Von dort wird er kommen, zu richten …

Wenn Vergebung der Dreh- und Angelpunkt der Botschaft Jesu ist, wozu dann ein Jüngstes Gericht und inwiefern werden wir dann gerichtet? Eine erste Antwort darauf lautet: Weil alle Entzweiung mit Gott begrenzt ist. Das Begrenzte ist aber nicht das Ewige und Zeitlose. Die Sphäre des Geistes (Gottes) ist die zeitlose und unbegrenzte und außerhalb dieser existiert nichts Bleibendes. Das Begrenzte endet eines Tages, das Ewige und Zeitlose hingegen ist das Immerwährende. Soweit wir begrenzt denken und handeln, werden wir selbst ein Ende finden müssen.

Das Jüngste-Gericht – Was ist das?

English version

Jesus redete vom Jüngsten Gericht, daran besteht kein Zweifel.
Im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt es: Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Doch was darunter zu verstehen ist, wird von vielen eher nach menschlichen Vorstellungen gedeutet und verfehlt damit den Geist der Botschaft Jesu. Um den drohenden und unerbittlichen Charakter des Jüngsten Gerichts zu unterstreichen, bedient man sich vielfach der Schilderungen aus dem Buch der Offenbarung. Dass es sich bei der Bildsprache der Offenbarung um eine mystische Schau von Visionen handelt, deren Sinnbilder einer Interpretation – wie übrigens auch die Gleichnisse Jesu – bedürfen, ist dabei den wenigsten bewusst, weshalb viele sie wortwörtlich nehmen. Was uns Jesus mit seinen Hinweisen auf das Jüngste Gericht verdeutlichen wollte, erschließt sich uns erst aus dem inhaltlichen Zusammenhang seiner Lehre und aus den Umständen seiner Passion. Das bedeutet, alle Inspiration und Interpretation, die uns die Apostel in ihren Schriften hinterlassen haben, können nur auf Grundlage der Worte und der Handlungsweise Jesu eine schlüssige Deutung erfahren. Jede Darstellung, die nicht den inhaltlichen Aussagen der Botschaft Jesu Rechnung trägt, verfehlt den Geist des Evangeliums.


Gott – die unteilbare Einheit

Das Evangelium, oder die gute Nachricht, wie es übersetzt heißt, besagt, dass Gott alle Schuld vergeben „will“. Warum ist das so? Weil Gott die Vergebung selbst ist, und das bedeutet, dass „in“ Gott so etwas wie Schuld und Strafe nicht existieren. Würden in Gott Schuld und Strafe existieren, so wäre Gott geteilt, nämlich in einen guten und einen schlechten – in einen schuldigen und einen unschuldigen Teil. Gott aber ist in und mit sich selbst eins, das heißt Gott ist ungeteilt und ohne Widerspruch. Und was immer zu Gott gelangen will, das muss selbst eins werden und sein. Denn Gott ist ja die Wahrheit selbst und diese ist unteilbar, wie dies auch die biblischen Texte verdeutlichen:

Höre, Israel, der JHWH, unser Gott, ist ein einiger Gott.

5. Mose 6

Und Jesus unterstreicht diese Aussage in einer gegenteiligen Metaphorik:

Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet; und jede Stadt oder jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, wird nicht bestehen.

Matthäus 12,26

Und in eben diesem Sinne verdeutlicht Jesus, dass Gott selbst nicht richtet:

Denn der Vater richtet niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohn übergeben.

Johannes 5,22

Das ist die Konsequenz des oben Gesagten, nämlich, dass Gott nur in Relation zum Sohn überhaupt richten kann. Warum ist das so?

Gott selbst ist nondual, aber im Sohn hat er die Welt der Dualität und Teilung betreten, um sie mit Gott wieder zu vereinen.

