Was ist Sünde?
Was unter dem biblischen Begriff der Sünde und dem sogenannten Sündenfall genau zu verstehen ist, dazu gibt es sehr unterschiedliche und teilweise auch widersprüchliche Meinungen innerhalb der Kirchen und Konfessionen. Aber ohne eine klare Vorstellung vom Begriff der Sünde, des Sündigens und des Sünders, können sich uns Sinn und Bedeutung der Botschaft Jesu nicht erschließen, da die Sünde und der Sünder darin eine ganz zentrale Rolle einnehmen.
Die Geschichte des Sündenfalls
Der älteste biblische Bezug zu dem, was die jüdisch-christlichen Religionen als Sünde bezeichnen, findet sich in der alttestamentlichen Erzählung vom sogenannten „Sündenfall“ in dem Adam und Eva unerlaubterweise vom Baum der Erkenntnis von gut und böse essen. Auch wenn Jesus selbst den Begriff „Sündenfall“ so weder gekannt noch verwendet hat, ist er doch im Laufe der Religionsgeschichte für Juden und Christen gleichermaßen zu einer festen Vorstellung geworden.
Der alttestamentliche Mythos vom Sündenfall schildert die Folgen, die das Essen vom Baum der Erkenntnis für den Menschen hatte. Doch diese Folgen waren nicht ausschließlich negativ. Die Schlange versprach Eva, sie würden wie Gott sein und erkennen, was gut und böse ist, wenn sie die Frucht vom Baum essen würden. Ebendiese verlockende Aussicht ließ Eva die Frucht als schön und genießbar erscheinen.
Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte.
Genesis 3,6
Und dieses Versprechen der Schlange erfüllte sich dann auch tatsächlich, wie Gott am Ende selbst bestätigend feststellte:
Und Gott der JHWH sprach: Siehe, der Mensch ist nun geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.
Genesis 3,22
Doch auch die negative Seite, die Gott zuvor warnend angekündigt hatte, welche die Schlange jedoch in Abrede stellte, erfüllte sich: Der Mensch wurde sterblich.
Von allen Bäumen im Garten kannst du nach Belieben essen; aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, wirst du des Todes sterben.
Genesis 2,17
Die zwei Aspekte des Sündenfalls
Versteht man die Sünde als Ungehorsam gegenüber dem göttlichen Gebot, so ist immer auch diese Zweiseitigkeit zu beachten. Das heißt, die Sünde, der Sünder oder das sündige Verhalten des Menschen ist nicht ausschließlich etwas Schlechtes, sondern es verleiht uns zugleich eine Eigenschaft, die nur Götter besitzen, nämlich die Fähigkeit, Gegensätzliches erkennen zu können:
Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren …
Genesis 3,7
Ich habe wohl gesagt: „Ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten …“
Psalm 82,6
Gut und böse, Tod und Leben, nackt und bekleidet, verborgen und offenbar, hell und dunkel, krank und gesund, jung und alt etc. Durch die Erkenntnisfähigkeit wurde dem Menschen die Welt der Gegensätze bewusst, die er vorher nicht wahrgenommen hatte. Doch ohne die Erkenntnisfähigkeit könnte uns auch die erlösende Botschaft Jesu nicht erreichen. Dass Erkenntnisfähigkeit die Grundlage für die Rettung des Menschen ist, daran lässt Jesus keinen Zweifel:
Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Johannes 17,3
Wehe euch Gesetzesgelehrten! Denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen; ihr selbst seid nicht hineingegangen, und die hineingehen wollten, habt ihr gehindert.
Matthäus 23,13
Wenn nun die Sünde Grund und Ursache dafür ist, dass wir überhaupt erkennen können, so kommt der Sünde damit eine ganz grundlegende und elementare Bedeutung zu. Tatsächlich wird Sünde, wenn wir sie im Sinne Jesu betrachten, zu einer Notwendigkeit, ohne die wir weder Heil noch Erlösung erfahren könnten.
Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Umkehr.
Lukas 5,32
Nicht die Gesunden, Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken.
Matthäus 9,12
Matthäus 21,31
Amen, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr.
Die Folgen der Sünde
Bevor ich diesen Gedanken weiter vertiefe, noch einmal zurück zur eingangs gestellten Frage: Was ist überhaupt unter Sünde zu verstehen? Einmal abgesehen davon, was sie an uns bewirkt hat und bis heute bewirkt, nämlich unsere Sterblichkeit und unsere Erkenntnisfähigkeit.
Der Mythos vom Sündenfall beschreibt diese beiden Phänomene. Zum einen, die von Gott „unabhängige“ Handlung im Sinnbild des unerlaubten Essens vom Baum der Erkenntnis. Und zum anderen die Folge dieser Unabhängigkeit, nämlich das „Getrenntsein“ von Gott, das in Tod und Sterben seinen Ausdruck findet. Setzen wir den Begriff „Gott“ mit „Leben“ gleich, so wird deutlich, dass die Folge der Sünde das Gegenteil Gottes ist, was dann notwendigerweise der „Tod“ sein muss. Folgen wir hier inhaltlich der Lehre Jesu, so ist das Gegenteil Gottes nicht dauerhaft möglich. Sünde und Tod sind zeitliche Phänomene, die wiederum durch Gott, der als zeitlose Größe zu verstehen ist, überwunden werden. Überwunden werden sie, indem Gott jegliche Trennung, alles Gegensätzliche und Widersprüchliche in sich vereint, wodurch es aufgehoben und jeglicher Streit befriedet ist.
