Die Theodizee-Frage

Warum lässt Gott das Leid in der Welt zu? Dieser Beitrag gibt Antworten auf die sogenannte Theodizee-Frage, und zwar im direkten Bezug zu den Aussagen der Botschaft Jesu. Wer den Ausführungen unvoreingenommen folgt, dem wird sich eine neue Sichtweise auf Beschwerliches, Leidvolles und Ungerechtes eröffnen.

Die Theodizeefrage

Warum Gott das Leid auf der Welt zulässt
English Version

Vielen Menschen fällt es schwer an die Existenz eines guten Gottes zu glauben, da die Welt augenscheinlich alles andere als gut ist. Wenn tatsächlich ein Gott die Welt erschaffen hat, und wenn dieser Gott gut, allwissend oder sogar allmächtig ist, weshalb geschieht dann so viel Böses und Ungerechtes in der Welt? Weshalb greift ein allmächtiger Gott nicht ein und bringt seine Schöpfung in Ordnung? Ist Gott doch nicht allmächtig oder ist er am Ende gar ein Sadist, der die Menschen leiden und sterben sehen will? So oder ähnlich lauten die Argumente, die gegen einen Glauben an Gott, oder zumindest an einen guten Gott sprechen.

Man nennt die Auseinandersetzung mit der Frage, warum Gott das Leid in der Welt zulässt, auch die Theodizee-Frage. Der Begriff Theodizee kommt aus dem Griechischen theodikía von altgriechisch theós = Gott und díkē = Gerechtigkeit. Es geht also um die Frage, inwieweit man Gott, angesichts der Ungerechtigkeit in der Welt überhaupt als gerecht betrachten kann. Oder anders gesagt, es geht um den Versuch, Gottes Handeln zu rechtfertigen.

Der folgende Beitrag gibt Antworten auf die Frage, warum Gott das Leid in der Welt nicht verhindert, und zwar im direkten Bezug zu den Aussagen der Botschaft Jesu. Wer den Ausführungen unvoreingenommen folgt, dem wird sich eine neue Sichtweise auf Beschwerliches, Leidvolles und Ungerechtes eröffnen. Und wer sich diese Sichtweise zu eigen macht, wird sein Leben neu überdenken und anders verstehen können als bisher.

Tatsächlich ist eine befriedigende Antwort auf die Frage, wozu Gott das Leid in der Welt zulässt, ausschließlich auf Basis der Lehre und der Passion Jesu möglich. Keine andere Lehre gibt diese Antwort so schlüssig und überzeugend wie Jesus es tut. Finden wir zum tiefen Sinn der Lehre und der Passion Jesu, so finden wir damit auch zu einer grundlegenden Beantwortung dieser Frage. Die Beantwortung erfolgt dann allerdings nicht mehr nach einem Glaubensgrundsatz oder Dogma, sondern durch eine ganz persönliche Einsicht in die Richtigkeit der Lehre Jesu. Sie erfolgt insofern, als ihre Aussagen für schlüssig, richtig und glaubwürdig erkannt werden.

Eine Botschaft der Erlösung

Tatsächlich ist Jesus von Nazareth der erste und der einzige Lehrer, der das Problem der Theodizee sowohl in seiner Botschaft als auch in seiner Handlungsweise unmittelbar berührt. Als Erlöser kann Jesus insofern gelten, als er dieses Problem nicht nur verbal, sondern auch körperlich berührt und es in seiner Passion auf unerhörte und erschütternde Weise löst. Ob die Heilung Kranker, seine Predigt vom Reich Gottes oder aber die bereitwillige Annahme seiner Passion – alles ist Ausdruck einer Mission, die nur ein Ziel hat; nämlich das Leid der Welt durch den Geist zu überwinden. Dabei ist die Erlösung, die er den Menschen überbringt, nichts Fernes, Jenseitiges oder Zukünftiges, sondern sie geschieht unmittelbar heute, hier und jetzt, wie er sagt:

Jesus sprach: Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen und sollte er’s bei ihnen lange hinauszögern? Ich sage euch, er wird ihnen Recht schaffen, unverzüglich.

Lukas 18, 7-8

Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Amen, amen, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören; und die sie hören werden, die werden leben.

Johannes 5, 24-25

Die Erlösung beruht darauf, dass Jesus in seiner Lehre eine Geisteshaltung vermittelt, durch die wir, wo wir sie annehmen, mit unserem Leben wieder versöhnt werden. Dabei ist die Versöhnung mit unserem Leben die Versöhnung mit Gott selbst. Programmatisch ist hier sein Aufruf:

Ändert euren Sinn, denn das Reich Gottes ist jetzt ganz nah bei euch.

Matthäus 3,2

Das heißt: Denkt um! Seid bereit, die Einstellung eurem Leben gegenüber grundlegend zu ändern. Lasst euch von der Botschaft vom Reich Gottes berühren.

Ein universelles, allumfassendes Gottesbild

Zunächst muss man verstehen, dass Jesus in seiner Lehre ein universelles Gottesbild vermittelt. Nur auf Basis eines Gottesbildes, das alle Geschehnisse umfasst, ist eine befriedigende Beantwortung der Theodizee-Frage überhaupt möglich. Das Gottesbild Jesu ist frei von negativer, menschlicher Launenhaftigkeit, wie man das in den Gott des Alten Testaments hineininterpretieren konnte, der dort auch als ein hassender und eifernder Gott beschrieben wird. Gott erweist sich in der Botschaft Jesu als ein treuer und liebender Vater. In seinem Sohn macht er uns zu Gotteskindern und setzt seine ganze Leidenschaft daran, das verlorene Vertrauen des Menschen wiederzugewinnen. Vertrauen heißt, die Gewissheit zu erlangen, dass Gott ausnahmslos alle Dinge wirkt und uns somit alle Geschehnisse zum Besten dienen:

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind.

Römer 8, 28

Allumfassend ist das Gottesbild Jesu insofern, als es unsere Begegnungen mit Freund und Feind, Freude und Leid, Schwäche und Stärke, Leben und Sterben, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit usw. als gleichbedeutend betrachtet. Das heißt, Jesus verwirft das menschlich Mangelhafte nicht mehr, sondern er verleiht ihm in seiner Botschaft eine essenzielle Bedeutung.
Das ist der neue, der außergewöhnliche und universelle Kern seiner Botschaft, dass auch das Ungeliebte unsere Liebe erfahren muss, wenn wir vollkommen sein wollen, wie er sagt:

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.« Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr nur liebt, die auch euch lieben, welchen Lohn wollt ihr dafür erhalten? Tun nicht dasselbe auch die Steuereintreiber? Und wenn ihr euch nur gegenüber euren Brüdern freundlich verhaltet, was tut ihr Außergewöhnliches? Tun die Steuereintreiber nicht dasselbe? Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Matthäus 5, 43-48

Man beachte den Schlusssatz, in dem Jesus das Wesen Gottes als vollkommen bezeichnet. Vollkommen ist, was „vollständig“ ist, also etwas, das alle Dinge ohne Unterschied umfasst und nichts ausschließt.

Gott ist vollkommen, weil er auch das Gegenteilige, nämlich den Feind, das Böse, das Leidvolle, das Ungerechte in sich einzuschließen vermag, ohne dadurch seine Existenz zu gefährden oder zu verlieren. Gott erfährt in allen Dingen eine Förderung seiner selbst, da außer Gott nichts ist.

Nur ein allumfassender und universeller Gott vermag alle Dinge zu lieben, da er durch niemanden und durch nichts behindert, verletzt oder zerstört werden kann, sondern in allen Dingen Förderung erfährt.

Christus überwindet die Dualität

Wenn wir es realistisch bedenken, dann müssen wir zugeben, dass unsere menschliche Existenz auf dieser Welt ohne das Gegenteilige gar nicht möglich wäre: Ohne Tod kein Leben, ohne Schlaf kein Wachsein, ohne Dunkelheit kein Licht usw. Die ganze Wahrheit ist unteilbar: Gäbe es nur Licht, würden wir das Licht nicht als solches empfinden. Auf unser menschliches Leben bezogen heißt das: Unser eigenes Leben kann im Sinne Jesu nur vollkommen werden, wenn wir ausnahmslos alle Dinge in unser Leben einschließen: Krankheit, Schwäche, Feindschaft, Ungerechtigkeit, Scheitern, Sterben, Leid und Tod.

Überwindung des Bösen bedeutet im Sinne Jesu, den Widerspruch der Dualität, den das Leidvolle und Beschwerliche für uns darstellt, gedanklich zu überwinden.

Alle diese negativen Erscheinungen sind wesentliche Bestandteile unserer menschlichen Wirklichkeit und aus diesem Grund sollen wir sie lieben und sehnsuchtsvoll nach ihrer Bedeutung für uns suchen. Diese Suche nach Sinn und Bedeutung des Sinn- und Bedeutungslosen ist die einzige relevante Suche überhaupt, da das Gesuchte (Gott/Geist/Sinn) genauso sehnsüchtig von uns gefunden werden will – weil Geist ebenso nach uns sucht, wie wir nach Geist (Geist/Sinn) suchen.

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Matthäus 7,7

Lieben bedeutet hier nicht, dass wir diese Dinge an sich fördern und gut finden sollen, sondern es bedeutet, dass wir sie vertrauensvoll und bereitwillig auf uns nehmen sollen, wenn wir ihnen begegnen oder ihnen ausgeliefert sind. Denn nur durch unser vertrauensvolles und bereitwilliges Annehmen kann das bisher Gehasste und Ungeliebte Sinn und Bedeutung und somit eine tiefgreifende Wandlung erfahren.

Da sprach er zu ihnen allen: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.

Lukas 9, 23-24

Ein individuelles Gottesbild – Das Objektive im Subjektiven

Auch wenn man sagen kann, dass das christliche Gottesbild ein allumfassendes und universelles ist, so beantwortet Jesus die Theodizee-Frage dennoch rein subjektiv und individuell. Das heißt, er beantwortet die Frage nach dem Leid der Welt nicht in einem politischen oder kollektiven Sinn, denn ihre Beantwortung hängt ab vom individuellen „Glauben“ – sie hängt ab von der persönlichen Einsicht und Einwilligung jedes Einzelnen in seine Botschaft.
Seine ganz persönliche Antwort auf das Leid der Welt hat uns Jesus in seiner Passion gegeben und diese Antwort gibt er jedem Einzelnen, der sie für wahr hält, glaubt und der gewillt ist, sie anzunehmen. Seine Antwort lautet:

Unrecht, Leid und Tod können für uns nur dort einen Bedeutungswandel erfahren, wo wir sie in der Gewissheit, dass allen Geschehnissen ein verborgener Sinn und eine Bedeutung innewohnt, auf uns nehmen und tragen.