Daher müssen wir auf den Sohn „blicken“, um das Wesen des Jüngsten Gerichts zu verstehen. Und in diesem Sinne erklärt Jesus, er tue nur das, was er den Vater tun „sieht“:

Amen, amen, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht; denn was dieser tut, das tut in gleicher Weise auch der Sohn.

Johannes 5, 19

Doch welches Tun des Sohnes sehen wir, woraus wir schließen können, was der Vater tut? Die Antwort ist schlicht: Wir sehen in Jesus Christus jenen Sohn, der dazu auffordert, bedingungslos zu vergeben, um dem Wesen eines einigen Gottes gerecht zu werden:

Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammet nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebet, so wird euch vergeben.

Matthäus 7,1

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Matthäus 6, 12

Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

Matthäus 6, 14-15

Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins seien, auf dass die Welt glaube, du habest mich gesandt. Und ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, dass sie eins seien, gleichwie wir eins sind.

Johannes 17,20-22

Doch Jesus fordert diese Bereitschaft nicht nur von uns, sondern er kommt dieser Forderung selbst konsequent nach, indem er sterbend am Kreuz seinen Feinden vergibt. Das ist es, was der Sohn den Vater „tun“ sieht und daher kann auch der Sohn nur so handeln, nämlich bedingungslos vergeben. Diese Geisteshaltung ist es, durch die wir (wo wir sie annehmen) zu Gott gelangen. Das ist unser Weg zu Gott. Eine andere Möglichkeit existiert nicht, wie Jesus verdeutlicht:

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Johannes 14,6

Denn in der Gewissheit, dass dem, der in diese Einheit vertraut, alles dienen muss, konnte der Sohn allumfassend Vergebung üben und vom Kreuz herab verkünden:

Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun!

Lukas 23,34

Vergebung durch Einsicht in das Wesen Gottes

Jesus Christus ist gekommen, zu verkünden und durch seine Passion zu verdeutlichen, dass in der Sphäre des Geistes (in Gott) kein Grund zur Verurteilung oder Bestrafung existieren kann. Daher sollen wir unser eigenes Leben so auffassen, wie Jesus sein Leben verstanden und aufgefasst hat. Aber wie hat Jesus sein eigenes Leben denn aufgefasst und verstanden? Jesus war es gegeben, in der Sinnlosigkeit und Geistlosigkeit des an ihm verübten Unrechts, seiner Verleumdung, Anklage, Verurteilung, Folter und Hinrichtung den Willen Gottes zu finden, wodurch diese Geschehnisse eine Bedeutung finden mussten.

Solange wir Unrecht, Leid und Tod auf ein böses Schicksal oder auf unsere Feinde zurückführen, werden wir Schaden nehmen.

Schaden nehmen wir insofern, als wir an einer Wirklichkeit, mit der wir entzweit sind, innerlich zerbrechen müssen. Was wir aber nach dem Willen Gottes auf uns nehmen, das muss gut werden, da aus Gott nur Gutes, nur Leben fließt. Jesus Christus ist gekommen, damit sich der Grund und die Ursache unseres Leides ändern.

Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

Matthäus 16,25

Das ist die inhaltliche und geistige Konsequenz, die aus der Passion Jesu folgt.

Jesus sah sich in der Lage, den Willen Gottes in Unrecht, Leid und Tod zu erkennen, wodurch er diese Bereiche des Menschseins überwand, damit sie gut werden konnten, uns zum Vorbild und Trost.

Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst.

Markus 14,36

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Johannes 16,33

Selbst die Haare auf eurem Kopf sind alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht …

Lukas 12,7

Und ihr werdet gehasst sein von jedermann um meines Namens willen. Und doch soll nicht ein Haar von eurem Haupte umkommen.

Lukas 21,17

Wir sehen, das Lebensverständnis, das Jesus in seiner Botschaft verkündete, ist ein allumfassendes und vollkommenes – ein Lebensverständnis, in welchem ausnahmslos allen Dingen eine Bedeutung zukommt, sobald wir unsere Zuversicht auf die Kraft des Geistes setzen, der uns alle Dinge zum Besten dienen lässt, wenn wir ihm nur ganz und gar darin vertrauen.