Der Lehre Jesu nach, beruht unsere Empfindung der Trennung und des Getrenntseins in dieser Welt auf einem Irrtum – dem Irrtum, dass das, was wir gewöhnlich unter „Leben“ verstehen, begrenzt und vergänglich sei. Desgleichen, dass das, was wir „Leben“ nennen, sich in seiner äußerlichen und zeitlich begrenzten Erscheinung erschöpft. Dem gegenüber stehen die Aussagen Jesu, wie auch die vieler Philosophen, dass das Leben unbedingt „mehr“ sei als das Äußere, Begrenzte und Dingliche:
Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
Matthäus 6,25
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Aristoteles
Euch aber, meinen Freunden, sage ich: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, euch aber sonst nichts tun können.
Lukas 12,4
Insofern ist auch unter dem Begriff Sünde nicht so sehr ein bestimmtes Tun und Handeln an sich zu verstehen.
Dieser Irrtum führt dazu, dass wir dem Leben misstrauen. Ferner, dass wir allen unerwünschten Geschehnissen ablehnend gegenüberstehen, und dies, obwohl sie doch ein unabänderlicher Bestandteil unseres menschlichen Daseins sind und wir diesen Geschehnissen letztlich nicht entgehen können. Dies betrifft alles Beschwerliche und Ungerechte wie auch Krankheit, Sterben, Leid und Tod. Solche Geschehnisse halten wir für nicht lebenswert und nennen sie daher unser Unglück. Und da wir unser Unglück aus unserem Leben ausschließen, werden wir es unter allen Umständen zu verhindern suchen, selbst wenn dies zum Nachteil für unsere Mitmenschen wäre. Das Wesen der Sünde ist also weniger eine böse Tat an sich als vielmehr die irrtümliche Überzeugung, in der wir böses Handeln zu rechtfertigen versuchen.
Die Sünde und der Zorn Gottes
Im Sinnzusammenhang mit dem Begriff der Sünde ist in der Bibel auch vom Zorn Gottes die Rede, der als Folge der Sünde verstanden wird. Das heißt, dass wir sterben, ist die Konsequenz dessen, dass wir Getäuschte sind und aus Täuschung und Irrtum handeln. Der Apostel Paulus bringt diesen Gedanken wie folgt auf den Punkt:
… der Tod ist der Sünde Sold …
Römer 6,23
Mit anderen Worten: Sterben und Tod sind Folgen einer falschen Vorstellung von dem, was wir unter dem Leben verstehen. Diese Konsequenz bezeichnet die Bibel als »Zorn Gottes«. Dabei darf der Begriff Zorn Gottes, nicht im menschlichen Sinne aufgefasst werden. Gott ist eben nicht zornig, wie ein Mensch zornig oder launisch ist. Was unter einem zornigen Gott zu verstehen ist, möchte ich in Stichpunkten kurz ausführen:
Wenn wir den Begriff Gott mit den Eigenschaften und Prinzipien gleichsetzen, durch welche ihn die Bibel beschreibt, so repräsentiert Gott Wahrheit, Liebe, Leben, Geist, Licht, Gerechtigkeit, Ewigkeit, Barmherzigkeit, Erbarmen etc. Folgen wir den Aussagen Jesu, so beruht Gottes Zorn darauf, dass jegliche Abweichung von Gottes Wesenheit, seinen „Zorn“ hervorruft. Gottes Zorn ist demnach nichts anderes als die Konsequenz eines irrtümlichen Denkens oder Handelns, das den zeitlos-ewigen, d. h. den göttlichen Prinzipien widerspricht:
Ist Gott Wahrheit, so kann in ihm keine Unwahrheit sein. Ist Gott Leben, so kann in ihm kein Tod sein. Ist Gott Liebe, so kann in Ihm kein Hass sein. Ist Gott Geist, so kann in ihm keine Geistlosigkeit sein. Ist Gott Licht der Erkenntnis, so können in ihm weder Dunkelheit noch Unwissenheit sein. Ist Gott Gerechtigkeit, so kann in ihm keine Ungerechtigkeit sein. Ist Gott Ewigkeit und Zeitlosigkeit, so kann in ihm weder zeitliche Begrenzung noch irgendeine Beschränkung sein. Ist Gott Barmherzigkeit, so kann in ihm keine Unbarmherzigkeit sein. Ist Gott Gnade, so kann in ihm keine Gnadenlosigkeit sein. Ist Gott Erbarmen, so kann in ihm keine Erbarmungslosigkeit sein. Hieraus folgt:
Gottes Zorn – Die Konsequenz des Widerspruchs gegen Gott
So gilt im Sinne der Botschaft Jesu: Dort, wo wir entgegen dem Wesen Gottes denken oder handeln, sind wir unter dem Zorn Gottes. Nicht etwa, weil Gott uns bestrafen wollte, wie ein Mensch einen Menschen straft, sondern weil es sich bei Gottes Zorn um die Konsequenz eines Widerspruchs gegen ein universelles Prinzip handelt:
Halten wir fest an Täuschung und Lüge, werden wir bloßgestellt, sobald wir mit der Wahrheit konfrontiert werden. Die Aufdeckung des Irrtums und die Peinlichkeit unserer Bloßstellung ist der Zorn Gottes.