Jesus willigte ein in seine Passion, weil er über die geistige Fähigkeit verfügte, auch im Wirken seiner Feinde den Willen Gottes zu erkennen:

Und ging hin ein Stück, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst.

Matthäus 26, 39

Gewissermaßen „macht“ Jesus, durch diese Einwilligung in seine Passion, Gott zur Ursache von Unrecht, Leid und Tod. Gott wiederum, der seinem Prinzip nach vollkommen ist und insofern Ursache aller Dinge sein muss, wird durch die vertrauensvolle Einwilligung des Sohnes unversehens zum Urheber von etwas, das er seinem Wesen nach nicht ist. Denn Gott ist das Sein selbst und er ist die Ursache des Lebens an sich und dieses Prinzip ist ungeteilt, das heißt, es ist ohne Alternative oder Gegenpart.

Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet; und jede Stadt oder jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, wird nicht bestehen.

Matthäus 12, 25

Gott ist das Leben selbst und es existiert in ihm kein Widerspruch, insofern ist es unmöglich, dass in Gott gleichzeitig die Ursache von Unrecht, Leid und Tod liegen können. Daher müssen diese Bereiche einen Bedeutungswandel erfahren, wenn sie auf Gott treffen. Ebendiesen Bedeutungswandel haben sie dadurch erfahren, dass Jesus sie vertrauensvoll aus der Hand Gottes entgegengenommen hat, wodurch er sie mit Gott in Berührung brachte und sie so mit Geist, Sinn und Bedeutung erfüllte.
Hierin liegt die tiefe Bedeutung der Aussage: Jesus hat für uns gelitten und ist für uns gestorben. Jesus wusste, dass jenes Leid, das ein Mensch im Vertrauen auf Gott auf sich nimmt, seine Sinnlosigkeit verlieren muss, ja, dass es nur auf diese Weise zu einem neuen und höheren Sinn finden kann.

Gott, der verborgene Sinn im Sinnlosen

»Gott ist Geist«, so lautet die Definition Jesu. (Joh 4,24) Aber was heißt das? Es besagt, dass nur der Geist es vermag, allen Dingen einen Sinn und eine Bedeutung zu verleihen, insbesondere aber den augenscheinlich Geist- und Sinnlosen. Hinsichtlich der Beantwortung der Theodizee-Frage bedeutet dies, dass das Geistlose, das wir im Vertrauen in den Geist (auf Gott) auf uns nehmen, von Geist und Sinn durchdrungen wird, wodurch es unmittelbar zu Gott wird. Das ist das göttliche Prinzip der Sinnerfüllung.

Umgekehrt gilt: Geschehnisse, die wir aus Misstrauen gegen Gott (gegen das Leben) als unannehmbar ablehnen, müssen sinnlos bleiben, da wir die Macht des Geistes ausschließen, der alles mit Sinn erfüllt, was sich mit Sinn erfüllen lässt. Mächtig sind wir also dort, wo wir uns in der Lage sehen, Gott in ausnahmslos allen Dingen zu erkennen, die uns anhaften oder begegnen. Ohnmächtig hingegen sind wir, wo wir seine Macht und Gegenwart kategorisch ausschließen. Dieses geistige Prinzip hat Jesus seinen Jüngern vor seiner Gefangennahme verdeutlicht:

Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wieder nehme. Niemand nimmt es gegen meinen Willen, sondern ich lasse es freiwillig. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zunehmen. Dieses Gesetz habe ich von meinem Vater empfangen.

Johannes 10, 17-18

Die Passion Jesu – Vakuum des Geistes

Zur Verdeutlichung der Wirkungsweise des Geistes im Kontext der Beantwortung der Theodizee-Frage folgendes Gleichnis:

Unter einem Vakuum versteht man den Unterdruck von Luft/Gas innerhalb eines Raumes/Gefäßes. Ein Vakuum kann immer nur so groß sein, wie es die Stabilität des Gefäßes zulässt, in dem das Vakuum erzeugt wird. Ist der Unterdruck zu groß, nimmt das Gefäß Schaden und es folgt der Druckausgleich als Notwendigkeit. Bezeichnenderweise existieren sowohl in der hebräischen als auch in der griechischen Sprache Entsprechungen der Begriffe Geist und Luft. So der Begriff „ruach“ = Luft, Geist, Wind, Atem, Duft im Hebräischen und der Begriff „pneuma“ = Geist, Hauch, Luft, Atem im Altgriechischen. In ebendiesen beiden Sprachen sind uns die Urtexte der heutigen Bibel überliefert.

Anknüpfend an das Beispiel vom Luftvakuum, kann man den Gedanken der Theodizee sinnbildlich auf das Geistige übertragen und sagen: Jesus hat in seiner Lehre und in seiner Passion ein Vakuum des Geistes (Gottes) erzeugt, das dieser ausfüllte, als das Gefäß zerbrach. Oder anders gesagt, die Abwesenheit von Geist und Sinn in einer sinnlosen Situation „nötigt“ den Geist herbei, sofern man um das Gesetz des geistigen Vakuums weiß, nämlich dass der Druckausgleich spätestens dann erfolgen muss, wenn das Gefäß zerbricht. Der neue atmosphärische Druck ist dann der neue normale – „außerhalb“ des alten Gefäßes in einem „größeren“ Raum. Der „größere“ Raum kann hier als ein Sinnbild für das Transzendente und Neue gelten, das über das Kleine und Alte hinausweist. Aber er ist auch ein Sinnbild für eine neue Normalität, eine neue Schöpfung:

In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, dann hätte ich nicht zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass ihr seid, wo ich bin.

Johannes 14, 2-3

In seiner Passion begibt sich Jesus bewusst in den Zustand eines geistigen Vakuums, nämlich in einen Zustand der Abwesenheit Gottes – einen Zustand der Geistlosigkeit, damit dieser mit Geist erfüllt werden kann.

Denn für denjenigen, der in allen Geschehnissen Gottes Willen und seine Gegenwart erkennt, kann ein Zustand der Abwesenheit Gottes nicht mehr existieren.

Der Tod ist ein Zustand der Abwesenheit Gottes. Doch Gott durchdringt und erfüllt alle Dinge, die sich von ihm erfüllen lassen. Gott ist alles in allem und darum „muss“ Gott solch einen Zustand der Gott – und Geistlosigkeit ausfüllen, und zwar durch und mit sich selbst, andernfalls wäre er nicht Gott. Jesus wusste um diese Gesetzmäßigkeit, daher schließt er mit den Worten:

Dieses Gesetz habe ich empfangen von meinem Vater. 

Joh 10, 17-18

Die Überwindung des äußeren Bösen

Gott steht dem Bösen keineswegs ohnmächtig gegenüber, sondern er sucht in Jesus Christus bewusst die Berührung und die Konfrontation mit dem Bösen, um es zu überwinden und das heißt, um es gut – um es zu Gott zu machen. Nur das, was durch den Geist überwunden ist, das ist wirklich „gut“ geworden. Und all das, was von Gott „berührt“ wird, das wird selbst zu Gott.

Jesus Christus ist die unmittelbare Berührung Gottes mit dem Leid der Welt.

Das Böse hingegen ist das, was sich von Gott nicht berühren lassen will, und insofern muss es für uns geistlos und sinnlos bleiben. Geist- und sinnlos sind die Geschehnisse jedoch nicht an sich, sondern sie sind es hinsichtlich unserer inneren Abwehr und unseres Unwillens. So bewertet Jesus das Böse, das ihm selbst widerfährt, nicht abschließend als böse, sondern er versteht es als etwas, das durch seine vertrauensvolle Haltung einen Sinn erfährt, wodurch es überwunden ist. Denn was durch den Geist überwunden wird, das ist unverhofft zu etwas Gutem geworden. Ebendiese Ursächlichkeit erklärt Jesus angesichts seiner bevorstehenden Passion:

Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand unter euch fragt mich: Wo gehst du hin? Sondern weil ich solches geredet habe, ist euer Herz voller Trauer geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn wenn ich nicht hingehen, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.

Johannes 16, 5-7

Man beachte die grundlegende Aussage Jesu: „Es ist euch gut, dass ich hingehe …“ Aber wie kann in Verrat, Unrecht, Folter, Hinrichtung und Sterben eines Menschen etwas Gutes liegen? Wie konnte Jesus dem grauenvollen Geschehen, das ihm bevorstand, etwas Gutes abgewinnen?  Die Antwort gibt er selbst: „Denn wenn ich nicht hingehen, so kommt der Tröster nicht zu euch …“ Was bedeutet das? Durch die Aufopferung Jesu wird ein neues geistiges Bewusstsein entstehen, das daraufhin allen Menschen zur Verfügung steht, die in menschlichen Notsituationen nach geistigem Trost suchen.

Gewissermaßen wird Gott durch die bereitwillige Passion Jesu zu einer neuen Schöpfung genötigt. Es ist das Vertrauen Jesu in die Allmacht Gottes und es ist die unerschütterliche Liebe, in der Jesus sich hingibt, die Gott seinerseits zu einer neuen Schöpfung „nötigt“. So ist durch die Passion Jesu ein neuer Mensch erschaffen worden. Und dieser neue Mensch ist Christus, der Überwinder. Christus verleiht allen, die sehnsüchtig suchen, diese, seine neue Identität und wer sie annimmt, nimmt die Gestalt des Gottessohnes an – wird selbst zu einem Kind (Sohn) Gottes.

Darum, ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!

2. Korinther 5,17

In Jesus Christus zeigt Gott unmittelbar auf, wie er das Böse überwinden würde, wenn er Mensch wäre. Da Gott nicht Mensch ist, musste er Mensch werden, damit wir Menschen dieses Prinzip der Überwindung des Bösen erfahren können. In Jesus Christus wird Gott Mensch und konfrontiert sich selbst mit dem Bösen, indem er es auf sich nimmt, um es mit Geist und Sinn zu erfüllen:

Es ist euch gut, dass ich hingehe …

Johannes 16, 7

Der verborgene Sinn im bisher Sinnlosen verleiht allem sinnlosen Geschehen Sinn und Bedeutung. Alles Geistlose und Sinnlose, das auf diese Weise durch Gott (Geist) erfüllt wird, muss nun gut werden. Und so wie Jesus um Sinn und Bedeutung seines eigenen Leidens und Sterbens wusste, sollen auch wir auf den Sinn unseres eigenen Leides vertrauen. Denn durch seine bereitwillige Hingabe am Kreuz, sollte deutlich werden, dass dieser Sinn jetzt überall dort einkehren wird, wo wir ihn vertrauensvoll suchen.