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen …

Römer 8, 28

Der Jüngste Tag – die geeinte Wirklichkeit

Jüngstes Gericht und Jüngster Tag sind der Sache nach eins, nur aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Der Jüngste Tag ist das Offenbarwerden jener zeitlosen Wirklichkeit, die Jesus in seiner Botschaft verkündete und deren Wesen er uns in seiner Passion verdeutlicht hat. Aber was für eine Wirklichkeit ist das? Es ist die Wirklichkeit des Gerechten, der Gerechtigkeit schafft ohne Anklage, ohne Strafe, ohne Vergeltung, sondern durch Annahme aller Geschehnisse aus der Hand Gottes, wodurch allein sie gut werden können. In dieser Gewissheit empfängt Jesus ausnahmslos alles nach dem Willen Gottes und erfüllt es auf diese Weise mit Geist und Sinn. Dies betrifft insbesondere alle geistlosen und sinnlosen Bereiche unseres Menschseins.

Weil Gott durch nichts eingeschränkt, verletzt, behindert oder beeinträchtigt werden kann, muss ihm alles dienen.

Wer sein Leben auf diese Weise in Gott neu erkennt, dem muss von nun an alles so dienen, wie es Jesus gedient hat. Um uns diese Grundwahrheit aufzuzeigen, ist Jesus Christus gekommen und hat in seiner Passion die Abgründe des Menschseins auf sich genommen. Er ist gekommen, um die ungerechten, die bösen, dunklen und niederträchtigen Geschehnisse, durch den Geist (durch Gott) zu überwinden, wodurch sie nun dienen konnten, so wie er es am Vorabend seiner Gefangennahme seinen Jüngern erklärte:

Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich gesagt habe: „Ich gehe zum Vater“; denn der Vater ist größer als ich.

Johannes 14, 27

Aber weil ich solches geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.

Johannes 16,7

Das Jüngste Gericht – die geteilte Wirklichkeit

Jetzt wird man fragen: Wenn doch Vergebung der Dreh- und Angelpunkt des Evangeliums ist, wozu dann ein Jüngstes Gericht und inwiefern werden wir dann gerichtet? Eine erste Antwort darauf lautet: Weil alle Entzweiung mit Gott begrenzt ist. Das Begrenzte ist aber nicht das Ewige und Zeitlose. Die Sphäre des Geistes (Gottes) ist die zeitlose und unbegrenzte und außerhalb dieser existiert nichts Bleibendes. Das Begrenzte endet eines Tages, das Ewige und Zeitlose hingegen ist das Immerwährende.

Soweit wir begrenzt denken und handeln, werden wir selbst ein Ende finden müssen. Das ist das Gericht, dass eines Tages alle Begrenzung endet – unausweichlich.

Unser menschliches Denken in Kategorien der Strafe und Vergeltung ist ein begrenztes, da es einem geteilten Wirklichkeitsverständnis entspringt. Um das Ewige, das Zeitlose zu gewinnen, muss das Begrenzte und Zeitgebundene gedanklich überwunden werden, denn in der Überwindung des Begrenzten endet auch jegliche Teilung und Entzweiung – endet auch alle Schuld und Anklage. Das Jüngste Gericht ist nichts anderes als ein Offenbarwerden unserer Entzweiung mit Gott, in dem alle Dinge von jeher eins sind. Eines Tages muss alle Entzweiung enden, eben weil sie begrenzt ist. Genauso wie die Macht einer Lüge endet, wenn die Wahrheit ans Licht kommt, so endet auch alles Begrenzte und Zeitliche, wenn es mit der Wirklichkeit des Zeitlosen und Grenzenlosen in Berührung kommt oder eben damit konfrontiert wird. Das Grenzenlose und Zeitlose ist aber nicht ausschließlich etwas Zukünftiges, denn was zeitlos ist, das gilt schon immer, denn es ist ja ohne Anfang und ohne Ende. Das heißt, es gilt sowohl innerhalb der Zeit als auch darüber hinaus. Daher lehrte Jesus: 

Es kommt die Zeit, ja sie ist schon da, dass die Toten die Stimme des Gottessohnes hören. Wer auf sie hört, wird leben.