Bewerten wir Vergängliches höher als Unvergängliches, so werten wir damit auch die eigene ideelle Existenz ab. Wut und Trauer angesichts der Vergänglichkeit unserer Existenz ist der Zorn Gottes.
Verbreiten wir Lieblosigkeit und Verzweiflung unter unseren Mitmenschen, so ist unsere eigene Verzweiflung angesichts erfahrener Lieblosigkeit Gottes Zorn.
Leben und handeln wir geistlos, das heißt willkürlich, unbegründet und beliebig an unserem Mitmenschen, werden wir ebenda mit Geistlosigkeit konfrontiert, wo wir selbst der Willkür, dem Zufall und der Sinnlosigkeit zum Opfer fallen – eben das ist Gottes Zorn.
Verhindern wir Erkenntnis, indem wir anstelle innerer Einsichten Glaubensrezepte vertreten, werden wir die Erkenntnislehre Jesu nicht fassen können, nach welcher Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt, darin er gesucht wird. Ungläubigkeit gegenüber dem Unglaublichen und Fassungslosigkeit gegenüber dem Unfassbaren ist der Zorn Gottes.
Handeln wir ungerecht unserem Mitmenschen gegenüber, müssen wir angesichts einer Ungerechtigkeit, die uns selbst widerfährt, ungetröstet bleiben. Die Empfindung von Verlorenheit und Trostlosigkeit ist der Zorn Gottes.
Betrachten wir ideelle und zeitlose Werte für wert- und bedeutungslos, werden wir mit dem Verlust äußerer Werte alles uns Wertvolle preisgeben und verlieren. Die Verzweiflung darüber, dass sich das, was wir für wertvoll erachteten als wert- und bedeutungslos erweist, ist der Zorn Gottes.
Betrachten wir das Leben als begrenzt, werden wir selbst ein begrenztes Leben vorfinden. Unser Schmerz über die Grenzen, die uns das Dasein setzt, ist Gottes Zorn.
Handeln wir unbarmherzig, erbarmungslos und gnadenlos gegenüber den Irrtümern, Fehlern und Schwächen unserer Mitmenschen, werden wir selbst zerbrechen an einer unbarmherzigen und gnadenlosen Wirklichkeit. Das ist der Zorn Gottes.
Sünde, Leid und Tod
Wenn ich hier sage, dass jegliches Unglück, das uns in dieser Welt trifft, eine Konsequenz unserer Sünde ist, so wird man dagegenhalten, dass das doch nicht sein könne, da der Mensch ja nicht immer direkter Verursacher seines Unglücks ist. Oft trifft ihn auch nachweislich gar keine Schuld an seinem Unglück. So beispielsweise, bei höherer Gewalt oder wenn schicksalhafte Ereignisse über ihn hereinbrechen. Inwiefern ist denn da die Schuld des Menschen beteiligt, wenn der Mensch Opfer höherer Gewalt oder menschlicher Willkür wird?
Die Antwort, die Jesus Christus auf diese Frage gibt, lautet: Sündiges Denken und Handeln beruht auf einem Irrtum des Menschen über das Wesen Gottes und dieser Irrtum ist die Ursache für unser Elend. Uns von diesem Irrtum zu erlösen, ist Jesus Christus gekommen. Erlöst hat er uns von unserem Irrtum in seiner Botschaft und durch seine Passion am Kreuz. Wie ist das möglich? Ich habe oben gesagt:
Sünde ist die Rechtfertigung des Bösen – allerdings eine Rechtfertigung, die auf einem Irrtum beruht. Nun sage ich:
Und ganz konkret beruht die Rechtfertigung des Sünders darauf, dass Jesus Christus allem menschlichen Elend (Sünde, Schuld, Unrecht, Leid und Tod) am Kreuz einen tiefen Sinn verliehen hat.
Dies gilt Unabhängig davon, ob es sich dabei um ein direktes Verschulden des Menschen oder um höhere Gewalt handelt, da Gott in ausnahmslos allen Geschehnissen wirkt, worin er gesucht und erkannt wird.
Denn indem Jesus seine Passion nach dem Willen Gottes auf sich nahm, trug er Sinn ins Sinnlose, Geist ins Geistlose, Gott ins Gottlose, Recht ins Unrecht, Leben in den Tod. Oder wie es der Apostel Paulus formulierte:
Denn Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit finden würden, die vor Gott gilt.