Deshalb nahm Jesus Unrecht, Leid und Tod auf sich, damit nun auch wir darauf vertrauen können, dass der Sinn in allen Geschehnissen innewohnen will, wo wir ihn ersehnen und einlassen. In Wahrheit, wohnt der Sinn von jeher in allen Geschehnissen, da ohne Gott (Geist und Sinn) nichts sein kann und der Geist alles durchdringt und mit Leben erfüllt. Jegliche Existenz, alles Leben hängt am Sinn. Doch solange wir dies nicht glauben wollen, haben wir keinen Anteil an einem Leben jenseits der Geistlosigkeit und des Unsinns in der Welt.

Alles,
was zum Leben kommen will, das muss einen allumfassenden, hintergründigen Sinn erfahren.

Alles vormals Niedere, welches Geist und Sinn empfangen hat, das ist auch lebendig geworden. Dies ist das universelle Schöpfungsprinzip, dass Gott aus Nichts etwas erschafft. Das Sinnlose, Geistlose, Niedrige, Schmutzige, Schmachvolle, Verwerfliche und Verdammte – das ist von jeher der „Stoff“ aus dem Gott neues Leben erschafft.

Da machte JHWH der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.

Genesis 2,7

Die Überwindung des inneren Bösen

Wer die Botschaft Jesu verinnerlicht, wird anfangen, die Welt in einem neuen Licht zu betrachten. Das, was wir bisher abschließend als das Böse oder das Schlechte bezeichneten, hört im Sinne Jesu auf böse und schlecht sein.
Denken wir dabei nur einmal an eigene beschwerliche, peinliche oder auch gefährliche Situationen und Erfahrungen, durch die wir grundlegend gereift sind oder durch die wir etwas Wichtiges erkannt oder gelernt haben, etwas, das wir im Nachhinein nicht mehr missen möchten. Unsere menschlichen Bewertungen und Festlegungen in Gut und Böse sind also keineswegs so ultimativ, und eindeutig wahr, wie wir oft meinen. Meist sind sie zeitbedingt und erscheinen uns mit zeitlichem Abstand bereits verändert und manchmal dann sogar gegenteilig. Wie oben erklärt, fordert uns Jesus dazu auf, dem Feindlichen, Bösen und Schlechten gegenüber, eine neue, veränderte Haltung einzunehmen, indem wir es nach Gottes Willen an und auf uns nehmen sollen. Aber dies gilt nicht nur für das Böse, das uns von außen begegnet, sondern insbesondere auch für das Böse, das uns aus unserem Innern droht, also das Böse, das uns selbst anhaftet.
Die Theodizee-Frage, warum Gott das Böse in der Welt zulässt, muss also erweitert werden auf das Innere des Menschen. Denn der Ursprung jenes Bösen, das Menschen einander immer wieder antun, liegt nicht irgendwo außerhalb, sondern er liegt vielmehr in uns selbst. Dieses innere Böse wird auch als die Ursünde des Menschen bezeichnet. Unter dieser Ursünde versteht man alle menschlichen Schwächen, wie Irrtum, Ungerechtigkeit, Hass, Neid, Missgunst, Rachsucht, Niedertracht, Unbarmherzigkeit etc.

Auch unsere eigene menschliche Schwäche und Mangelhaftigkeit soll nun, der Lehre Jesu nach, einen tiefen Sinn und eine Bedeutung finden können.

Doch welcher Sinn könnte in unserer menschlichen Schwäche und in unserer Fehlbarkeit liegen? Die Antwort Jesu ist schlicht:
Der Mensch soll Vergebung und Barmherzigkeit üben, er soll gnädig mit den Fehlern seiner Mitmenschen verfahren, eben weil er selbst der Vergebung, der Barmherzigkeit und der Gnade bedarf:

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Matthäus 5,7

Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch messen.Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, und bemerkst nicht den Balken in deinem eigenen Auge? Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und dabei, ist ein Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

Matthäus 7, 1-5

Wenn unser Antrieb Gnade, Vergebung und Barmherzigkeit zu üben, aus der Einsicht in die eigene Fehlbarkeit rührt, so kommt unserer menschlichen Unvollkommenheit plötzlich ein Sinn und eine tiefe Bedeutung zu.

Damit wir fähig werden, anderen Menschen Schuld zu vergeben, müssen wir selbst einsehen und anerkennen, schuldig zu sein. Das heißt, wir müssen bereit werden, Selbsterkenntnis zu üben. Und hierin liegt der tiefe Sinn unserer menschlichen Fehlbarkeit begründet. Was Sinn gefunden hat, das hat Geist gefunden und was Geist gefunden hat, das hat Gott gefunden. Was Gott gefunden hat, das hat aufgehört, gottlos zu sein. Und was aufgehört hat, gottlos zu sein, das hat aufgehört, unser Schaden und das heißt, es hat aufgehört, Sünde zu sein. Auf dieser Ursächlichkeit beruht die Lehre Jesu von der grundlegenden Vergebung unserer Schuld durch Gott. Unsere Schuld ist insoweit grundlegend vergeben, als wir selbst bereit werden, denen zu vergeben, die sich an uns schuldig machen, eben weil wir um unsere eigene Fehlbarkeit wissen.

Und vergib uns unsere Schuld, wie wir auch denen vergeben, die an uns schuldig werden.

Mat 6, 12

Denn wenn ihr den Menschen ihre Fehler vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben, wenn ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.

Mat 6, 14-15

Auferstehung zu neuem Leben

Im Gleichnis vom Weizenkorn verdeutlicht Jesus Sinn und Bedeutung seiner eigenen Passion. Hier legt er sinnbildlich dar, dass alles menschliche Sterben in dieser Welt einen Sinn und eine Bedeutung erfahren muss, genauso wie dem Sterben in der Natur von jeher Sinn und Bedeutung zukommt.

Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde hinabfällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Johannes 12, 24

Nur soweit auch unser Sterben eine Notwendigkeit erfährt, kann unser Leben eine grundlegende Förderung erfahren. Und diese Förderung besteht darin, dass es einem neuen, transzendenten Lebensverständnis dient. Jesus beantwortet also auch hier die Frage, wozu Gott das Leid in der Welt zulässt, indem er jeglichem Sterben in dieser Welt eine grundlegende Bedeutung zuschreibt. Dabei steht und fällt die Bedeutung von Tod und Sterben mit dem Wissen um das Transzendente – um das, was über das Zeitliche und Vordergründige hinausweist:

wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Johannes 12, 24

Genauso wie es uns die Vorgänge in der Natur lehren, so soll, der Lehre Jesu nach, jedes Opfer und jede bereitwillige Hingabe dem Werden neuen, größeren Lebens dienen. Ob wir selbst an solchem neuen Leben teilhaben, hängt am Vertrauen, das uns fähig macht, altes Leben im Sinne Jesu bereitwillig hinzugeben und zu lassen. Denn lassen müssen wir unser zeitliches Leben ja ohnehin. Doch solange wir die Wirklichkeit unserer Sterblichkeit nicht wahrhaben wollen, solange wir sie negieren und ignorieren und solange wir festhalten wollen, was wir nicht festhalten können, kann unser Sterben auch keinen Sinn erfahren, denn wir stellen uns gegen die Wahrheit unserer Sterblichkeit. Jesus lehrte „wie“ unser Sterben jenen Sinn erfahren kann, damit es Unsterblichkeit erlangt.

Die Überwindung des Todes beruht auf der gefundenen Bedeutung der Umstände unseres Sterbens

Jegliches Loslassen, Verzichten und Sterben, muss um Einsicht in eine unumstößliche Wahrheit geschehen. Das heißt, ebendort, wo unserem äußeren Sterben eine transzendente Bedeutung zukommt, da geschieht unser Sterben nicht mehr vergebens. Jesus hatte in seinem Leiden und Sterben für sich eine Notwendigkeit erkannt, nämlich dass durch seinen Tod ein neues geistiges Bewusstsein geschaffen wird, das allen Menschen zugutekommt, die danach suchen. Sein einzelnes Opfer, sein Leiden und Sterben trug „Frucht“ für viele – für all jene, die nun ihrerseits ihr Leben in seinem Geist hingeben und lassen können, wodurch es ebenfalls Erneuerung durch den Geist erfährt: Das ist das Prinzip der Auferstehung. Die Auferstehung Jesu ist die Auferstehung eines Lebensverständnisses, welches bereits hier und jetzt über das Zeitgebundene und Vordergründige hinausgelangt ist:

Diejenigen, die sagen: „Der Herr ist zuerst gestorben und dann auferstanden“, sind im Irrtum. Denn er ist zuerst auferstanden und dann gestorben. Wenn jemand nicht zuerst die Auferstehung erwirbt, wird er sterben.

Philippusevangelium Spruch 21

Es ist ein zeitloses, ein ewiges Lebensverständnis, das durch keine Sache der Welt geschmälert oder behindert werden kann, sondern das nun durch alle Geschehnisse Förderung erfährt, selbst durch Ungerechtigkeit, Leiden und Sterben, wie es Jesus lehrte:

Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nicht mehr sterben. Glaubst du das?

Joh 11, 25, 26

Christus der Überwinder
Die Auferstehung – Der Isenheimer Altar / Colmar 1512-1516 – Künstler: Matthias Grünewald

Die Theodizee-Frage ist damit keineswegs erschöpfend beantwortet doch dieser Beitrag konnte vielleich einen Eindruck von der gedanklichen Fülle der Botschaft Jesu vermitteln. Auch möchte ich den Leser nicht ermüden. Daher freue ich mich auf kritische Fragen und Kommentare, die ich hier gerne direkt beantworten werden. Und so schließe ich mit den Worten Jesu:

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Johannes 16, 33

Weitere Beiträge auf Christophilos zu dieser Thematik finden Sie unter: Missverstandener Opfertod Jesu und Die Überwindung der Welt sowie meine kritische Rezension zu dem Buch: Abschied vom Opfertod von Meinrad Limbeck

Autor: Elmar Wieland Vogel

Autor, Bildhauer, Liedermacher, Lyriker. Hier blogge ich zu den Themen: Theologie, Christologie, Philosophie und christliche Mystik.