Johannes 5, 25

Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Denn sehet, das Reich Gottes ist in euerer Mitte.
Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.

Lukas 17, 22

Insofern beruht das Wesen des Jüngsten Gerichts nicht auf einer Laune, einem Gutdünken oder Abwägen eines Urteils durch eine Richterperson, wie es sich manche Menschen gerne vorstellen, sondern es beruht auf der unausweichlichen Folgerichtigkeit des Geistes, der allem gibt, wonach es bittet und ruft: Wer Gnade und Barmherzigkeit wertschätzt, übt und sie erbittet, empfängt Gnade, wer auf Verurteilung und Vergeltung setzt und sucht, empfängt ein Urteil.

Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.  

Matthäus 5,7

Nicht etwa, dass Gott selbst verurteilen würde – nein, in Gott existiert keine Verdammnis. Aber soweit in uns jener Irrtum herrscht, der uns glauben lässt, durch Teilung und das heißt, durch Rache, Vergeltung und Strafe, könne die Welt oder der Mensch gebessert werden, soweit sind wir nicht in Gott. Sind wir aber nicht eins mit jener Kraft, die ausnahmslos alle Dinge wirkt, können uns die beschwerlichen und leidvollen Dinge auch nicht zum Guten dienen, wie es der Apostel Paulus im Römerbrief darlegt:

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen …

Römer 8, 28

Der Jüngste Tag – die Bestimmung des Menschen

Eine weitere Antwort auf die oben gestellte Frage möchte ich wie folgt geben: Die menschliche Sehnsucht und den Wunsch nach unbegrenztem Leben empfinden wir nicht von ungefähr. Denn intuitiv wissen wir um den ideellen und zeitlosen Kern unseres Daseins. Der Beweis ist unsere Trauer über die Endlichkeit des menschlichen Lebens und die Sehnsucht nach „mehr“. Wir alle tragen eine Ahnung in uns, dass das Ganze „mehr“ ist als die Summe seiner Teile, wie Aristoteles sagte. Und indem wir dieser Sehnsucht folgen, gehen wir unserer wahren Bestimmung entgegen. Diese Ursehnsucht nach Leben gilt es nun, im Sinne Jesu zu deuten, denn er ist gekommen, damit wir unser Leben in einem neuen, größeren und zeitlosen Rahmen verstehen und erkennen, wodurch es mit Geist erfüllt wird. Der Jüngste Tag, wie auch das Jüngste Gericht, ist nichts anderes, als die Erfüllung unserer Sehnsucht nach Leben und Geist – allerdings in einem unbegrenzten, ungeteilten und bedingungslosen Sinne. Da jegliche Beschränkung, Teilung und Trennung des Lebens durch Unrecht, Irrtum, Krankheit, Schwäche, Leid und Tod zeitlich bedingt ist, wird sie mit der Zeit enden müssen. Soweit wir unser Leben in einem rein zeitlichen Sinne verstehen, sind wir sterblich und daher müssen wir am Jüngsten Tag enttäuscht werden, wenn alles Begrenzte endet. Die Enttäuschung darüber, dass das, was wir für das Leben hielten, etwas gänzlich anderes ist, werden wir als Gericht empfinden.

Wir können und werden nur sein, was wir von Herzen lieben. Nicht weniger und nicht mehr.