2. Korinther 5,21
Jesus wusste, dass dem Willen Gottes niemand und nichts widerstehen kann und dass unsere Erlösung nur darauf beruhen kann, in den Willen Gottes einzuwilligen, selbst wenn er Leid und Tod bedeuten sollte. Denn dort, wo wir eins werden mit dem Willen Gottes, werden wir auch eins mit Gott, dem alle Dinge dienen. Sind wir aber mit Gott eins geworden, so dient uns alles ebenso, wie es Gott von jeher dient.
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen …
Römer 8,28
In diesem Einswerden liegt unsere zeitlose Existenz begründet.
Zu Gott werden sie dort, wo ein Mensch bereit ist, auch solche Geschehnisse nach dem Willen Gottes auf sich zu nehmen, die ihn behindern oder schaden. Dieser Mensch ist in Jesus Christus zu uns gekommen. Er hat uns diesen Weg des Einswerdens mit Gott als einzige Möglichkeit gewiesen:
Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.
Johannes 14,6
Und er hat diesen Weg in seiner Passion selbst beschritten, damit nun auch wir ihn gehen können.
Simon Petrus zu Jesus: Herr, wo gehst du hin? Jesus antwortete ihm: Wo ich hingehe, kannst du mir jetzt nicht folgen; aber du wirst mir später folgen.
Johannes 13, 34
Und wo ich hingehe, das wisst ihr, und den Weg wisst ihr auch.
Johannes 14, 4
Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach.
Lukas 9,23
In seiner Passion zeigte Jesus auf, dass Gott alle Dinge nur aus „einem“ Grund wirkt, nämlich, um sich selbst (Leben und Geist) hervorzubringen. Und indem wir seine Botschaft vom Kreuz annehmen und unser Elend so auffassen und auf uns nehmen, wie Jesus es aufgefasst und angenommen hat, haben wir den Irrtum überwunden. Jenen folgenschweren Irrtum, dass Gott in der Sünde (Unrecht, Leid und Tod) nicht gefunden werden und nicht darin wirken könne. Doch Gott kann durch Jesus Christus nun überall dort gefunden werden, wo wir ihn sehnsuchtsvoll suchen. Auch das ist eine grundlegende und zentrale Grundaussage seiner Lehre:
Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.
Lukas 11, 9
Durch den Gekreuzigten finden wir zu der Erkenntnis, dass Gott in ausnahmslos allen Geschehnissen wirkt, sofern wir ihn nur vertrauensvoll darin suchen. Durch diesen Glauben sind wir erlöst und durch dieses Vertrauen in Gott, werden wir auch fähig grundlegend zu vergeben. In der Passion Jesu erkennen wir, dass selbst ungerechte, leidvolle, bedauerliche und böse Geschehnisse nicht mehr zu unserem Schaden sind, sondern dass Gott in ausnahmslos allen Geschehnissen gegenwärtig ist. Hier gilt der Satz des Apostels Paulus:
Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Römer 8, 38–39
Der gute Aspekt der Sünde
Oben habe ich ausgeführt, dass der Grund und die Ursache für unsere Erkenntnisfähigkeit die Sünde ist, ferner, dass ohne die Sünde, uns das Heil Gottes in Jesus Christus gar nicht erreichen könnte.
Die negativen Seiten der Sünde erfahren wir dort, wo unser Denken und Handeln auf Irrtum und Täuschung beruht. Irrtum und Täuschung sind jene falsche Lebensgrundlage, auf der nichts Dauerhaftes „gebaut“ werden kann, aus der uns nichts Gutes „erwächst“, wie Jesus in den Gleichnissen vom Bauen auf Sand (Matthäus 7,24) und vom faulen Baum (Matthäus 7,17) ausdrückt. Somit sind Irrtum und Täuschung auch die wahre Ursache unserer menschlichen Unfreiheit, wie Jesus darlegt:
Soweit ihr euch an meiner Lehre orientiert, seid ihr wirklich meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Da antworteten sie ihm: Wir sind doch Abrahams Nachkommen, und nie jemandes Knecht gewesen; weshalb sagst du also: „Ihr sollt frei werden“? Jesus antwortete ihnen und sprach: Amen, amen ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht.
Johannes 8, 32–34
Der positive Aspekt der Sünde ist, dass Gott (Geist) es vermag, der Sünde Sinn und Bedeutung zu verleihen.
Damit sollen Unrecht, Leid und Tod keineswegs relativiert oder schöngeredet werden. Unser menschliches Elend besteht zweifellos darin, dass uns Unrecht, Leid und Tod widerfahren. Aber das größere Elend, woran wir ungetröstet zerbrechen und sterben müssen, beruht auf dem Irrtum, dass das, was der Mensch in dieser Welt erleidet, letztlich sinnlos sei und vergeblich geschehe – dass der Mensch also gänzlich umsonst leide.
Darum habe ich euch gesagt, dass ihr in euren Sünden sterben werdet; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, so werdet ihr in euren Sünden sterben.
