Vom Missverständnis der inneren Erlösung

Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW-Berlin) stuft die frühchristlichen gnostischen Schriften pauschal als zweifelhaft ein und degradiert Esoterik zu purem Aberglauben. Beides ist nachweislich falsch. Deshalb erweist sich auch die abwertende Einordnung meiner Publikation als „gnostisch-esoterisches Konglomerat“ als in hohem Maße irreführend.

Nag Hammadi

Der folgende Beitrag ist eine Antwort auf die Rezension der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen – kurz: EZW-Berlin. Die EZW hat meine Publikation „Essenzen – Die Botschaft Jesu“ schon vor geraumer Zeit gelesen und fachlich abschließend beurteilt. Die komplette Rezension ist online abrufbar. Eine inhaltliche Beurteilung meines Buches erfolgte durch den Theologen Markus Schmidt. Er lehrt heute als Professor für praktische Theologie und Diakoniewissenschaft an der Fachhochschule Bielefeld.

In meiner Antwort gehe ich konkret auf die einzelnen Kritikpunkte ein. Den Kritikpunkten, auf die ich mich dabei beziehe, ist jeweils das Kürzel EZW-Berlin vorangestellt.


Die EZW stuft „Essenzen“ als christlich-gnostische Esoterik ein

Die EZW ordnet meine Auslegungen gleich zu Beginn unbedenklich der Gnostik und der Esoterik zu. Dabei geht sie fälschlicherweise davon aus, diese beiden Begriffe seien allgemein verständlich und bedürften keiner weiteren Erklärung – als wäre völlig klar, was genau unter „Gnosis“ und was unter „Esoterik“ zu verstehen ist. Diese Einordnung ist jedoch nicht nur sachlich falsch, sondern auch grob irreführend, wie im Verlauf dieser Antwort deutlich werden wird. Zum einen erweckt die EZW den irrigen Eindruck, die frühchristlichen gnostischen Schriften enthielten durchweg Irrlehren. Zum anderen suggeriert sie, Esoterik sei nichts weiter als eine Form von Aberglauben. Doch beides trifft nachweislich nicht zu.


Gnosis und Esoterik – missverstandene Begriffe

Zur Einordnung der Gnosis und der Nag-Hammadi-Texte

Bezüglich der Gnostik übergeht die EZW den Sachverhalt, dass eine Vielzahl von Texten und Aussagen, die gnostischen Ursprungs sind, mit den kanonischen Evangelientexten nicht nur vom Wortlaut her, sondern auch inhaltlich vollkommen übereinstimmen. Was die inhaltlichen Parallelen betrifft, liefern uns insbesondere die Schriften von Nag Hammadi eine wertvolle Facette der Theologie des Urchristentums, zu welchem die Gnosis zweifelsfrei zählte. Explizit auf solche Parallelen beziehe ich mich, indem ich in meinen Ausführungen dann auf die entsprechenden inhaltlichen Übereinstimmungen mit den kanonischen Evangelien verweise.

Klärung des Esoterik-Begriffs + Bibelstellen zu den Geheimnissen des Gottesreiches

Bei der Verwendung des Begriffs „Esoterik“ greift die EZW auf die heute weitverbreitete, jedoch unpräzise und abwertende Definition zurück. Dies zeigt sich deutlich, wenn sie meine Ausführungen letztlich herablassend als „interessantes esoterisches Konglomerat“ bezeichnet.

Tatsächlich erhielt der Begriff „Esoterik“ seine negative Konnotation erst durch die New-Age-Bewegung. Ursprünglich und etymologisch bedeutet er schlicht „zum inneren Kreis gehörend“ und wurde noch im 19. und 20. Jahrhundert in genau diesem neutralen Sinne verwendet.

Esoterische Lehren sind demnach solche, deren Inhalte bewusst nur einem bestimmten, vorbereiteten Personenkreis zugänglich gemacht werden, während sie Außenstehenden verborgen bleiben. In genau diesem Sinn lässt sich auch die Botschaft Jesu als esoterisch verstehen – wie die Evangelien übereinstimmend belegen:

Und die Jünger traten zu ihm und sprachen: Warum redest du zu ihnen durch Gleichnisse? Er antwortete und sprach: Euch ist es gegeben, dass ihr das Geheimnis des Himmelreichs verstehet; diesen aber ist es nicht gegeben. Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch das genommen, was er hat. Darum rede ich zu ihnen durch Gleichnisse. Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht, und mit hörenden Ohren hören sie nicht; denn sie verstehen es nicht. Matthäus 13, 10–13