12 Gedanken zu „Die Theodizee-Frage“

  1. Lieber Elmar,
    eben habe ich einen Lesemarathon hinter mir… Aber er hat sich gelohnt!
    Vielen Dank für diesen wunderbaren ausführlichen Beitrag.
    Ich bewundere Deine so vielen passenden Bibelstellen. Sie helfen mir nicht nur zu verstehen, sondern schenken mir Trost und Kraft. Deine Erklärungen machen zuversichtlich und geben Hoffnung.
    Ich habe den Sinn verstanden – eine gute Hilfe für den Alltag, in dem man manchmal schon gesagt hat: Alles im Leben hat seinen Sinn. Ja, damit ist die Frage beantwortet.
    Immer noch tief beeindruckt von Deiner ganz besonderen, aber gut verständlichen Darlegung danke ich Dir noch einmal ganz herzlich für diesen lesenswerten Beitrag und wünsche Dir weiterhin Segen und Gnade des Auferstandenen.
    Herzlichst Ursula

  2. Lieber Herr Vogel,

    mir gefällt, dass Sie die biblischen Texte ernst nehmen und sich auf sie stützen. Man spürt Ihrem Artikel eine Ernsthaftigkeit an, mit der Sie tief in eine Gedankenwelt einsteigen und sich nicht nur an der Oberfläche bewegen. Das ist heute nicht selbstverständlich. Offensichtlich ist Ihnen die Sache eine Herzensangelegenheit und vermittelt auch Trost und Hoffnung. Ich will Ihr Denken deshalb nicht schlechtmachen, wenn ich jetzt doch einige Kritikpunkte einbringe.

    Es scheint mir, dass Sie eine gewisse Denkschablone über die biblischen Texte legen – ein Prinzip, von dem sie ausgehen. Ich weiß natürlich darum, dass wir alle von einem Vorverständnis ausgehen, wenn wir die biblischen Texte auslegen. Niemand ist eine tabula rasa, alle bringen wir immer schon etwas mit.

    Bei Ihnen fällt mir auf, wie oft das Wort „Prinzip“ sich in Ihrem Text findet: Gott ist „seinem Prinzip nach vollkommen“, es ist ein Prinzip, dass er „das Sein selbst“ ist, es gibt ein „göttliches Prinzip der Sinnerfüllung“, Sie sprechen vom „geistigen Prinzip“, vom „Prinzip der Überwindung des Bösen“, von einem „universellen Schöpfungsprinzip“ und vom „Prinzip der Auferstehung“. Das lateinische „principium“ bedeutet „Anfang, Ursprung, Grundlage“. Ein Prinzip ist also etwas Anfängliches, Ursprüngliches, Grundlegendes, ein Grundsatz. Sicher gibt es im christlichen Glauben grundlegende Wahrheiten. Die Gefahr ist aber, Gott selbst einem Prinzip zu unterwerfen. Mir wäre wichtig, dass Gott sich nicht in Grundsätzen oder grundlegenden Wahrheiten offenbart, sondern in der Geschichte. Jesus sprach zwar grundlegende Wahrheiten aus; ich würde sie aber nicht als Prinzipien bezeichnen, sondern als Wahrheiten, die er selbst als geschichtlich existierender Mensch lebte. Und auch was Paulus an Wahrheiten verkündete, geht zurück auf die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel und in Jesus Christus.

    Meine Frage wäre also: Woher kommen denn all diese Prinzipien, woher wissen wir von ihnen, wenn nicht aus Gottes Offenbarungen in der Geschichte, die im Alten und Neuen Testament erzählt wird?

    Deshalb gefällt mir auch der Begriff „universelles, allumfassendes Gottesbild“ nicht, den Sie benutzen.

    Das Böse: Es ehrt Sie, dass Sie ihm Gutes abzugewinnen versuchen, jedenfalls dann, wenn es „in Christus“ betrachtet wird. Ich kann manchem auch zustimmen, und es freut mich, dass Sie einen meiner liebsten Sprüche im Neuen Testament, Röm 8,28, zitieren. Zugleich frage ich mich aber, ob das Böse dadurch nicht doch etwas verharmlost wird. In Röm 8,28 steht ja nicht, dass Gott das Böse wirkt, sondern dass den Gott Liebenden alles, also auch das Böse, „zum Guten mitwirkt“ (so die wörtliche Übersetzung). Das Böse wirkt also zusammen mit allem anderen, was geschieht, letztlich zum Guten. Es kann das gute Ziel Gottes nicht aufhalten. Das bedeutet aber nicht, dass das Böse an sich schon gut ist. Immerhin ist der Tod der letzte Feind (1Kor 15,26). Er wird zwar besiegt, aber er wird dadurch nicht zu etwas Gutem.

    Ich kann gut verstehen, dass man sich den Tod zu einer Art Freund machen möchte. Ich versuche das selber schon seit einigen Jahren. Ich denke auch, dass man im Glauben vor dem Tod keine Angst haben muss, sondern getrost sterben kann. Aber ist der Tod deshalb schon etwas Gutes?

    Finden alle Dinge in Gott eine Bedeutung, sofern wir darauf vertrauen? Sie können uns sicher dem Ziel, dem Gott uns zuführt, nicht entfernen – aber haben alle Dinge als das, was sie sind, deshalb schon eine positive Bedeutung? Hat der Krieg an sich eine positive Bedeutung? Oder ist es nicht vielmehr so, dass auch der Krieg Gott nicht davon abhalten kann, seine Schöpfung ihrem Ziel entgegenzuführen, und zwar durch das abgründig Böse hindurch?

    Es fiele mir schwer, einem Menschen, der von einem anderen absichtlich verkrüppelt wurde, zu sagen: „Das ist sinnvoll, wenn du nur daran glaubst. Es ist nichts Böses, wenn du nur an das Gute darin glaubst.“ Ich würde eher sagen: „Es ist dir etwas abgründig Böses widerfahren. Aber durch dieses Böse hindurch kann Gott dich seinem Ziel mit dir entgegenführen.“

    Ich glaube nicht, dass Gott das Böse will, dass er „ausnahmslos alle Dinge wirkt“. Ich glaube aber, dass Gott das Böse besiegt hat und dass es deshalb zwar noch Macht, aber keine letzte Macht über uns hat. In dieser Spannung müssen wir leben und glauben.

    In Mt 5,43-48, die Sie zitieren, steht, dass wir die Feinde lieben sollen. Es steht dort aber nicht, dass wir das Lebensfeindliche („das Ungeliebte“) lieben sollen. Ich kann den Krieg nicht lieben, und ich denke, dass Gott ihn auch nicht liebt. Ich kann aber die Kriegführenden lieben, auch wenn ich ihre Taten abscheulich finde.

    Das Gottesbild: allmächtig, allwissend, vollkommen, leidensunfähig, allumfassend, allgegenwärtig … Das entspricht dem Gottesbild der griechischen Antike. Es wurde leider auch oft in das christliche Gottesverständnis aufgenommen. All diese Vollkommenheitsprädikate Gottes müssen aber, weil Gott sich in Jesus offenbart hat, interpretiert werden: Gott ist allmächtig in seiner leidenden Liebe. Er ist allwissend und lässt dennoch das Böse an sich heran. Er ist vollkommen als der Dienende. Er ist nicht leidensunfähig, sondern leidenswillig als der Liebende. Er ist allumfassend in seiner Liebe auch des Bösen, das böse ist und bleibt. Er ist allgegenwärtig als der, der sich verbergen und uns entziehen kann, ohne uns doch ganz zu verlassen.

    Sie merken schon, dass ich von einem solchen spannungsvollen Gottesbild ausgehe. Es ist letztlich die Spannung zwischen dem ewigen Gott, der ein vergänglicher Mensch geworden ist, ohne doch seine Ewigkeit zu verlieren. Aber Menschlichkeit gehört zum Wesen Gottes.

    Wir sollen den „Widerspruch der Dualität“ nicht „gedanklich überwinden“, sondern in diesem Widerspruch all unsere Hoffnung auf den Gott setzen, der allein diesen Widerspruch überwinden kann und wird.

    „Gott, der seinem Prinzip nach vollkommen ist und insofern Ursache aller Dinge sein muss, wird durch die vertrauensvolle Einwilligung des Sohnes unversehens zum Urheber von etwas, das er seinem Wesen nach nicht ist.“ So beschreiben Sie selbst die Dualität. Ich glaube nicht, dass das Böse, „wenn es auf Gott trifft“, einen „Bedeutungswandel“ erfährt, sondern dass es böse bleibt, aber überwunden wird. Der Tod erfährt keinen Bedeutungswandel, sondern dieser letzte Feind wird nach Paulus besiegt. Ich teile nicht das „Prinzip“ der Vollkommenheit Gottes, oder besser gesagt: Ich verstehe es so, dass Gott gerade dadurch vollkommen ist, dass er Leid und Tod mit Freude und Leben in sich vereint. Er ist ein Anteil nehmender Gott, ein Gott, der Mensch geworden ist, zu dessen Wesen von Ewigkeit her der Mensch Jesus gehört (Joh 1,1), zu dessen Wesen daher auch Leid und Tod gehören. Wenn Gott Liebe ist, nimmt er auch Anteil am menschlichen Leiden und Sterben.

    Wenn Sie Gott als Prinzip verstehen, besteht die Gefahr, dass er diesem Prinzip unterworfen wird, dass er also Dinge tun „muss“ oder uns „zur Verfügung steht“ oder „zu einer neuen Schöpfung genötigt wird“. „Gott ist alles in allem und darum „muss“ Gott solch einen Zustand der Gott- und Geistlosigkeit ausfüllen, und zwar durch und mit sich selbst, andernfalls wäre er nicht Gott.“ Nein, Gott ist nicht alles in allem, sondern er „wird sein alles in allem“ (1Kor 15,28). Insofern gilt, dass Gott auch eine Geschichte hat bzw. durchlebt, und zugleich ist er derselbe in Ewigkeit. Aber vielleicht kann er derselbe nur sein, wenn er als Herr der Geschichte auch selber eine Geschichte hat?

    Schließlich soll auch das Böse in uns selbst, die Sünde, ihren Sinn darin haben, dass wir Selbsterkenntnis üben. Ich würde sagen: Die Sünde kann, wenn ein Mensch umkehrt, zur Selbsterkenntnis führen. Grund der Selbsterkenntnis ist aber nicht die Sünde, sondern die Gnade Gottes, an welcher dem Menschen überhaupt erst klar wird, was seine Sünde ist.

    Das sind die wesentlichen Punkte, in denen ich anders denke als Sie. Das bedeutet nicht, dass ich alles ablehne, was Sie geschrieben haben. Ich habe jetzt nur nicht das wiederholt, worin ich mit Ihnen übereinstimme, sondern mich auf die Unterschiede beschränkt. Der Tendenz nach stimme ich mit Vielem überein, sehe aber auch Gefahren. Es scheint mir, dass wir von unterschiedlichen Voraussetzungen aus denken.

    Ich frage mich auch, worauf Sie sich mit Ihren Erkenntnissen beziehen. Wenn ich Sie recht verstehe, lehnen Sie das Alte Testament zumindest in Teilen ab, beziehen sich auf das Neue, aber darüber hinaus auch auf andere Schriften, z.B. das Philippusevangelium, einer der Gnosis nahestehenden Schrift aus dem 2. Jahrhundert. Das kann man natürlich machen, und es gibt sicher noch viele andere Schriften aus der Antike oder aus späteren Jahrhunderten, vielleicht auch aus der Gegenwart. Aber auch darin sehe ich eine Gefahr, nämlich die Gefahr, das Evangelium durch ihm fremde Einflüsse zu verfremden. Es hat schon seinen Grund, dass die frühe Kirche den neutestamentlichen Kanon auf bestimmte Schriften begrenzt hat.