Johannes 8,24
Jesus Christus ist gekommen, damit alles Leiden und Sterben Sinn erfährt, damit es aufhören kann, vergeblich zu geschehen. Genauso wie in der Natur kein Leiden und Sterben ohne Sinn und Bedeutung geschieht. Dieser Sinn ist Gott. Und so, wie Christus in all dem Bösen und Ungerechten, das man ihm angetan hatte, den Willen Gottes erkannte, sind nun auch wir aufgerufen, in allem, was uns an Bösem begegnet und anhaftet, den Willen Gottes zu suchen. Denn der Wille Gottes kann nur dort an uns geschehen und wirken, wo wir ihn als solchen erkennen und in ihn einwilligen. Geschieht der Wille Gottes jedoch gegen unseren Willen, wenn das Leben uns mit Unrecht, Leid und Tod konfrontiert, so sind wir von Gott getrennt und können nicht leben, denn Gott ist ja das Leben schlechthin. Geschieht aber der Wille Gottes an uns und mit uns, so werden wir immer auch getröstet sein, wenn wir Schwäche, Unrecht, Leid und Tod ausgesetzt sind.
Aber ich sage euch die Wahrheit: es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.
Johannes 16,7
Das ist das göttliche Prinzip, dass Gottes Wille ungeteilt ist: Dort, wo er geschieht, da endet auch alle Verneinung, alle Abwehr und aller Widerspruch. In unserer Einwilligung mit dem Willen Gottes werden wir eins mit Gott und Gott wird eins mit uns. Gott löscht den Geist nicht aus.
Die Gerechtigkeit des Sünders
Ein gerechter Sünder ist jener Mensch, der sich seiner menschlichen Schwächen bewusst ist. Der gerechte Sünder weiß, dass es nicht möglich ist, sich der menschlichen Schwächen aus eigener Kraft zu entledigen. Der gerechte Sünder lebt in der Einsicht, dass der Mensch fehlbar, schwach und sterblich ist, und erkennt daher alles Schwache und Sündhafte als notwendigen Teil seiner menschlichen Wirklichkeit an, den es auf sich zu nehmen gilt. Doch warum ist das so? Die Antwort auf diese Frage lautet:
So wie Jesus seine leibliche Schwäche und das Böse, das man ihm antat, bereitwillig auf sich nahm, um das Gute zu wirken, sollen auch wir unsere eigene Schwäche in seinem Sinne auf uns nehmen, um das Gute zu wirken. Eben darin erweist das Schwache seine Stärke, dass es das Kreuz der Sünde auf sich zu nehmen vermag, um das Gute hervorzubringen.
So wird auch das Falsche nur in der Wahrheit erkannt, der Mangel im Gebrechen, die Verneinung in der Bejahung. So leuchtet also das Gute im Bösen, das Wahre im Falschen, das Haben im Gebrechen [ … ] das Licht leuchtet in der Finsternis; denn die Tugend leuchtet und erscheint in Widerwärtigkeiten und Gegensätzen, die Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Nur aus der Anfechtung kommt Vollkommenheit. Wie Sankt Paulus spricht: „die Tugend vollendet sich in der Schwachheit“.
Meister Eckhart
Durch Jesus Christus haben sich alle Dinge grundlegend geändert. Das, was uns vorher daran hinderte zu Gott zu kommen, nämlich die Sünde, das dient uns nun dazu, den Weg zu Gott zu finden.
Lieber Elmar,
immer wieder überraschst Du Deine Leser mit neuen expliziten Beiträgen zu ganz speziellen Themen, über die sonst weniger oder gar nicht in einer solchen Weise geschrieben wird. Es ist deinerseits wieder eine Fleißarbeit, die Anerkennung verdient. Du hast den Mythos „Sündenfall“ (AT) aufgegriffen und mit Deinen Gedanken und Worten versucht, dieses heikle Thema ganz im Sinne Jesu und seiner Botschaft, die heute wie damals für uns verbindlich ist, darzulegen.
Meine ehrliche Meinung dazu: Dieses „Wagnis“ ist Dir wunderbar gelungen!
Viele Male habe ich diese Bibelstellen gehört und gelesen, aber eigentlich nur „oberflächlich“ über das alles nachgedacht, es eben so hingenommen, wie sicherlich andere auch. Du dagegen bringst da ganz ernsthaft und in tiefe Gedanken gefasst eine Aussage herüber, die einen nicht unberührt lässt bzw. lassen kann. Du regst zum unbedingten näheren Betrachten und Nachdenken über all diese Geschehnisse und ihre Folgen an…
Wie alt musste ich werden, um neu zu erkennen, tiefer in diese Thematik einzudringen und mich damit auseinanderzusetzen! Ohne anmaßend sein zu wollen, könnte ich mir vorstellen, dass ich da nicht allein bin…
Danke Elmar, dass Du Dir für diesen sehr ernsten Beitrag so viel Zeit genommen hast und uns Lesern in Deiner ganz eigenen Sprache und Ausdrucksweise Deine fast außergewöhnlichen Gedanken und Schlussfolgerungen zu vermitteln versuchst. Beeindruckend finde ich bei all Deinen Beiträgen immer den Bezug zur Hl. Schrift und den passgenauen Bibelstellen. Das allein ist schon bemerkenswert – wie auch der „rote Faden“, der sich durch den gesamten Text zieht – und Du immer wieder zur Kernaussage zurückkehrst. Das ist eine ganz besondere Gabe, die Dir geschenkt wurde. Weil Du Dir und Deiner Überzeugung von Jesu Botschaft immer treubleibst, egal, ob man mit Dir und Deinen Aussagen konform geht oder Dich leider öfters auch attackiert (z. T. aus offensichtlicher Unwissenheit), nimmt man – nehme ich – gern an, was Du zu sagen hast und zu vermitteln versuchst.