Da traten die Jünger an Jesus heran und fragten ihn: »Warum redest du in Gleichnissen zu ihnen?« Er antwortete: »Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu erkennen, jenen aber ist es nicht gegeben. Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.« Mk 4, 10–13

Seine Jünger fragten ihn, was das Gleichnis bedeute. Da sagte er: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen. Zu den anderen aber wird in Gleichnissen geredet; denn sie sollen sehen und doch nicht sehen, hören und doch nicht verstehen. 
Lk 8,9-10

Judas – nicht der Judas Iskariot – fragte ihn: Herr, warum willst du dich nur uns offenbaren und nicht der Welt? Jesus antwortete ihm: Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. Wer mich nicht liebt, hält an meinen Worten nicht fest. Joh 14,22–24


Wissenschaftlichkeit durch Zitate? Eine unhaltbare Unterstellung

Der Vorwurf der EZW, Wissenschaftlichkeit und Plausibilität würden in meinem Werk lediglich behauptet oder durch bloße Zitate vorgetäuscht, bleibt völlig unbegründet und damit nichts als eine unbelegte Behauptung. Ob ausgerechnet die Kritik des Rezensenten selbst jenen wissenschaftlichen Standard erfüllt, den er so selbstgewiss einfordert, möge der Leser nach Abschluss dieser Lektüre selbst beurteilen.


Nag Hammadi: Opfer kirchlicher Polemik oder legitime Parallelen?

Die EZW unterstellt mir, die Nag-Hammadi-Texte allein dadurch zu legitimieren, dass sie Opfer altkirchlicher Polemik geworden seien. Eine solche Argumentation findet sich bei mir jedoch nirgends – sie wird vielmehr in meine Ausführungen hineingelesen. Wo immer ich aus diesen Schriften zitiere, dient dies einzig dem Nachweis inhaltlicher Parallelen und Übereinstimmungen mit den kanonischen Evangelien.

Die EZW scheint der Überzeugung zu sein, jede inhaltliche Auseinandersetzung mit neutestamentlichen Schriften müsse zwingend einer historisch-kritischen Einordnung untergeordnet werden; ohne diese sei sie illegitim. Diese Hierarchie lehne ich entschieden ab. Bei wesentlichen geistigen Aussagen zählt allein ihre innere Wahrheit und zeitlose Relevanz – nicht das Jahrhundert, in dem sie zu Papier gebracht wurden.


Jesus als Vertreter des Vaters – kein Widerspruch

Kritik an der vermeintlichen Entpersonalisierung Jesu

Die EZW sieht offenbar einen Widerspruch darin, dass ich die gesamte biblische Terminologie übernehme und zugleich sage, es gehe mir „nicht primär um die Person Jesu“, sondern um das geistige Prinzip, das er vertritt. Genau das sagt aber Jesus selbst – und zwar wiederholt und unmissverständlich:

„Ich bin nicht gekommen, meinen eigenen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“ Joh 6,38

„Ich bin in dem Namen meines Vaters gekommen.“ Joh 5,43

„Wer aus sich selbst redet, sucht seine eigene Ehre; wer aber die Ehre dessen sucht, der ihn gesandt hat, der ist wahrhaftig.“ Joh 7,18

„Wer solch ein Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat. “ Markus 9 

Jesus beschreibt sich also selbst primär als der Gesandte, als der Offenbarer, als der, in dem der Vater spricht und wirkt – nicht als jemand, der aus eigener menschlicher Autorität heraus handelt oder verehrt werden will. Wenn ich diese Selbstaussagen Jesu ernst nehme und folglich das „geistige Prinzip“ (den Willen, die Wahrheit und das Wesen des Vaters) in den Vordergrund stelle, das Jesus verkörpert und offenbart, dann entferne ich mich nicht von Jesus – ich folge seiner eigenen Weisung. Der vermeintliche Gegensatz existiert nur in der Brille der EZW, nicht im Text der Evangelien.


Warum eine christuszentrierte Theologie des Kreuzes plötzlich „gnostisch“ sein soll

Die EZW behauptet einfach, eine Christologie, die sich auf Opfer, Kreuz, Leid und Tod konzentriert, könne nur „esoterisch-gnostisch“ sein. Eine Begründung, warum gerade die zentralsten Themen des Neuen Testaments plötzlich ein Indiz für Gnosis und Esoterik sein sollen, liefert sie nicht – keine Zeile.