    Man kann das natürlich kritisieren und sich auf viele andere Schriften beziehen. Aber wo ist dann die Grenze? Und sollten wir uns über die Entscheidungen der Alten Kirche und den 2.000jährigen Erfahrungen der Christenheit einfach so hinwegsetzen? Mit welchem Recht tun wir das? Was ist das Kriterium dafür? Ist die Gefahr nicht groß, das, was uns passt, in unser Denken einzubeziehen, und das, was uns nicht passt, einfach auszuscheiden?

    Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will Ihnen nichts vorwerfen, und ich begrüße die Ernsthaftigkeit Ihres Denkens – und dass Menschen offensichtlich tröstlich finden, was Sie schreiben. Ich möchte nur auf Gefahren aufmerksam machen – auch, damit der Trost bei der nächsten schweren Krise nicht im Sande verläuft. Schaffen wir es wirklich, im Bösen das Gute zu sehen? Kann man das von einer Frau erwarten, die von ihrem Mann zu einem Krüppel geschlagen wurde? Dürfen wir ihr das Böse als Gutes deuten? Könnte es nicht tröstlicher sein, es als das abgrundtief Böse zu betrachten und zugleich auf seine Überwindung durch Gott zu vertrauen?

    In diesem Sinn grüßt Sie herzlich
    Klaus Straßburg

  3. Lieber Herr Straßburg,

    haben Sie herzlichen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. Der Übersichtlichkeit halber gehe ich hier zunächst nur auf Ihren ersten Kritikpunkt ein bzw. auf die Frage, weshalb ich den Begriff Gott anhand von Prinzipien erkläre.

    Dass ich Gott tatsächlich durch Prinzipien darstelle, rührt sowohl aus der alttestamentlichen als auch aus der neutestamentlichen Definition des Gottesbegriffs. Damit möchte ich auch gleich vorwegnehmen, dass für mich das Alte Testament nicht vom neuen Testament getrennt werden kann, und es durch Christus nichts an Relevanz verloren hat. Im Gegenteil, das Alte Testament wird in Christus erfüllt, wie im Sinngehalt des alttestamentlichen Gottesnamen erkennbar wird:

    JHWH: Ich bin der Ichbin = Ich bin das Sein – ich bin der Seiende: („Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben.“ Johannes 6,63)
    JHWH.: Ich bin da = Ich bin gegenwärtig: (Siehe, ich bin bei euch, alle Tage bis an der Welt Ende. Mat 28, 20)
    JHWH: Ich bin der, als der ich mich erweise. = Ich erweise mich in Jesus Christus, dem Menschensohn: (So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. Joh 3, 16)
    JHWH: Ich werde sein, der ich sein werde = Ich bin gestaltlos und doch, in jeder Gestalt: („Amen, ich sage euch: Was ihr getan habt, einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Mat 25, 40)

    In diesem Kontext erschließt sich uns auch der tiefe Sinn der vielen ICH-BIN-Worte Jesu in den Evangelien: Ich bin das Licht der Welt, Ich bin der Weinstock, Ich bin der gute Hirte, Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, Ich bin die Auferstehung, Ich bin das Leben, Ich bin die Tür, Ich bin bei euch, ich komme zu euch, ich bin in euch, …wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin …. etc. Alles Metaphern, in welchen Jesus uns ein bestimmtes göttliches Prinzip (Wesensmerkmal) verkündet, für das er selbst steht – das er verkörpert.

    Aber auch der Johannesprolog definiert Gott als ein Prinzip bzw. verdeutlicht sein Wesen durch Prinzipien, denn dort heißt es:

    „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Alles wurde durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe wurde nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen“ Joh 1,1–4

    Luther übersetzte aus dem Altgriechischen „Wort“, denn er musste sich auf einen Begriff festlegen. Aber im Original steht dort „logos“ und Logos steht für eine Fülle an Bedeutungen. Bei Heraklit z. B. wird der Ausdruck logos als eine, die Welt durchwirkende Gesetzmäßigkeit gedeutet. Andere, weitere Deutungen für Logos sind: Rede, Sinn, geistiges Vermögen, Vernunft, ein allgemeines Prinzip, eine Weltvernunft, ein Gesamtsinn der Wirklichkeit, aber auch: eine Definition, ein Argument, ein Lehrsatz, ein philosophisches und religiöses Prinzip.

    Sie schreiben: „Deshalb gefällt mir auch der Begriff „universelles, allumfassendes Gottesbild“ nicht, den Sie benutzen.“

    Aufgrund der oben gezeigten Vielfalt an Definitionen des Gottesbegriffs, die Gottes Wesen in diesem Sinne erklären, kann ich diese Kritik nicht nachvollziehen. Selbstverständlich lässt sich Gott nicht auf ein einzelnes oder einziges Prinzip reduzieren, aber der Versuch sein Wesen anhand verschiedener Prinzipien zu verdeutlichen ist urjüdisch und urchristlich zugleich. Die Vielfalt der Prinzipien, durch die allein Jesus versucht hat, Gott zu verdeutlichen, vermitteln uns einen Eindruck und eine Vorstellung von Gottes allumfassendem Wesen. Der biblische Gott ist in den vielen Definitionen der Bibel ein Synonym für eine Fülle von Vorstellungen, Sinnbildern, Begriffen (Prinzipien): Geist und Sinn, Wahrheit und Wahrhaftigkeit bzw. Aufrichtigkeit, Leben und Liebe, Licht und Erkenntnis, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Ewigkeit und Zeitlosigkeit, Allmacht und Universalität, Vater und Sohn, um hier nur einige zu nennen, die auch als Prinzipen verstanden werden können.

    Sie schreiben: „Jesus sprach zwar grundlegende Wahrheiten aus; ich würde sie aber nicht als Prinzipien bezeichnen ..“

    Weshalb sprach Jesus bei seinem Verhör vor Pilatus wohl nicht von Gott? Weshalb ersetzte er den Begriff Gott durch Wahrheit? „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, um für die Wahrheit (Gott) Zeugnis abzulegen; wer aus der Wahrheit (Gott) ist, der hört meine Stimme. Joh 18, 37

    Fortsetzung folgt!

    Mit herzlichen Grüßen
    Ihr
    Elmar Wieland Vogel

  4. Für jetzt nur soviel: Wenn Sie unter „Prinzip“ ein Wesensmerkmal Gottes verstehen oder eine Gottesvorstellung, kann ich damit mehr anfangen. Die Theologie spricht von Eigenschaften Gottes. Der Begriff „Prinzip“ klingt mir zu sehr nach etwas bloß Gedachtem, nach einem Denkergebnis. Gott ist aber, wie ich schon sagte, für mich ein Gott der Geschichte, ein lebendiger Gott, der sich in der Geschichte Jesu Christi gezeigt hat, der einen Weg in und mit der Weltgeschichte geht, ein Gott, der sich nicht auf Denkergebnisse oder in der Welt ablesbare Prinzipien reduzieren lässt. Aber vielleicht sind wir da gar nicht so weit auseinander – ich bin aber nicht sicher .

    Herzlichst
    Klaus Straßburg

    1. Lieber Herr Straßburg,

      hier die Fortsetzung meiner Antwort bezüglich Ihrer Kritik das Böse betreffend:

      Ihre Sichtweise gegenüber dem Bösen, lässt sich in einem Gedanken zusammenfassen: Böses kann dort nicht mehr gut werden, wo es für zu schrecklich, zu ungerecht, zu willkürlich, zu absurd, wo es für zu sinnlos empfunden wird. Und genau genommen haben Sie damit auch recht. Denn es ist tatsächlich an dem, dass unsere persönliche Empfindung darüber entscheidet, ob Böses entschuldbar sein kann, ob es noch vergeben werden kann oder eben nicht mehr. Aber was bedeutet das in letzter Konsequenz? Es bedeutet, dass wir selbst es sind, die wir das Maß festlegen, was entschuldbar ist und was nicht, und zwar jeder Mensch für sich ganz persönlich und individuell. Mit Ihrem Beispiel, von einer Frau, die von ihrem Mann zum Krüppel geschlagen wurde, ziehen Sie Ihre ganz persönliche Grenze, wo Böses Ihres Erachtens nicht mehr gut werden kann – wo es unentschuldbar bleiben muss.

      Wenn ich Ihre Auffassung hier also richtig wiedergegeben habe (und bitte korrigieren Sie mich bitte, wenn dies nicht der Fall sein sollte) dann bitte ich Sie als Theologe, mir die folgenden Fragen zu beantworten: Welchen Sinn hatten Verrat, Verleumdung, Folter und Hinrichtung – kurz das vollkommen sinnlose Unrecht, das Jesus von seinen Feinden erdulden musste? War das, was die Menschen Jesus da angetan haben, Ihrer Meinung nach nicht zu schrecklich, zu ungerecht, zu willkürlich, zu absurd, zu sinnlos, als dass es jemals hätte vergeben werden können? Was konkret unterscheidet Ihrer Ansicht nach das Unrecht, das Jesu erleiden musste vom Unrecht, das jener Frau angetan wurde?

      Und die Vergebung betreffend: Weshalb vergibt Jesus seinen Feinden am Kreuz? Weshalb erklärt er am Vorabend seiner Verhaftung: „Ich weiß, ihr seid jetzt traurig, aber glaubt mir, es ist gut für euch, dass ich hingehe.“ Was bitte war „gut“ an dem, was Jesus da Schreckliches erleiden musste? Was meinte er, als er sagte: „Das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden“?

      Es gibt mittlerweile unzählige führende Theologen, die der Passion Jesu nichts Gutes mehr abgewinnen können, die seine Passion gar für sinnlos und entbehrlich, ja, die sie aus heutiger Sicht für unnötig und für einen fatalen Fehler Jesu erachten. Desgleichen auch den Gedanken unserer Errettung durch die Passion Jesu. Ich weiß nicht, ob Sie dazugehören. Ganz abgesehen davon, dass ich mich frage, welchen Sinn dann überhaupt das Sakrament der Eucharistie bzw. das Ritual des Abendmahls mit den Einsetzungsworten Jesu noch haben soll? Aber das nur am Rande.