Ich kann mich immer wieder nur bedanken und wünsche Dir auch weiterhin Gottes Geist und Segen.
Herzlichst Ursula
Liebe Ursula,
vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar und Deine positive Kritik und Einschätzung zu diesem Beitrag. Es ist wie Du sagst, mir geht es hier ausschließlich um die Aussagen der Botschaft Jesu und darum, in welchem Licht sie uns die alttestamentlichen Texte und die Epistel erscheinen lassen. Es freut mich, dass Dich der Beitrag inhaltlich ansprechen konnte – solche Rückäußerungen sind große Lichtblicke für mich, da sie mir das Gefühl vermitteln, nicht ganz allein auf weiter Flur zu stehen. Es mag auf manche befremdlich wirken, dass ich ausnahmslos alles an den Worten Jesu messe. Doch das ist Teil meiner innersten Überzeugung, dass sich uns ausschließlich in der Lehre und in der Passion Jesu, Sinn und Bedeutung unseres Menschseins und Hierseins erschließen können. Umso verwunderlicher ist für mich das Schweigen der Theologen im öffentlichen Raum, z. B. auf Twitter. Der berechtigte Aufruf der Kirchen, dass man wieder zu den Kernaussagen der christlichen Lehre zurückzukehren müsse, erscheint mir wie ein reines Lippenbekenntnis. Denn sobald man Interesse an einem Dialog signalisiert, erntet man doch nur Schweigen. Die spirituelle Sprachlosigkeit der Kirchen ist erschreckend, insbesondere dort, wo Kirche sich zunehmend als ein Sprachrohr für weltpolitische Ansichten versteht und damit die spirituelle Seite sträflich vernachlässigt, ja, sie letztlich verleugnet und hintergeht, wie es Jesus warnend sagte:
Niemand kann zwei Herren gleichzeitig dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen die Treue halten und den andern hintergehen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Matthäus 6,24
In diesem Sinne nochmals vielen Dank und Dir von Herzen alles Gute
Elmar
Lieber Elmar,
von Herzen danke ich Dir für Deine mir nahegehende Antwort. Ich kann mit Dir so sehr mitfühlen, weil ich das auch so wie Du sehe. Statt die Chance zu nutzen, dass mal einer dieses Thema oder auch die vorhergehenden Themen ernsthaft aufgreift und zum Nachdenken anregt, herrscht allgemeines Schweigen. Will man nicht, darf man nicht oder kann man sich dazu nicht äußern???
Es ist einfach nicht zu verstehen!
Bitte lass Dich nicht entmutigen; vielleicht bleibt bei manchen „interessierten“ Lesern doch das eine oder andere hängen, sehen aber leider keine Veranlassung, sich Dir gegenüber zu äußern. Du wirst es nie erfahren!
Ich kann Deine Enttäuschung nur zu gut verstehen, aber sie Dir leider nicht nehmen.
Du bist in Gottes gütigen Händen, bleib stark!
Ich schätze Dich sehr und Deine wunderbaren Beiträge, die mir viel geben.
Bleibe behütet und froh!
Herzlich grüßt Dich
Ursula
Meine Gedanken zu dem Thema:
Der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse; oder: Adam und Eva leben noch
Die „Schöpfung“ hatte schon verschiedene Phasen und Zustände durchlaufen, als „Gott, der Herr, den Menschen formte“. Dieser „Mensch“ erhält einen göttlichen Auftrag:
„Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte. Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen, denn sobald du davon isst, wirst du sterben.“ (Genesis II, 15-16).
Das „Gebot“ wird von vielen, die diese Bibelstelle lesen, als unverständliches Verbot wahrgenommen. Häufig kommt es zu der Überlegung: Was veranlasst Gott dazu, den Ur-Menschen in eine Situation zu versetzen (Garten Eden), die neben aller Schönheit auch Beeinträchtigungen hat und ihm sogar den Tod bringen kann?
Wer Gott als Schöpfer für alles verantwortlich macht, verkennt das Prinzip des „eigenen Willens“ und damit die „Eigenverantwortung“ der von ihm geschaffenen Wesen. Besonders der Mensch hat einen seelisch-geistigen Zustand, der diesem Prinzip entspricht.