Leiblichkeit, Kreuz und Abendmahl: alles andere als bedeutungslos

Die EZW unterstellt mir eine „Bedeutungslosigkeit des Leiblichen“ und ein rein symbolisches Abendmahlsverständnis. Das ist schlicht falsch – und das Gegenteil dessen, was ich schreibe. Genau das leibliche Opfer Jesu steht im Zentrum meiner Exegese. Der menschliche Leib wird nicht verachtet, sondern gerade durch die bewusste, liebende Hingabe Jesu verwandelt und zum Träger höchster Bedeutung erhoben:

„Indem Jesus so der äußeren Gestalt einen ideellen Wert verlieh, erfuhr auch sein körperliches Opfer eine Bedeutung. […] Jeder Versuch, das Flüchtige und Sterbliche auf andere Weise bedeutsam zu machen oder es erhalten zu wollen, ist Illusion.“ Aus ESSENZEN – Die Botschaft Jesu, Seite 85

Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“ Mt 16,25

Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich gebe es hin) für das Leben der Welt.“ Joh 6,52,

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bringt es keine Frucht. Joh 12,24

Ebenso ist das Abendmahl bei mir alles andere als „rein symbolisch“: Das gebrochene Brot ist genauso real wie der wirkliche Leib Jesu, der gebrochen wurde. Brot und Wein verweisen nicht auf eine abstrakte Idee, sondern auf die unumgängliche leibliche Wirklichkeit des Opfers – und auf den Weg, den Jesus uns damit eröffnet hat.


Das Reich Gottes ist inwendig in euch – die eigentliche Kontroverse

Herzstück der Auseinandersetzung um Rechtfertigung und Immanenz

Die EZW unterstellt mir eine monistische Selbsterlösung: Das „extra nos“ der göttlichen Rechtfertigung werde bei mir zu einem „intra me“, das der Mensch selbst aktiv herstelle – im Gegensatz zu Paulus, der von „Christus in mir“ spreche. Diese Gegenüberstellung ist künstlich und hält einer Prüfung der Jesusworte nicht stand. Jesus selbst sagt unmissverständlich:

„Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ – „Das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ Lk 17,21


Er gebraucht dabei das Präsens: Es „ist“ bereits da – nicht etwas, das erst von außen hinzukommen müsste. Überall im Evangelium betont er die Gegenwart des Heils:

„Heute ist diesem Hause Heil widerfahren.“ Lk 19,9

„Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Lk 23,43

„Wenn ihr in meinem Wort bleibt … werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Joh 8,31–32

Das Heil wird also nicht durch eigene Werke erarbeitet, sondern durch Erkenntnis ergriffen – eine Erkenntnis, die der Geist Christi in uns wirkt. Genau deshalb bleibt sie reine Gnade: Wir empfangen sie, statt sie zu produzieren.

„Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Mt 5,8

Wer diese innere Schau Gottes als „Selbsterlösung“ brandmarkt, der streitet nicht mit mir, sondern mit der klaren Botschaft Jesu selbst.


Selbsterlösung oder Gnade durch Erkenntnis?

Die EZW beschreibt hier meine Auslegung zunächst wie folgt:

Der Mensch erkennt: Ich bin unfrei, worin der Schlüssel zu seiner Freiheit liegt. Sünde kann Geist und Sinn nicht erkennen. Sie wird aber zum Ja, wo man zur Bedeutung der Sünde und des Bösen findet. Somit wird das Böse durch Vertrauen in dessen Bedeutung besiegt.

Der Kritikpunkt der EZW lautet diesbezüglich: Dieser Vorstellung nach wird der Mensch in seiner Fähigkeit überschätzt bzw. überhöht und dabei gleichzeitig überfordert.

Die EZW hätte recht, wenn es um eine menschliche Fähigkeit ginge, die ich hier beschreibe. Das ist aber nicht der Fall, denn jegliche Erkenntnis, durch die wir die Welt überwinden, wird uns allein durch Jesus Christus zuteil. In Christus endet die Überforderung des Menschen, da es nicht mehr der Mensch, sondern Gott selbst ist, der alle Dinge zum Guten wirkt. Gott selbst ist es, der das, was dem Menschen unmöglich ist, durch Christus möglich macht.