      Ich selbst bin überzeugt, dass die Passion Jesu das Kernstück seiner Lehre bildet, so wie er es selbst sagt: „Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in die Welt gekommen.“ Mat 12, 27 Betrachtet man hingegen alle Selbstaussagen Jesu, seine Passion betreffend, als grundlegend und als essenziellen Teil seiner Mission, so eröffnet sich uns ein vollkommen neues Gottes- und Menschenbild: Jesus hatte ein Bewusstsein, das um Gottes Wirken in ausnahmslos allen Geschehnissen wusste. („Da nun Jesus alles wusste, was ihm begegnen sollte …“ Joh 18,4) Und dieses Bewusstsein machte ihn fähig, Gottes Willen auch in seiner Passion zu erkennen und diese aus Gott zu empfangen – uns zum Vorbild. Was heißt das? Es bedeutet, dass dort, wo wir selbst mit Unrecht, Krankheit, Schwäche, Leid und Tod konfrontiert werden, wir wie Jesus den Willen Gottes darin suchen sollen, damit diese Bereiche gut werden können.

      In diesem Zusammenhang ist der wesentliche und alles verändernde Aspekt der Botschaft Jesu der folgende: Böses kann und wird niemals gut werden können ohne unser Vertrauen in denjenigen, der alle Dinge wirkt. Ohne zuversichtliche Einwilligung den Dingen gegenüber, denen wir ausgeliefert sind oder denen wir ohnmächtig gegenüberstehen, bleiben diese Geschehnisse dunkel, ungerecht, sinnlos und böse. Unsere persönliche Einwilligung in das Unabänderliche ist der Schlüssel zu unserem persönlichen Trost. Diese Einwilligung ist das Kernstück der Botschaft Jesu und sie fand bezeichnenderweise an einem Ort statt, der den Namen (Gethsemane) „Ölpresse“ trägt. Das „Öl“, das hier im metaphorischen Sinn unter unerhörtem „Druck“ gewonnen wurde, ist das Öl des Gesalbten, des Christus.

      Mit anderen Worten: Weder Sie noch ich, noch sonst irgendjemand kann einem Unglücklichen sagen, wie er mit erlittenem Unrecht umgehen soll, damit es gut wird. Eine solche Anweisung wäre Zynismus. Wir können daher nur auf Jesus Christus verweisen, darauf, wie er mit Feindschaft, Unrecht, Leid und Tod umgegangen ist. Wir können nur auf seine Worte der Einwilligung hören: Da sprach Jesus zu ihnen: Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! Mat 26,38 Und daher, so paradox das klingen mag: Jesus Christus hat sich in seiner Passion unser erbarmt. In Jesus Christus hat uns Gott aufgezeigt, wie er das Böse überwindet, nämlich indem er dem Sinnlosen Sinn, Geist und Bedeutung (sich selbst) verleiht. Denn alles, was Geist und Sinn erfährt, das hört eben dadurch auf, böse zu sein.

      Was heißt das für uns Menschen? Hier hat ein Mensch (Jesus, des Menschen Sohn) für sich ganz persönlich und individuell entschieden, dass dem schrecklichen Unrecht, das er erfahren sollte, eine tiefe Bedeutung innewohnt und dass diese Bedeutung allein durch seine persönliche Einwilligung in dieses Unrecht „werden“ konnte. Uns zum Vorbild hat Jesus das getan: Damit nun auch wir, wie Jesus zu jener Gewissheit kommen können, dass alles, was wir in dieser Zuversicht auf uns nehmen, Sinn und Bedeutung erfahren wird. Denn Gott ist ein Synonym für Leben, Geist und Sinn.

      Es könnte hier jetzt noch vieles ausführlicher gesagt werden, aber ich möchte es für heute dabei belassen und grüße Sie sehr herzlich in die Nacht.

      Ihr Elmar Wieland Vogel

    2. Lieber Herr Straßburg,

      nun noch etwas zu Ihren Ausführungen über Tod, Krieg und Sterben.

      Sie fragen:
      Ich denke auch, dass man im Glauben vor dem Tod keine Angst haben muss, sondern getrost sterben kann. Aber ist der Tod deshalb schon etwas Gutes?

      Nein, der Tod ist eben nicht etwas Gutes an sich, aber er wird zu etwas Notwendigem und Gutem, soweit wir bereit sind, den Tod im Licht der Botschaft Jesu zu verstehen und zu betrachten.

      Bereits die Psalmisten des Alten Testaments vermitteln jene Grundwahrheit, dass der Tod eben nichts Unnützes ist, sondern dass uns die Auseinandersetzung mit dem Tod „klug“ werden lassen soll. Ferner, dass der Tod ein Ziel hat und das heißt, dass der Sinn und Zweck unseres Ablebens gefunden werden muss.

      HERR, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden Psalm 90,12

      Aber, HERR, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss. Psalm 39,4

      Sie fragen:
      Finden alle Dinge in Gott eine Bedeutung, sofern wir darauf vertrauen? Sie können uns sicher dem Ziel, dem Gott uns zuführt, nicht entfernen – aber haben alle Dinge wie das, was sie sind, deshalb schon eine positive Bedeutung?

      Ich frage zurück: Welche Bedeutung hatte dann das Unrecht, das Leiden und das Sterben Jesu? Weshalb sollte Jesu Tod ein anderer gewesen sein als der unsrige? War er uns nicht in allen Dingen gleich, wie die Textzeugen und Paulus schreiben? Und wenn sein Leid ein ganz anders als das unsrige war, was bitte war dann anders an seinem Leid? Was ist der christliche Glaube, wenn nicht das Wissen um Sinn und Bedeutung dessen, was mir persönlich widerfährt? Was ist der Glaube, wenn nicht das unerschütterliche Vertrauen in unsere vollkommene Geborgenheit in Gott, wie Jesus lehrte?

      „Selbst eure Haare auf eurem Haupt sind alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht.“ Luk 12,7

      Diese Fragen müssen Sie m. E. als Theologe schlüssig beantworten können. Denn an der Beantwortung dieser Fragen hängt schließlich die gesamte Erlösungstheologie vom Kreuz.

      Sie fragen:
      Hat der Krieg an sich eine positive Bedeutung? Oder ist es nicht vielmehr so, dass auch der Krieg Gott nicht davon abhalten kann, seine Schöpfung ihrem Ziel entgegenzuführen, und zwar durch das abgründig Böse hindurch?

      Hier noch einmal meine Antwort: Das Böse hat keine Bedeutung „ohne“ unsere persönliche Einwilligung. Ohne unser Vertrauen, dass auch im Bösen der Wille Gottes verborgen liegt und dort von uns gefunden werden will, kann nichts gut werden. Böses wird dort böse bleiben, wo wir den Willen Gottes im Bösen nicht suchen. Denn, dass Böses gut werden kann, das liegt allein in unsrer Suche und in unserer Einwilligung gegenüber dem Unabänderlichen begründet:

      „Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!“ Mt 26, 39

      Denn nur dort, wo wir Gott als Ursache aller Dinge erkennen, können und müssen alle Dinge gut werden, da Gott immer nur das Gute, das Leben, den Geist wirkt und hervorbringt:

      Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Joh 14,6.

      Wenn Jesus hier sagt: „Ich bin der Weg …“, so meinte er damit, dass wir nur diesen, seinen Weg gehen können – dass nur diese Möglichkeit existiert, um zu einem gnädigen Gott (Vater) zu gelangen.

      Sie schreiben:
      Ich verstehe es so, dass Gott gerade dadurch vollkommen ist, dass er Leid und Tod mit Freude und Leben in sich vereint.

      Nein, denn wenn es so wäre, wie Sie sagen, dann könnte in Gott Gegensätzliches und Widersprüchliches parallel existieren: Lüge und Wahrheit, Gut und Böse, Recht und Unrecht. Das wäre aber nicht das Gottesbild Jesu, das ungeteilt und widerspruchslos ist. In Jesus ist die Wahrheit unteilbar:

      „Wenn ein Reich mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen. Und wenn ein Haus mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen.“ Mark 3,24

      Daher, Gott überwindet das Böse (inneres wie äußeres) in Christus derart, dass es als solches gar nicht mehr gefunden werden kann. Nur dieses Vertrauen in die Geisteshaltung Jesu, der seinen Feinden am Kreuz vergeben konnte, eben weil er den Willen Gottes in ihrem Tun erkannte, macht uns selbst der Vergebung sowohl fähig als auch der Vergebung durch Gott würdig:

      Ich, ich bin es, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen und der deiner Sünden nicht mehr gedenken will. Jes 43,25

      Selbst wenn eure Sünden blutrot sind, sollt ihr doch schneeweiß werden. Sind sie so rot wie Purpur, will ich euch doch reinwaschen wie weiße Wolle. Jes 1,18

      Denken Sie in diesem Zusammenhang auch einmal an die biblische Geschichte, von Josef und seinen Brüdern: Josef konnte seinen Brüdern vergeben, weil er den guten Willen Gottes in seinem leidvollen Schicksal erkannt und gefunden hatte. Das ist eine Vorschau auf Christus, den Allvergeber, der uns in allem, was ihm durch seine Brüder widerfuhr, den Willen Gottes gefunden und verkündet hat.

      In diesem Sinne grüßt Sie sehr herzlich
      Ihr
      Elmar Wieland Vogel

  5. Lieber Herr Vogel,

    ich unterscheide Wiedergutwerdung des Bösen von Vergebung. Das Böse, das vergeben wurde, ist nicht durch die Vergebung gut geworden. Was gut geworden ist, ist die Beziehung des Vergebenden zu dem, dem etwas vergeben wurde. Aber das bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass das Böse gut geworden ist.

    Auch an Jesu Tod war nichts gut. Gut war, dass er sich wehrlos gemacht hat, dass er sich in Liebe hingegeben hat, nämlich ohne zurückzuschlagen, ohne die Himmelsheere herabzurufen, die seine Verfolger ausgelöscht und ihn verteidigt hätten (Mt 26,52f). Gut war, dass er seine Feinde konsequent bis zum Ende geliebt hat anstatt sie zu vernichten. Gut war, dass er so die unendliche Liebe Gottes zu den Feinden Gottes offenbart hat, die wir alle sind. Gut war, dass er ihnen vergeben hat, anstatt sie auf der Stelle zu richten. In diesem Sinne hat er aus Liebe „sein Blut vergossen“, um die Vergebung zu leben.

    Ich kann nicht bestätigen, dass es heute „unzählige führende Theologen“ gibt, „die der Passion Jesu nichts Gutes mehr abgewinnen können, die seine Passion gar für sinnlos und entbehrlich, ja, die sie aus heutiger Sicht für unnötig und für einen fatalen Fehler Jesu erachten.“

    Gut wird alles erst nach dem Jüngsten Gericht, dann nämlich, wenn alles offenbar werden wird, das Gute und das Böse. Dann wird das Böse vernichtet, auch der letzte Feind, der Tod, und nur das Gute wird bleiben. Dann, wenn Gott in allem alles sein wird, was er jetzt noch nicht ist.