Der Mensch ist zwar ein von Gott geschaffenes Wesen, aber sein Zustand ist „zur Zeit als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte“ (Genesis 2,4) nicht mehr himmlisch rein und vollkommen (siehe Genesis I, 37: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut“), sondern „nur paradiesisch“. Aus der ursprünglichen „Ebenbildlichkeit“ hat sich ein „Mensch“ gebildet, den es reizt, sein Leben aus sich selbst zu bestimmen. Wenn man dabei den Dialog mit Gott vernachlässigt, und die eigenen Gedanken und Vorstellungen mehr schätzt, erzeugt man begrenzte und unreife Lebenszustände. Nur in der unmittelbaren Verbindung mit dem Geist Gottes kann der Mensch angemessen an der Schöpfung teilnehmen, damit „Früchte vom Baum des Lebens“ entstehen.
Um den Reifeprozess aktiv mitzutragen, bekommt der „Mensch“ deshalb den Auftrag, den „Garten Eden zu bebauen und zu hüten“.
Dagegen sind die „Früchte vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ nicht Erzeugnisse aus dem allwissenden Geist Gottes. Sie sind das Ergebnis von geschaffenen Geistwesen, die meinen aus dem eigenen Selbstbewusstsein zu erkennen, was Gut und Böse ist und sich damit Gott gleichstellen. Diesem Bewusstsein fehlt die absolute Bereitschaft, sich selbst immer wieder in Frage zu stellen, um einer Fehlentwicklung nicht zu folgen, und durch die Aufklärung Gottes den wahren Weg zu gehen. („Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Joh. 14,6)
Es geht um die Entscheidung: Hingabe an den Geist Gottes, oder Hingabe an den Eigensinn.
Die Paradiesgeschichte verdeutlicht, was passiert, wenn der Wille zum „Selbstsein“ als Drang nach Unabhängigkeit vom Göttlichen wächst und sich steigert durch die Verbindung mit der Schlange. Die Schlange ist das Symbol für eine Kraft, die das niedere Selbst des Menschen verführen kann, weil sie eine gemeinsame Ausrichtung und ähnliche Wesenszüge haben. Adam und Eva folgen der Versuchung, „eigene Wege“ zu gehen, und merken durch ihre Egozentrik gar nicht, dass sie sich immer mehr vom Göttlichen – und damit vom wahren Leben – entfernen. Aus der Weitsicht wird die Engstirnigkeit. Aus der Einheit mit Gott und der Ganzheit werden der Eigenwille und die Selbstsucht. Adam und Eva verhalten sich eigenwillig und sondern sich dadurch von Gott ab.
Sie hätten Gott fragen können, warum Er vor den „Früchten des Baums der Erkenntnis“ so eindringlich warnt. Aufgrund ihrer Begeisterung für ihr „Selbst“ sind sie nicht an wirklicher Aufklärung interessiert und nehmen Gott nicht ernst.
Im Unterschied zu Adam und Eva haben heute viele Menschen den Kontakt zu Gott vollkommen verloren. Das Gewissen berührt eher auf menschlicher Ebene als in der lebendigen Beziehung mit Gott und in der Gewissheit Seines Daseins. So betrachtet ist unsere „Absonderung“ weitaus größer als beim „Fall des Menschen aus dem Paradies“. Dass Adam und Eva in diese Situation geraten, hat zwei wesentliche Gründe. Obwohl sie wissen, dass ihr Verhalten falsch war, sind sie nicht einsichtig. Anstatt zu bereuen, geben sie einander und der Schlange die Schuld. Sie tragen nicht die Verantwortung für das, was sie verursacht haben. Das bedingt ihren Fall. Diese „Maßnahme“ schützt letztendlich ihren wahren ebenbildlichen Ursprung und ermöglicht die grundsätzliche Rückkehr zum „höheren Selbst“. Hätte das „niedere Selbst“ als geistiger Zustand – personifiziert durch Adam und Eva – nach den Früchten vom „Baum der Erkenntnis“ auch noch die Früchte vom „Baum des Lebens“ zu sich genommen, bliebe das „niedere Selbst“ in Ewigkeit erhalten, denn der Baum des Lebens ist das Symbol für das absolut Gültige innerhalb der Schöpfung, und seine Substanz nährt ewig. Die Früchte stellen essentielle Kräfte dar, die sich wie Fruchtsamen verbreiten und vermehren.
Die Kenntnis von Gut und Böse erhalten wir nur aus der Liebe zur Wahrheit in der Verbindung mit Gott. Wer sich jedoch abgesondert hat und eigenen Vorstellungen nachgeht, die unklar sind und dem Leben widersprechen, kennt nicht mehr Ursache, Wirkung und die Ordnungsprinzipien, die in allem, was existiert, vorhanden sind und Einfluss nehmen.
„Was im Anfang ist, ist jetzt. Das, was im Anfang ausgesandt wurde, besteht jetzt, doch die Menschheit hat den Baum des Lebens noch nicht ergriffen. Der Mensch isst noch von den Früchten des Baumes von Gut und Böse, der seine Wurzeln in ihm selbst hat.