Jesus selbst sagt es unmissverständlich:
„Bei den Menschen ist’s unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich.“ Mt 19,26

Und Paulus präzisiert:
„Alle, die vom Fleisch bestimmt sind, trachten nach dem, was dem Fleisch entspricht; alle, die vom Geist bestimmt sind, trachten nach dem, was dem Geist entspricht.“ Röm 8,5

Die Wandlung des Bösen geschieht also nicht durch menschliche Bedeutungszumessung, sondern durch göttliche – sie geschieht, indem unsere Bewertung der Wirklichkeit vom Geist Gottes bestimmt wird.

Der Vorwurf der Apotheose und Überforderung des Menschen trifft deshalb ins Leere – er verkennt, dass ich genau das Gegenteil beschreibe: die völlige Entlastung des Menschen durch die allein wirksame Gnade Gottes in Christus.


Immanente Kontingenzbewältigung oder das Wirken des Geistes von innen?

Die EZW verwendet wieder das abwertende Etikett „rein esoterisch-anthropologische, immanente Kontingenzbewältigung“ und suggeriert damit: Bei mir bewältige der Mensch sein Leben ausschließlich mit inneren, systemeigenen Mitteln – ohne echten transzendenten Gott. Das ist grundfalsch.

  1. Das Wirken des Geistes Gottes ist von Anfang an innerlich. Transzendenz bedeutet bei Jesus und Paulus gerade nicht „von draußen hereinkommen“, sondern „von innen her aufbrechen“. Martin Luther formuliert es klassisch:

Nach der Seele wird er [der Christenmensch] ein geistlicher, neuer, innerlicher Mensch genannt […] So ist es offensichtlich, dass ihn kein äußerliches Ding frei, noch gut machen kann […] seine Güte und Freiheit […] sind weder leiblich noch äußerlich.“ Auszug aus Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520

Wer also innere Umkehr und geistige Einsicht als „rein immanent“ diffamiert, streitet mit Luther – und mit der gesamten reformatorischen Theologie.

  1. Dass derjenige, der das Licht nicht ergreift, in der Finsternis bleibt, ist keine Erfindung von mir, sondern Kern der Botschaft Jesu selbst:
  • „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.“ Joh 1,5
  • Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen endet mit der geschlossenen Tür und dem Satz: „Ich kenne euch nicht.“ Mt 25,12
  • Da befahl der König seinen Knechten: „Fesselt ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus in die tiefste Finsternis …“ Mt 22, 13
  • Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Joh 8,12

Wer diese Konsequenz heute als unchristlich empfindet, muss sich mit Jesus und nicht mit mir auseinandersetzen.

  1. In Christus fällt jeder Gegensatz zwischen „Gottes Handeln“ und „menschlichem Erkennen“ weg. Jesus betet:

„Vater […] nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ Lk 22,42

Was der Rezensent als „Selbstheilung“ denunziert, ist genau diese christuszentrierte Einheit: Gott selbst bewirkt in uns die Einsicht, die uns heil macht. Diese Einsicht ist nicht unser Werk, sondern Gottes Werk in uns. Dabei sind aufrichtige Selbsteinsicht und innere Umkehr nicht menschliche Leistung – sie sind das Wirken Gottes selbst in uns. In Christus gibt es keinen Unterschied mehr zwischen „Gottes Handeln“ und „unserem Erkennen“, zwischen „mein Wille“ und „dein Wille“. Hier ist alles eins – und genau darin besteht das Heil.

Selbst wenn man von einem „extra nos“ sprechen will – in Christus ist dieses „Außen“ das Allerinnerste: unser wahres, von Ewigkeit her in Gott begründetes Sein. Kurzum: Der Rezensent konstruiert einen Dualismus, den Jesus und Paulus längst aufgelöst haben. Er kritisiert nicht mein Buch, sondern die konsequente Botschaft des Neuen Testaments selbst.


Undogmatisch und lebensrelevant – ist das ein Vorwurf?

Die EZW setzt „undogmatisch und lebensrelevant“ in Klammern, als wäre das ein besonders hinterhältiges Manko oder ein heimlicher Beweis für „gnostisch-esoterisch“. Wenn sie darin tatsächlich einen Mangel sähe, hätte sie erklären können, warum ein lebensnaher, praxisorientierter Zugang zur Botschaft Jesu etwas Verwerfliches sein soll – und warum Dogmatik für sie offenbar wichtiger ist als die Frage, ob Menschen durch das Evangelium heute wirklich frei und heil werden können. Das tut sie nicht. Die bloße Andeutung bleibt stehen wie ein erhobener Zeigefinger ohne Begründung.