    In der Auseinandersetzung mit dem Tod können wir klug werden. Das ist aber etwas anderes, als durch den Tod selber klug zu werden. Wir werden nicht klug durch den Tod, sondern durch das Bedenken des Todes (Ps 90,12).

    Das Böse, das jetzt noch geschieht, entspricht nicht dem Willen Gottes. Wäre es so, dann wären alle biblischen Weisungen und jede christliche Ethik überflüssig. Es ist sicher hilfreich, sich dem, was Gott zulässt (nicht was er wirkt!), hinzugeben im Vertrauen auf sein Geleit durch das Böse hindurch zu einem guten Ende. Wenn Gott das Böse zulassen will, ist es gut, sich Gott zu überlassen. Aber durch diese Hingabe an Gottes Geleit wird das Böse nicht gut.

    Ich bin ganz einig mit Ihnen darin, dass der Glaube „das unerschütterliche Vertrauen in unsere vollkommene Geborgenheit in Gott“ ist. Aber es ist eine Geborgenheit gerade auch im Bösen und Sinnlosen, weil Gott uns durch Böses und Sinnloses hindurch zu seinem guten Ziel führen will. „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir … Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde … du schenkest mir voll ein … Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang“ (Ps 23). Gutes wird uns Gott schenken trotz (nicht in!) allem Bösen. Leider sind wir die finsteren Täler noch nicht los, und sie werden auch nicht dadurch heller, dass wir sie für hell erklären.

    Verborgen liegt in meiner Sicht im Bösen nicht der Wille Gottes, sondern Gottes Macht, dass das Böse ihm dienen muss, und zwar auch gegen seinen Willen (Röm 8,28). Dem Bösen ist insofern schon seine zerstörerische Macht genommen. Es ist aber dadurch nicht gut geworden. Oder anders gesagt: Der Satan ist noch kein Engel. Er ist aber schon vom Himmel herabgestürzt und hat dort nichts mehr zu melden (Lk 10,18).

    Wenn ich recht sehe, unterscheiden wir uns darin, dass Sie sagen, das Böse sei Gottes Wille, und ich sage, das Führen durch das Böse hindurch zum Guten sei Gottes Wille. Man könnte meinen, das sei doch so ein großer Unterschied nicht.

    Es hat aber Konsequenzen für die Gottesvorstellung. Ich verstehe Gott als einen, der, wie Jesus, leiden kann. Denn sonst hätte Jesus nicht Gott offenbart. Gott selbst leidet aus Liebe zu den Menschen; denn Liebe gibt es nicht ohne das Leiden am und anstelle des Geliebten. Es mag in manchen Ohren merkwürdig klingen, dass Gott leiden kann. Die Vorstellung von einem leidensunfähigen Gott stammt aber aus der griechischen Philosophie. Die jüdisch-christliche Gottesvorstellung unterscheidet sich davon, wie man schon beim Propheten Jeremia nachlesen kann.

    Lieber Herr Vogel, wenn Sie in Ihrer Vorstellung Trost und Halt finden, möchte ich sie Ihnen gar nicht ausreden. Ich kann sie nur in den biblischen Texten nicht bestätigt finden. Und diese Texte sind ja, gottlob, die Grundlage für uns beide.

    Herzliche Grüße
    Klaus Straßburg

    1. Lieber Herr Straßburg,

      vielen Dank für Ihre Antwort, in der Sie jedoch nicht wirklich auf meine gestellten Fragen eingehen. Vielmehr werfen Ihre Erklärungen und Darlegungen eine Vielzahl hochbrisanter Fragen auf, die Sie letztlich aber nicht beantworten wollen/können. So bleibt auch die Frage nach dem Sinn des Leides in der Welt von Ihnen unbeantwortet, ja, sie wird in letzter Konsequenz von Ihnen sogar verneint. Denn einerseits sagen Sie, dass viel Leid und Unrecht in der Welt geschieht, das in Ihren Augen völlig sinnlos ist, und gleichzeitig erklären Sie, dass Jesus sein Leid aus Liebe zu den Menschen auf sich nahm und dass dies gut war. Wenn aber Jesus sein Leid aus Liebe zu den Menschen auf sich nahm und dies gut war, dann muss es doch (zumindest für ihn) auch sinnvoll gewesen sein, oder etwa nicht? Andernfalls müssten Sie konsequenterweise den Begriff „Liebe“ mit „Sinnlosigkeit“ und „Böse“ gleichsetzen, was Sie wiederum nicht tun.

      Und wenn Jesus das große Unrecht und Leid, das ihm widerfuhr, aus Liebe zu uns Menschen erlitt, warum verneinen Sie dann diese Möglichkeit, wenn anderen Menschen ähnliches Unrecht und Leid widerfährt (geschlagene Frau) indem Sie implizieren, dass solches Leid keinen Sinn haben könne? Woher wollen Sie das wissen? Wie wollen Sie das als Außenstehender beurteilen? Ist der Umgang mit erlittenem Unrecht und Leid nicht ein höchst individueller und persönlicher? Genau genommen trennen Sie in Ihrer Theologie das Leid Jesu ab vom Leid der Menschen, um dann aber wieder zu sagen, Jesus habe unser menschliches Leid mitgetragen und mit den Menschen mitgelitten.

      Ebenso meine Frage, aus welchem Grund Jesus seinen Feinden am Kreuz vergeben hat? Sie beantworten diese Frage letztlich nicht. Unbeantwortet bleibt von Ihnen insofern auch die Frage nach der Ursächlichkeit der Sündenvergebung durch die Passion Jesu. Wie kann durch das Leid eines Menschen, der vor 2000 Jahren am Kreuz starb, meine/unsere Schuld heute vergeben werden? Was meinte Jesus mit den vielen Hinweisen darauf: Dass das Leid, das er bereit war auf sich zu nehmen, zur Erlösung für viele sein würde? Dass das Weizenkorn in die Erde fallen müsse, um viel Frucht zu bringen? Dass sein Blut vergossen würde, zur Vergebung der Sünden? Dass er nach Jerusalem müsse und dort verurteilt und hingerichtet werde und dass ihn niemand (Petrus) davon abhalten werde?

      Unbeantwortet bleibt von Ihnen auch die Frage, „weshalb“ Jesus seine Passion (Leid und Tod) selbst als für notwendig, ja, sie sogar für gut erachtete. „… es ist gut für euch, dass ich hingehe …“ Joh 16,7. Auch wenn Sie nicht explizit sagen, dass das Leiden und Sterben Jesu in Ihren Augen sinnlos war, so resümieren Sie hier doch: „Auch an Jesu Tod war nichts gut“. Dabei ignorieren Sie die Selbstaussagen Jesu, in denen er sein eigenes Leiden und Sterben für notwendig und insofern für gut erachtete. Den Tod Jesu halten Sie kategorisch für „nicht“ gut, aber seine Auferstehung, die halten Sie wieder für wichtig und gut. Aber wie sollte denn das eine ohne das andere möglich sein?

      Es tut mir leid es so hart sagen zu müssen, aber ich empfinde Ihre Theologie voller Lücken und auch voller Widersprüche, auch vermisse ich in Ihrer Argumentation den Willen zur Folgerichtigkeit.

      Ganz anders verhält es sich für mich mit den Lehren Jesu: Ich erkenne in ihnen ein einziges zusammenhängendes, lückenloses Gewebe. Alles atmet dort Geist und Sinn. In der Zusammenschau seiner Lehre und Passion beantwortet sich jede einzelne der oben von mir gestellten Frage auf sehr schlichte und folgerichtige Weise. Und würden Sie meiner Auslegung auch nur für einen Moment unvoreingenommen gedanklich folgen, so würden Sie selbst Antworten auf alle hier aufgeworfenen Fragen finden können. Aber das wollen Sie offensichtlich nicht. Sie stören sich an Begriffen und erheben Vorbehalte, noch bevor Sie die gedankliche Folgerichtigkeit meiner Argumente auch nur im Ansatz verstanden haben. Das empfinde ich insgesamt etwas schade.

      Mit herzlichen Grüßen

      Ihr Elmar Wieland Vogel

      PS. Eine letzte Frage an Sie: Weshalb lässt man die Gläubigen im sonntäglichen Glaubensbekenntnis sich zu einem allmächtigen Gott bekennen, wenn Gott Ihres Erachtens doch gar nicht allmächtig ist?

  6. Hallo Herr Vogel,

    hier einige kurze Antworten aus meiner persönlichen Sicht:

    Es gibt Leid, dessen Sinn wir nicht erkennen, das aber durch Gott einen Sinn hat, und es gibt Leid, das keinen Sinn hat, aber ebenfalls durch Gott einen Sinn erhalten kann.

    Gut war nicht das Böse, das Jesus widerfuhr, sondern die Liebe, mit der er es ertragen hat. Sinnvoll war nicht Jesu Leid an sich, sondern die Liebe, mit der er Gottes Liebe zu denen, die ihm Böses antaten, offenbart hat.

    Der Umgang mit erlittenem Leid ist ein individueller und persönlicher. Der Umgang mit Leid kann gut sein, das heißt aber nicht, dass das Leid gut ist.

    Auf Ihre Frage nach der Sündenvergebung, die durch Jesu Leid sich vollzogen hat, kann ich nur auf meinen Blogartikel Welchen Sinn hatte Jesu Tod am Kreuz? (https://christseinverstehen.de/blog/index.php?welchen-sinn-hatte-jesu-tod-am-kreuz-) verweisen, zu dem wir uns dort schon ausführlich ausgetauscht haben. Das müssen wir jetzt nicht wiederholen.

    In Joh 16,7 bezieht sich Jesus auf die Traurigkeit seiner Jünger angesichts seines bevorstehenden Todes (Vers 6). Jesus tröstet sie und sagt selbst, warum sein Sterben gut für sie sei, nämlich weil er dann seinen Beistand, d.h. seinen Geist, zu ihnen senden wird, der die Welt in Bezug auf mehrere Dinge „überführen“ wird (Verse 6-11). Sie müssen also angesichts seines Todes nicht traurig sein.

    Am Ende Ihres Beitrags wechseln Sie von der Sachebene auf die persönliche Ebene. Sie werfen mir vor, in meiner Argumentation den „Willen zur Folgerichtigkeit“ nicht zu haben (also Unwille). Sie werfen mir auch vor, Ihrer Auslegung nicht „auch nur für einen Moment unvoreingenommen gedanklich (zu) folgen“ (also Voreingenommenheit). Sie werfen mir vor, ich wolle „offensichtlich nicht“ „Antworten auf alle hier aufgeworfenen Fragen finden“ (die in Ihrer Auslegung angeblich enthalten sind) (also wiederum Unwille). Sie werfen mir vor, ich erhebe „Vorbehalte, noch bevor“ ich „die gedankliche Folgerichtigkeit“ Ihrer „Argumente auch nur im Ansatz verstanden habe“ (also Unverständnis).