Indem ihr zu Mir kommt, werdet ihr aus eurem Zustand herausgehoben. Ich throne in euch, doch ihr blicktet nach außen und fandet Mich nicht. Blickt nach innen und findet dort Gott! Die reinen Herzens sind, werden ihn erkennen.
Die Welt isst noch immer von den Früchten des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse, und nur wenn die Menschheit den Baum des Lebens ergreift – den Christus im Innern –, wird ihre Erlösung kommen.
Gut und Böse sind die Ergebnisse eures Verstandes, dessen, was ihr über die Dinge denkt. Dies ist der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, der Frucht, von der ihr nicht essen dürft, damit ihr nicht in eurer Unwissenheit sterbt. Wenn ihr den Baum des Lebens ergreift, das innerste Gewahrwerden der Wahrheit, wird dies eure Erlösung sein.
Wenn ihr den Christus erkennt, wird euer Geist nicht länger von Gut und Böse verwirrt, und ihr werdet die sich offenbarende Kraft von Gottes Liebe, Weisheit und Macht.“
(Murdo MacDonald-Bayne: „Göttliche Heilung von Seele und Leib“)
Das Erfassen des „Baum des Lebens“ ist lebenswichtig für die ganze Menschheit. Indem Gott Mensch wurde als Jesus Christus hat Er für uns den Zugang und Zugriff wieder ermöglicht. Inwieweit diese Chance zum Heilwerden genutzt wird, bestimmt jeder selbst. Wer nicht zugreift, wird das wahre Leben nicht erfahren und an ihm teilhaben.
Der Mensch muss umkehren, um sein „altes Ich“ in das „wahre Ich“ zu wandeln. Dies geschieht im Wesentlichen durch Reinigung von allem Niederen und Falschen durch die Hinwendung zum Christus mit Hilfe der Kraft durch des Heiligen Geistes.
Lieber Herr Heider,
vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. Auf die wesentlichen Punkte möchte ich im folgenden kurz antworten:
Sie schreiben vom göttlichen Auftrag, den der Mensch im Paradies hatte. Aber hier ist zu bedenken, dass sich nach dem sogenannten Sündenfall die Dinge grundlegend geändert haben. Wir befinden uns in dieser Welt nicht mehr im paradiesischen Zustand. Und wenn wir der Botschaft Jesu glauben, dann liegt diese Welt in ihren „Wehen“. Durch den Glauben wissen wir, dass die Welt nicht erhalten werden kann, und zwar genauso wenig wie die „Welt“ des Ungeborenen im Mutterleib, eine bleibende und dauerhafte sein kann. Wir müssen von Neuem geboren werden, wie Jesus zu Nikodemus sagt. Das heißt, durch Christus wissen wir, dass der Mensch dieses Leben und damit diese Welt nicht bewahren kann, sondern dass diese Welt verloren gehen wird und muss, um einer gänzlich neuen Welt willen, in die wir durch sein Wort geboren werden.
Bezüglich Ihrer Überlegungen zum Sündenfall. Man muss hier immer bedenken, dass Gott selbst es war, der im Garten Eden den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse hat wachsen lassen. Damit hat er dem Menschen die Möglichkeit gegeben, Gott (das Leben) zu verlieren. Diese Situation wird nur dort schlüssig, wo man sie durch die Passion Jesu betrachtet. Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Aber was heißt das? Zum Bilde Gottes gehört die Fähigkeit, sich verloren geben zu können, ohne sich dabei zu verlieren, ohne dabei das Leben zu verlieren, d. h. ohne zu sterben. Das klingt paradox, aber es ist genau das, was Jesus uns in seiner Passion verdeutlicht. Johannes Tauler schrieb in diesem Sinne: „Zu Betlehem geboren ist uns ein Kindelein, gibt sich für uns verloren, gelobet muss es sein.“ Sind wir in Christus, so ist der Tod überwunden, weil wir uns in dieser Welt verloren geben können, ohne dabei verloren zu gehen. Somit wird in Jesus Christus der einstige Sündenfall zum Glücksfall und das bedeutet, dass Gott in Christus selbst zur Ursache unserer Sünde geworden ist, damit das Böse gut werden kann. So wie die Passion Jesu letztlich gut für uns war. Wie? Indem Jesus verkündet, dass er gekommen ist, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.
Sie schreiben von der Eigenverantwortung des Menschen und vom freien Willen, den er hätte. Diese Auffassung deckt sich nicht mit der Lehre Jesu. In seiner Passion zeigt Jesus auf, dass alle Verantwortung allein auf Gott liegt. Überall dort, wo wir im Bösen und Feindlichen, das uns begegnet oder anhaftet, nach dem Willen Gottes suchen, wird sich Gott als dessen Urheber, uns zu erkennen geben. Denn so wie Jesus in seinen Feinden und in seiner Passion den Willen Gottes erkannte, so sind auch wir aufgefordert, in allem Beschwerlichen und Leidvollen den Willen Gottes zu suchen.
Mit besten Grüßen
Elmar Wieland Vogel