Kurz gesagt: „Undogmatisch und lebensrelevant“ ist für mich kein Makel, sondern das eigentliche Ziel. Wer das als Vorwurf meint, muss erklären, warum er die Botschaft Jesu lieber dogmatisch und lebensfern halten will.


Wo bleibt die Anfechtung? Genau dort, wo Jesus sie überwunden hat

Der Rezensent fragt am Ende vorwurfsvoll: „Wo bleibt die Kategorie der Anfechtung?“ – als hätte ich sie einfach wegretuschiert. Das Gegenteil ist der Fall. Das gesamte Buch kreist um genau eine Frage: Wie gehen wir mit Anfechtung, Schuld, Feind, Unrecht, Leid und Tod so um, dass sie uns nicht mehr zerbrechen – sondern heil machen? Die Antwort lautet nicht: Wir verleugnen die Anfechtung. Die Antwort lautet: Wir gehen mit ihr so um, wie Jesus es vorgelebt hat – bis hinein in die äußerste Gottverlassenheit am Kreuz. Jesus hat die Anfechtung nicht ausgeklammert. Er hat sie durchlitten, durchtragen und besiegt – und dadurch in ihr Gegenteil verwandelt.

Wer wie Jesus unbeirrt den Willen Gottes sucht, auch wenn alles dagegen spricht, der erfährt genau das, was Paulus formuliert hat:

„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“ Röm 8,28


„Weder Tod noch Leben … noch irgendeine andere Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.“ Röm 8,38–39

Die Anfechtung verschwindet also nicht – sie verliert ihre letzte Macht. Sie wird zum Durchgang, nicht zum Endpunkt, wie es der Hebräerbrief auf den Punkt bringt:

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Hebräer 13,14

Wer das als „Verharmlosung“ liest, hat nicht verstanden, was Kreuz und Auferstehung eigentlich bedeuten.


Das rettende Eingreifen Gottes ab extra? Es ist urinnerlich in Christus

Der Rezensent fragt erneut: „Wo bleibt das rettende Eingreifen Gottes ab extra?“ Die Antwort steht im Zentrum des Buches – und im Zentrum des Evangeliums: Gott greift nicht von einem fernen „Außen“ ein. Er greift ein, indem er selbst in Jesus Christus in die tiefste Ferne geht – in Schuld, Feindschaft, Unrecht, Leid und Tod –, um genau dort die Dualität zu durchbrechen und alles mit sich zu versöhnen.

Dieses „ab extra“ ist deshalb kein externes Hinzukommen, sondern das Allerinnerlichste: der in uns geborene Christus, der Geist, der die Welt von innen her besiegt. „Wer Ohren hat zu hören, der höre.“ Und wer wirklich hört, dem wird genau dieses Heil – das von Gott kommt und doch mitten im Menschen anbricht – in Jesus Christus zuteil. Das rettende „von außen“ ist in Christus das urinnerliche „ich in euch“. Alles andere wäre ein zu kleiner Gott.


Synkretismus oder die universelle Wahrheit der Botschaft Jesu?

Die EZW sieht in der Begegnung christlicher, gnostischer und fernöstlicher Elemente sofort „Synkretismus“ oder ein „esoterisches Konglomerat“ – als wäre jede Synthese grundsätzlich verdächtig. Das ist sie nicht. Synthese bedeutet nicht beliebige Vermischung, sondern die Aufhebung von These und Antithese in einer höheren Einheit – das Prinzip der Trinität.

Genau diese Synthese vollbringt Jesus Christus in seiner Passion wodurch er alles Getrennte vereint: Freund und Feind, Himmel und Erde, Gott und Mensch, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Freude und Leid, Leben und Tod, Zeit und Ewigkeit – alles wird durch ihn in Gott geeint, indem es unverhofft Sinn findet.

Der Wahrheitsbegriff Jesu, den ich in meinem Buch darlege, ist daher das genaue Gegenteil eines Konglomerats. Er gleicht einem Hologramm: Selbst im kleinsten, unscheinbarsten Bruchstück – etwa in Weisheiten aus anderen Kulturen – lässt sich das Ganze und Große erkennen. Wer solche Bruchstücke gefunden hat und würdigt, wird gerade dadurch zu Christus hingeführt und gelangt in ihm zur vollkommenen Wahrheit:

Wer es nun hört vom Vater und lernt es, der kommt zu mir. Nicht dass jemand den Vater gesehen hätte, außer dem, der vom Vater ist; der hat den Vater gesehen.“ Joh 6,45