Da in Gott kein Gegenteil und insofern auch kein Unwille existiert, werden wir an jenem Tag nur das empfangen können, was wir hier von ganzem Herzen lieben, wertschätzen und wollen. Soweit unsere Hoffnung, unsere Liebe und Wertschätzung auf etwas gerichtet ist, das eines Tages endet, wird dieser „Gegenstand“ ein Ende finden müssen. Der Jüngste Tag ist der Anbruch eines zeitlosen und unbegrenzten Lebensverständnisses in uns. Ein Leben, zu dem wir, durch seine Botschaft, bereits hier in dieser Welt finden sollen. Denn nur dieses Verständnis wird sich am Jüngsten Tag als ein gültiges und tragfähiges bewahrheiten – dann, wenn alles Zeitgebundene endet. Verstehen wir unser Leben im Geist Jesu, gewinnt unser Leben diesen Zustand der Zeitlosigkeit. Dieser Zustand wird uns einst, wenn das Zeitliche endet, über alles Zeitliche erheben und tragen, so wie die Arche in den Zeiten Noahs.

Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

Johannes 5, 24

Jüngster Tag und Jüngstes Gericht in den Gleichnissen Jesu

In vielen Gleichnissen thematisiert Jesus das Wesen des Jüngsten Gerichts. Dabei beleuchtet jedes Gleichnis auf seine eigene, besondere Weise das Prinzip der Teilung und Trennung, das wir in uns tragen und wie es uns am Jüngsten Tag daran hindern wird, in ein neues, geeintes Leben einzugehen. Denn neues, unvergängliches Leben kann nur empfangen, wer das ungeteilte Prinzip des Lebens in sich trägt und verkörpert. Selbstverständlich transportieren die im Folgenden beschriebenen vier Gleichnisse noch weitaus mehr Inhalte. Hier beleuchte ich jeweils nur die Schlusssequenzen, in denen Jesus die unfreiwillige und schmerzhafte Trennung, Enttäuschung und Entzweiung und die Empfindung des Zurückgesetztwerdens thematisiert. Jedes einzelne Szenario vermittelt ein Gefühl für den Anbruch des Gottesreiches und kann damit auch als eine Beschreibung der „Umstände“ am Jüngsten Tag bzw. am Jüngsten Gericht betrachtet werden.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn
(Lukas 15,11–32)

Göttliches und menschliches Privilegverständnis

Am Schluss des Gleichnisses vom verlorenen Sohn lässt der Vater für den heimgekehrten jüngeren Sohn, der sein väterliches Erbe auf unredliche Weise durchgebracht hat, ein Fest ausrichten. Der ältere Sohn ist fassungslos und entzweit sich mit dem Vater über dessen großmütige Geste. Sein Unwille ist so groß, dass er sich weigert, am Fest teilzunehmen. Das Gleichnis zeigt, wie ein Leben in vermeintlicher Tadellosigkeit und Privilegdenken uns das Ziel verfehlen lässt. Nicht der Vater (Gott) ist es, der den älteren Bruder ausschließt, sondern der ältere Sohn verweigert sich selbst der Einheit mit dem Vater (Gott) und dem Bruder (Sohn).

Das Gleichnis von den zehn Brautjungfern (Matthäus 5, 1-13)

