten, davon glauben wir, dass es uns schadet oder behindert. Ebenso verhält es sich mit unseren Vorstellungen von Freiheit und Unfreiheit.
Die Wandlung – aus Unfreiheit zur Freiheit
Wenn wir verstehen, dass die Ursache aller Geschehnisse in Gott liegt, so folgt daraus, dass alle Dinge gut sein müssen. Warum? Weil das, was wir unabänderliche Wirklichkeit nennen, nichts anderes ist als das, was notwendigerweise geschieht. Und weil das, was notwendigerweise geschieht, das ist, was wir unser Leben d. h. unsere Wirklichkeit nennen. Dass dabei auch solches geschieht, was wir negativ bewerten, weil es uns einschränkt, bedroht oder behindert, zeigt, dass wir nicht fähig sind, alle Geschehnisse mit dem Begriff „Leben“ in Verbindung zu bringen. Doch ebendiese Fähigkeit hatte Jesus und durch ihn sollen auch wir sie erwerben, da das Leben ein ungeteiltes und unteilbares Ganze ist. Jesus Christus vermittelt uns in seiner Lehre und in seiner Passion die Erlösung aus unserem Elend. Aber was heißt das konkret? Die Erlösung beruht darauf, dass wir in allen Geschehnissen die Hand Gottes zu erkennen vermögen. Doch erst in dem Moment, wo wir darauf vertrauen, dass Gott auch in leidvollen und beschwerlichen Situationen an uns wirkt, können uns diese Dinge zum Guten dienen. Warum? Weil alles, worin wir Gott als Ursache erkennen, unserem Leben dienen muss.
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. Römer 8,28
Damit hat Jesus Christus in seiner Lehre und Passion den Begriff der Freiheit vollkommen neu erklärt. Frei sind wir in Christus nun trotz und entgegen aller äußeren Unfreiheit und dies in einem universellen, das heißt in einem zeitlos ewigen Sinn.
Der Freiheitsbegriff Jesu in seiner Passion
Die Lehre, die Jesus uns in seiner Passion vermittelt, ist, dass Gott die Ursache aller Erscheinungen ist, worin er von uns gesucht und gefunden wird.
Und in der Erkenntnis, dass in Gott alle Dinge zu unserem Besten dienen, dienen sie uns zum Guten und damit zu unserer Freiheit. Ohne diese Erkenntnis und Einsicht – ohne unsere Einwilligung in das Unabänderliche, kann es uns nicht dienen. Jesus erkennt den Willen Gottes in der Unabänderlichkeit seiner Passion und willigt vertrauensvoll in diese ein. Daran besteht kein Zweifel, denn er betet vor seiner Verhaftung:
Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! Matthäus 26,39
und
„Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“ Johannes 12,24
Und Kraft dieser Erkenntnis verkündet Jesus das Gute inmitten des Bösen, den Gewinn im Verlust, Freude in höchster Trauer, das Größte im Geringsten, göttlichen Trost in menschlichem Leid:
„Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich.“ Johannes 14,28
„Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.“Johannes 16,7
Unfreiheit und Freiheit des Willens
Auch die Vorstellung, Gott hätte dem Menschen einen freien Willen gegeben, damit dieser sich für oder gegen ihn entscheiden könne, ist in kirchlichen Kreisen weitverbreitet. Der Lehre Jesu nach ist diese Auffassung jedoch nicht haltbar. Bereits der Gedanke, es existiere eine Auswahl zwischen Gott und dessen Gegenteil, ist nicht Freiheit, sondern Versuchung. Warum? Weil Gott ohne Gegenteil ist. Gott ist auch ein anderer Begriff für die Wahrheit. Die Wahrheit aber ist unteilbar, einzig, widerspruchsfrei und ohne Konkurrenz. Damit wird deutlich, dass ein Gegenteil von Wahrheit gar keine Existenzgrundlage hat. Das Gegenteil von Wahrheit ist Unwahrheit, Irrtum, Illusion, Täuschung, Lüge etc. Diese aber sind keine Konkurrenten zur Wahrheit. Vielmehr werden Irrtum, Täuschung und Lüge angesichts der Wahrheit gegenstandslos. Auf dieser Erkenntnis beruht der Gottes- und der Wahrheitsbegriff Jesu. Eine Auswahl zwischen Gott und dessen Gegenteil existiert also in Wahrheit nicht.
Unsere Freiheit beruht auf der Einsicht, dass nur ein Wille existiert, nämlich der göttliche. Und durch Einwilligung in diesen Willen werden wir frei. Auf diese Grundwahrheit wies bereits der Apostel Paulus hin, als er ausführte:
„Denn wir können nichts wider die Wahrheit, sondern für die Wahrheit.“ 2. Korinther 13,8
Freier Wille und Gottes Gnade
Bestünde eine Wahlmöglichkeit, nach welcher wir uns für oder gegen Gott entscheiden könnten, so folgt daraus eine weitere Unvereinbarkeit mit der Lehre Jesu; nämlich die Unmöglichkeit der Gnade Gottes, welche die Grundlage der christlichen Lehre ist. Hinge die Entscheidung „für“ Gott von uns ab, so hinge sie nicht von Gott ab, der doch ausnahmslos alle guten Dinge wirkt. Hängt sie aber nicht von Gott ab, so wäre Gott uns nicht gnädig. Denn wenn wir es sind, die wir uns, unabhängig von Gott, für ihn entscheiden könnten, so wäre diese Entscheidung unser eigener Verdienst. Daher, dass wir das Gute wollen können, wirkt niemand anderer als Gott allein und er wirkt es aus unverdienter Gnade an uns. Warum ist das so? Weil das Leben nicht verdient werden kann und will. Auch das ist eine Grundaussage der Lehre Jesu, auf die bereits der Apostel Paulus hinwies:
Denn er spricht zu Mose 2. Mose 33,19 : »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.« So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Römer 9, 15–16
Und so resümiert Paulus:
So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. Römer 9,18
Dass wir das Gute, das Gott will, erkennen und wollen können, ist Gnade. Daher antwortete Jesus denen, die ihre Missbilligung gegen ihn und seine Lehre äußerten:
„Ärgert euch nicht darüber. Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, dass ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat …“ Johannes 6, 44
Der Wille Gottes – der Wille zur Freiheit
Aus dem bisher Dargelegten geht hervor, dass kein anderer Wille existiert als allein der Wille Gottes, in dem allein unsere Freiheit liegt.
Gottes Wille ist das einzige Mögliche, Wahre und Gültige, das von uns erkannt und gewollt werden kann. Alles andere ist Irrtum, Täuschung und Illusion. Und soweit wir fähig sind, in den Willen Gottes einzuwilligen, stehen wir in seiner Gnade. Stehen wir aber in der Gnade Gottes, so sehen wir keine Wahlmöglichkeit mehr. Nicht also in einer vermeintlichen Wahlmöglichkeit liegt unsere Freiheit, sondern in der Erkenntnis, dass nur eine Wirklichkeit existiert, in welcher unsere Freiheit liegt, wenn wir in diese einwilligen.
Erkennen wir diese Wahlmöglichkeit nicht als Freiheit, sondern als Versuchung, so werden wir fähig, unser eigenes Wollen zu verleugnen. Stehen wir in dieser Erkenntnis, so wollen wir nur noch das, was Gott will. In diesem Sinne sagte Jesus:
„Denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“ Johannes 6,38
„Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.“ Luk 9, 23-24
Was aber der Wille Gottes ist und woran wir diesen zweifelsfrei erkennen, das vermittelte uns Jesus auf erschütternde Weise in seiner Passion.