Nichts anderes verdeutlicht der Apostel Paulus indem er feststellt:

Denn wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur aus tun, was das Gesetz fordert, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie beweisen damit, dass des Gesetzes Werk in ihr Herz geschrieben ist; ihr Gewissen bezeugt es ihnen, dazu auch die Gedanken, die einander anklagen oder auch entschuldigen …“ Römer 2, 14-16

Wer wollte also bestreiten, dass gültige Wahrheitserkenntnisse zu allen Zeiten und in allen Kulturen formuliert wurden und werden? Der christliche Wahrheitsbegriff ist in sich stimmig, schlüssig, folgerichtig und widerspruchsfrei. Genau das hat Jesus uns in seiner Passion auf erschütternde Weise vor Augen geführt. Das Herausragende und Einzigartige an seiner Botschaft und seinem Werk besteht darin, dass er das, was wir bisher als das unabänderlich Feindliche, das Böse und das Sündhafte ansahen, vertrauensvoll als etwas Bedeutsames und Notwendiges erkannte, es auf sich nahm und in das Heilsgeschehen einbezog. Nur dadurch konnte das gut werden, was vor und ohne Jesus Christus nicht gut gewesen war.

Die EZW scheint nicht verinnerlicht zu haben, dass Wahrheit keine exklusive Verfügungsmasse des Christentums oder der Kirchen darstellt. So ordnet sich Jesus selbst seinem Verständnis von Wahrheit (Gott) bedingungslos unter, indem er bereitwillig über sich verfügen lässt. Warum handelte er wohl so?

Jesus ist nicht Besitzer, sondern Offenbarung der einen, universellen Wahrheit, und überall dort, wo sie aufleuchtet, wird sie von ihm bezeugt, selbst in Unrecht, Schwäche, Scheitern, Leid und Tod. Wer also zeitlos gültige Wahrheitserkenntnisse – wo immer sie auftauchen – als „synkretistisch“ verwirft, der stellt letztlich die universelle Reichweite der Botschaft Jesu selbst in Abrede. Kurz: Nicht ich betreibe Synkretismus. Christus ist die Synthese.


Warum die Kritik der EZW die Botschaft Jesu verfehlt

Die EZB erklärt am Ende, meine Rede von Sinnfindung sei theologisch illegitim, weil sie nicht strikt genug an der „Personalität Gottes“, der Trinität und dem „extra nos“ der Rechtfertigung durch Inkarnation, Kreuz und Auferstehung orientiert sei. Nur: Genau diese Punkte stehen bei mir im Zentrum – nicht nebenbei, sondern als tragende Säulen:

  • die persönliche Gottesbeziehung,
  • die gnadenhafte, freie Rechtfertigung,
  • Inkarnation, Kreuz und Auferstehung Jesu als das entscheidende Heilsgeschehen,
  • und dass dieses Heil nicht unsere Leistung ist, sondern uns allein durch Jesus Christus geschenkt und ermöglicht wird.

Die EZW formuliert also ein Unterscheidungskriterium und wendet es auf eine Position an, die dieses Kriterium bereits erfüllt. Sie kritisiert nicht mein Buch – sie kritisiert ein Phantom, das sie sich selbst gebaut hat. Damit verfehlt ihre Rezension nicht nur mein Werk, sondern vor allem die Weite und Tiefe der Botschaft Jesu selbst.

Elmar Wieland Vogel
Elmar Vogel

Kommentare

2 Antworten zu „Vom Missverständnis der inneren Erlösung“

  1. Hanns Blunck

    Lieber Elmar, es ist nicht sinnvoll, sich auf Diskussionen auf theologisch- dogmatischer Basis einzulassen. Solche Texte werden von nur sehr wenigen Menschen gelesen und bewirken gar nichts.
    Mit christlichen Grüßen
    Hanns Blunck aka Karl Sand

    1. Lieber Hanns,

      vielen Dank für Deine offenen Worte. Ich sehe das anders: Gerade weil ein offizielles Organ der Evangelischen Kirche hier als „korrigierende Instanz“ auftritt und viele Menschen sich unbesehen an diesem Urteil orientieren, halte ich es für wichtig und geboten, bewusste Verzerrungen klarzustellen.

      Gelesen werden solche Texte ohnehin nur von denen, die sich für das Thema interessieren – aber genau für diese lohnt es sich, präzise und fair zu bleiben.

      Herzlichst Elmar

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