Die Wertschätzung des Unentbehrlichen – zur richtigen und zur falschen Zeit

In diesem Gleichnis geht es um den Erwerb der Grundlage des Lichtes, das hier als ein Sinnbild für ein Leben aus dem Geist steht. Die Metapher hier das Lampenöl, das am Tag d.h. während dieses Lebens (zur rechten Zeit) erworben und gewonnen werden soll. In der Schlusssequenz des Gleichnisses schlafen alle zehn Jungfrauen ein, was als Sinnbild für den Tod steht. Bei ihrem Wiedererwachen, nämlich der Auferstehung, eröffnet sich für die eine Gruppe die Möglichkeit des unmittelbaren Eintritts zum Hochzeitsfest. Die zweite Gruppe ohne Lampenöl findet eine geteilte Wirklichkeit vor. Die Tür zum Fest öffnet sich zwar für alle, aber nicht alle können daran teilnehmen. Dabei liegt die Bedingung zur Teilnahme am Fest nicht in der Einladung begründet, sondern in einer fehlenden Voraussetzung der zweiten Gruppe, nämlich dass jeder sein Licht zur Feier mitbringt. Licht ist hier die Voraussetzung für die Durchführung der nächtlichen Feier. Der Mangel an Lampenöl wird von der zweiten Gruppe schmerzlich empfunden, weshalb sie sich mitten in der Nacht (zur falschen Zeit) aufmacht, um Öl zu erwerben. Doch wird ihnen bei ihrer Rückkehr kein Einlass mehr gewährt, da der Bräutigam die Gesellschaft für vollständig erklärt.

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20, 1-16)

Aufwertung und Abwertung durch unerwartete Wertschätzung

Bei diesem Gleichnis empfinden die ersten gedungenen Arbeiter, die bereits frühmorgens mit der Arbeit begonnen haben, eine Ungleichbehandlung gegenüber jenen Arbeitern, die nach und nach während des Tages gedungen wurden und später hinzukamen. Der Weinbergsbesitzer hält sich an seine Zusage, einen angemessenen Tageslohn zu bezahlen. Aber bei den Arbeitern, die den vollen Tag gearbeitet haben, löst es Verärgerung aus, als bei der Auszahlung auch diejenigen, die viel später hinzugekommen sind, den vollen Tageslohn erhalten. Auch hier liegt die Ursache für den Verdruss der Ersten nicht in einer böswilligen Zurücksetzung durch den Weinbergsbesitzer – im Gegenteil, die Auszahlung ist insgesamt großzügig. Aber die Erwartung der Ersten, es müsse ihnen mehr zustehen, lässt ihre Bezahlung plötzlich minderwertig erscheinen, wodurch sie ihren Lohn selbst entwerten. Auch hier ist es das Privilegdenken der Ersten, wodurch sie sich am Ende zurückgesetzt fühlen.

Das Gleichnis von der Rangordnung der Gäste (Lukas 14, 7-14)

Zurücksetzung durch Hochmut – Ehrung durch Demut

Nach Beobachtung der Gäste und Gastgeber bei einem Hochzeitsfest, zu dem Jesus selbst eingeladen war, zieht er Parallelen zum Wesen des Gottesreiches. In diesem Gleichnis thematisiert er die Situation, in der Gäste sich selbst nahe beim Gastgeber platzieren, ihnen dann aber gesagt werden muss, dass dieser Platz für einen anderen Gast reserviert sei, sodass sie unter den Augen der Öffentlichkeit einen entfernteren Platz an der Tafel einnehmen müssen. Jesus beschreibt hier das Szenario einer Zurücksetzung und Demütigung unter den Augen der Öffentlichkeit. Auch hier ist es die hohe Meinung, die man von sich selbst hat, die an jenem Tag offenbar wird, wodurch man sich dann peinlich zurückgesetzt fühlt. Dabei darf die „Zurücksetzung“ nicht als ein Akt der Bestrafung missdeutet werden. Vielmehr folgt sie aus der Notwendigkeit der Organisation des Gastgebers. Jesus ruft daher zu Demut und aufrichtiger Selbsteinschätzung auf, damit der Jüngste Tag nicht als ein Tag der Zurücksetzung empfunden wird, sondern als ein Tag des Aufrückens, hin zum Zentrum des Festgeschehens – hin zu Gott.

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Einst
Was jenseits allen Sinnes
Als die Zeit noch reichlich
Unzeit-Unort
Welt der Gnade

Titelbild: Aus drei Bildern generiert durch Midjourney, gefügt und bearbeitet mit Adobe-Photoshop.