    Auf diese persönliche Ebene möchte ich mich nicht einlassen. Zudem habe ich den Eindruck, dass wir uns argumentativ im Kreise drehen. Deshalb möchte ich unser Gespräch an dieser Stelle nicht fortsetzen.

    Viele Grüße
    Klaus Straßburg

    1. Lieber Herr Straßburg,

      vielen Dank für Ihren Kommentar.

      Sie schreiben von einem Leid, dessen Sinn wir nicht erkennen, welches aber durch Gott einen Sinn hat und Sie unterscheiden dieses Leid von einem anderen Leid, das keinen Sinn hat, aber durch Gott einen Sinn erhalten kann. Ich weiß nicht, worauf Sie mit dieser Aussage hinauswollen. Denn wenn beides Leid seinen Sinn durch Gott erhalten kann (wie Sie sagen) dann unterscheidet es sich doch nicht voneinander. Wollen Sie hier aber auf einen Unterschied hinaus, dann wäre Ihre Unterscheidung eine Relativierung der Botschaft Jesu. Denn jegliches Leid, das wir in Gott erkennen wird, ja, muss überwunden, muss gewandelt werden und diese Wandlung geschieht durch Sinnsuche und Sinnfindung: Suchet, so werdet ihr finden … Das ist die tröstliche Botschaft Jesu, das ist das Evangelium, das ist die gute Nachricht; dass jegliches Leid in Gott einen Sinn findet, wodurch wir getröstet werden sollen: „Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ Und dabei kommt alle Erkenntnis, durch die unser Leid Sinn findet, ausschließlich aus Gott. Denn all unser Leid, das seinen Sinn durch Gott erhält, das erhält es dadurch, dass Gott uns dessen Sinn finden und erkennen lässt. Und zwar in gleicher Weise, wie Jesus den Sinn seines eigenen Leides erkannte.

      Was also wollen Sie mit dieser Unterscheidung von Leid sagen? Und vor allem, was wollen Sie den Leidenden und Trauernden im Namen Jesu sagen? Dass es auch solches Leid gibt, das sinnlos bleibt und keinen Trost findet? Aber wie passt diese Aussage zur Botschaft Jesu: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ Ist es doch die Botschaft Jesu, in der für uns jegliches Leid Trost finden soll – das ist doch der Wille Gottes! Glauben Sie, dass diese Zusage Jesu gültig und wahr ist? Und wenn ja, aus welchem guten Grund sollte diese Zusage relativiert werden?

      Und wenn Sie von einem Leid schreiben, dessen Sinn wir nicht erkennen, dann muss ich nachfragen: Wer oder was wirkt denn jene Erkenntnis in uns, dass etwas Sinn hat, wenn nicht Gott selbst in Christus? Oder glauben Sie, dass Erkenntnis ohne Gott möglich ist? Ich persönlich glaube das nicht! Jesus hatte Sinn und Bedeutung seines Leides für sich (und damit stellvertretend auch für uns) erkannt, da er vom Geist der Erkenntnis Gottes erfüllt war. Geist und Sinn empfängt eine Sache immer und ausschließlich dadurch, dass sie als sinn- und geistvoll erkannt und geglaubt wird. Und dies gilt in besonderem Maße dort, wo uns eine Sache geistlos, sinnlos, absurd oder böse erscheint. Das ist das Wesen des christlichen Glaubens! Gott will überall dort wirken, wo das Dunkel seiner Abwesenheit herrscht – dort, wo wir (aufgrund mangelnder Erkenntnis) dem Eindruck von Geist- und Sinnlosigkeit erliegen. Gott ist Licht im Dunkel.

      Eben dort wird Gott zum Schöpfer, wo er Sinn- und Geistloses mit Geist und Sinn (nämlich mit sich selbst) erfüllen kann und will. Darauf beruht die Überwindung der Welt, dass das Geistlose und Sinnlose, das Jesus widerfuhr, vom Geist erfüllt wurde – dass das Böse durch Christus nun auch in uns einen tiefen Sinn erfährt, wodurch es gut werden kann. Diese Erkenntnis war Jesus gegeben, aber diese Erkenntnis war seine rein persönliche und subjektive. Für die Welt war Jesu Leiden und Sterben ein sichtbares Zeichen seiner Niederlage – für die Welt war sein Tod am Kreuz der Beweis seines Scheiterns. Allein dadurch, dass Jesus in der Sinnlosigkeit seines Leidens und Sterbens (für sich) Gottes Willen erkannte, wurde seine Passion von Geist und Sinn durchdrungen, wurde sie bedeutsam, wurde sie eins mit Gott. Und deshalb musste Jesus auferstehen, weil Gott, Geist und Sinn ist – weil Gott die Quelle allen Lebens ist – weil nie etwas anderes aus Gott fließen kann als Leben, Geist und Sinn. Das war das Gute, um welches Jesus in seiner Passion wusste.

      Sie schreiben, dass es gut war, dass Jesus seinen Feinden vergeben hat und Sie schreiben … „In diesem Sinne hat er aus Liebe „sein Blut vergossen“, um die Vergebung zu leben.“ Und im gleichen Zusammenhang schreiben Sie: „Ich unterscheide Wiedergutwerdung des Bösen von Vergebung. Das Böse, das vergeben wurde, ist nicht durch die Vergebung gut geworden.“

      Herr Straßburg, ich kann in dieser Theologie keinen Bezug zur Botschaft Jesu erkennen. Aus welchem Grund trennen Sie hier, was zusammengehört? In Christus wird das Böse gut! Das ist die Quintessenz der Botschaft Jesu! Und das sage ich nicht einfach so, sondern das ist die Folgerichtigkeit, die seiner Botschaft zugrunde liegt: Ohne das Leid (Böses), das Jesus ertragen hat, wäre die Welt nicht überwunden worden. Wäre aber die Welt nicht überwunden worden, so würden auch wir die Welt nicht überwinden können und damit würde auch nichts gut werden können. Der Tröster konnte nur durch die Passion Jesu zu uns kommen, diese Bedingtheit stellt Jesus unmissverständlich klar, auch wenn Sie hier versuchen diese Aussage zu relativieren. Desgleichen der Tod Jesu: ohne den Tod (Böses) Jesu auch keine Auferstehung. Wäre aber Jesus nicht auferstanden, so könnten auch wir an seiner Auferstehung nicht teilhaben. Wie können Sie diese Folgerichtigkeit ignorieren?

      Und genau dasselbe betrifft auch die Vergebung: In Christus wird uns unsere Schuld (die Sünde/ das Böse) zum Anlass selbst Vergebung zu üben (Gleichnis vom Schalksknecht) und eben dadurch wird Schuld/Sünde/Böses unerwartet zu etwas Notwendigem und eben dadurch zu etwas Gutem. Und dort, wo wir selbst aus Einsicht in diese Notwendigkeit unseren Schuldigern vergeben, da wird uns auch von Gott vergeben. Auch diese Ursächlichkeit legt Jesus unmissverständlich dar. Und dort, wo Gott uns unsere Schuld vergibt, ist alles gut geworden. Alles Gute hängt an der Vergebung! Hätte Jesus seinen Feinden nicht vergeben (hätte er sie vom Kreuz herab angeklagt) so wäre seine Passion auch nicht gut gewesen. Aber die Passion Jesu ist „das“ Heilswerk Gottes am Menschen und sie findet ihre Vollendung in der Vergebung am Kreuz. In der Vergebung erhält die Passion Jesu ihren tiefen Sinn und ihre Bedeutung, wodurch sie gut wurde und war.

      Bezüglich meiner Frage, wie es denn zu verstehen sei, dass unsere Schuld durch die Passion Jesu vergeben werden könne (so wie es Jesus seinen Jüngern selbst erklärte) verweisen Sie auf Antworten in Ihrem Blog. Aber tatsächlich geben sie auf diese Frage dort keine Antwort, sondern Sie verneinen diese Ursächlichkeit, wenn Sie schreiben: „Jesu Tod war nicht nötig, damit Gott Schuld vergeben kann.“

      Auch wenn Sie jetzt keine weitere Diskussion mehr wünschen, möchte ich mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Ihnen bedanken für den bisherigen, interessanten gedanklichen Austausch und für Ihre wertvolle Zeit, die Sie diesem schriftlichen Dialog hier gewidmet haben.

      Mit herzlichen Grüßen

      Ihr Elmar Wieland Vogel

  7. Wenn Sie mich schon zitieren, Herr Vogel, dann bitte vollständig: „Jesu Tod war nicht nötig, damit Gott Schuld vergeben kann. Nötig war nur seine Liebe, die zugleich Gottes Liebe ist. Diese aber führte ihn unweigerlich in den Tod.“

    1. Lieber Herr Straßburg,

      vielen Dank für Ihren Kommentar!

      Die Frage lautete, inwiefern der Tod Jesu zur Vergebung unserer Schuld/Sünde bzw. zur Erlösung nötig war, so wie es Jesus selbst verstand und erklärte.

      „… das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“ Mat 26,28

      In der von mir zitierte Aussage aus Ihrem Blogbeitrag verneinen Sie diese Ursächlichkeit indem sie schreiben:

      „Jesu Tod war nicht nötig, damit Gott Schuld vergeben kann.“

      Ihr Folgesatz nimmt keinen Bezug zur Ursächlichkeit von Jesu Tod und einer daraus folgenden Vergebung von Schuld, wenn Sie schreiben:

      „Nötig war nur seine Liebe, die zugleich Gottes Liebe ist. Diese aber führte ihn unweigerlich in den Tod.“

      Oder habe ich Sie falsch verstanden und Ihre zweite Aussage bezieht sich doch auf die Vergebung von Schuld? Falls ja, dann revidieren Sie damit Ihre erste Aussage und die eingangs, gestellte Frage bleibt unbeantwortet. Denn wenn die Liebe nötig war, und wenn diese Liebe unweigerlich in den Tod Jesu führte, dann war eben auch der Tod Jesu zur Vergebung unserer Schuld und zur Erlösung nötig.

      Nach meinem Verständnis sind der Wirkende (Gott in Christus) und sein Werk (Liebe, Passion, Erlösung) untrennbar eins. Man kann diese Dinge nicht voneinander trennen.

      Vielleicht mögen Sie diesen Widerspruch ja abschließend noch aufklären? Ich würde mich sehr darüber freuen.

      Mit besten Grüßen
      Ihr
      Elmar Wieland Vogel

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